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Fehlende Aufarbeitung
Mussolinis Männer im demokratischen Rechtsstaat

Italien hat sich der Aufarbeitung des Faschismus bislang nur mäßig gestellt. In der nun erschienenen Studie "Die Männer Mussolinis" des Historikers Davide Conti werden Nachkriegsbiografien von Personen erzählt, die laut einer UNO-Liste als vermeintliche Kriegsverbrecher galten. Deutlich wird auch, warum gerade sie bewusst zum Wiederaufbau des Landes herangezogen wurden.

Von Thomas Migge |
    Porträtaufnahme von Benito Mussolini in Uniform
    Undatierte Aufnahme von Benito Mussolini (picture alliance / dpa)
    "Von der Gesamtbevölkerung der slowenischen Provinz Ljubljana - von rund 360.000 Menschen - steckten Mussolini und seine Leute etwa 70.000 in Konzentrationslager. Mehr als 15.000 davon wurden erschossen oder sonst wie ermordet."

    200 Konzentrations- und Außenlager wurden von den italienischen Faschisten auf dem Balkan errichtet - so der Historiker und Journalist Giacomo Scott. Einige für nur wenige Personen, anderen für größere Gruppen. Ziel dieser Vorgehensweise: die Zerstörung antifaschistischen Widerstands und die Deportation von Juden. In vielen dieser Lager kam es zu Massakern an der Bevölkerung. Nicht wenige der Verantwortlichen dieser Massaker waren Generäle des Duce. Ihre unmenschlichen Vorgehensweisen wurden in den vergangenen Jahren von der italienischen Geschichtswissenschaft aufgearbeitet. Was aber aus einigen der wichtigsten Verantwortlichen dieser Massaker nach Kriegsende wurde, ist erst seit kurzer Zeit Gegenstand der Forschung.
    Kriegsverbrecher wurden nicht verfolgt
    Deshalb kommt der jetzt erschienenen Studie des römischen Historikers Davide Conti, unter dem Titel "Die Männer Mussolinis", besondere Bedeutung zu. Conti erzählt, belegt mit zahlreichen bisher unveröffentlichten Dokumenten, dass nicht wenige der faschistischen Täter aus der Zeit Mussolinis nicht nur nie zur Verantwortung gezogen wurden, sondern im demokratischen Nachkriegsitalien Karriere machten. Wie zunächst auch in Deutschland, wo aber in den 1960er Jahren eine grundlegende Aufarbeitung begann, vor allem mit den Auschwitz-Prozessen in Frankfurt. Davide Conti:

    "Ich rekonstruierte die Nachkriegskarrieren von Personen, die für zahllose Massaker verantwortlich waren. Alle von mir beschriebenen Faschisten wurden nach Kriegsende von den Vereinten Nationen in die Liste vermeintlicher Kriegsverbrecher aufgenommen. In Italien wurde ihnen nie ein Prozess gemacht. Auch Ausweisungsanträgen wurde nicht nachgegeben."

    Wie etwa im Fall von Achille Marazza. In verschiedenen christdemokratischen Nachkriegsregierungen war der ehemalige Major des faschistischen Heeres zunächst Staatssekretär und von 1950 bis 1951 Arbeitsminister. Dass Marazza in die UN-Liste vermeintlicher Kriegsverbrecher aufgenommen wurde, wird in allen offiziellen Biografien nur am Rande erwähnt - wenn überhaupt. Davide Conti:

    "Achille Marazza wurde von der UNO vorgeworfen, für Massenerschießungen auf dem Balkan verantwortlich zu sein. Dieser schwere Vorwurf wurde nie widerlegt, denn es gab nie einen Prozess."

    In Italien kam es nie zu einer historischen Zäsur wie im Fall der Nürnberger Prozesse und der Frankfurter Auschwitz-Prozesse ab 1963, die der damalige hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer durchsetzte. Stattdessen wählten Italiens erste Nachkriegsregierungen ganz bewusst bewährte Militärs des faschistischen Regimes für wichtige Verwaltungs- und Ministerialposten aus. Sämtliche Anträge auf Ausweisung vermeintlicher italienischer Kriegsverbrecher – gestellt von den Regierungen Jugoslawiens, den USA, Frankreichs und Griechenlands - wurden von italienischen Nachkriegsregierungen abgelehnt oder ignoriert.
    "Die Amnestie von Justizminister Palmiro Togliatti von 1946, die zahllosen faschistischen Verantwortlichen Straffreiheit garantierte, schuf ein Klima, das es auch späteren Regierungen erlaubte, ohne großes Aufsehen zu erregen ehemalige Täter zum Wiederaufbau des neuen Staates heranzuziehen. In vielen Fällen wurden die unbequemen Seiten von Biografien unter den Teppich gekehrt. Ziel war ein sogenannter weicher Übergang vom Faschismus zur Demokratie."
    Kriegsverbrecher im Kampf gegen Kommunisten eingesetzt
    Die ersten italienischen Nachkriegsregierungen brauchten entschiedene Antikommunisten im Kampf gegen die drohende Gefahr, die die starke kommunistische Partei KPI im eigenen Land darstellte. Befürchtet wurde eine Machtübernahme durch die Kommunisten.
    Deshalb wurden, belegt Historiker Conti mit seinen von ihm beschriebenen Nachkriegskarrieren, Kriegsverbrecher, die als entschiedene Antikommunisten galten, ganz bewusst zum Wiederaufbau herangezogen: Sie wurden Minister, Polizeichefs und führende Militärs.
    Davide Contis Studie sorgt nicht, wie man erwarten könnte, für großes Aufsehen in Italien: Das Thema der mangelhaften und verspäteten Aufarbeitung der faschistischen Zeit findet nach wie vor nur wenig Interesse.