
Das ist der Sound, den die Welt mit japanischer Popmusik assoziiert: Kleine Mädchen in Schuluniformen und strahlende Boybands, die fröhliche Songs über Abenteuer in der Shopping Mall trällern. Oder sich in Anime- und Manga-Welten bewegen und die perfekte Realitätsflucht bieten – eben das Eintauchen in eine schrille, bunte Fantasie-Welt. Wobei die meist minderjährigen Künstler nichts anderes als durchgestylte Marionetten der Musikindustrie sind und als "Idols", als reine Projektionsfläche fungieren. Wie Moa Kikuchi von der Band Babymetal zugibt.
"Japanische Idols singen süße, brave Lieder und tragen dazu hübsche, oft pinkfarbene Kleidung."
Mit süß und nett hat die 14-Jährige, die unter dem Künstlernamen "Moametal" auftritt, nichts am Hut. Nach einer halben Dekade in diversen Girlbands ist sie schon ein alter Hase im japanischen Musikgeschäft. Und wenn sie nicht gerade zur Schule geht, ist sie ein Drittel von Babymetal. Das neueste Produkt von Produzent Key Kobayashi, das traditionellen J-Pop mit westlichem Heavy Metal kombiniert, und nicht nur in Fernost, sondern auch in Europa für Furore sorgt. Einfach, weil das Konzept so absurd und so unterhaltsam ist, dass man sich ihm kaum entziehen kann. Und weil es für einen Trend steht, der gerade in der japanischen Rockmusik immer deutlicher wird, wie Aiji Oda von der "Japan Night" bestätigt.
"Als Japaner sind wir sehr gut darin, andere Kulturen in uns aufzusaugen, Sachen zu übernehmen und in unsere eigene Ausdrucksweise einfließen zu lassen. Etwa visuell, also Image-mäßig, wie wir uns kleiden, wie wir uns benehmen, wie wir sprechen. Das ist sehr von anderen Ländern geprägt. Gerade von Europa und der westlichen Zivilisation. Und das macht die japanische Musik so einmalig."
Das Ergebnis dieser Öffnung gegenüber westlichen Einflüssen ist ein musikalischer Hybrid, der für unsere Ohren zwar immer noch etwas Exotisches hat, auf der Pazifik-Insel aber für modern, progressiv und weltoffen steht. Eben für das neue, coole Japan, das auch mal auf Englisch singt, sich ungewohnt provokant gibt, jede Menge Hightech einsetzt, aber nach wie vor in der heimischen Subkultur verwurzelt ist. Wie L´arc en ciel, die Rock mit der Dramatik des traditionellen Kabuki-Theaters mixen. Oder: Perfume, die J-Pop mit spacigem Techno kombinieren, das Manga-Girl Hatsune Miku, das nur als Hologramm auftritt, aber auch Man With A Mission. Eine Band, die riesige Wolfsköpfe trägt und eine skurrile Geschichte auftischt. Sänger Tokyo Tanaka:
"Wir wurden von Professor Jimi Hendrix in einem Labor kreiert – auf einer Insel, die nicht mehr existiert. Und der Grund, warum wir jetzt in einer Band spielen, ist der, dass wir in der Arktis eingefroren waren, weil wir zu viele schlimme Sachen angestellt haben, über die ich hier nicht reden darf. In der Zeit, als wir im ewigen Eis gefangen waren, konnten wir die Musik auf der ganzen Welt verfolgen, die uns wirklich bewegt hat. Also entschieden wir uns: Sollten wir je die Chance zur Flucht erhalten, werden wir etwas mit Musik machen. Und mit diesem Traum und dieser Absicht stehen wir heute hier."
Eine haarige Story, mit der die Wolfsmänner demnächst auch den Rest der Welt erobern wollen. Was das erklärte Ziel der meisten japanischen Künstler ist. Eben weil ihre Heimat zwar eine solide Existenz mit einer gesunden Musikindustrie bietet, auf Dauer aber schlichtweg zu klein wirkt. Genau das macht sich die japanische Regierung zunutze. Um für Olympia 2020 zu werben, den Tourismus anzukurbeln und von Fukushima und den Plänen zur neuerlichen Nutzung von Atomkraft abzulenken, soll die Japan Night ab 2015 in möglichst vielen westlichen Metropolen wiederholt werden. Laut Tadashi Goto vom Label "Sync Music" nichts anderes als clevere Kulturpropaganda.
"Premierminister Abe will Japan in ein neues Licht rücken und mehr Interesse an dem Land wecken. Wobei wir als Musikindustrie ihn dahingehend unterstützen, dass wir den Soundtrack dazu liefern und dafür sorgen, dass die Welt japanische Künstler kennenlernt. Wodurch das öffentliche Bewusstsein verstärkt auf die Musik gelenkt werden soll."