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FDP
"Wir definieren uns als eigenständige Partei"

Die FDP wird sich nicht mehr an anderen Parteien orientieren, sagt ihr neuer Vorsitzender Christian Lindner. Der Partei falle jetzt eine besondere Rolle zu, denn derzeit gebe es kein politisches Gegengewicht im Parlament. Die eigentliche Opposition sei die FDP.

Christian Lindner im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.12.2013
    Christian Lindner in Anzug und Krawatte an einem blau-gelben FDP-Rednerpult, mit den Händen gestikulierend, im Hintergrund ist er auf einem Bildschirm zu sehen.
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner spricht am 08.12.2013 in Berlin beim FDP Bundesparteitag zu den Delegierten. (picture alliance / dpa/ Stephanie Pilick)
    Mario Dobovisek: Es war ein Schock für die Liberalen, als am Abend des 22. Septembers die Zahlen über die Fernsehbildschirme dieser Republik flimmerten: die FDP raus aus dem Bundestag, erstmals in ihrer Geschichte, in die außerparlamentarische Opposition verdrängt. Jetzt geht es wieder los, nach dem Sonderparteitag am Wochenende: mit neuer Zuversicht, neuer Kraft und neuen Gesichtern an der Spitze. Eines von ihnen trägt Wolfgang Kubicki, der neue Parteivize.
    O-Ton Wolfgang Kubicki: “Wir müssen nicht in Sack und Asche laufen. Wir müssen auch unser Profil nicht wesentlich verändern. Denn wenn 50 Prozent der Menschen, die beim Wahl-O-Mat unterwegs waren, zum Schluss bei der FDP landen, dann heißt das, dass sehr viele Menschen unsere Überlegungen, unsere Lösungsvorschläge, unsere Ansätze teilen und es unser Auftreten ist, was verhindert hat, dass sie zu uns gefunden haben. Wir müssen schlicht und ergreifend besser werden, als wir bisher waren, und das werden wir einlösen.“
    Dobovisek: Besser werden als bisher, sagt Wolfgang Kubicki. Darüber habe ich gestern direkt nach Ende des Parteitages in Berlin auch mit dem neuen Vorsitzenden der FDP gesprochen, mit Christian Lindner. Meine erste Frage an ihn lautete: SPD-Vize Olaf Scholz bietet enttäuschten Liberalen eine neue Heimat bei den Sozialdemokraten an. Beginnt jetzt die große Abwanderung aus der FDP, Herr Lindner?
    Christian Lindner: Nein. Olaf Scholz macht ein Angebot, aber dieses Angebot offenbart ja, dass er Liberalismus mit Beliebigkeit verwechselt. Die SPD ist keine liberale Partei, wenn sie die Vorratsdatenspeicherung beschließt, mit der jetzt die Kommunikationsdaten von Millionen unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern gesammelt werden. Die SPD ist keine liberale Partei, wenn sie immer stärker eingreifen will, auch in unser tätiges Miteinander in der Gesellschaft, die Vertragsfreiheit einschränkt. Das ist ja nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, und da unterscheidet sich eine liberale Partei. Wir vertrauen zuerst auf Freiheit und Eigenverantwortung und rufen dann nach dem Staat, wenn er gebraucht wird. Also das liberale Original ist die FDP.
    "Wir wollen Europa"
    Dobovisek: 79 Prozent der Delegierten auf dem Parteitag stimmten für Sie als Vorsitzenden, Herr Lindner. Ein solides, aber, sagen wir, kein überragendes Ergebnis. Sind vielleicht doch einige unzufrieden, auch mit Ihnen?
    Lindner: Es ist ein Ergebnis, das sich erklärt aus zwei Gegenkandidaturen und vor allen Dingen daraus, dass ich eine klare Richtungsanzeige in meiner Rede gemacht habe. Ich habe die FDP als eine europäische Partei positioniert. Das ist ja eine der großen Fragen der Zeit. Wir wollen Europa, aber Europa muss marktwirtschaftlicher, muss demokratischer, muss bürgernäher werden. Wir wollen Strukturprobleme in Europa angehen. Wir wollen, dass die finanzpolitische Eigenständigkeit der Euro-Mitgliedsländer wiederhergestellt wird. Die Rettungsschirme müssen irgendwann auch wieder eingeklappt werden. Das habe ich in der Rede gesagt...
    Dobovisek: Und Sie wollen auch den Euro, Herr Lindner.
