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Ferdinand Schmalz: „Mein Lieblingstier heißt Winter“
Totentanz im Vergnügungspark

Ein Tiefkühlkostvertreter, der sich in Mordermittlungen stürzt, ein Ministerialrat, der beim Zahnarzt bangt und ein Pathologe, der für Leichenbeschauungsreisen wirbt - das Romandebüt des österreichischen Dramatikers Ferdinand Schmalz besingt das Sterben und Töten. Ein makabres Sprachkunstwerk.

Von Shirin Sojitrawalla | 01.08.2021
Ferdinand Schmalz und sein Roman "Mein Lieblingstier heißt Winter"
Geboren wurde Ferdinand Schmalz 1985 in Graz, aufgewachsen ist er in Admont in der Obersteiermark, heute lebt er in Wien. Mit seinem ersten Stück „am beispiel der butter“ wurde er 2014 zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. (Foto: imago stock&people / SKATA, Buchcover: S.Fischer Verlag)
Was liegt bloß in der Luft in diesem Graz, dass es immer wieder solch übermäßig fantasiebegabte und sprachmächtige Autoren gebiert. Man denke an Gerhard Roth und Werner Schwab oder an den diesjährigen Büchner-Preisträger Clemens J. Setz, alle in Graz geboren. Wie auch Ferdinand Schmalz. Nachdem er sich auf dem Theater mit herausragend skurrilen Dramen einen Namen erschrieben hat, beweist er 2017 bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, dass er auch Prosa kann. Für einen Auszug aus seinem jetzt erschienenen Debütroman räumte er damals den Ingeborg-Bachmann-Preis ab.
Autor Schmalz: "Ich versuche, eine Heftigkeit in der Sprache zu erzeugen"
Mit einem Text über einen kranken Mann und seinen Tiefkühlkost-Lieferanten hat Ferdinand Schmalz den diesjährigen Bachmannpreis gewonnen.
Im Mittelpunkt steht ein Mann mit dem sprechenden Namen Franz Schlicht, ein Tiefkühlkostvertreter, der seine Kunden auch an heißen Sommertagen, den sogenannten Hundstagen, mit Tiefkühlkost beliefert. Mit den Jahren hat er es in seinem Metier zu einer gewissen Kenner- und Könnerschaft gebracht.
"Es ist gerade diese Kenntnis persönlicher Vorlieben, die für so einen fahrenden Vertreter von äußerstem Interesse sind. Man muss die heimlichen Schwächen der Kundschaft kennen. Zum Beispiel im Sahnetortensegment: Weiß man erst die Geschmacksrichtung, für die der Kunde oder sie, die Kundin, ihre Schwächen hegt, dann hat man leichtes Spiel. Auch wenn, wie eben bei Frau Übelbacher, Lehrerin, alleinstehend und kurz vor ihrem Ruhestand, ein 'Heute nichts!' jegliche Anbahnung, geschäftlicher Natur, zu unterbinden sucht, kann so ein beiläufiges 'Der Bienenstich wär heut im Angebot' oft ungeahnte Wirkung tun. Ist man jedoch in dem Moment nicht absolut geschmackssicher, ist jede Chance dahin."

Suizid im Rehragout-Paradies

Was klingt wie von Loriot ausgedacht, stellt im Roman die Wirklichkeit dar: Jeden zweiten Mittwoch macht Franz Schlicht bei Herrn Doktor Schauer Station, um diesem eine Portion tiefgefrorenes Rehragout zu liefern. Doktor Schauer ist bereits sterbenskrank und bittet Schlicht um Mithilfe bei seinem Suizid. Soweit kommt es nicht, weil Schauer kurze Zeit später vom Erdboden verschwindet und damit eine Kriminalhandlung in Gang setzt. Eismann Schlicht mausert sich zum Laien-Ermittler.
Dabei fächert der Roman ein Panorama unterschiedlicher Berufswelten auf. Den Anfang machen die Putzmänner Norbert und Harald, die in einem verlassenen Stück Vergnügungspark ihren Dienst tun. Hier befreien sie riesige Plastikdinosaurier von Schimmelspuren. In ihrer ganzen Vorgehensweise und ihrer wahnwitzigen Akribie stehen sie unter der Fuchtel von Frau Schimmelteufel und reinigen, was das Zeug hält, bis alles "sauberer als wie zuvor". Besagte Chefin und ihre Mannen wirken in ihrer geschulten Emsigkeit, ihrem Nonsens und ihrer vertrottelten Expertise wie Nachfahren des Tatortreinigers aus der gleichnamigen deutschen Kultserie mit Bjarne Mädel in der Hauptrolle. Deren Bücher schrieb die Theaterautorin Ingrid Lausund unter dem Pseudonym Mizzie Meyer, und Ferdinand Schmalz kupfert ihre Idee zumindest ab. Während die Serie von ihren haarsträubenden Dialogen lebt, gibt es bei Schmalz eher wenig direkte Rede, ja, es scheint, als wolle sich der Dramatiker vom Schreiben fürs Sprechen, vom Theater also, erholen. Seine eigentümlich spröden, schön bürokratisch, säuberlich rhythmisierten Sätze fließen in einen kunstfertigen, österreichisch anmutenden Erzählstil, etwa wenn er den Ministerialrat Kerniger beim Zahnarzt zeigt:
"Und sieht jetzt er, der Kerninger, da von der Decke dieser Zahnarztpraxis draußen in der Vorstadt, sieht er von dieser weißen, weißen Decke riesenhaft die blaue Knollennase seines Großvaters herunterbaumeln und denkt in sich, was immer in der Spritze war, es wirkt. Es setzt nun sie, die Zahnärztin, den Bohrer an, da an den Backenzahn vom Kerninger, dort, wo der Zahnschmelz angefault und sie, die Karies, sich schon hineingefressen hat durch Schmelz und Zahnbein durch bis auf den Nerv, der sich entzündet. Wo sich das Fäulnisnest versteckt, setzt sie den Bohrer an, bohrt sich nun durch, durch all die Schichten, um einen Zugang sich ins Innere des Zahns zu legen, da an die Wurzel des Problems heranzukommen. Dort, wo er drinnen sitzt, der Schmerz."
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Die Fiktion nimmt es mit der Wirklichkeit nicht auf

Die Berufspolitik ist nur eine von vielen Arbeitswelten in diesem Buch. Selbstverständlich können es die Politiker bei Schmalz nicht mit denen der österreichischen Realpolitik, Stichwort "Ibiza-Affäre", aufnehmen, aber sie versuchen es hart. Die Tochter von Doktor Schauer verdingt sich derweil recht bürgerlich als Zahnärztin, während ein Fabian als Feuerwerksspezialist seinen Dienst tut. Zudem treten Ingenieure, Maurer und Leichenbeschauer auf. Jeder auf seine Weise eine Schattenexistenz, die im Dunklen und Geheimen operiert. Die im Dunkeln sieht man nicht, heißt es in der Dreigroschenoper. Und womöglich ist es kein Zufall, dass Franz Schlicht das Licht in seinem Nachnamen trägt. An einer Stelle des Romans heißt es von einem Filmprojektor, dass er immer zwei Filme auf die Leinwand würfe, einen erzähle das Licht, den anderen die Schatten. Schmalz interessiert sich mehr für die Schatten.
Sein allwissender Erzähler schaut auf seine Figuren hinab wie ein Puppenspieler auf seine Marionetten oder wie Hugo von Hofmannsthal auf seinen Jedermann, aus großer Höhe auf seine Erdenbewohner, aus quasi göttlicher Perspektive. "Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" kennt Schmalz nur zu gut, 2018 wurde seine Adaption des "Jedermann" mit dem Titel "jedermann (stirbt)" im Wiener Burgtheater uraufgeführt.

