Freitag, 19. April 2024

Archiv


Ferber: Europa braucht ein einheitliches Asylrecht

Der CSU-Politiker Markus Ferber hat sich dafür ausgesprochen, die Asylverfahren in der EU zu vereinheitlichen. Dabei dürfe es nicht darum gehen, allen Menschen eine Heimat in Europa zu bieten, denen es "nicht so gut" gehe. Vielmehr müsse man ökonomische Fluchtgründe abbauen.

Markus Ferber im Gespräch mit Silvia Engels | 07.10.2013
    Silvia Engels: Seit dem Untergang eines voll besetzten Flüchtlingsboots vor Lampedusa vergangenen Donnerstag ist die Debatte um die europäische Grenz- und Flüchtlingspolitik in eine neue Runde gegangen. Europaweit fordern Politiker einmal mehr eine menschlichere Aufnahme der Hilfe suchenden Menschen. Konkrete Konsequenzen gibt es nicht; derweil geht die traurige Arbeit der Helfer auf Lampedusa weiter.

    Am Telefon ist Markus Ferber, er ist Vorstandsmitglied der EVP-Fraktion, in der sich christlich-konservative Parteien im Europäischen Parlament zusammengeschlossen haben. Er selbst gehört der CSU an. Guten Morgen, Herr Ferber.

    Markus Ferber: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Wie wird denn in der EVP über mögliche Konsequenzen aus der Flüchtlingstragödie vor Lampedusa diskutiert?

    Ferber: Wir haben uns noch nicht getroffen. Wir fahren heute ja alle nach Straßburg, das Plenum tagt, wir werden am Mittwoch darüber eine große Debatte haben und uns darauf vorbereiten. Die Tatsachen, mit denen wir es momentan zu tun haben, sind halt die, dass wir im Wesentlichen das Asylrecht im nationalen Recht haben, allerdings mit ein paar europäischen Spielregeln. Das macht die Sache sehr kompliziert, weil es wurde ja gerade in dem Beitrag zurecht darauf hingewiesen, dass nach italienischem Recht hier diese Verfahren gegen alle Flüchtlinge eröffnet werden. Das ist keine europäische Vorgabe. Deswegen wird es schon darum gehen, endlich zu einem einheitlichen europäischen Asylrecht zu kommen.

    Engels: Grundlage – und damit kommen wir zu dem Teil, der durchaus europäisch geregelt ist – der Aufnahmepolitik von Flüchtlingen ist ja das sogenannte Dubliner Abkommen. Danach darf sich jeder Flüchtling nur in dem EU-Land um Asyl bewerben, das er als Erster betreten hat. Das trifft also die Südländer, nicht so sehr Deutschland, das ja komplett von EU-Ländern umgeben ist. Muss das geändert werden, müssen die Flüchtlinge mehr verteilt werden?

    Ferber: Das Dubliner Abkommen beschäftigt sich ausschließlich mit Asylbewerbern. Darauf haben Sie zurecht hingewiesen. Wir haben da auch, was Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft, keine Probleme. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Flüchtlinge im Mittelmeer weder aus den Bürgerkriegsregionen Ägypten oder Syrien kommen, noch im Wesentlichen Asylbewerber sind. Es handelt sich hier um Menschen, die sich eine bessere wirtschaftliche Zukunft erhoffen, indem sie versuchen, nach Europa zu kommen.

    Engels: Aber die meisten, die dann Land erreichen, kommen ja wirklich aus krisenhaften Staaten und stellen einen Asylantrag.

    Ferber: Ja! Aber bei den meisten davon wird der Asylantrag abgelehnt. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Das heißt, das Thema, das wir viel stärker bearbeiten müssen, ist die Frage, warum fliehen Menschen. Wir haben es jetzt hier mit vielen Menschen aus Äthiopien zu tun gehabt, aus Eritrea zu tun gehabt. Hier herrscht seit vielen Jahren ein instabiles politisches Verhältnis, ökonomischer Fortschritt ist nicht erkennbar, und das erzeugt natürlich bei Menschen den Wunsch, dort hinzugehen, wo sie sich besser aufhalten können, wo sie auch für sich eine bessere Zukunft sehen. Nur die Europäische Union kann nicht jedem in der Welt Heimat bieten, dem es zu Hause nicht so gut geht wie den Europäern. Ich glaube, darüber müssen wir uns auch im klaren sein.

    Engels: Es gibt zwei Gruppen, zum einen die Gruppe, die sich mehr aus wirtschaftlichen Gründen aufmacht, aber natürlich auch, gerade mit Blick auf instabile Staaten in Afrika, Menschen, die ein konkretes politisches Asylanliegen haben. Darauf machen zumindest Menschenrechtsorganisationen immer aufmerksam. Deswegen noch einmal zu dem, was Europa ja durchaus mitdiskutieren kann, nämlich das Asylrecht. Verlangen Sie eine Änderung des eben beschriebenen Dubliner Abkommens? Heißt: Muss Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen?

    Ferber: Das Dubliner Abkommen behandelt ja nur den Zeitpunkt des Verfahrens, wo wird das Verfahren durchgeführt. Wenn wir so eine Regel haben, müssen die Verfahren einheitlich sein. Das heißt, das Asylrecht muss in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nach gleichen Kriterien gewährt werden. Das ist bisher nicht gelungen. Da sind wir in Verhandlungen zurzeit mit den Mitgliedsstaaten, dahin zu kommen. Und der zweite Schritt ist dann, dass die, die anerkannt sind, auf die gesamte Europäische Union zu verteilen sind. Aber das Dubliner Abkommen regelt nur den Durchführungsort des Asylverfahrens, nicht, wo dauerhaft ein Aufenthalt geregelt wird.

