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Fehler der SPD im Wahlkampf

    Gerner: Glaubt man den Demoskopen, dann droht er unaufhaltsam: der Verlust der Regierungsverantwortung für die SPD. Über das Wochenende gab es Schlagzeilen, die Führung der Partei habe ihren Campagnen-Planer entmachtet. Das wurde zwar dementiert, aber der Wahlkampf der Sozialdemokraten läuft alles andere als rund. Ei-ne Serie von Fehleinschätzungen, falschen Entscheidungen, so der "Spiegel" heute in seiner jüngsten Ausgabe. Am symptomatischsten vielleicht: Generalsekretär Müntefe-ring hat seine Klage gegen die Bildzeitung, mit der er in der Bonusmeilen-Affäre vor-geprescht war, wieder zurückgezogen. Einsicht oder Zeichen für fehlendes Gespür, fünf Wochen vor der Wahl? - Am Telefon begrüße ich Albrecht Müller von der SPD. Er ist ehemaliger Planungschef im Kanzleramt und war Wahlkampforganisator für Ex-Bundeskanzler Willy Brandt. Schönen guten Morgen!

    Müller: Guten Morgen, Herr Gerner.

    Gerner: Herr Müller, Sie haben 1983 einen Film gemacht über Fehlplanungen im politischen Entscheidungsablauf. Gibt es denn aus Ihrer Sicht in der SPD Wahlkampf-fehlplanungen in diesem Wahlkampf?

    Müller: Das ist ein wichtiges Thema, weil man sich ja nicht verwählen darf. Ich habe mal ein Buch über den Wahlkampf '72 geschrieben, das heißt "Siege kann man machen". Man kann auch Niederlagen machen, und vor dieser Problematik stehen wir. Die SPD hat aus meiner Sicht eine ganze Reihe von Fehlern in diesem Wahlkampf ge-macht und auch im Vorfeld, muss man dazu sagen. Ich nenne mal drei wichtige: Rot/Grün haben insgesamt versäumt, die Gefahr des Wechsels sichtbar zu machen. Herr Stoiber gilt schon fast als Sozialdemokrat, und das hat seine Gründe darin, dass die SPD und die Grünen versäumt haben, sichtbar zu machen, was sich ändern würde, wenn die Regierung wieder wechseln würde. Also ökologische Neuerung würde ge-stoppt, wenn wir an das denken, was Sie gerade anmoderiert oder was Sie angekün-digt haben. Der Klimawechsel hat seine Ursachen, und dagegen muss man etwas tun. Die Agrarwende und eine ganze Reihe anderer Sachen, die Schröder ja jetzt aufgreift, wenn er sagt, wir gehen unseren eigenen Weg oder einen deutschen Weg, aber das ist ein bisschen sehr spät. Das zweite wäre, dass für die SPD immer klar war: sie hat dann gewonnen, wenn sie Tausende von Menschen mobilisiert haben, die wieder andere mitgezogen haben. In diesem Wahlkampf hat man ganz auf Personalisierung gesetzt und gemeint, dass das alleine ausreicht. Das ist wichtig, aber es reicht alleine nicht aus. - Das dritte ist, dass aus meiner Sicht die Wahlwerbung sehr ungenügend ist.

    Gerner: Ich nehme mal zwei Stichwörter dort heraus. Das eine sind die Slogans. "Deutscher Weg" war einer der jüngsten, "Kanzler der Mitte" gilt immer noch für die SPD. Sehen Sie da bessere Slogans bei der Union am Werk?

    Müller: Ich will jetzt nicht die Wahlwerbung der Union bewerten.

    Gerner: Was hätten Sie denn gerne an Slogans?

    Müller: Ein Slogan muss kommunikativ sein. Er muss Kommunikation auslösen. Die Leute müssen darüber reden. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel. Als wir eine An-zeige geschaltet haben, worüber stand "Im Himmel CDU - auf Erden SPD", darüber haben die Leute geschmunzelt.

    Gerner: Das war wann?

    Müller: Das war '72. - Oder "Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land", oder in Nordrhein-Westfalen "Wählen gehen statt Strauss". Da war eine Message drin und man hat sich dann darüber hergemacht. Wenn ich aber plakatiere "Kanzler der Mitte", dann ist das ohne kommunikative Kraft, oder wenn ich schreibe "Wir in Deutschland", dann erinnern sich manche in Nordrhein-Westfalen, dass das 1980 dort schon plakatiert war. Das ist wirklich tragisch, dass man nicht begriffen hat, dass die Wahlkampfplaner sich wirklich auf den Hosenboden setzen müssen und überlegen müssen, wie muss ein Slogan sein, damit er die Menschen anregt, darüber nachzu-denken oder zumindest emotional zu reagieren.

    Gerner: Nun heißt es ja, der Chef der Wahlkampfzentrale der SPD sei kaltge-stellt worden, Dementi hin und her, das aus der SPD kam. Es soll ihm ein künstlich abgehobener Politikstil vorgeworfen worden sein, zu autoritär auch gegenüber den Ortsvereinen. Lässt sich das mit Inhalt füllen?

    Müller: Ich will da nicht über Personen - und es wäre in diesem konkreten Fall ja ein Nachfolger von mir - werten und das ist nicht meine Sache, sondern ich beo-bachte das mit gewissem Zorn, dass man eine Wahl verspielt, verspielen könnte, nur weil man verbliche und fachliche Fehler macht.

    Gerner: Der Rückzug zum Beispiel von Münteferings Klage gegen die Bildzei-tung, wofür ist das Ihrer Meinung nach symptomatisch?

