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Februar 2015: Glaube im Wandel der Zeit

Was ist Glaube und wie hat er sich im Laufe der Zeit verändert? Mit diesen Fragen befasst »lyrix« sich im Februar. Gedanklichen Anstoß geben euch das 'Sandmandala des Yamantaka' aus dem Linden-Museum Stuttgart und das Gedicht 'Die Welten' von Tzveta Sofronieva.

01.02.2015
    Ein Mann verlässt den Innenraum einer Kirche.
    Ein Mann verlässt den Innenraum einer Kirche. ( Ingo Wagner / dpa / lni)
    Der Einsendeschluss ist verlängert bis zum 07.03.2015!
    Glaube definiert sich immer wieder neu. Für jeden Menschen persönlich, aber auch geschichtlich gesehen. Obwohl wir ihn gerne damit in Verbindung setzen, muss Glaube nicht immer einen Bezug zu Gott, Göttern oder Religionen haben. An etwas zu glauben bedeutet in erster Linie eine feste Überzeugung zu haben, auf etwas zu bauen und zu vertrauen. Auch der oft als negativ bewertete Aberglaube als Gegensatz zum „richtig" empfundenen Glauben ist eine Form des Schutzes gegen das Böse. Glaube stiftet Sinn, gibt Geborgenheit und spendet Hoffnung in der Not. So schöpften beispielsweise viele Überlebende des Tsunami im Indischen Ozean 2004 nur durch ihren Glauben wieder Mut zu einem Neuanfang.
    Gerade in der westlichen Welt scheint der religiöse Glaube allerdings immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Doch wie kommt dieses Vergessen zustande und was nimmt dort Platz ein, wo einst geglaubt wurde? Viele wenden sich heute von Religion und Kirche ab und suchen ihren Sinn nicht mehr in einem Gott, sondern beispielsweise allein in ihrer Familie. Auch das heutige Konsumverhalten könnte eine Rolle spielen. Wissenschaftler vermuten seit einigen Jahren, dass Religiosität und Glaube zunehmend durch Markentreue ersetzt wird. Bei Experimenten in Kernspintomographen konnten sie feststellen, dass der Anblick bestimmter Markenprodukte dieselben Hirnareale stimuliert, die bei Gläubigen durch das Betrachten religiöser Symbole aktiviert werden. Marken scheinen uns das Selbstwertgefühl zu geben, das uns früher nur durch den Glauben und die gefühlte Zugehörigkeit zu einem Gott gegeben werden konnte - und das ohne selbstlos oder uneigennützig handeln zu müssen.
    So paradox es klingen mag: Auch wenn der Glaube an Gott und Religion in unserer Gesellschaft an Bedeutung verliert, sind Glaubenskriege auch für uns eine reale Bedrohung und beherrschen aktuell die Nachrichtenlage. Man denke nur an die jüngsten Terroranschläge in Frankreich. Dass der religiöse Glaube schon immer Mitauslöser für Kriege war, zeigt bereits ein kurzer Blick auf die Geschichte. Im Namen des Glaubens schlossen sich zwischen 1095/99 und dem 13. Jahrhundert Tausende den Kreuzzügen an, zu denen Papst Urban II als irdischer Vertreter Gottes aufgerufen hatte. Grundlage für die Kreuzzüge war aus christlicher Sicht der Gedanke des „gerechten Krieges" (lat. bellum iustum), der der ungerechten Behandlung von Christen ein Ende setzen sollte und in der Absicht der göttlichen Liebe geführt wurde. Doch die Kreuzzüge sind nur ein Beispiel. Glaubenskriege und die Verfolgung religiöser Minderheiten begannen schon in der Antike mit der Christenverfolgung, gefolgt von der Islamischen Expansion und unzählbaren anderen Konflikten, die Millionen Tote forderten. Allen voran der Holocaust, der systematische Völkermord an über 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens zur Zeit des Nationalsozialismus, der niemals in Vergessenheit geraten darf.
    Unser Exponat, das Sandmandala des Yamantaka wurde 1992 von tibetischen Mönchen aus Dharamsala (Nord-Indien) gestreut. In tagelanger Arbeit gestalteten sie im Linden-Museum Stuttgart aus 60 kg Farbsanden das Mandala des Yamantaka.Die zornvolle Gottheit Yamantaka gilt im tibetischen Buddhismus als Bezwinger des Todesgottes Yama. Das Streuen des Mandala ist eine Form der Meditation während der die Gottheit Yamantaka vor den Augen des Meditierenden Gestalt annimmt.Ein Sandmandala wird nach Vollendung zusammengefegt und der Sand wird in fließendes Gewässer zurück gestreut, wodurch sich die manifestierten Energien in alle Weltgegenden verbreiten können. Das Zerstören der in tage- oder wochenlangen Arbeit entstandenen Werke gilt als Symbol der Vergänglichkeit des Lebens und steht für das Ideal der Loslösung von der materiellen Welt. Mit der Erlaubnis des S.H. Dalai Lama wurde dieses Mandala ausnahmsweise für das Linden-Museum Stuttgart konserviert.
    Die Autorin Tzveta Sofronieva thematisiert in ihrem Gedicht 'Die Welten' das Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen im Wandel der Zeit und die Rolle einer gemeinsamen Sprache.Lasst euch von ihren Worten inspirieren.
    Die WeltenIlija kam statt der drei Könige am Jordanovden,
    heutzutage irren sich Heilige oft in Ort und Zeit,
    er brachte mir Verse in einer für uns dritten Sprache,
    ich antwortete mit einer Geschichte in drei anderen.
    Wir sind die heutigen Judäer, fügte ich hinzu,
    im Klang der Sprache unserer Mütter, auf Deutsch hieße es
    Die heutigen Juden sind wir, die Bedeutungen dieser
    Wortfügungen kann man nicht gleichsetzen. Ilija sagte,
    Andersartigkeit ist längst eine Seltenheit,
    kulturelle Unterschiede überwindet man leicht,
    der muslimische Kollege und ich haben gar keine
    Missverständnisse. Der arabische Dichter lächelt:
    How could you have any? We have no common language,
    speak English to each other.
    Mit welchen Worten begrüßten die Könige das Christkind,
    in wie vielen Zungen sprachen Mohammed und Buddha,
    was sagen Zulu und Hopi durch ihre Tänze?
    Ich notiere das Datum mit arabischen Ziffern,
    die römischen sind mir zu sperrig, koche Tee aus China,
    brasilianischen Kaffee mit indischem Zimt,
    lerne die Methode meiner japanischen Freundin Yoko,
    Europa zu verstehen. Ich erinnere mich daran, wie
    meine Mutter Mythen von Zeus und Europa erzählte,
    bevor sie mir Märchen über das Wasser des Lebens las.
    Mein Vater sagte häufig, der Balkan ähnelt Hawaii,
    sie befinden sich auf den gegenüberliegenden Seiten
    derselben Achse, die das Herz der Erde durchschneidet.
    Gleichberechtigung der Sprachen war Kyrill und Method
    wichtiger als das Erfinden der Schrift. Babylon im
    Imperialstil oder Bienenstock der Kulturen: Was
    ist die Welt? Keine Aussicht auf Klarheit. Nur Anders-
    Sprechen. Aber wenn wir die Worte zusammenbringen,
    unterhalten sich die Welten von neuem, wie damals,
    bei der Empfängnis der Sprache. Elias, Ilias und Ulysses
    teilen sich das Brot.(Aus: Tzveta Sofronieva: Landschaften, Ufer, Edition Lyrik Kabinett 2013, Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlags)Einerseits verliert der Glaube an Bedeutung, andererseits führt er auch heute noch zu Kriegen. Wie erklärt ihr euch dieses scheinbare Paradox? Woran glaubt ihr? Spielt der Glaube noch eine Rolle in eurem Alltag? Ist der Glaube an einen Gott und eine Religion überholt?? Wodurch hat sich unsere Sicht auf Religionen und Gottheiten mit den Jahren so sehr verändert? Seht ihr einen Unterschied zu euch und euren Großeltern, wenn es um den Glauben geht?Wir sind gespannt auf eure Einsendungen.
    Der Einsendeschluss ist verlängert bis zum 07.03.2015!
    Hier findet ihr unsere E-Mail Vorlage. Die aktuellen Wettbewerbsbedingungen könnt ihr online nachlesen.
    Tzveta Sofronieva schreibt Lyrik und Prosa auf Deutsch, Bulgarisch und Englisch. Sie gestaltet Literaturinstallationen, übersetzt Lyrik, forscht über Lyrik, Interkulturalität und Wissenschaft und ist Herausgeberin mehrerer Anthologien. 2009 erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis, einen PEN Translation Fund Award für ihre deutschen Gedichte, und 2012 den Cliff Becker Preis in Translation und den Max-Kade-Writer in Residence am MIT. Die gebürtige Bulgarin und Wahl-Reisende lebt seit 1992 in Berlin.
    Zuletzt erschienen die Gedichtbände:
    Landschaften, Ufer. Hanser, 2013
    La Solitute de L'Abeille/ Die Einsamkeit der Biene. Éditions L'Oreille du Loup, 2013
    A Hand full of Water / Eine Hand voll Wasser. White Pine Press, 2012
    Das Linden-Museum Stuttgart
    Als eines der größten ethnologischen Museen Europas lädt das Linden-Museum Stuttgart zu erstaunlichen Begegnungen mit fernen Völkern dieser Erde ein – zu einer Weltreise unter einem Dach. Die Dauerausstellungen zu Afrika, dem Islamischen Orient, Nordamerika, Süd- und Ostasien und zeigen die Schönheit und Faszination menschlicher Kulturen rund um den Globus. Dabei versteht sich das Museum nicht nur als Bewahrer kulturellen Erbes, es erklärt, differenziert, verbindet und überrascht. Es ist Ansprechpartner für Politik und Gesellschaft, steht der Wirtschaft in internationalen Beziehungen zur Verfügung und leistet Aufklärungsarbeit bei öffentlichen Debatten zu interkulturellen Themen. Vom alltäglichen Gebrauchsgegenstand bis zum Spitzenobjekt von internationalem Rang – das Museum beherbergt insgesamt 160.000 Objekte in seinen Sammlungen.
    Die Unterrichtsmaterialien für Februar zum Download