Synthetische Opioide
Fentanyl-Krise droht auch Deutschland

Die verheerende Drogenkrise in den USA zeigt, wie gefährlich synthetische Opioide wie Fentanyl sein können. Auch in Deutschland wird Fentanyl immer häufiger Heroin beigemischt. Experten warnen: Die Zahl der Drogentoten könnte deutlich steigen.

    Ein Mann hält eine kleine Ampulle mit Fentanyl gefüllt in den Händen.
    Synthetische Opioide wie Fentanyl sind in Deutschland längst angekommen. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Star Tribune)
    Synthetische Opioide wie Fentanyl sind in Europa auf dem Vormarsch. Fachleute aus Suchtforschung und Suchthilfe befürchten, dass die Zahlen der Drogentoten durch synthetische Opioide auch in Deutschland weiter steigen könnten.
    Im Jahr 2022 starben 1990 Menschen an einer Überdosis oder an den Langzeitfolgen ihres Missbrauchs illegaler Drogen – 164 mehr als im Jahr zuvor. 83 Menschen starben dabei unter der Einwirkung synthetischer Opioide. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Warum nimmt der Konsum synthetischer Opioide auch in Deutschland zu, und was kann dagegen getan werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

    Inhalt

    Die Grafik zeigt die Anzahl der Drogentoten in Deutschland zwischen den Jahren 2000 und 2022. Die registrierten, auf Drogen zurückzuführenden Todesfälle schwankten in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwischen 1000 und 2000.
    Die registrierten, auf Drogen zurückzuführenden Todesfälle schwankten in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwischen 1000 und 2000. (Destatis)

    Warum ist Fentanyl so gefährlich?

    Synthetische Opioide sind hochpotente Drogen, die im Labor hergestellt werden und teils den 50- bis 100-fachen Wirkungsgrad von Heroin erreichen. Eines dieser synthetischen Opioide ist Fentanyl. Es wird in der Palliativmedizin, zum Beispiel bei Krebspatienten, als Pflaster zur Schmerzbehandlung eingesetzt.
    Allerdings wird Fentanyl zunehmend illegal hergestellt und häufig Heroin beigemischt. Das erhöht die Gefahr einer Überdosierung erheblich, da Fentanyl viel potenter ist als Heroin. Laut der Deutschen AIDS-Hilfe liegt die tödliche Dosis von Heroin bei etwa 200 Milligramm, während sie bei Fentanyl bereits bei zwei Milligramm erreicht ist. Aufgrund seiner hohen Potenz und der geringeren benötigten Menge ist Fentanyl auch viel leichter zu schmuggeln.

    Warum nimmt der Konsum synthetischer Opioide in Europa zu?

    Experten warnen, dass sich synthetische Opioide europaweit weiter ausbreiten werden. Ein Indiz: Sie werden bereits immer häufiger bei Autopsien gefunden.
    Der Anstieg des Konsums hat zwei wesentliche Gründe: Zum einen sind die synthetischen Wirkstoffe relativ billig und einfach im Labor herzustellen. Zum anderen kommt es laut Suchtforscher Daniel Deimel von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen sehr wahrscheinlich zu einer Verknappung des Heroins auf dem Weltmarkt, weil die Taliban den Mohnanbau in Afghanistan verboten und Mohnfelder niedergebrannt haben.
    Der überwiegende Teil des Heroins auf dem europäischen Schwarzmarkt, rund 95 Prozent, stamme aus Afghanistan. Da nun weniger Heroin auf den internationalen Drogenmarkt gelange, versuchten die Verkäufer, diesen Mangel durch künstliche Stoffe auszugleichen, so Daimel.
    Wenn synthetische Opioide klassischen Drogen wie Heroin beigemischt werden und die Konsumenten gar nicht wissen, was sie sich spritzen, kann es schnell zu Überdosierungen kommen. Mit der im Jahr 2022 in den USA beschlagnahmten Menge der Droge Fentanyl hätten nach Angaben der "Drug Enforcement Administration" (DEA) theoretisch alle rund 333 Millionen Einwohner des Landes getötet werden können.

