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Festival "Under the Radar"
Akustische Experimente statt politischer Aussage

Ungewöhnlich beliebig erscheint das Programm der 14. Ausgabe des Festivals "Under the Radar" im New Yorker Public Theatre. Wer politische Inszenierungen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Dafür sprengte Performance-Künstler Andrew Schneider die Grenzen des Theaters.

Von Andreas Robertz | 10.01.2018
    Die Skyline von New York mit dem Empire State Building
    Das Festival "Under the Radar" fand zum 14. Mal im New Yorker Public Theatre statt. (dpa / Sputnik / Ekaterina Chesnokova)
    Ein Festival, das nach eigenem Bekunden die internationale Gemeinschaft der Künstler feiern will, ist in Zeiten der politischen Abschottung schon per se politisch, schreibt der Intendant des Public Theaters in sein Programmheft. Es liege in der Natur von Künstlern Grenzen zu sprengen und so auch in der Natur des Festivals. Das klingt im Ansatz ziemlich beliebig und spiegelt sich in der Auswahl der eingeladenen Arbeiten wider: jede Menge konventionelle Soloproduktionen neben wenigen innovativen Höhepunkten. Und man hätte im Jahr nach Trump einen engagierteren, politischen Diskurs erwartet.
    Zum Beispiel die Produktion "How to be a rock critic" des amerikanischen Schauspielers Erik Jensen, der eine Nacht aus dem Leben des völlig verstrahlten Lester Bangs nachempfindet, einem in den 70er-Jahren berühmten Rockkritiker:
    "Ich würde den kollektiven 14-Jährigen da draußen die Birne wegblasen, all die im Groove ihrer Platten nach Erlösung suchen in der Hoffnung irgendeiner dieser Musik Heroes würde verstehen, was in ihren gefolterten pubertierenden Hirnen abgeht. Ich wäre der Bote, ich würde für sie schreiben."
    Drogentod eines Kritikers
    Die Bühne besteht aus dem Apartment des legendären Kritikers, der seinerzeit gegen die Allmacht der Musikindustrie wetterte, die Rolling Stones für die größten Schweine hielt, die je gelebt haben und den Begriff Punk erfand. Man mag sich an Philip Seymour Hoffmans Darstellung des Lester Bangs in dem Film "Almost Famous" aus dem Jahr 2000 erinnern. Das Stück erzählt die abgegriffene Geschichte eines Musikkritikers, der schließlich so endet wie die meisten Musiker über die er so bösartig gelästert hat – im desillusionierten Drogentod. Im Publikum Begeisterung bei Männern, die in den betreffenden Jahren groß geworden sind – der Rest bedankt sich bei einem guten Schauspieler. Die Antwort auf die Frage, warum man sich an Lester Bangs erinnern sollte, bleibt der Abend schuldig.

    Dann aber eine andere Produktion, die im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen sprengt: die Arbeit "After" des amerikanischen Performancekünstlers Andrew Schneider, die er gemeinsam mit einem Team aus Performern, Soundtechnikern und Lichtmagiern entwickelt hat. Der Abend fragt, was im Moment unseres Todes in unserem Bewusstsein passiert?
    Akustische Reisen zwischen Terror und Intimität
    Schneider verwandelt dafür das Theater in einen visuellen und akustischen Assoziationsraum, der ebenso beunruhigend wie faszinierend ist – einen Ort der unbegrenzten Möglichkeiten.
    In "After" gibt es keine Handlung oder festen Charaktere, sondern Gesprächsfetzen, Szenenmomente, verblassende Erinnerungen eines Gehirns, dessen Synapsen verglühen wie die LED Dioden, die manchmal in völliger Dunkelheit die einzige Lichtquelle sind. Auf der weißen Bühne steht ein Paar und diskutiert etwas – mal sitzen sie zusammen, mal steht ein schwarzer Container zwischen ihnen, dann ist er wieder weg. Sie lacht, er redet. Die Szenenwechsel sind so schnell, der Rhythmus zwischen Licht und Dunkelheit so abrupt, dass man oft nicht begreifen kann, wie sich die Spieler so schnell haben bewegen können. Plötzlich steht für Sekunden ein ganzer Chor auf der Bühne – dann wieder ist es, als hätte es ihn nie gegeben. Eine komplexe Geräuschlandschaft begleitet das Geschehen - von digitalem Rauschen bis hin zu monumentalem Dröhnen, das den ganzen Körper Vibrieren lässt.
    Radikale Inszenierung "After" rettet das Festivalprogramm
    Dann lässt der Regisseur das Publikum 20 Minuten im Dunkeln sitzen, während eine weibliche Stimme erklärt, was genau beim Erfrieren im Körper geschieht. Mithilfe einer neuen Tontechnik, der Wave Field Synthesis, erzeugt Schneider eine Tonquelle, die er beliebig im Raum verschieben kann. Man weiß also nie, wie weit das nächste Geräusch vom eigenen Ohr entfernt sein wird, ob ganz nah dran oder viele Stuhlreihen entfernt. Dadurch bewegt sich der 90-minütige Abend akustisch wie visuell auf unberechenbare Weise zwischen Terror und Intimität, zwischen Momenten des Verstehens und völliger Überforderung. In einem seiner wenigen Interviews erklärte Andrew Schneider schmunzelnd, er habe eine kollektive Halluzination erzeugen wollen.
    Ein solch radikaler Abend lässt einen dann doch die Mittelmäßigkeit anderer Arbeiten des Festivals vergessen.