Heinlein: Herr Hombach, wir haben es gehört: Morgen Treffen der Spitzen von SPD und Grünen im Kanzleramt. Dieser Ausschuß sollte laut Koalitionsvertrag nur im Krisenfall tagen. Ist diese Krise fünf Wochen nach Regierungsantritt bereits eingetreten?
Hombach: Es ist völlig normal - und alle Beteiligten sehen das so -, daß es zwischen den Parteien Gespräche geben muß zur Abstimmung, und dem dient dieses Treffen und das Gespräch morgen. Keiner von denen, die dort zusammenkommen, würde das Wort Krise akzeptieren. Es gibt eine Berichterstattung, die dort viel mehr hineininterpretiert, als tatsächlich ist. Darüber sind wir uns aber einig.
Heinlein: Wenn es sich bei dem Treffen um eine pure Selbstverständlichkeit, um Normalität handelt, wie Sie sagen, warum hat man sich dann nicht schon früher auf diese regelmäßige Runde verständigt?
Hombach: Wissen Sie, diese Regierung - das sagten Sie ja selbst - ist jetzt etwas mehr als einen Monat im Amt. Ich habe in diesen Tagen eine Meinungsumfrage gelesen, daß drei von vier Bürgern sich wünschen, daß man der Regierung mindestens 100 Tage gibt, bevor man ein Urteil spricht. Ich glaube, daß vieles von dem, was auf den Weg gebracht wurde, exakt das ist, wofür diese Regierung gewählt wurde. Da geht es um die Karanztage, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Rücknahme der unsozialen Rentenkürzung. Es ist exakt das, was versprochen wurde, zur Zeit in Arbeit. Neun von zehn Wahlversprechen, die sogar garantiert wurden, sind entweder eingelöst oder auf einem guten Wege. Wissen Sie, die Diskussion um die Länderministerpräsidenten, die ich eben hören konnte, hat ja auch einen anderen Aspekt. Die Vorgängerregierung hat sich über Jahre darauf hinausgeredet, sie könne nichts tun, weil der Bundesrat blockiere; das sei eine parteipolitische Blockade. Und nun sieht man, daß die Länder ihre Aufgaben wahrnehmen, ihr Recht durchsetzen gegen jeden. Wir werden hier koordinieren müssen. Das ist Verfassungsrealität in Deutschland, daß man einen Interessensausgleich findet zwischen den Landeskassen und dem Bund. Hier sind wir auf einem guten Weg, und der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, dem ich ja nahe stehe, wie Sie möglicherweise wissen, hat überhaupt nicht eine Mehrwertsteuer-Diskussion gefordert, sondern er hat darauf hingewiesen, daß im Rahmen der europäischen Harmonisierung, wenn sie denn mal kommt, die Mehrwertsteuer angeglichen werden wird. Und er hat gleichzeitig gesagt, wenn es denn dazu kommt, dann muß man an anderer Stelle im Zusammenhang mit einer solchen möglichen Erhöhung gleichzeitig Entlastungen vornehmen. Er weiß das besser als viele andere, daß solche Tartaren-Meldungen oft gar keine Basis haben.
Heinlein: Herr Hombach, als erfahrener Politiker hätte Clement aber doch wissen müssen, daß allein die Erwähnung einer Mehrwertsteuer-Erhöhung für Unmut sorgt?
Hombach: Ja. Das hat er gestern auch so gesagt. Er hat gesagt, da ist so vieles zusammengekommen an diesem etwas komischen Wochenende. Da kam ja eine ganze Orgie von Steuererhöhungs-Vorstellungen zusammen. Ein Bundestagsabgeordneter wollte eine spezielle Sportsteuer, die Grünen wollten von Kerosinsteuer bis zur zusätzlichen Benzinsteuer, und dann kam die Mehrwertsteuer durch das nordrhein-westfälische Kabinett ins Spiel. Das war kein gutes Stück. Das hätte ein Politprofi wissen müssen. Gestern war ja dann auch der Katzenjammer groß; Selbstkritik war angesagt. Dann kam es ja zu diesen Beschlüssen, von denen Sie sprachen, daß man seine Worte besser wägt und sich in Zukunft deutlicher und viel besser koordiniert. Das ist ja Fortschritt, das muß ja sein. Nur es wird unfair früh auf die Regierung geschossen. Bislang hatten wir über Jahrzehnte eine andere Situation. In den letzten Jahren hat sich in Deutschland nichts bewegt. Diese Regierung bringt so viele Dinge auf den Weg, muß so viele Korrekturen vornehmen, das ist schon ein Befreiungsschlag. Und daß es dort Debatten gibt, das ist völlig normal. Ich glaube auch, daß wenn wir in ein paar Monaten Rückschau nehmen auf die Ereignisse dieser Tage, dann können wir das mit Humor nehmen. All die Begriffe wie etwa Fehlstart und so weiter sind völlig überhöht. Man hat ja fast den Eindruck, die Opposition weiß gar nicht mehr weshalb sie abgewählt wurde, und das ist schädlich für sie. Da kann sie nämlich nicht zu sich finden.
Heinlein: Herr Hombach, hat sich die SPD in der Tat noch nicht an ihre Rolle als Regierungspartei gewöhnt, oder was ist der Grund, daß Ihre Partei die Arbeit der Opposition gleich mit erledigt und schärfster Kritiker der rot/grünen Reformpläne ist?
