Dienstag, 19. März 2024

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Felber über Corona-Aussöhnung
Initiative will "Schieflage korrigieren"

Die Initiative "Corona-Aussöhnung" nimmt für sich in Anspruch, verhärtete Fronten im Streit um Corona-Maßnahmen versöhnen zu wollen. Mehrheitlich Gegner der Maßnahmen, befürworten sie eine "wertschätzende" Diskussion mit Befürwortern. Doch am Ende entscheide die Mehrheit, stellt der Publizist Christian Felber im Dlf klar.

Christian Felber im Gespräch mit Benedikt Schulz | 18.07.2021
Sogenannte Querdenker ziehen in einem Protestmarsch aus der Innenstadt zum Veranstaltungsgelände auf dem Kirmesplatz und tragen dabei ein Plakat mit der Aufschrift „Freie Impfentscheidung. Keine Kinderimpfung. Keine digitalen Impfpässe. Volle Grundrechte für alle“. Laut Polizeiangaben zählt die Demonstration gegen die Corona-Schutzmaßnahmen 500 Teilnehmer.
Demo gegen Coronaschutz-Maßnahmen: Die neue Initiative "Corona-Aussöhnung" erklärt, der Gesellschafts-Spaltung entgegenwirken zu wollen. (pa/dpa/Jonas Güttler)
Covid-19 ins Verhältnis setzen - Alternativen zu Lockdown und Laufenlassen" lautet der Titel des Positionspapiers eines österreichisch-deutschen interdisziplinären Autorenkollektivs - darunter Psychologen, Juristen, Mathematiker, Wissenschaftler wie die Politologin Ulrike Guérot, die Genderforscherin Magdalena Hanke, der ehemalige Ärztekammerpräsident Ellis Huber und der Publizist Christian Felber.
Die Initiative wolle "einen Beitrag dazu leisten, die Verhältnisse herzustellen, um die aktuelle gesellschaftliche Spaltung zu überwinden", heißt es im Thesenpapier. Sie listet "Unverhältnismäßigkeiten" in der Corona-Politik auf und stellt sie "Kollateralschäden" der Corona-Maßnahmen gegenüber. Die 16 Beteiligten des Kollektivs sind mehrheitlich als Gegner der Corona-Maßnahmen aufgefallen, ausgesprochene Befürworter sind nicht darunter.
Der österreichische Publizist und Sozialwissenschaftler Christian Felber, Theoretiker und Aktivist für Wirtschaftsreformen, erklärte im Dlf, die neue Corona-Initiative wolle "eine Schieflage korrigieren":
"Wir würden gern alle Perspektiven aus allen Fachdisziplinen, die hier auch etwas zu sagen haben, in ein großes Bild bringen und damit verschiedene Lücken schließen, verschiedene Unausgewogenheiten und Unverhältnismäßigkeiten, ja in ein integrales in ein ganzheitliches Bild bringen, was derzeit nicht der Fall war. Ich würde sagen, das derzeitige Narrativ über die Krise, das kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Und das hat eine Schieflage."
Tagesschau-Faktenfinder: Neue Initiative - ein zweifelhaftes Versöhnungsangebot

Die Pandemie ist kein Extremfall

Felber kritisierte die Bundesnotbremse und "mehrere schwere Lockdown-Wellen und Zwangsmaßnahmen, die es bisher in der Geschichte und weltweit noch nicht gab". Dass viele der Lockdown-Maßnahmen von Gerichten aufgehoben wurden, zeige, "dass hier übers Ziel hinaus geschossen wurde." Die Pandemie sei kein Extremfall:
"Wir sehen diesen Extremfall nicht. Wir sehen, dass hier eine Erkältungskrankheit ist, eine Infektionskrankheit, die viele Menschen krank macht und auch viele Todesfälle verursacht. Aber dieses extreme Maß an Grundrechtseinschränkungen, das hat es vorher nicht gegeben. Und das ist jetzt so plötzlich da, das ist eine Extremvariante. Und wir wollen statt dieser unkritischen und unverhältnismäßigen und auch zum Teil ungeeigneten Grundrechtseinschränkungen sanftere Maßnahmen. Das wäre der Mittelweg. Und es könnte ja, sobald das Infektionsgeschehen wieder ansteigt, könnten ja wieder eine ganze Reihe von Zwangsmaßnahmen zusätzlich drohen. Es sind derzeit auch viele, viele Zwangsmaßnahmen weiterhin in Kraft. Und das ist für uns kein Mittelweg. Wir wollen einen sanfteren Mittelweg."
Kulturwissenschaftler über Impfgegner - "Spuren einer para-religiösen Erzählung"
Einst galten Pandemien als Strafe Gottes. Medizin stand im Verdacht, den göttlichen Plan zu vereiteln. Diese Deutung wird heute kaum noch vertreten. Kulturwissenschaftler Andreas Bernard sieht solche Denkmuster jedoch bei Corona-Leugnern. Diese seien nicht einmal durch Erfahrung umzustimmen, sagte er im Dlf.