    Lindner: Ja. Das ist in der FDP, wie Sie wissen, ja nicht vollständig unumstritten gewesen, und insofern: Diese klare Ansage ist ein Votum dafür, dass die FDP weiter auf diesem marktwirtschaftlichen, aber proeuropäischen Kurs bleibt.
    Dobovisek: Viele Stimmen, viele Hunderttausend Stimmen hat die FDP an die Euro-kritische AfD verloren. Frank Schäffler, den haben Sie gerade angesprochen, der FDP-eigene Euro-Kritiker sozusagen, hat es mit seinem Kurs nicht in den Vorstand geschafft. Wie gefährlich ist es für die FDP, sich keinen Zentimeter auf die AfD zuzubewegen?
    Lindner: Das ist für uns notwendig, dass wir uns keinen Zentimeter auf die AfD zubewegen. Wir würden unsere ökonomische Vernunft verlieren, auch unsere Seele, wie ich im Parteitag gesagt habe, denn die Stabilisierungspolitik hat sich ja als erfolgreich herausgestellt. Jetzt aus ideologischen Gründen neue Turbulenzen im Euro-Raum zu provozieren, ist unverantwortlich. Ich bin eher in Sorge, dass die Große Koalition diesen Weg verlässt. Wolfgang Schäuble hat ja zugestimmt, dass jetzt auch einzelne Banken aus dem eigentlich nur für Staaten vorgesehenen Rettungsschirm finanziert werden sollen, und es gibt auch Überlegungen, einen europäischen Abwicklungsfonds für Banken zu machen. Das läuft darauf hinaus, dass am Ende irgendwann die deutschen Sparer für spanische Sparkassen haften sollen. Das ist eine Abweichung von dem Kurs, den wir seit 2010 hatten. Wir wollen auf diesem stabilitätsorientierten Kurs verbleiben. Wir gehen nicht Richtung AfD. Aber wir kritisieren die Große Koalition auch, wenn sie jetzt weniger solide in Europa sein will.
    "Die FDP ist die liberale Partei Deutschlands"
    Dobovisek: Kommen wir da doch noch mal gemeinsam zurück auf Ihren Kurs und den Kurs der FDP. Da waren viele Begriffe zu hören: mitfühlender Liberalismus - den gibt es schon länger, den Begriff -, Individualismus - das haben Sie in Ihrer Antrittsrede erwähnt -, im Zentrum müsse der einzelne Mensch stehen, sagen Sie. Holger Zastrow kann mit diesen neuen Begriffen nicht viel anfangen, sagt er, und er fordert einen geradlinigen Liberalismus. Helfen Sie uns da mal bitte auf die Sprünge, Herr Lindner: Wo liegt da der Unterschied zwischen mitfühlend, individuell und geradlinig?
    Lindner: Ach das sind alles Oberbegriffe. Im Kern geht es darum: Die FDP ist die Partei, die zuerst dem einzelnen Bürger vertraut und darauf setzt, dass er in eigener Verantwortung sein Leben führen kann, dass er einen Staat als Partner, aber nicht als Vormund braucht. Daraus ergibt sich unser Eintreten für soziale Marktwirtschaft, für Rechtsstaat, für eine tolerante Gesellschaft, für eine solide Staatsfinanzierung, die die Menschen nicht überlastet, aber auch nicht Belastungen in die Zukunft auf nächste Generationen verschiebt. Das kann man in einem Satz zusammenfassen: Die FDP ist die liberale Partei in Deutschland.
    Dobovisek: Und die Trauerarbeit, die ist zu Ende, sagen Sie auch. Jetzt muss wieder neu aufgebaut werden, und zwar vom Fundament aus. Dafür braucht man üblicherweise einen großen und starken Kran. Die Union scheint der Kran ja nicht mehr zu sein?
    Lindner: Wir definieren uns selbst und auch nicht mehr über die Nähe oder Ferne zu anderen Parteien. Wir haben Gemeinsamkeiten mit allen anderen Parteien in einzelnen Punkten, aber mit keiner anderen Partei sind wir deckungsgleich, und dementsprechend werden wir jetzt so unabhängig und eigenständig auftreten, wie das notwendig ist, insbesondere, weil uns ja eine besondere Rolle zuwächst. Wenn die Große Koalition, wenn CDU/CSU und SPD im Bundestag beispielsweise mehr Bürokratie beschließen, dann wird die links-grüne Opposition ja nur beklagen, dass es noch nicht genug Bürokratie ist. Ein Gegengewicht gibt es in unserem Parlament momentan nicht. Die FDP ist also die eigentliche, die marktwirtschaftliche Opposition, momentan außerhalb des Parlaments.