    Fälle in Dublin und Polen

    In Europa werden immer mehr Drogennotfälle in Zusammenhang mit synthetischen Opioiden gemeldet, zum Beispiel in Dublin, in England und Wales. In Polen gab es dieses Jahr bereits die ersten bekannten Todesfälle durch Fentanyl-Missbrauch.

    Wie verbreitet ist Fentanyl in Deutschland?

    Auch in Deutschland ist Fentanyl längst angekommen. 2023 starben in Deutschland 54 Menschen durch Fentanyl. Die Dunkelziffer könnte höher liegen. Denn nur die Hälfte aller drogenbedingten Todesfälle in Deutschland wird obduziert.
    Die Deutsche Aids-Hilfe hat in einem Modellversuch 1401 Heroinproben in 17 Drogenkonsumräumen in sieben deutschen Städten mit Fentanyl-Schnelltests untersucht. In 50 Fällen wurde Fentanyl nachgewiesen. Das zeigt, dass illegal hergestelltes Fentanyl inzwischen im Straßenheroin enthalten ist – und die Konsumenten sind sich dessen in den meisten Fällen nicht bewusst.
    Expertinnen befürchten, dass sich die Lage durch die weltweite Verknappung des Heroins weiter verschärfen könnte und noch mehr synthetische Opioide auf den europäischen, und damit auch den deutschen Drogenmarkt überschwemmen werden. Dies könnte bald zu einem drastischen Anstieg der Drogentoten in Deutschland führen.
    Allerdings werde es nicht zu einer solchen großen Fentanyl-Krise wie in den USA kommen, sagen Experten. Der zentrale Unterschied: In den USA wurden Opioide wie Oxycodon oder Fentanyl über Jahrzehnte unkritisch bei verschiedenen Schmerzen verschrieben. Dies führte bei vielen Patienten zu Abhängigkeit, sodass sie schließlich auf den Schwarzmarkt auswichen.

    Wie können Drogenkonsumenten besser vor synthetischen Opioiden geschützt werden?

    „Städte und Kommunen sollten jetzt Vorkehrungen treffen, um diesen Drogennotfällen begegnen zu können“, sagt Suchtforscher Daniel Deimel.
    Die Stoffe verursachen eine Atemdepression, die schnell tödlich verlaufen kann. Als Gegenmittel eignet sich vor allem das Medikament Naloxon, das als Nasenspray verabreicht werden kann. Naloxon sei ein Gegengift, bei dem das Opioid „vom Rezeptor im Gehirn gerissen wird - und dann ist der Mensch sofort wieder nüchtern“, erklärt Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung in Frankfurt am Main. Die Wirkung von Naloxon halte eine halbe Stunde an. Viele seien danach auf Entzug. Weil das Opioid aber noch im Körper ist, müsse man die Personen beobachten, damit sie nicht direkt wieder Opioide konsumieren.
    Naloxon habe keine großen Nebenwirkungen, wirke aber auch nur bei Opioiden und nicht etwa bei Kokain oder anderen Substanzen. „Es ist ein hervorragendes Mittel“, sagt Stöven, „mit dem man der steigenden Zahl von Überdosierungen begegnen kann.“ Helfer sollten in der Anwendung von Naloxon sowie in speziellen Erste-Hilfe-Maßnahmen ausgebildet werden.
    Auch Bund und Länder sind den Suchtexperten zufolge gefragt, denn die Möglichkeiten zum Schutz abhängiger Menschen sind längst noch nicht ausgeschöpft. Der wichtigste Punkt, darüber sind sich Suchtforscherinnen und Praktikerinnen in der Drogenhilfe einig, ist die flächendeckende Einrichtung von Konsumräumen in Deutschland.
    In diesen Räumen könnten Drogenkonsumenten über die Gefahren von Fentanyl und anderen synthetischen Opioiden aufgeklärt und Substanzen auf ihre Zusammensetzung getestet werden. Aktuell gibt es 31 solcher Räume in Deutschland, verteilt auf nur acht der insgesamt 16 Bundesländer.
    Eine weitere Maßnahme, um Konsumierende vor Überdosierungen und gefährlichen Beimischungen von Fentanyl und anderen synthetischen Opioiden zu schützen, sind Substitutionsbehandlungen. Allerdings gibt es laut Suchtforscher Daniel Deimel immer weniger Ärztinnen und Ärzte, die solche Behandlungen durchführen, da der Nachwuchs fehlt. Die Ampelregierung arbeitet jedoch daran, die Substitutionsbehandlung für Ärztinnen und Ärzte attraktiver zu gestalten, um den Zugang zu erleichtern und den Schwarzmarkt zu umgehen.

