Spengler: Bundeskanzler Schröder war letzte Woche in Moskau bei Präsident Putin. Offiziell war dort die Affäre Yukos kein Thema. Der Bundeskanzler äußerte dann aber doch, er haben keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorgehen des Staates nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln vor sich gehe. Haben Sie denn als Prozessbeobachterin andere Anhaltspunkte als der Kanzler?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin vom Europarat beauftragt worden, mich mit den Umständen der Festnahme und der Strafverfolgung gegen Yukos frühere Offizielle - Chodorkowski und andere - zu befassen. Und der erste Punkt, der einem doch sehr zu denken gibt ist, dass hier gegen einen Oligarchen vorgegangen wird, unter anderem wegen Vorgängen in den 90er Jahren bei der Privatisierung im großen Umfang, wo es wohl doch nicht unbedingt so ganz klar rechtsstaatlich zugegangen sein soll. Die Tatsache, dass ein Oligarch vorgeführt wird und gegen ihn ein Prozess geführt wird und sein Konzern dabei ist, in den Bankrott getrieben zu werden zeigt, dass es ein selektives Vorgehen des russischen Staates ist und nicht ein Vorgehen, dass sich mit der Aufarbeitung der Privatisierung aus den 90er Jahren insgesamt befasst. Das ist schon ein Punkt, der einen doch sehr nachdenklich machen muss.
Spengler: Das zeigt also eine Art Ungleichheit vor dem Gesetz?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das zeigt jedenfalls, dass nicht alle Sachverhalte gleich behandelt werden, denn es sind damals über 450 Privatisierungen vorgenommen worden und es gibt viele Oligarchen in Russland. Die Aufarbeitung einer nicht korrekten Privatisierung - und das ist ja gerade mit ein Grund der Anklage gegen Chodorkowski - betrifft viele und nicht nur ihn.
Spengler: Sind Sie denn sicher, dass Chodorkowski unschuldig ist?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, das kann ich auch nicht beurteilen, das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich kann nicht beurteilen, ob es Steuerhinterziehung oder andere Vorwürfe zu Recht gibt. Das muss wirklich der Prozess klären und der Europarat will diese Beurteilung für sich nicht vornehmen. Wenn es Steuerhinterziehung tatsächlich gegeben hat, auch von der Privatperson Chodorkowski - deshalb ist er ja angeklagt, nicht wegen Steuerhinterziehung des Unternehmens Yukos - dann ist natürlich selbstverständlich, dass er entsprechend die Konsequenzen zu tragen hat. Ob man deshalb wie ein Tier im Käfig im Gerichtssaal zu sitzen hat, ist dann wiederum eine andere Frage.
Spengler: Das kennen wir nun auch aus anderen Gerichtssälen. Wie fair kommt es Ihnen denn vor, was dort abläuft?
Leutheusser-Schnarrenberger: Also es gibt berechtigte Vorwürfe, dass es große Schwierigkeiten gibt, dass die Anwälte für Chodorkowski in der Lage sind, sich mit allen Vorwürfen, die gegen ihren Mandanten erhoben werden, auseinanderzusetzen, dass sie ungehinderten Zugang zu ihrem Mandanten im Gefängnis haben. Es gibt die Vorwürfe, dass Anwälte teilweise zu Hause oder auch in ihren Büros durchsucht wurden, dass Unterlagen der Anwälte - ich spreche nicht von Yukos selbst - auch beschlagnahmt wurden. Alles das sind Vorwürde, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht vorkommen dürfen.
Spengler: Wie erklären Sie sich dann das Verhalten und die Äußerungen des Bundeskanzlers?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich kann es mir nur so vorstellen, dass er aus rein politischer Überlegung heraus sich so verhalten hat. Er wollte alles tun, was die aus seiner Sicht so wichtigen Wirtschaftsverträge, die mit der russischen Regierung geschlossen wurden in irgendeiner Form gefährden könnten. Er wollte gute Beziehungen zu Putin nach Außen hin demonstrieren und da passt dieser ganze Fall Yukos einfach nicht ins Konzept und ich denke, dass er falsch beraten gewesen ist, in dieser Form, mit so einer Art Blankoscheck in Moskau zu agieren. Denn wenn er diese Einzelheiten nicht wusste über die Vorwürfe, die erhoben werden, dann hätte er lieber ganz schweigen sollen, aber nicht in dieser Form die, denke ich, sehr leichtfertige Beurteilung abgeben sollen.
Spengler: Sollte man denn wegen eines inhaftierten Milliardärs, der nun auch kein Weisenknabe ist und dessen Reichtum auch nicht gerade auf saubere Art zustande gekommen sein dürfte - das haben Sie selber eben angedeutet - deutsch-russischen Beziehungen gefährden?
Leutheusser-Schnarrenberger: Es geht nicht, dass man wegen einer Person russische Beziehungen gefährdet. Natürlich hat ein Milliardär, wie auch ein sehr armer Mensch, das Recht, ganz klar rechtsstaatlich behandelt zu werden. Aber es geht darum, dass ein Bundeskanzler sehr wohl auch sehen muss, ob es hier besorgniserregende Entwicklungen in Russland gibt. Gibt es wirklich diese Stärkung von mehr Demokratie? Gibt es Rechtsstaatlichkeit, die eine sichere Grundlage für Investoren ist? Denn Rechtsstaatlichkeit ist dringend notwendig, wenn in großem Umfang in einem Staat investiert wird. Da muss er einfach sehen, dass die Gefahr da ist, dass es eine Bankenkrise - mit ausgelöst durch den Yukos-Fall - in der russischen Föderation geben kann. Und diese Aspekte, die muss natürlich ein Bundeskanzler sehr wohl berücksichtigen und auch sehen, wie sicher sind denn Investitionen, die in einem Staat vorgenommen werden, der sich im Moment nicht in einer Entwicklung zu mehr Rechtsstaatlichkeit befindet, sondern eher zu weniger Rechtsstaatlichkeit.
Spengler: Nun sollen ja Putin und Schröder sogar befreundet sein. Hätte Schröder das ausnutzen sollen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich meine, dass er gerade bei guten Beziehungen zu Putin das hätte nutzen müssen, um die Sorge zum Ausdruck zu bringen, die ja viele Investoren in Russland derzeit haben. Es sind fünf Milliarden Dollar in den letzten Wochen aus Russland abgezogen worden wegen dieser Besorgnis, die auch gerade andere Staaten haben und ich denke gerade bei guten Beziehungen ist es eigentlich selbstverständlich und dann auch viel leichter, solche besorgniserregenden Entwicklungen anzusprechen und darauf zu drängen, dass es da auf alle Fälle alle Initiativen geben muss, damit es eben nicht zu einem möglicherweise unfairen Prozess kommen wird.
Spengler: Das war die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, für den Europarat Beobachterin des Chodorkowski-Prozesses. Ich danke Ihnen, Frau Schnarrenberger.