    Dobovisek: Und als solche werfen Sie Angela Merkel ganz klar mehrfachen Wortbruch vor. Das haben Sie in Ihrer Rede gesagt.
    Lindner: Zweifach!
    Dobovisek: Darüber wird sie nicht besonders begeistert sein. Brechen Sie damit auch sämtliche Brücken in ihre Richtung ab?
    Lindner: Nein, wir brechen in keine Richtung irgendwelche Brücken ab. Wir bauen eher neue in andere Richtungen. Wir definieren uns nämlich als eine eigenständige Partei. Konkret: Frau Merkel hat ja zweimal bereits zugesagt, die Kalte Progression im Steuerrecht zu dämpfen. Dieser Effekt führt dazu, dass der Fiskus stärker von Gehaltserhöhungen profitiert als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst. Bis zum Jahr 2017 geht Wolfgang Schäuble davon aus, dass 17,5 Milliarden Euro in die Staatskassen kommen durch diese heimliche überproportionale Steuererhöhung, durch Unterlassung, weil das Steuerrecht nicht angepasst wird. Und das muss man so nennen, wie es ist: Es ist ein Wortbruch!
    Dobovisek: Hat Angela Merkel die FDP vernichtet?
    "Stilvolle, respektvolle, offene und klare Aufarbeitung des Wahlergebnisses"
    Lindner: Nein! Wir suchen die Schuld für unsere Wahlniederlage bei uns selbst und nicht bei anderen. Das hat dieser Parteitag durch eine sehr selbstkritische Aussprache am Samstag ja gezeigt. Das ist mir nicht in Erinnerung von anderen Parteien, dass es da eine so stilvolle, respektvolle, aber auch offene und klare Aufarbeitung eines Wahlergebnisses gegeben hätte. Das erlaubt uns jetzt ja auch erst, diese Selbstkritik, auch neue Glaubwürdigkeit und neues Vertrauen uns zu erarbeiten.
    Dobovisek: Ich verstehe schon, dass Sie sich der Union nicht mehr so weit nähern wollen, wie es bisher der Fall war. Sie waren ja mehr oder weniger abhängig von der Union, so könnte man das vielleicht in der Rückschau betrachten. Die SPD kritisieren Sie auch, die Grünen kritisieren Sie. Ja wer bleibt denn dann übrig?
    Lindner: Zunächst mal die Bürgerinnen und Bürger, die ja, viele Millionen davon, unsere Grundüberzeugungen teilen. Es ist ja nicht so, dass in Deutschland eine große Mehrheit plötzlich Anhänger eines ausufernden Staates ist, der sich bis ins Private einmengt, der keinen Respekt mehr vor dem privaten Eigentum hat. Wir haben ja nicht nur Fans der Spionierereien ins Schlafzimmer über den Umweg …
    Dobovisek: Aber eine große Mehrheit, Herr Lindner, hat sich abgewandt von der FDP.
    Lindner: Aber nicht von der Idee, die wir vertreten, nämlich liberaler Politik. Im Gegenteil! Alle Umfragen, auch zahllose Gespräche, die ich jetzt geführt habe, zeigen ja: Die Leute wollen im Prinzip eine liberale Partei. Sie haben aber noch nicht in der FDP das Profil gesehen, um sie wählen zu können. Also ist daraus ja abzuleiten, die FDP muss ihr Profil als liberale Partei stärken, und damit haben wir jetzt bei diesem Parteitag begonnen.
    Dobovisek: Philipp Rösler sagte zum Abschied, er hätte sich über mehr Unterstützung an der Parteispitze gefreut, dann wäre das Ergebnis vielleicht ein anderes gewesen. Wird sich jetzt alles mit Ihnen an der Spitze und Ihrem neuen Führungsteam ändern?
    Lindner: Wir haben eben ein neues Führungsteam, eines, das sehr gut harmoniert, jetzt auf dem Parteitag sich natürlich noch nicht im Einzelnen hat austauschen können. Es sind neue Leute dabei, beispielsweise eine Bürgermeisterin...
    Dobovisek: Kritiker sagen, farblose unbekannte Gesichter.
    Lindner: Nein, neue Gesichter, und das ist doch auch die Konsequenz, die man aus dem Wahlergebnis ziehen muss. Und dass man Wolfgang Kubicki Farblosigkeit vorwirft, habe ich bislang noch nie gehört.
    Dobovisek: Der neue FDP-Chef Christian Lindner. Vielen Dank für das Interview!
    Lindner: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.