Hombach: Herr Heinlein, Sie werden denken, ich male mir die Situation schön; ich denke eigentlich gar nicht daran. Der Regierungsmotor läuft aber schon rund. Wir sind seit vier Wochen an unseren Schreibtischen und hatten so viel Unerledigtes vorgefunden, das ist unvorstellbar. Wir mußten uns zunächst einmal auf vernünftige Arbeitsstrukturen einstellen, und das ist in der Regierung schon geschehen. Im Bereich der Parteien und der Abgeordneten mag es so sein, daß man erst lernen muß, daß von der Oppositionsrolle in die Regierungsrolle zu finden auch bedeutet, daß man die erfolgreichen Projekte, das eigene Tun herausstreicht. Wissen Sie, wenn man nicht selber seine eigenen Projekte darstellt und positiv vertritt, wer soll das denn tun. Die Opposition wird für das Gegenteil bezahlt, und von den Medien können wir nicht erwarten, daß sie sagen, wir suchen das positive. Das ist zunächst einmal im Rollenverständnis wahrscheinlich umzustellen. Da haben Sie völlig Recht. Uns wurde aber doch prognostiziert, wir hätten größte Konflikte. Da wurde der Konflikt zwischen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder an die Wand gemalt, und nichts davon ist gekommen, sondern es gibt kooperative, kollegiale Übereinstimmung, das Zusammenwirken. Und nun sucht man andere. Diese Vielstimmigkeit, der Chor von Leuten, die ihre eigenen Vorschläge haben, das ist ein Element der Mediengesellschaft und der Demokratie. Ich würde das nicht als Krise bezeichnen. Ein wenig mehr Disziplin muß aber schon sein!
Heinlein: Herr Hombach, Sie haben es selbst gesagt: Der Bundeskanzler hat selbst Fehler eingeräumt. Er hat gesagt, man habe zu schnell zu viel gewollt. Ist dieser Übereifer der einzige Grund für das rasch erworbene Negativ-Image der Bundesregierung, oder fühlen Sie sich von der Presse schlecht behandelt?
Hombach: Herr Heinlein, ich muß sagen, Negativ-Image kann ich gar nicht übernehmen. Alle Umfragen sprechen eine ganz andere Sprache. Erst einmal fühlen sich diejenigen gut bedient, die von den positiven Maßnahmen der Bundesregierung betroffen sind. Das ist sehr viel, was dort auf den Weg gebracht worden ist. Die sagen, ja, das haben wir erwartet, deshalb haben wir die gewählt. Die haben ein gutes Urteil; das zeigen alle Umfragen.
Heinlein: Aber eingestanden wurden ja auch handwerkliche Mängel. Können Sie Beispiele für diese handwerklichen Mängel nennen?
Hombach: Herr Heinlein, ich kann Ihnen eine ganze Menge Beispiele nennen von positiven Ergebnissen, was wir auf den Weg gebracht haben. Das mache ich auch gerne. Wir haben den Reformstau in Deutschland sofort aufgelöst, kaum haben wir den Wechsel vollzogen.
Heinlein: Aber das ist ja kein Mangel?
Hombach: Nein. Ich habe ja auch gesagt, daß die positiven Aspekte so weit überwiegen, daß nur die mir einfallen. - Es ist tatsächlich so, daß eine neue Regierung, die nach 16 Jahren ins Amt kommt, wo vieles liegen geblieben ist, wo es personelle Wechsel gibt und eine fachliche und sachliche Umsteuerung, natürlich nicht alles reibungslos über die Bühne bringt, daß es dort auch mal ein bißchen knirscht im Getriebe. Das ist völlig normal, und ich glaube, das verstehen die Menschen sehr, sehr viel besser als drängende, etwas ungeduldige Journalisten. Da sind unterschiedliche Sichtweisen. Die Menschen werden uns am Ende messen an Ergebnissen, Fakten und tatsächlichen Realitäten. Die Bilanz gezogen wird nach vier Jahren, und da bin ich voller Zuversicht.
Heinlein: Harmonie und Geschlossenheit der SPD, Sie wissen es als Wahlkampfmanager Ihrer Partei, waren die Stärken der SPD im Wahlkampf. Jetzt drängt sich der Eindruck auf, daß dort schwelende Konflikte nur künstlich unter dem Deckel gehalten worden sind.
Hombach: Ja, das kann so sein, daß der eine oder andere den Eindruck hat, denn diese Phantasien werden ja ständig projeziert. Man kann ja kaum eine Bemerkung machen, die als Konflikt interpretiert wird. Das ist natürlich disziplinierend. Ich bin ganz sicher, daß das, was gestern war, nämlich die Präsidiumssitzung in Bonn, eine wichtige Zesur war für die Ereignisse der letzten vier Wochen, wo ein bißchen der Chor durcheinandergeriet. Dort hat man zurückgefunden zu diesem Geist. Das war exakt der Satz, den man sich untereinander gesagt hat. Wir haben uns gesagt, diese Geschlossenheit, diese Harmonie im Wahlkampf war Erfolgskonzept, und die soll sich auch in Zukunft fortsetzen. Deshalb wurde ja gesagt, wir müssen uns häufiger an diesem Tisch treffen, denn das kann ja nur das Präsidium koordinieren, die unterschiedlichen Interessen der Länder und der Bundesregierung zusammenzubringen. Ich muß es aber noch einmal sagen: Die Tatsache, daß die Ministerpräsidenten der Länder in besonderer Weise auf ihre Kasse achten, in besonderer Weise ihre Interessen wahrnehmen, das ist ein ganz natürliches Spannungsfeld. Das ist ja kein spezieller Konflikt. Den kennen wir, so lange es die Bundesrepublik Deutschland gibt. Dieses Ringen ist in der Verfassung angelegt, teilweise auch die Konkurrenz der Länder untereinander. Damit umzugehen, das zu harmonisieren, das ist ja ein Stück politischer Kunst, an der keiner vorbei kommt. Der Vorgängerregierung ist das nicht gelungen.
Heinlein: Heute morgen hier im Deutschlandfunk SPD-Kanzleramtsminister Bodo Hombach. Vielen Dank für dieses Gespräch.