Vielen Kleist-Kennern gilt das Debüt ja schon als der größte Wurf – denn "Die Familie Schroffenstein" mag auf den ersten Blick zwar wirken wie ein Mythen-Mix aus Kain und Abel mit Romeo und Julia: Die Liebe der Kinder verfeindeter Väter muss notwendig scheitern, auch hier. Im Motiv der Fehde zwischen zwei Stämmen ein und derselben Menschheitsfamilie Schroffenstein aber lauert so etwas wie die Weltformel von Missgunst und Hass.
Und das war im Erbrecht der Fürstenhäuser früherer Jahrhunderte nicht anders, als es im globalen Kapitalismus heute ist, oder in der Biologie aller Zeiten – wo auch stets der Stärkere den Schwächeren frisst.
Das Abenteuer Kleist steckt nun allerdings darin, dass im Fall der Schroffensteiner das ganze Stück über Versöhnung möglich ist: Überleben also statt Untergang. Und zwar durch Sprache – es müssten nur, am großen runden Tisch der Zeit, endlich mal alle - und vor allem die beiden Patriarchen - miteinander reden; denn:
"Sprich! Sprich! Sprich!" – das ist so etwas wie das Mantra des Stückes. Es ist aber uneinlösbar; es ist nicht möglich, versöhnlich miteinander zu reden – wie bereit der friedlichere der beiden Brüder auch sein mag dazu: Sylvester, Graf von Warwand, der ein fundamentaler, also kluger Grübler ist und nie ganz überzeugt von den Dingen, wie sie ihm berichtet werden. Rupert, Herr auf Rossitz, ist umso finstrer zum Sieg entschlossen. Den Unfall des ertrunkenen Kindes bläst er auf zum Mord durch Warwands Spießgesellen - weil’s da nur eine Tochter gibt und keine erbberechtigten Söhne! -, und er schickt selbst einen Attentäter, um Tochter Agnes auf Warwand zu vernichten. Die aber liebt längst Ottokar, Erbe auf Rossitz. Und in den Kindern könnte nun alles gut ausgehen, wenn nur der schlimmere der Väter wollte. Aber das Reden zwischen den beiden Alten ist, wie gesagt, nicht möglich, schon rein besetzungstechnisch. Denn Antú Romero Nunes hat für die Inszenierung am Maxim-Gorki-Theater beide fürstlichen Elternpaare mit demselben Personal besetzt; Hilke Altefrohne und Ronald Kukulies sind zuweilen vom einen Dialog zum nächsten mal Rossitz und mal Warwand.
Die Idee ist ebenso prächtig wie vernichtend, denn sie stützt zum einen die Unauflöslichkeit des ewigen Bruderkrieges, zum anderen aber wäre sie dann auch noch ziemlich verwirrend, wenn stärkere Schauspielprofile an diesem psychologisch-spielerischen Kraftakt werkeln würden. Fleißig werden im Übrigen Herolde hinüber und herüber geschickt zwischen den Herrscherhäusern und am Zielort oft auch gleich ermordet. Das ist aber auch immer ein und derselbe Darsteller; Attentäter und Beinahe-Liebhaber der süßen Agnes wie des zarten Ottokar ist er zudem. Schon unter diesen dramaturgischen Tricks und Täuschereien im andauernden Wer-ist-wer-Spiel bräche das Nunes-Konzept notwendig zusammen; der Regisseur nimmt aber obendrein das Mantra vom Sprechen als Lösung wie als Wurzel allen Übels nicht recht ernst. Selten hat der mittlerweile fast überall, und speziell in der Nunes- und Twen-Generation, handelsübliche Unernst so sehr gestört wie hier. Unentwegt kann jeder und jede mal mehr, mal weniger weit aus der Rolle fallen und halbwegs improvisierten Quatsch zusammen faseln: als hätte die Inszenierung vor nichts mehr Angst als vor dem explosiven Ernst, der in Kleists Fabel steckt. Bloß nicht drauf einlassen, das ist das üblere Mantra der Inszenierung. Denn Stück und Text handeln vom akkuraten Gegenteil: davon, dass keine Ausflucht möglich ist vor dem Erbfluch der Menschheit.
Wenn aber diese Wahrheit gerade nicht gewollt ist – was dann? Die Aufführung erzählt nichts davon. "Die Familie Schroffenstein" ist in Berlin nichts mehr als ein verspieltes Hin und Her zwischen zwei Familien, die ein und dieselbe sind; Stephane Laimé hat dafür naheliegenderweise einen von zwei Seiten bespielbaren und zwischen Szene und Szene immerzu vor und zurückgedrehten Theatervorhang erfunden. Es gibt auch Szenen, in denen sich die durchaus animierende Phantasie des Jung-Regisseurs durchsetzt – etwa die des jungen Paares, die immerzu den Namen des anderen benutzen, um gleich darauf vorzugeben, sie wüssten ihn noch nicht. Und selbst der Geschlechtertausch der beiden vermittels Kostüm hilft nichts gegen das Morden der Väter ... ja, "Romeo und Julia" von Nunes wäre recht gut vorstellbar.
Kleist aber nicht. Der ist –sorry!- noch eine Nummer zu groß.
Und das war im Erbrecht der Fürstenhäuser früherer Jahrhunderte nicht anders, als es im globalen Kapitalismus heute ist, oder in der Biologie aller Zeiten – wo auch stets der Stärkere den Schwächeren frisst.
Das Abenteuer Kleist steckt nun allerdings darin, dass im Fall der Schroffensteiner das ganze Stück über Versöhnung möglich ist: Überleben also statt Untergang. Und zwar durch Sprache – es müssten nur, am großen runden Tisch der Zeit, endlich mal alle - und vor allem die beiden Patriarchen - miteinander reden; denn:
"Sprich! Sprich! Sprich!" – das ist so etwas wie das Mantra des Stückes. Es ist aber uneinlösbar; es ist nicht möglich, versöhnlich miteinander zu reden – wie bereit der friedlichere der beiden Brüder auch sein mag dazu: Sylvester, Graf von Warwand, der ein fundamentaler, also kluger Grübler ist und nie ganz überzeugt von den Dingen, wie sie ihm berichtet werden. Rupert, Herr auf Rossitz, ist umso finstrer zum Sieg entschlossen. Den Unfall des ertrunkenen Kindes bläst er auf zum Mord durch Warwands Spießgesellen - weil’s da nur eine Tochter gibt und keine erbberechtigten Söhne! -, und er schickt selbst einen Attentäter, um Tochter Agnes auf Warwand zu vernichten. Die aber liebt längst Ottokar, Erbe auf Rossitz. Und in den Kindern könnte nun alles gut ausgehen, wenn nur der schlimmere der Väter wollte. Aber das Reden zwischen den beiden Alten ist, wie gesagt, nicht möglich, schon rein besetzungstechnisch. Denn Antú Romero Nunes hat für die Inszenierung am Maxim-Gorki-Theater beide fürstlichen Elternpaare mit demselben Personal besetzt; Hilke Altefrohne und Ronald Kukulies sind zuweilen vom einen Dialog zum nächsten mal Rossitz und mal Warwand.
Die Idee ist ebenso prächtig wie vernichtend, denn sie stützt zum einen die Unauflöslichkeit des ewigen Bruderkrieges, zum anderen aber wäre sie dann auch noch ziemlich verwirrend, wenn stärkere Schauspielprofile an diesem psychologisch-spielerischen Kraftakt werkeln würden. Fleißig werden im Übrigen Herolde hinüber und herüber geschickt zwischen den Herrscherhäusern und am Zielort oft auch gleich ermordet. Das ist aber auch immer ein und derselbe Darsteller; Attentäter und Beinahe-Liebhaber der süßen Agnes wie des zarten Ottokar ist er zudem. Schon unter diesen dramaturgischen Tricks und Täuschereien im andauernden Wer-ist-wer-Spiel bräche das Nunes-Konzept notwendig zusammen; der Regisseur nimmt aber obendrein das Mantra vom Sprechen als Lösung wie als Wurzel allen Übels nicht recht ernst. Selten hat der mittlerweile fast überall, und speziell in der Nunes- und Twen-Generation, handelsübliche Unernst so sehr gestört wie hier. Unentwegt kann jeder und jede mal mehr, mal weniger weit aus der Rolle fallen und halbwegs improvisierten Quatsch zusammen faseln: als hätte die Inszenierung vor nichts mehr Angst als vor dem explosiven Ernst, der in Kleists Fabel steckt. Bloß nicht drauf einlassen, das ist das üblere Mantra der Inszenierung. Denn Stück und Text handeln vom akkuraten Gegenteil: davon, dass keine Ausflucht möglich ist vor dem Erbfluch der Menschheit.
Wenn aber diese Wahrheit gerade nicht gewollt ist – was dann? Die Aufführung erzählt nichts davon. "Die Familie Schroffenstein" ist in Berlin nichts mehr als ein verspieltes Hin und Her zwischen zwei Familien, die ein und dieselbe sind; Stephane Laimé hat dafür naheliegenderweise einen von zwei Seiten bespielbaren und zwischen Szene und Szene immerzu vor und zurückgedrehten Theatervorhang erfunden. Es gibt auch Szenen, in denen sich die durchaus animierende Phantasie des Jung-Regisseurs durchsetzt – etwa die des jungen Paares, die immerzu den Namen des anderen benutzen, um gleich darauf vorzugeben, sie wüssten ihn noch nicht. Und selbst der Geschlechtertausch der beiden vermittels Kostüm hilft nichts gegen das Morden der Väter ... ja, "Romeo und Julia" von Nunes wäre recht gut vorstellbar.
Kleist aber nicht. Der ist –sorry!- noch eine Nummer zu groß.