Michael Köhler: Es ist so was wie die theatralische Übersetzung der Integrationsdebatten, um die es jetzt geht. Das vor drei Jahren erst gegründete Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg liefert im Hinterhof buchstäblich die nötigen Bemerkungen dazu und nennt das postmigrantisches Theater. Und die Mitwirkenden, die antworten dann gerne auf die Frage, wo sie herkommen: "von hier, aus Kreuzberg, nicht aus Antalya. "Pauschalreise – Die 1. Generation" heißt das Stück, das gestern uraufgeführt wurde, "Ein fiktiver Text für reale Menschen". – Frage an den Kollegen Hartmut Krug: Was ist das, ein Stück über die sogenannte Anwerber-Generation, oder gerade nicht, ein Stück über den besseren Ort, die alte, die neue, die falsche, die richtige Heimat? Klären Sie uns auf.
Hartmut Krug: Ja, über all das, was Sie gesagt haben. Es ist das dritte Stück aus einer Reihe. Es hat begonnen mit dem "Klassentreffen – Die 2. Generation". Das waren dann die erfolgreichen türkisch abstämmigen Deutschen, die als Abgeordneter, Taxiunternehmer, Musikproduzent oder Polizeikommissarin aus ihrem Leben erzählten, also authentisches Theater. Es gab dann "Ferienlager – Die 3. Generation". Das waren Jugendliche, die aus ihrem Jugendlichen-Leben spielten. Und das ist jetzt etwas ganz Neues. Das ist nämlich von dem Autor Hakan Savas Mican geschrieben, und er montiert sozusagen die verschiedenen Generationen zueinander. Er lässt in verschiedenen Szenen die erste Generation erzählen und die dritte Generation fragen oder umgekehrt, und dadurch ergeben sich wunderbare Brüche und Gegensätze. Wenn zum Beispiel in der ersten Szene eine Enkelin von ihrem Großvater all die Klischees und Wünsche und Ideen von der Türkei, türkischem Essen, türkischer Identität, bestätigt haben will und der Großvater aber etwas ganz anderes sagt, der sagt, die Städte fressen dich auf und was hatte ich hier zu tun: Essen, arbeiten, schlafen. Also eine Haltung, wie er dort in Deutschland zustande gekommen und zurande gekommen ist.
Köhler: Das Festival heißt "Almanci – 50 Jahre Scheinehe", bringt solche Konflikte von fremder Heimat zum Ausdruck. Hören wir mal die Stimme einer Darstellerin.
"Ich trage meine Armut, wenn ich auf die Straße gehe. Einen seltsamen Stoff hat diese Armut. Gegen schlechte Laune bist du gut geschützt und beim Regen hast du Pech."
Köhler: Die Armut als Stoff, als zweite Haut. Das klingt recht poethisch für reale Probleme. Ist das, Hartmut Krug, ein gelungenes Stück, oder ist das ein Sachtext, ist das Recherche-Theater?
Krug: Das ist auf keinen Fall Recherche-Theater, im Gegensatz zu den anderen beiden, die ich genannt habe, sondern es ist ein oftmals sehr poethisierender Text von dem Autor Mican, der allerdings sehr deutlich versucht, Sachprobleme zu benennen. Und wenn er zum Beispiel eine Szene – all das, was übrigens dort gespielt wird, spielt im Himmel, also in einer irrealen Welt -, wenn Memet, ein Sohn, gleich drei Mütter hat, die ihn alle zurück in die Türkei geschickt haben, und jetzt in einem sehr witzigen Gespräch von drei Müttern mit ihrem einen Sohn herauskommt, warum es diesem Sohn nicht gut ging, während die Mütter in Deutschland sehr viel Geld verdienten für Haus und Auto und Ähnliches, dann ist das einerseits von der Realität beeinflusst, ist abgenommen von der Realität, wird aber immer wieder in etwas sehr poethisch Überhöhtes, auch in eine sehr poethische Sprache gebracht, und durch die Inszenierung von Lukas Langhoff, der das sehr scharf, sehr klar ausstellt, kriegt das auch eine Kraft, die ganz fern von Mitleids- oder Authentitätstheater ist, sondern die wirklich eine kraftvolle Inszenierung ist.
Und was ich sagen muss, das Erstaunlichste dabei ist: All diese Inszenierungen sind von der Akademie der Autodidakten bestückt. Das ist eine Institution im Ballhaus Naunynstraße, wo bekannte Regisseure und Künstler mit Autodidakten in Workshops zusammenführen, ein Versuch, auch türkische Leute mit ihren Wurzeln in Deutschland eben auch an die Kunstproduktion heranzuführen. Und wie wunderbar das funktioniert, hat man an dieser Produktion gesehen, wo man überhaupt nicht merkte, dass das Laien waren.