    Wie ist die Situation in den USA und was unternimmt die US-Politik?

    Welche verheerenden Folgen die massenhafte Verbreitung von synthetischen Opioiden haben kann, ist vor allem in den USA zu beobachten. Dort sterben inzwischen jedes Jahr Zehntausende Drogenkonsumenten an Überdosierungen. Die Anzahl der Drogentoten ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten drastisch gestiegen.
    Ausgangspunkt der Opioid-Krise waren Pharmafirmen, die hochwirksame Schmerzmittel mit aggressiven Werbekampagnen in den Markt drückten und dabei das Suchtpotenzial wesentlich geringer angaben, als es tatsächlich ist.
    In Kombination mit einer laxen Verschreibungspraxis von Ärzten führte das zu immer mehr Drogensüchtigen. Sie mussten sich ihren Stoff schließlich illegal besorgen, wenn sich kein Mediziner mehr fand, der bereitwillig den Rezeptblock zückte.
    Die Grafik zeigt die Anzahl der Drogentoten in den USA über zwei Jahrzehnte hinweg. 1999 wurden 16.849 Todesfälle erfasst, 2021 waren es 106.699.
    Die Anzahl der Drogentoten in den USA hat sich innerhalb von zwei Jahrzehnten versechsfacht. (Destatis)
    Fentanyl ist nach Angaben der US-Regierung inzwischen die Todesursache Nummer eins für Menschen zwischen 18 und 49 Jahren in dem Land. Schätzungen zufolge starben 2021 in den Vereinigten Staaten rund 108.000 Menschen an einer Überdosis Drogen, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Über 70.000 davon waren Opfer synthetischer Opioide. Zum Vergleich: Das ist die komplette Bevölkerung einer Kleinstadt wie Bamberg.
    Fentanyl-Süchtige in Los Angeles: Die Droge verursacht Zehntausende von Todesfällen jedes Jahr.
    Fentanyl-Süchtige in Los Angeles: Die Droge verursacht Zehntausende von Todesfällen jedes Jahr. (picture alliance / dpa / AP / Jae C. Hong)
    Im Kampf gegen die synthetischen Drogen versuchen die USA inzwischen, internationale Allianzen zu schmieden. Im Juli 2023 rief US-Außenminister Antony Blinken über 80 Länder zur Zusammenarbeit auf. "Nachdem der US-Markt gesättigt ist, wenden sich länderübergreifende kriminelle Organisation anderswo hin, um ihre Profite zu steigern", warnte er.

    Drogenkartelle in Mexiko und Zentralamerika

    Auf Druck der USA hatte China bereits 2019 den Export von Fentanyl verboten. Die USA werfen dem Land vor, immer noch Hauptexporteur für die Vorläuferstoffe von Fentanyl zu sein. Die Chemikalien werden von Drogenkartellen in Mexiko und Zentralamerika weiterverarbeitet, und das Fentanyl kommt schließlich auf Schmuggelrouten in die USA.
    Vor diesem Hintergrund spielte Fentanyl auch bei einem viel beachteten Treffen von US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping Mitte November 2023 eine Rolle. Biden und Xi versuchten bei ihrem langen Gespräch, die derzeit aus vielerlei Gründen stark gestörten Beziehungen der beiden Länder zu verbessern – und vereinbarten dabei auch Maßnahmen, die die Ausfuhr von Fentanyl-Grundstoffen aus China verhindern sollen.

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