"Mehr Menschen kommen durch Lockdowns zu Tode"

Die Corona-Maßnahmen selbst seien "unverhältnismäßig und selbst gesundheitsschädlich", weil sie ganz vielen Menschen Angst machten, sagte Felber. Es sei daher sehr viel wahrscheinlicher, "dass mehr Menschen durch die Lockdowns, die Zwangsmaßnahmen zu schaden und zu Tode kommen als durch das Virus."
Die Initiative "Corona-Aussöhnung" kritisiere, "dass keine Studien in Auftrag gegeben wurden, um Folgeschäden von Lockdowns und anderen Zwangsmaßnahmen zu messen", sagte Felber. Der Publizist behauptete im Dlf, Studien seien "entweder gar nicht in Auftrag gegeben oder unterdrückt und nicht veröffentlicht worden".

Framing und das "regimetreue Narrativ"

Die Gruppe plädiert in ihrem Papier für Aussöhnung und kritisiert, sie unterliege einem "Framing". Gefragt, wieso dort von einem regimetreuen Narrativ im öffentlichen Diskurs die Rede sei, sagte Felber:
"Also ich bin persönlich, als ich um meine Gesundheit zu schützen, mein Immunsystem zu stärken alleine im Park Yoga gemacht habe mit über zehn Meter Abstand zu irgendeiner anderen Person von der Polizei aufgefordert worden, diese Tätigkeit zu beenden. Und andere Menschen sind aufgefordert worden, von Parkbänken aufzustehen und nach Hause zu gehen. Und ganz viele Menschen haben von der Polizei Organmandate (Anm.d.Red: Verweise) ausgestellt bekommen. Die Polizei hat ganz, ganz viel mehr in die Freiheit ungeeignet und medizinisch unbegründet eingegriffen von Menschen."
Konstantin Kuhle (FDP) zu #allesdichtmachen - Nicht jeder Maßnahmenkritiker ist ein Corona-Leugner
Kunst und Kultur haben nicht die Aufgabe, im öffentlichen Diskurs möglichst bequem zu sein, verteidigt Konstantin Kuhle (FPD) die Künstleraktion #allesdichtmachen. Er warnt: Die starke Polarisierung in der Debatte tue allen nicht gut.

"Wenn wir einmal über den Rohrstock-Staat schreiben..."

Trotz polizeilicher Maßnahmen und Drucks habe man "keinen einzigen verantwortlichen Politiker mit irgendeinem Etikett belegt. Wir haben friedlich argumentiert", so Felber:
"Wir haben fachlich und versöhnlich argumentiert, und das ist ein ganz anderer Stil, als wenn Personen als Verschwörungstheoretiker, Aluhut-Träger oder Covidioten bezeichnet werden. Das ist aggressive, gewaltvolle Kommunikation. Die lehnen wir ab. Wenn wir hier Gleiches mit Gleichem vergolten hätten, dann hätten wir von Impftrotteln, Lockdown-Pathologen und von Alarmisten gesprochen. Und das tun wir bewusst nicht, sondern wenn wir hier mit gleich gewaltvoller Sprache antworten würden, dann würden wir diese Gewaltspirale vorantreiben, und das haben wir bewusst nicht getan. Und wenn wir einmal über den Rohrstock-Staat schreiben oder den Polizeistaat, dann glaube ich, ist das nicht der gleiche Stil, den wir hier selbst kritisieren."

"Es wird umgesetzt, was die Mehrheit für vernünftiger hält"

Um die Spaltung in der Gesellschaft zu kitten, brauche es eine Aussöhnung in mehreren Schritten, so Felber. Der Text der Initiative sei ein erster Schritt für ein verhältnismäßiges, ganzheitliches Bild. Dann brauche es Mitgefühl und Trauer für von Covid-19 betroffene Menschen und solche, die von anderen Krankheiten und den Maßnahmen betroffen sind. Es brauche eine multiperspektivische Diskussion, wo alle gehört werden, dann eine demokratische Abstimmung, so Felber:
"Es ist meine Vermutung, dass auch wenn die Befürworter strikter Maßnahmen gleichberechtigt und wertschätzend angehört werden, dass die dann vielleicht am Ende der Diskussion in der Minderheit sind. Und dann wird in einer Demokratie passieren, dass das umgesetzt wird, was die Mehrheit für vernünftiger hält. Und das glauben wir schon, dass nach einer solchen ganzheitlichen Diskussion ein anderes Set von Maßnahmen befürwortet wird als die derzeitige Packung von Zwangsmaßnahmen und Grundrechtsbeschränkungen."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.