Freitag, 19. April 2024

Archiv

Felix von Luschan-Sammlung
Was tun mit den Schädeln?

2011 übergab die Charité dem Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin eine heikle Skelettsammlung. Ein großer Teil davon stammt aus ehemaligen deutschen Kolonien - und wurde für menschenverachtende Rassenforschung genutzt. Lange interessierte sich niemand für die Sammlung. Nun beginnt die Aufarbeitung.

Von Michael Stang | 29.04.2018
    Ein bei Friedhofsausgrabungen gefundener, menschlicher Schädel von einem Toten steht am 29.02.2016 in Hamburg in einem Labor auf dem Tisch.
    Etwa 5.600 Schädel trug der Mediziner und Anthropologe Felix von Luschan zusammen (picture-alliance / dpa / Daniel Bockwoldt )
    Februar 2015. In Berlin Friedrichshagen befindet sich der zentrale Speicherstandort der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
    "Ja, jetzt sind wir also im dem Magazingebäude…
    In einem Gebäude lagern einige der alten Skelettsammlungen der Berliner Charité, sagt Matthias Wemhoff, Landesarchäologe und Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte.
    "Ja und vielleicht schauen wir uns das einfach mal an. Also das steht alles in ganz neuen Kisten, ganz neu verpackt."
    In dem rund 30 Quadratmeter großen Raum stehen in Reihen einfache Stahlregale, alle voller Pappkartons.
    "Also etwa 15.000 Kartons wird‘s hier schon geben."
    Um den Verfall aufzuhalten kamen die Schädel zunächst in eine Anlage, in der die Mikroorganismen abgetötet wurden.
    "Wir sind jetzt hier im Raum, wo ein Teil der S-Sammlung untergebracht ist, also das ist die Sammlung, die über die Charité zu uns gekommen ist, das ist eigentlich die alte anthropologische Universitätssammlung."
    Menschenverachtende Rassenforschung
    Die S-Sammlung – S steht für Schädel beziehungsweise Skelett – besteht heute aus etwa 5.600 Schädeln, die der Mediziner und Anthropologe Felix von Luschan zwischen 1885 und 1920 zusammengetragen hatte. Er wollte die Entwicklung und die Vielfältigkeit des Menschen studieren – menschenverachtende Rassenforschung eingeschlossen. Längst herrscht Einigkeit, dass dies wissenschaftliche Irrwege waren, doch die meisten der Schädel sind immer noch da. Matthias Wemhoff holt eine Kiste aus dem Regal und hebt den Deckel. Fünf Schädel liegen darin – einzeln in weißen, offenen Papiertüten verpackt.
    "Ich will den jetzt nicht rausnehmen, damit wir den nicht mit unserer Genetik verändern. Aber hier kann man drauf erahnen, dass da eine Nummer geschrieben ist."
    Viele Objekte sind mit Tinte beschriftet. Einige haben eine alte Archivnummer, andere nicht. Unterlagen, woher die Schädel stammen, wie und auf welchem Weg sie einst nach Berlin gekommen sind, gibt es kaum. Damit sind die Schädel für die Forschung eigentlich wertlos. Aber nur eigentlich.
    "Also ich kann mir schon vorstellen, dass viele der Stücke auch noch mal wichtig werden für genetische Fragen, für Isotopenfragen, insofern ist das auch ein wertvolles Archiv, was jetzt hier ist, was lange Jahre kaum eine Bedeutung hatte."
    Sammlung der Charité aufgearbeitet
    Ortswechsel.Die Villa von der Heydt in Berlin ist der Amtssitz von Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Diese verwaltet mittlerweile einige der heiklen Skelettsammlungen der Charité.
    "Die Charité war nicht mehr imstande, sie sachgerecht zu lagern, die waren in einem wirklich sehr, sehr schlechten Zustand, von Schimmel befallen, auch unsachgemäß gelagert. Auch die Frage der Beschriftung, der Etiketten, um sie zuordnen zu können. Und das haben wir allerdings gemeinsam mit der Charité bearbeitet und jetzt im Grunde diese Sammlungen wieder in einen würdigen Zustand gebracht, wieder – kann man schon sagen – gerettet."
    Jahrzehntelang waren diese Sammlungen ignoriert worden. Dabei stand immer die Frage im Raum: Was soll mit diesen Schädel und Skelettserien geschehen? Aufbewahren, zurückgeben oder bestatten? Letzteres kommt für Hermann Parzinger nicht in Frage.
    "Wenn man weder weiß, aus welchen Jahrhundert oder Jahrtausend es kommt, noch von welchem Ort der Welt, ist es ja in gewisser Weise wertlos, dennoch würde ich jetzt zögern zu sagen, das entsorgt man dann. Aber, da mag es in der Zukunft vielleicht auch mal Verfahren geben. Wir wissen ja nicht, ob es vielleicht in 30 Jahren da Verfahren gibt, wo man also ganz schnell und einfach und relativ präzise Alter und Herkunft bestimmen kann. Insofern würde ich jetzt schon dafür plädieren, dass man auch auf jeden Fall die Schädel, wo wir nichts über Ort und Zeit der Herkunft wissen, genauso sorgfältig verwahren, wie die, wo wir mehr wissen."
    Neue Provenienz-Forschungen
    2017 kam Schwung in die Aufarbeitung. Im Rahmen eines Pilotprojekts erforscht die Stiftung Preußischer Kulturbesitz seit Oktober die Provenienz von rund tausend menschlichen Schädeln, die aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika stammen. Das auf zwei Jahre aufgelegte Projekt soll als Vorbild auch für die zukünftige Erforschung der Provenienz der übrigen Human Remains dienen, die sich in der Obhut des Museums für Vor- und Frühgeschichte befinden.
    Ob und wie die Schädel zurückgegeben werden, ist noch nicht klar. Wenn Schädel eindeutig einer Herkunftsgesellschaft zugeordnet werden können, wollen die Berliner Verantwortlichen gemeinsam mit deren Vertretern über den Umgang beraten und die Rückgabe diskutieren, so Hermann Parzinger. Eine Möglichkeit ist, die Schädel zurückzugeben – aber eben nur eine Möglichkeit von mehreren.