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Ferkelkastration
Schlachtunternehmen blockieren Regelungen für mehr Tierwohl

Ab dem 1. Januar 2021 dürfen Ferkel in Deutschland nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Bei den alternativen Methoden gibt es allerdings keine Einigkeit - und vor allem die Schlachtunternehmen sträuben sich offenbar, die Methoden zu akzeptieren, die besonders tierwohlgerecht sind.

Von Annette Eversberg | 25.06.2020
Ein Züchter hält ein Ferkel in der Hand, was in die Kamera schaut.
Ab 2021 dürfen Landwirte ihre Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastrieren (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
Nach dem Willen der Bundesregierung soll Ende des Jahres mit der betäubungslosen Kastration von Ferkeln endgültig Schluss sein, betont Hans-Joachim Fuchtel, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
"Wir haben ja die Situation, dass es fünf Jahre Vorlauf gab. Jetzt wurden noch einmal zwei Jahre dazugegeben. Aber jetzt ist es tatsächlich die Zeit, dass die Umsetzung stattfindet, und zwar unverrückbar, mit Beginn des nächsten Jahres."
Auch die Schweinehalter wollen am Stichtag 1.1.2021 festhalten. Matthias Quaing, Marktexperte der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands ISN.
"Aus Sicht der Schweinehalter stehen wir ganz klar hinter diesem Datum. Wir werden jetzt nicht wieder Diskussionen anstoßen, um eine Verlängerung zu erreichen."
Zwei Hände halten ein Ferkel zur Kastration in eine Narkoseanlage in seinem Zuchtbetrieb.

Betäubt wird das Ferkel mit Isofluran. Verunsicherte Schweinebauern und Vertreter des Handels haben sich mit der niedersächsischen Agrarministerin zu einem Krisengespräch getroffen. Foto: Holger Hollemann/dpa | Verwendung weltweit
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Tierfreundliche Alternativmethoden zur Kastration ohne Betäubung
Das Fleisch männlicher Mastschweine kann unangenehm riechen und schmecken. Deshalb werden männliche Ferkel bisher kastriert, ohne Betäubung. Das soll in Zukunft nicht mehr erlaubt sein. Es gibt zwei Verfahren, den unerwünschten Ebergeruch ohne Kastration zu verhindern.
Das eine ist die Mast von Ebern mit einer DNA-Variante, die keine Beeinträchtigung von Fleischgeruch und –geschmack hervorruft. Das zweite Verfahren heißt zwar Immunokastration. Aber die Tiere werden lediglich zweimal gegen unerwünschten Ebergeruch geimpft.
Nur beim dritten Verfahren werden Ferkel durch Entfernen der Hoden kastriert. Zur Betäubung wird dabei ein Narkosemittel verwendet, das Isofluran.
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Wirtschaft und Produzent müssen zusammenfinden
Doch auch nach dem vierten Runden Tisch zur Ferkelkastration im Rahmen einer Videokonferenz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ziehen Landwirte, Fleischwirtschaft und Handel nicht an einem Strang. Es wird vielmehr deutlich, dass einige Schlachtunternehmen dabei sind, die Regelungen für mehr Tierwohl durch die Hintertür zu blockieren. Beim jüngsten Runden Tisch versuchte die Bundesregierung, an die Fleischwirtschaft zu appellieren. Hans-Joachim Fuchtel:
"Wir haben da noch einmal sehr deutlich gemacht, dass wir natürlich möchten, dass hier ein Prozess stattfindet in allen Fragen, die da zu klären sind. Insbesondere der Preisfindung, die für die einzelnen Beteiligten machbar ist, und insoweit muss natürlich die Wirtschaft, muss der Produzent zusammenfinden und dann die Einzelheiten klären."
Eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Branchenvereinbarung aller an der Produktion und Vermarktung von Schweinen Beteiligten mahnt auch Mandes Verhaagh vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft an.
Stattdessen senken einzelne Schlachtunternehmen, allen voran Müller-Fleisch aus Baden-Württemberg, bewusst die Preise für Schweine, die nicht chirurgisch kastriert wurden, bemängelt auch Landwirt Georg Freisfeld vom Erzeugerring Westfalen. Dies sei alles andere als tierschutzgerecht, betont Dr. Kirsten Tackmann, Tierärztin und Abgeordnete der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag.
"Sie sagen ja unterdessen nicht mehr, wir nehmen sie gar nicht mehr an, aber nicht mehr so offen, sondern sie machen es über den Preis. Und das geht natürlich nicht. Wenn die beiden Methoden, die am ehesten dem gerecht werden, was das Staatsziel Tierwohl sagt, dass die dann ökonomisch ausgegrenzt werden, dann geht es natürlich komplett in die falsche Richtung."
Wissenschaftliche Analysen des Friedrich-Löffler-Instituts und des Thünen-Instituts sind eindeutig: Insbesondere die Ebermast und die Impfung der Schweine, um Ebergeruch zu verhindern, sind besonders tiergerechte Alternativen. Für den Landwirt ist die Impfung der Tiere gegen Ebergeruch, die Immunokastration, zudem die wirtschaftlichste Methode. Für Marktexperte Matthias Quiang hat die Blockade aus der Fleischwirtschaft ein klares Ziel.
"Wir haben schon das Gefühl, dass Landwirte gerade von der Fleischindustrie in die Richtung Kastration unter Betäubung gedrängt werden."
Dr. Heinz Schweer von Vion Deutschland hat schon gegenüber der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung erklärt, man bevorzuge betäubt kastrierte Eber.
Handel könnte viel mehr für das Tierwohl tun
Die Schweinehalter sehen auch den Handel in der Pflicht. Aldi Nord bestätigt zwar auf Anfrage, dass man wie bereits seit 2017 auch künftig Schweinefrischfleisch von nicht-kastrierten Schweinen berücksichtigen wolle. Aber – so Matthias Quiang- der Handel könne mehr für das Tierwohl tun.
"Gerade der Handel müsste sich eigentlich dazu bekennen, in ihre Einkaufsbedingungen reinzuschreiben, was sie denn genau haben wollen. Wenn sie die Immunokastration fördern wollen, dann müsste man dieses Fleisch mal konkret nachfragen."