Köhler: Hartmut Krug war das. Herzlichen Dank für diesen Bericht von "Pauschalreise – Die 1. Generation", Ballhaus Naunynstraße.
Hartmut Krug: Ja, über all das, was Sie gesagt haben. Es ist das dritte Stück aus einer Reihe. Es hat begonnen mit dem "Klassentreffen – Die 2. Generation". Das waren dann die erfolgreichen türkisch abstämmigen Deutschen, die als Abgeordneter, Taxiunternehmer, Musikproduzent oder Polizeikommissarin aus ihrem Leben erzählten, also authentisches Theater. Es gab dann "Ferienlager – Die 3. Generation". Das waren Jugendliche, die aus ihrem Jugendlichen-Leben spielten. Und das ist jetzt etwas ganz Neues. Das ist nämlich von dem Autor Hakan Savas Mican geschrieben, und er montiert sozusagen die verschiedenen Generationen zueinander. Er lässt in verschiedenen Szenen die erste Generation erzählen und die dritte Generation fragen oder umgekehrt, und dadurch ergeben sich wunderbare Brüche und Gegensätze. Wenn zum Beispiel in der ersten Szene eine Enkelin von ihrem Großvater all die Klischees und Wünsche und Ideen von der Türkei, türkischem Essen, türkischer Identität, bestätigt haben will und der Großvater aber etwas ganz anderes sagt, der sagt, die Städte fressen dich auf und was hatte ich hier zu tun: Essen, arbeiten, schlafen. Also eine Haltung, wie er dort in Deutschland zustande gekommen und zurande gekommen ist.
Köhler: Das Festival heißt "Almanci – 50 Jahre Scheinehe", bringt solche Konflikte von fremder Heimat zum Ausdruck. Hören wir mal die Stimme einer Darstellerin.
"Ich trage meine Armut, wenn ich auf die Straße gehe. Einen seltsamen Stoff hat diese Armut. Gegen schlechte Laune bist du gut geschützt und beim Regen hast du Pech."
Köhler: Die Armut als Stoff, als zweite Haut. Das klingt recht poethisch für reale Probleme. Ist das, Hartmut Krug, ein gelungenes Stück, oder ist das ein Sachtext, ist das Recherche-Theater?
Krug: Das ist auf keinen Fall Recherche-Theater, im Gegensatz zu den anderen beiden, die ich genannt habe, sondern es ist ein oftmals sehr poethisierender Text von dem Autor Mican, der allerdings sehr deutlich versucht, Sachprobleme zu benennen. Und wenn er zum Beispiel eine Szene – all das, was übrigens dort gespielt wird, spielt im Himmel, also in einer irrealen Welt -, wenn Memet, ein Sohn, gleich drei Mütter hat, die ihn alle zurück in die Türkei geschickt haben, und jetzt in einem sehr witzigen Gespräch von drei Müttern mit ihrem einen Sohn herauskommt, warum es diesem Sohn nicht gut ging, während die Mütter in Deutschland sehr viel Geld verdienten für Haus und Auto und Ähnliches, dann ist das einerseits von der Realität beeinflusst, ist abgenommen von der Realität, wird aber immer wieder in etwas sehr poethisch Überhöhtes, auch in eine sehr poethische Sprache gebracht, und durch die Inszenierung von Lukas Langhoff, der das sehr scharf, sehr klar ausstellt, kriegt das auch eine Kraft, die ganz fern von Mitleids- oder Authentitätstheater ist, sondern die wirklich eine kraftvolle Inszenierung ist.
Und was ich sagen muss, das Erstaunlichste dabei ist: All diese Inszenierungen sind von der Akademie der Autodidakten bestückt. Das ist eine Institution im Ballhaus Naunynstraße, wo bekannte Regisseure und Künstler mit Autodidakten in Workshops zusammenführen, ein Versuch, auch türkische Leute mit ihren Wurzeln in Deutschland eben auch an die Kunstproduktion heranzuführen. Und wie wunderbar das funktioniert, hat man an dieser Produktion gesehen, wo man überhaupt nicht merkte, dass das Laien waren.
Köhler: Hartmut Krug war das. Herzlichen Dank für diesen Bericht von "Pauschalreise – Die 1. Generation", Ballhaus Naunynstraße.