Die ganze Stadt ein Friedhof

Seine Theaterstücke entwickelt Schmalz oft von ihrem Schauplatz her, in seinem Roman scheint er die Menschen nach ihrem Beruf zu formen. Wer beim Putztrupp an "Der Tatortreiniger" denkt, erinnert sich beim Vergnügungspark an Josef Haders Film "Wilde Maus", in dem eine verlassene Achterbahn im Prater Anlaufstation des Antihelden ist. Damit nicht genug. Die im Roman auftauchenden Pathologen scheinen geradewegs aus David Schalkos Fernsehfilm "Aufschneider" herausgeschnitten, weil sie genauso skurril, hemdsärmelig und explizit makaber ihren Dienst verrichten. Kein Fall für die Plagiatsschreier, aber doch Ausdruck gebremster Originalität, auch wenn beim Thema Tod die Kühlhalle natürlich nie weit ist. Im Roman herrscht dort Tulp, ein Typ, der weiß, was Tote wünschen:
"Die Leute würden einen Nutzen haben wollen, auch dann, wenn sie schon längst das Zeitliche gesegnet, auch als Leichnam würden sie noch einen Wert an der Gesellschaft haben wollen. Und spiele natürlich auch das Ehrengrab, da am Zentralfriedhof, das man durch diese Spende sich ergattern könne, spiele auch keine geringe Rolle. Ja, dass man gar nicht nachkomme, all die Leichenpräparate zu Studienzwecken zu zerlegen. Weshalb man angefangen habe, erst im kleinen Rahmen, angefangen habe, Reisen zu veranstalten. Reisen von Studierenden aus Ländern, die einen Mangel an Präparaten, die oft auch religionsbedingt eine Körperspendenknappheit aufweisen würden. Weil es in anderen Kulturkreisen durchaus noch eine Hemmschwelle gebe, was das Zerlegen einer Leiche zu Forschungszwecken anlange. Dort gelte unsereiner schnell noch als ein Leichenfledderer."
Der Roman spielt in Wien. "Der Tod, das muss ein Wiener sein", sang Georg Kreisler; bei Schmalz scheint die ganze Stadt ein Friedhof. Lebend-Begräbnisse, wie sie im Roman angeboten werden, sind in diesem Kontext eine Goldgrube. Die Grabseligkeit der Wiener ist sprichwörtlich. Auch "Mein Lieblingstier heißt Winter" lebt von seinem Hang zum Morbiden. Schmalz kontert das abgründig Düstere mit beißendem Witz, clownartigen Zusammenstößen und zuweilen etwas verkrampft wirkendem Slapstick. Alles dargeboten in einer Sprache, die sich in Relativsätzen windet, mit vielen Konjunktiven prahlt, Satzumstellungen zum Prinzip erhebt und zuweilen in schön derbe Härte mündet. Da ist dann etwa von der "Sonne, der gelben Sau" die Rede. Personen und Subjekte nennt der Erzähler zuerst mit dem Pronomen, dann mit Namen, nach dem Muster: "Er, der Hans". Das ergibt einen altmodisch, österreichisch tönenden Singsang. Der Schmalz-Sound passt gut zum volksstückhaften Charakter des Romans.

Hochsommerliche Winterreise

Der müde Kriminalfall indes, aufgepeppt mit ein bisschen Splatter, kämpft mit den Langweiligkeiten des Genres und gemahnt nicht einmal an die Kriminalromane von Wolf Haas. Die Ermittlung dient bei Schmalz nur als Vehikel für eine Geschichte vom Leben und Sterben. Und die Österreich-Bezüge hören nicht auf. Beim Stichwort Hundstage muss man "sofortest", wie es im Roman heißen würde, an den gleichnamigen bösen Film von Ulrich Seidl denken. Das Personal ist ähnlich abgefahren wie bei Schmalz, doch der blickt viel gütiger und gutmütiger auf seine Figuren. Schwitzen tun sie hier wie dort. Bei Ferdinand Schmalz heißt es:
"Am Rand der Stadt. Halbwildnis, die er wieder mal durchstreift. Brachland, durchzogen von vereinzelt hingestreuten Siedlungen. Reihenhäuser wie Gefängnisblocks. Dahinter sterile Vorgärten, in denen Plastikkinderrutschen erodieren. Dann wieder Schrottplätze und Autobahnverteiler. Dickflüssig liegt die Luft hier in den Straßen, die müde von dem Tag. Die Reifen schmatzen am glühenden Asphalt, der flimmernd sich schon aufzulösen scheint. Als würde er, der flüssige Asphalt, am Ende dieser Straße Wellen in die Luft schon schlagen. So gräbt sich Schlicht nun seinen Weg, schiebt sich durch das Gallert der Hitzewelle, die andauert, schonungslos, kein Ende kennt. Und bringt doch surrend er auch ein Versprechen mit, auf Abkühlung in dieser Stadtsteppe. Es sind die Hundstage nun mal die umsatzstärksten nach der Weihnachtszeit."

Unheimliches im Eigenheim

Der heißen Jahreszeit begegnet der Roman mit einem Eisverkäufer als Hauptfigur, und so wie hier Hitze auf Kälte prallt, tun es immer wieder Innenwelten auf äußere Umstände. Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt hat Peter Handke einst beschworen, und auch Schmalz interessiert sich sehr für diese beiden Sphären und ihre Reibungsverluste. Implantat trifft bei ihm auf Wurzelfüllung, Außenblicke auf Kellereinsichten, der Schmutz draußen auf den Schmerz drinnen, die außerweltliche Erfahrung auf die Intervention. Das Spiel mit dem Unheimlichen im Eigenheim, dem Geheimnisvollen in den unergründlichen Behausungen der anderen denkt österreichische Sensationsmorde und Entführungen mit, Josef Fritzl, Natascha Kampusch. Nicht offensichtlich, aber subkutan. Horváth, dessen Werk sich Schmalz verbunden fühlt, spricht in der Gebrauchsanweisung für seine Stücke davon, dass sie nur komisch würden, weil sie unheimlich seien. Dasselbe trifft auch hier zu.
In seiner Skurrilität und seinem Aberwitz, seinen emblematischen Settings hat die Machart des Romans viel weniger mit den Filmen des besagten Ulrich Seidl zu tun als mit denen von Roy Andersson: grotesk, absurd, überhöht. Einmal heißt es im Buch: "Das Anormale ist in einer Welt, die Tag für Tag genormter wird, ist kostbar, eine Rarität." Dieser Satz birgt den Kern der Poetik von Ferdinand Schmalz, dessen Werk vor Anormalität strotzt.
Der mitschwingende Existenzschmerz kündet immer vom Tod. Der steht uns bekanntlich allen ins Haus. Kurt Tucholsky alias Kaspar Hauser nannte ihn in seinem Gedicht "Befürchtung" "die wahrste aller Demokratien". Sein lyrisches Ich fürchtet, nicht sterben zu können, weil es nicht wisse, wie sterben gehe. Das weiß auch Doktor Schauer nicht und versucht trotzdem, seinen Tod zu planen.

Zum Leiselesen zu schade

"Es sei wohl auch diejenige Eigenschaft, die ihn, den Menschen, am entschiedensten da vom Getier absondere. Das Tier wird sich des Todes erst bewusst im Todesschrei, während der Mensch in seinem ganzen kulturellen Dasein von diesem einen finstren Fluchtpunkt aus bestimmt sei. Freilich gebe es auch Ausnahmen wie Rabenvögel, die zum Sterben ihre ausgewählten Plätze suchen. Aber das volle Bewusstsein über die eigene Sterblichkeit erlange nur der Mensch. Und könnte er sich vorstellen, dass er, der Schauer, auch gewisse Vorkehrung getroffen, um sich da auf den Übergang, der ihm nun mal bevorstehe, bestmöglich sich drauf vorzubereiten. Es ließe sich der Tod bekanntermaßen ja nicht proben, aber man könne sich im Leben schon eine gewisse innere Gestimmtheit da zum Tode hin aneignen, die einem diesen Übergang erleichtern würd."
Dem Thema entsprechend wimmelt es in diesem Roman vor Todesmetaphern, biblischen Auferstehungen, sagenhaften Todesvisionen und volksliedhaften Untergangsmythen. Zum Showdown bittet Schmalz in den Vergnügungspark, wo Schlicht im Schlund eines Sauriers verschwindet wie Jonas im Wal, was nicht das Ende ist. Die erzählte Geschichte gleicht einer Räuberpistole, die allein des sprachlichen Zugriffs wegen überzeugt. Ja, recht eigentlich ist das Buch zum Leiselesen viel zu schade.
Das Motto "Hier war offenbar jeder und alles unschuldig an dem Fehlen von allem", borgt sich Schmalz von Ingeborg Bachmann und ihrem unvollendet gebliebenen Roman "Der Fall Franza" aus ihrem Zyklus "Todesarten". Todessehnsucht und Todesangst grundieren auch seinen immer wieder verblüffend komischen Roman, der sich der österreichischen Literatur ebenso gewiss ist wie der Wiener Gegenwart. Der Politiker Kerninger sammelt Naziweihnachtsschmuck, eine Leidenschaft, die auch der Wirklichkeit eingefallen sein könnte. Dass die Literatur nicht Schritt hält mit der Übergeschnapptheit der Weltläufte, muss Schmalz nicht aussprechen, um es zu sagen.

Die Kunst des Sterbens

Seine Hauptfigur Franz Schlicht begnügt sich nicht mit seiner vorgegebenen Rolle, sondern macht sich nach Art der Postmoderne beziehungsweise Postdramatik selbständig und verschafft sich Gehör, in dem er etwa Feuerwerker Fabian zurechtweist:
"Und herrscht er übelst ihn, den Fabian, jetzt an, ob er zu viele von den Kriminalgeschichten gelesen habe, die seine Mutter ihm immer wieder kaufe. Dass er, Franz Schlicht, keine Figur und niemandes Ermittler. Er wolle sich in keine Rolle reintheatern und in keine größere Erzählung betten lassen. Ihm seien Erzählungen, ob große oder kleine, seien ihm suspekt. Er habe keine Lust auf irgend so ein herphantasiertes Abenteuer. Und wenn er hier nicht mehr sein Feierabendbier mit ihm, dem Fabian, trinken könnt, ohne in irgendwelche Geschichten reingezogen zu werden, dann komme er halt nicht mehr her. So einfach sei das nämlich. Dann könne er, der Fabian, zu Hause bleiben, um sich von seiner Mutter aus ihren Detektivromanen etwas vorlesen zu lassen."
Da hat er gut reden, der Franz Schlicht, aber keine Chance gegen seinen Erfinder Ferdinand Schmalz, der ihn zur Figur und zum Ermittler macht, ihn in eine Rolle hineintheatert und in eine größere Erzählung bettet. Die größere Erzählung zielt in diesem Falle auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, die auch immer eine nach dem Sinn des Todes ist.

"Bewusstsein ist Pistazieneis"

"Mein Lieblingstier heißt Winter" erzählt von der Kunst des Sterbens und des Tötens. Schmalz packt die großen Fragen am Schlafittchen und stellt sie in einen kosmisch komischen Zusammenhang. Wie in seinen Theaterstücken spielt auch in seinem Debütroman das Essen eine zentrale Rolle. Keine Überraschung bei einem Autor, der für seinen Künstlernamen zum Schmalz gegriffen hat. Eines seiner Stücke heißt dazu passend "Am Beispiel der Butter", ein anderes "Dosenfleisch". Seine Hauptfigur im Roman bringt das Essen an die Haustür, der Ministerialrat tunkt mit Vorliebe Butterkipfel in seinen Milchkaffee, "Bewusstsein ist Pistazieneis", und alle Welt trifft sich im Gasthaus:
"Man verstehe sich hier eben noch aufs Rindsgulasch, hat er zum Poldi schon vor ein paar Jahren mal gesagt, nachdem ihm dieser anvertraut, dass sie es hier, das Rindsgulasch, noch nach der alten Art, wie es der Großvater auch schon gemacht. Nämlich, dass man, wenn er, der Kessel, schon fast leer, wenn nur mehr knapp eine Portion sich da am Boden von dem Kessel befinde, dass man dann nicht den Kessel ausleere und gar wasche, wie es andre Wirte tun, nein, das neue Rindsgulasch, dann in den Resten von dem alten. In den Überbleibseln da im Kessel gare man dann all die frischen Zutaten. Aber die Basis bleibe immer bestehen. Man schneide nur dazu hinein, was es so braucht, um dieses Rindsgulasch wieder komplett zu machen, weil doch da in den Resten noch so viel Geschmack, den man doch nicht verschwenden dürfe. Und trete so das alte Gulasch mit dem neuen in einen Dialog, am Ende dieser Gulaschdialektik stehe ein Synergieeffekt, der die Geschmacksknospen da auf den Zungen seiner Stammgäste dann auf das angenehmste stimuliere."
Gulasch als Sinnbild für den braunen Bodensatz der österreichischen Gesellschaft und für das Leben als unerschöpfliches Konglomerat. Besagtes Rezept benennt auch das Verfahren des Romanautors Ferdinand Schmalz, sich hier und da zu bedienen, um sein eigenen Süppchen zu kochen. Nach der Lektüre seines Sprachkunstwerks fühlt man sich ebenfalls angenehm stimuliert. Nach knapp 200 Seiten ist es trotzdem genug.
Ferdinand Schmalz: "Mein Lieblingstier heißt Winter"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 189 Seiten, 22 Euro.