    Müller: Müntefering hat ja eines richtig erkannt. Er hat verstanden, dass die Bildzeitung eine Campagne gegen die SPD macht und dass man sich da wehren muss. Aber er hat sich halt mit dem falschen Mittel, mit einem juristischen Mittel zu wehren versucht, und das war falsch. Insofern war der Rückzug logisch. Das ist klar und das ist ein Zeichen dafür.

    Gerner: Aber der Schaden ist dadurch angerichtet. Stimmen Sie da zu?

    Müller: Der Schaden ist angerichtet. Das liegt aber auch ein bisschen an Ihren Kolleginnen und Kollegen, aber das muss man richtig einschätzen als SPD. Da komme ich noch mal zurück auf den Gedanken, dass die SPD immer nur gewinnt, wenn sie Menschen mobilisiert, weil sie eine ganze Menge von Zeitungen und sonstigen Medien gegen sich hat. Das ist mal dadurch überlagert worden, dass vor vier Jahren Schröder bei den Medien ganz gut ankam und die Medien ihn auch teilweise unterstützt haben, aber wenn Sie gestern die "Welt am Sonntag" aufschlagen, das ist von vorne bis hin-ten eine Campagne gegen die SPD. Das muss man auch mal begreifen, dass man die-se Medienbarriere hat. Dann braucht man Leute, die man einsetzen kann, und die kann man aber nur bewegen, wenn die wissen, dass es um die Wurst geht, dass die Welt anders und schlechter wird, wenn die andere Partei wieder an die Regierung kommt. Das hat man versäumt, diese Menschen zu mobilisieren.

    Gerner: Im Kanzleramt, Herr Müller, und nicht nur dort gibt es offenbar die Er-wartung, dass die bevorstehenden zwei Fernsehduelle Schröder/Stoiber die Sache noch reißen könnten. Wie schätzen Sie das ein?

    Müller: Das kann schon sein. Wenn dabei sichtbar wird, dass dort jemand ein offener Mensch ist, der auch ein Stück Toleranz ausstrahlt und einfach anders mit Leu-ten umgeht und der andere eher verkniffen ist, dann würde das etwas bewegen kön-nen. Aber Herr Stoiber ist inzwischen so gut geprüft und geschult durch seine Fachleu-te, dass er diesen Gefallen nur schwer wird erweisen können.

    Gerner: Sie hatten ja eben Zweifel an der Personalisierung des Wahlkampfes ausgemacht. Die Fernsehduelle sind die eigentliche Verkörperung davon, wenn man so will. Zugleich hatten Sie neulich empfohlen, Gerhard Schröder solle doch die geistige Führung in diesem Wahlkampf übernehmen. Da klingt ja auch eine Menge Enttäu-schung mit über ausbleibende Inhalte. Wie könnte denn das aussehen?

    Müller: Er hat ja durchaus ein paar Punkte jetzt deutlich gemacht, also nicht jeden Kriegsfall der USA mitzumachen. Das ist schon ein ganz entscheidender Unter-schied.

    Gerner: Das heißt Sie glauben, dass in der Irak-Sache, Thema Außenpolitik, man in diesem Fall punkten kann?

    Müller: Historisch ist klar: ganz viele Wahlkämpfe der SPD sind damit gewonnen worden, dass die SPD klar gemacht hat, dass sie militärische Abenteuer nicht mitma-chen wird und dass sie für eine klare Friedenspolitik eintritt. Das war immer so. Das war '72 so, das war '76 so und das war 1980 bei den NRW-Wahlen so, dass dieses außenpolitische Thema eine ganz wichtige Rolle spielt, weil ganz viele Menschen kapieren, wenn man das Geld für Rüstung und militärische Interventionen ausgibt, dass man es dann für anderes nicht hat. Außerdem wollen sie sich mit anderen Ländern verständigen und sie wollen, dass man erst mal die friedlichen Mittel ausprobiert und verhandelt und nicht sofort zu der Keule greift. Vor dieser großen Gefahr stehen wir ja, dass die Amerikaner sogar aus innenpolitischen Gründen militärische Interventionen machen. Wenn eine Regierung klar macht, dass sie diese Abenteuer nicht mitgeht, dann ist das unglaublich viel wert und das ist ein großer Unterschied.

    Gerner: Herr Müller, konkreter noch mal zum Wahlkampf. Gerhard Schröder hat zuletzt in seinen Reden wie Beobachter sagen eine Priese Lafontaine eingestreut. Reicht das aus? Stichwort Stammwähler.

    Müller: Mit Sicherheit ist wichtig, dass die Breite der politischen Bewegung, die die SPD darstellt und die Grünen mit, muss man ja sagen in diesem Fall - es geht um eine Koalition -, auch sichtbar wird. Das kann man Elemente von Lafontaine nennen. Das ist eine ganz wichtige Sache und es ist auch immer klar, dass die SPD zum Bei-spiel mit einem Eintreten für soziale Gerechtigkeit ein markantes Unterscheidungs-merkmal hatte. Wenn er das sichtbarer macht, dann kann das helfen, und das ist wichtig. Ich persönlich halte das auch noch nicht für verloren, muss ich sagen.

    Gerner: Wären Sie heute gerne noch mal Wahlkampfmanager, wenn Sie zu-rückblicken? Was hat sich geändert seit damals?

    Müller: Da muss man jung sein, um dieses differenzierte und komplizierte Ge-schäft auch wirklich gut machen zu können, und das bin ich nicht mehr. Aber ich wür-de es gerne sehen oder fände es wichtig, dass das, was an Erfahrung gesammelt ist, auch zum Tragen kommt.

    Gerner: Das war Albrecht Müller, ehemaliger Planungschef im Kanzleramt unter Willy Brandt. - Danke Ihnen für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio