Archiv


Ferrero-Waldner plant Aufbau einer europäischen Kriseneinheit

Volker Wagener: Die Dimensionen der Zerstörung werden erst in Wochen endgültig feststehen. Auf die Soforthilfe in den am stärksten betroffenen Ländern der Flutkatastrophe hat diese Bilanz allerdings keine Auswirkungen. Fest steht: Indonesien, Indien, Sri Lanka, Thailand, sie alle brauchen Unterstützung der großen Industrienationen jetzt und für die nächsten Jahre, denn die Infrastruktur ist so gründlich zerstört, dass Teile einer ganzen Großregion neu aufgebaut werden müssen. Eine Aufgabe auch für die Europäische Union. Am Telefon begrüße ich Frau Doktor Benita Ferrero-Waldner, erst vor zwei Monaten ins Amt der EU-Kommissarin für Außenbeziehung berufen. Frau Ferrero-Waldner, ist die EU in der Lage wirkungsvoll Soforthilfe zu leisten?

Moderation: Volker Wagener |
    Benita Ferrero-Waldner: Die EU hat von Anfang an Soforthilfe geleistet. Und zwar zuerst humanitäre Hilfe, das war mein Kollege Louis Michel, der am selben Abend des 26.12.04 noch begonnen hat, Hilfe bereit zu stellen, die natürlich inzwischen auf 23 Millionen angewachsen ist. Aber jetzt wird der Moment kommen, wo selbstverständlich Wiederaufbauhilfe geleistet werden muss, und dafür bin ich zuständig. Wir haben ja Programme für Asien laufen, die sich pro Jahr ungefähr auf 650 Millionen Euro belaufen. Ich habe bereits meine Dienste angewiesen zu sehen, welches Geld zum Teil umgeleitet werden kann von normalen Programmen und welches zusätzliche Geld wir finden können, damit wir umgehend den Wiederaufbau beginnen können.

    Wagener: Das klingt als sei die EU sozusagen in der aller ersten Reihe der Helfer. Nun hört man aber auch, dass die UNO eigentlich die Federführung übernehmen soll. Wie stellen Sie sich das vor? Soll die EU da parallel mitarbeiten oder geht sie so unter das Dach der Vereinten Nationen?

    Ferrero-Waldner: Ich glaube sicher, dass die UNO hier eine ausgezeichnete und wichtige Rolle gespielt hat. Die Frage wird nun sein, wie die gesamte Hilfe koordiniert wird. Das wird man sehen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Es gibt entweder die Möglichkeit, dass die Europäische Union, und davon natürlich ein großer Teil seitens der Kommission, in einen UN-Fonds hineinzahlt. Es gibt aber auch die Möglichkeiten, dass sozusagen visibel, sichtbar, die Europäische Union ihre eigene Hilfe leistet und das wird auf die Gesamthilfe der UNO angerechnet.

    Wagener: Gibt es denn eigentlich in diesen Tagen schon konkrete Wünsche aus den Krisenländern, was man konkret von der Europäischen Union erwartet?

    Ferrero-Waldner: Inzwischen gibt es bereits erste konkrete Wünsche, das ist richtig. Die sind bereits auch bei mir angelangt und, wie gesagt, meine Dienste arbeiten bereits daran, was wir an Hilfe leisten können. Es wird am 7. Januar bereits eine Konferenz der Entwicklungsminister geben, wo ich auch selber teilnehmen werde. Dann am 11. Januar, also sehr bald, eine Geberkonferenz, die unter der Leitung der UNO stehen wird, wo ich bereits vorhabe, erste Beträge seitens der Europäischen Kommission zu pledgen.

    Aber ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Ganz abgesehen von der Wiederaufbauhilfe, die absolut notwendig ist, wo wir uns zuerst einmal natürlich den Trinkwasserversorgungen, vor allem der Wiederaufbauhilfe für Häuser widmen müssen, ist es wichtig zu sehen, dass wir in Zukunft eine europäische Krisenkapazität aufbauen. Ähnlich wie es auf der einen Seite die Battlegroups gibt, so glaube ich, dass wir zivile Krisenmanagementgruppen, ein ziviles Krisenmanagementkorps haben müssen. Dieses habe ich bereits angedacht und ich möchte mit meinen Kollegen, den verschiedenen Kommissaren, sei es Louis Michel auf der einen Seite, sei es Dimas Stavros auf der anderen Seite, aber auch mit Javier Solana gemeinsam diese Überlegungen in eine konkrete Aktion umleiten. Ich denke, es müssten circa 5000 zivile Personen vorhanden sein, die ganz schnell, sozusagen stand by, von den einzelnen Ländern abrufbar wären, so ähnlich wie wir das eigentlich mit den Battlegroups vorhaben. Das könnte, wenn es klappt, bis 2007 auch wirklich einsatzfähig sein.

    Wagener: Das heißt, das Problem ist: Sie haben sozusagen eine Situation wie wir sie jetzt im südasiatischen Raum vorfinden, für die EU als Krisenszenario schon im Hinterkopf gehabt, aber nun haben wir die Realität, und die EU ist noch nicht so weit?

    Ferrero-Waldner: Sie haben Recht, aber nicht in diesem Ausmaß. Es hat natürlich die Präsidentschaft koordiniert, es haben auch unsere Delegationen, das sind sozusagen die Botschaften der Kommission, sehr viel an Koordinationsarbeit vor Ort gemacht. Aber viel ist auch noch direkt von den Mitgliedstaaten gemacht worden, und gerade in Deutschland ist ja hier enorm viel passiert. Aber auch in dem Land, das ich am besten kenne, Österreich, hat man viel gemacht. Es sind ja leider so viele Touristen auch neben den Einheimischen betroffen.

    Ich denke, hier sollten wir auch in der Zukunft, wenn wir an den diplomatischen auswärtigen Dienst denken, der in der Union aufgebaut werden soll, der ja vor allem von Solana auf der einen Seite und von mir auf der anderen Seite mitaufgebaut werden wird, sollten wir auch eine konsularische Kapazität miteinplanen, die sozusagen gemeinsam hier Hilfe leisten kann. Wenn das noch nicht mit allen Staaten geht, dann könnte man hier an eine so genannte verstärkte Zusammenarbeit denken, also ähnlich wie beim Schengen-System, dass sich die Staaten beteiligen, die etwas für sinnvoll halten. Ich glaube, das sind Dinge, die jetzt durch diese Katastrophe ausgelöst wurden, die ja wirklich in der Geschichte einmalig ist und die seit dem zweiten Weltkrieg so viele Menschenleben gefordert hat wie nie zu vor, die sollten wir beginnen anzudenken.

    Wagener: Was halten Sie denn von dem Patenschaftsmodell des Bundeskanzlers? Der hatte ja angeregt, dass Staaten Staaten, Städte Städten und Dörfer Dörfern helfen sollten. Ist das eine Form der konkreteren Hilfe? Auch eine Form, die schnellere Hilfe vielleicht garantieren könnte?

    Ferrero-Waldner: Ich halte es für eine sehr gute Idee. Ich sage Ihnen auch, ich war früher auch Außen- und Entwicklungsministerin meines Landes Österreich, und wir hatten dabei hin und wieder so kleine Städtepartnerschaften. Ich erinnere mich: Leipniz, ein kleiner Ort in Österreich mit Pedra Padejo in Kap Verde. Das hat enorm gut funktioniert. Die Menschen vor Ort haben sich wirklich total solidarisch gefühlt mit den Menschen in Kap Verde. Daher glaube ich, ist das ein gutes Modell, um noch mehr solidarische Hilfe zu leisten und sich wirklich in diesem globalen Dorf, das wir heute sind, mit den Mitmenschen solidarisch zu fühlen.

    Wagener: Frühere Erfahrungen in Krisenregionen haben uns allerdings auch gezeigt, dass oftmals das Geld, das bewilligt worden ist, nicht da ankommt, wo es eigentlich hinbestimmt war. Was haben Sie für Vorstellungen, wie die Europäische Union mit den nationalen Regierungen denn in den betroffenen Gebieten zusammenarbeiten sollte? Gibt es da sozusagen auch Sicherheitsmechanismen, um Missbrauch zu verhindern?

    Ferrero-Waldner: Wenn es unter unserer Flagge bleibt, unter europäischer Flagge, dann haben wir selbstverständlich dieselben Kontrollmechanismen, die wir auch anwenden für die normalen Programme. Wenn ich jetzt zum Beispiel an ein Erziehungsprogramm denke oder an das Programm des Aufbaus eines Spitals, hier haben wir ganz genaue Kontrollmechanismen eingebaut, denn nur so funktioniert es. Wir werden ja ganz genau vom Europäischen Parlament kontrolliert. Daher denke ich, dass dieses Modell auch gut anwendbar wäre, für jetzt größere Wiederaufbauhilfe. Das ist mir sehr, sehr wichtig.

    Wagener: Wir haben es hier mit einer Katastrophe zu tun, die auch finanziell alle Vorstellungskräfte sprengt. Nun gibt es da bei dem einen oder anderen sicherlich auch die Idee, vielleicht neue Töpfe zu erschließen. Wie wäre es denn zum Beispiel damit, dass die Neumitglieder Osteuropas vielleicht ihre erwarteten oder in Aussicht gestellten Gelder ein bisschen gestreckt bekommen, sodass man zusätzliche Mittel hat? Ist das etwas, über das man reden könnte?

    Ferrero-Waldner: Ich denke, wir müssen jedenfalls alle Möglichkeiten andenken. Aus meiner Sicht wäre es auch gut, dass wir ab dem Jahre 2007, denn es wird ja auch sehr viel mittelfristig aufzubauen sein, auch ein Stabilitätsinstrument im Rahmen der Finanzinstrumente haben, das mehr Flexibilität beinhaltet. Jetzt ist es so, dass alles vorprogrammiert ist, das Geld geht also in vorprogrammierte Bahnen. Aber für die Zukunft müssen wir, denke ich, ein Finanzinstrument haben, das uns die Möglichkeit schafft, wenn es eine solche Situation gibt, dann auch wirklich schnell und umgehend Hilfe zu leisten und auch daran sind wir bereits. Es gibt diesen Vorschlag der Kommission in den neuen Finanzperspektiven, und ich hoffe, dass die Mitgliedsstaaten gerade unter dem Eindruck auch dieser Katastrophe uns hier zustimmen werden. Ich halte das für einen wirklich guten Vorschlag, der notwendig ist, um schnell und auch wirksam zu helfen.

    Wagener: Das war die EU-Kommissarin für Außenbeziehungen, Benita Ferrero-Waldner, vielen Dank für das Gespräch.