    Engels: SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann schlug am Wochenende allerdings vor, die EU solle auch Nothilfe für Flüchtlinge zu ihrer Aufgabe machen, also unabhängig von Asylrecht. Eine gute Idee?

    Ferber: Ja da kommen wir wieder in eine ganz schwierige Geschichte rein, nämlich die Frage, ist die Europäische Union für bestimmte Sozialhilfe-Maßnahmen zuständig oder nicht. Wenn hier nur Europa als Verschiebebahnhof genommen wird, um Kostenentlastungen in den Mitgliedsstaaten zu erzielen, ist das der falsche Ansatz. Es ist immer wohlfeil, dann nach Europa zu schreien, wenn die Mitgliedsstaaten selber versagt haben. Hier müssen schon die Mitgliedsstaaten selber ebenfalls zu einheitlichen Standards kommen, was auch die Versorgung, die ökonomische Versorgung von Asylbewerbern betrifft. Ich halte nichts davon, immer jedes Problem, das eigentlich die Mitgliedsstaaten zu lösen haben, wenn sie versagen, einfach nach Europa zu schieben und sich dann hinterher zu beschweren, dass sich Europa in alles einmischt.

    Engels: Für die EU-Bürger ist es aber unverständlich, dass sich niemand so richtig zuständig fühlt. Der Präsident des Europäischen Parlaments Schulz fordert heute von der deutschen Bundesregierung deshalb ganz konkret, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Ist das für Sie wieder eine Verschiebung, dass man Verantwortung jetzt den Nationalstaaten hier von EU-Sicht zuweisen will?

    Ferber: Deutschland wird seiner Verantwortung absolut gerecht. Wenn Sie sich anschauen: Wir haben steigende Asylbewerber-Zahlen in Deutschland. Wir haben Kontingente von Bürgerkriegsflüchtlingen aufgenommen jetzt aus Syrien. Das heißt, wir werden unserer internationalen Verpflichtung gerecht. Aber noch mal: Es kann nicht Aufgabe der Europäischen Union sein, alle Menschen, denen es nicht so gut geht wie den Menschen in Europa, in Europa aufzunehmen. Das würde integrationstechnisch nicht funktionieren.

    Engels: Also muss man in Kauf nehmen, dass diese Boote weiterhin kommen und weiterhin sinken?

    Ferber: Nein, nein! Nein, nein! Das habe ich nicht gesagt! Man muss auch das italienische Recht ändern. In Deutschland gibt es den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung, in Italien gibt es den Straftatbestand der gegebenen Hilfeleistung. Ich glaube schon, dass das ein großer Unterschied ist. Das heißt, im humanitären Bereich sind schon andere Regeln notwendig. Aber noch mal: Es kann nicht die Regel heißen, wir machen in Afrika schon ein Aufnahmezentrum und verteilen dann die Flüchtlinge in die ganze Europäische Union, wie ich es auch schon gehört habe, sondern das Ziel muss sein, die Fluchtgründe, die ökonomischen Fluchtgründe abzubauen.

    Engels: Das ist mittelfristig vielleicht eine Lösung. Aber was machen Sie kurzfristig? Italien klagt ja nun auch mit einigem Recht seit Jahren, dass viele Flüchtlinge vor allen Dingen ein italienisches Problem bleiben, weil andere EU-Länder nicht aufnehmen.

    Ferber: Ich will nur darauf hinweisen: In den 90er-Jahren waren alle ganz froh, dass die Österreicher und die Deutschen die ganzen Bürgerkriegsflüchtlinge aus ehemals Jugoslawien aufgenommen haben. Da hat auch keiner gesagt, wir sind bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland hat damals 400.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen und da hat Italien auch nicht angeboten, Kontingente abzugeben. Wenn wir hier zu gemeinsamen Spielregeln kommen wollen, dann muss auch klar sein, wie zunächst mal das Asylverfahren funktioniert, das muss europäisch einheitlich sein, und zweitens, wie dann anerkannte Asylbewerber in der Europäischen Union verteilt werden. Genau das sind die Punkte, über die wir reden, wo die Mitgliedsstaaten sich bisher wenig bewegt haben, und ich hoffe, dass es jetzt im Lichte der furchtbaren und erschütternden Bilder, die wir sehen mussten, endlich zu einer europäischen Lösung kommt, was die Verfahren betrifft.

    Engels: Herr Ferber, Sie sehen nun die Nationalstaaten wieder am Zug. Wo sehen Sie denn als EU-Parlamentarier ganz konkret Ihre Möglichkeit zu helfen?

    Ferber: Ich habe es doch gerade gesagt. Wir haben das Thema einheitliches Asylverfahren, auch was die Zeitabläufe betrifft. Wir müssen dann zu einer Verteilung kommen der anerkannten, auch dafür gibt es bisher keine Regeln. Wir müssen Regeln erfinden auch für die Verteilung von Bürgerkriegsflüchtlingen, auch dafür gibt es bisher keine europäischen Regelungen, dass wir eine gerechte Lastenverteilung in der Europäischen Union haben. Das sind die Ziele, die wir als Parlament jetzt auch voranbringen wollen.

    Engels: Markus Ferber, er ist Vorstandsmitglied der EVP-Fraktion und gehört der CSU an. Er ist Mitglied des Europäischen Parlaments. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Ferber: Gerne, Frau Engels.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.