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Festival ZeitGenuss in Karlsruhe
Anna Thorvaldsdottir - von der Natur inspiriert

Beim diesjährigen Festival ZeitGenuss stand Komponistin Anna Thorvaldsdottir im Mittelpunkt. Die Isländerin gilt zwar als Geheimtipp, hat aber das Potenzial mit ihren meditativen Klangerkundungen, auch Publikum mit weniger Neue-Musik-Erfahrung zu erreichen. Das Festival-Publikum zeigte sich begeistert.

Von Dorothee Riemer | 22.10.2018
    Anna Thorvaldsdottir bei der Verleihung des Nordischen Umweltpreises 2012
    Isländische Komponistin Anna Thorvaldsdottir (picture alliance/dpa/Lehtikuva/Heikki Saukkomaa)
    Musik: "Shades of Silence"
    Weite Klangflächen, ineinander verschmelzende Töne, einzelne Akzente – Anna Thorvaldsdottirs Musik hat einen ganz eigenen Stil, der in ihren verschiedenen Stücken immer wieder deutlich erkennbar ist. Vier Tage lang hatten die Karlsruher Gelegenheit beim ZeitGenuss-Festival Thorvaldsdottirs Musik in all ihren Facetten kennen zu lernen: Auf das Eröffnungskonzert am vergangenen Donnerstag mit Werken für größer besetzte Kammer-Ensembles folgte ein Streichquartett-Konzert und ein Abend mit Streich-Trio und Klavier. Mit einem Chor-Konzert in der Evangelischen Stadtkirche endete das Festival am Sonntagabend.
    Thorvaldsdottir spürt in der Natur nach Inspiration
    Anna Thorvaldsdottir, Jahrgang 1977, stammt aus Island. Sie studierte dort zunächst Cello bevor sie sich ganz dem Komponieren zuwandte. Ihr Kompositionsstudium setzte sie in Kalifornien fort. Dort, in den USA, und auch in Skandinavien werden ihre Werke schon seit einigen Jahren häufig aufgeführt, sie wurde mit Preisen ausgezeichnet und mit Stipendien gefördert. Auch in Deutschland tauchte Thorvaldsdottirs Name in den vergangenen Jahren regelmäßig auf: In Trier erlebte beispielsweise ihre erste Oper ihre Uraufführung. Trotzdem gilt Thorvaldsdottir hier zu Lande immer noch als Geheimtipp. Dabei haben ihre oft meditativen Klangerkundungen das Potenzial, auch Publikum mit weniger Neue-Musik-Erfahrung zu erreichen. Über ihre Inspirationsquellen sagt sie:
    "Ich strebe nie danach, die Natur zu beschreiben. Oder ich benutze auch keine Klänge aus der Natur. Aber Proportionen und Landschaften und das Fließen in der Natur, das kann sehr inspirierend sein, damit zu arbeiten. Nicht, dass ich etwas sehe in der Natur und dann will ich das schreiben, sondern da ist etwas, das ich in der Natur spüre, was die Musik braucht und dann wird es ein Effekt."
    Musik: Fields
    In Karlsruhe beim ZeitGenuss-Festival sieht man sich als Vorreiter darin, Thorvaldsdottir einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Felicia Maier, Leiterin des Fachbereichs Kunst, Musik und Wissenschaft im Kulturamt Karlsruhe und Organisatorin des Festivals, erklärt, welche Aspekte bei der Auswahl der Komponistin eine Rolle spielten.
    "Also eine jüngere Generation, eine Frau. Eine Frau, die auch ihre Musik in einem ganz anderen Kontext entwickelt hat, also eben geprägt von Skandinavien und auch sehr stark von Amerika."
    Thorvaldsdottirs kuratierte Konzerte selbst
    Das Zeitgenuss-Festival gab es in diesem Jahr zum 6. Mal. Seit es sich aus dem großen Wolfgang-Rihm-Jubiläum 2012 heraus entwickelt hat, durchlief es verschiedene Änderungen, aber inzwischen ist das Konzept klar: Die Stadt Karlsruhe und die Hochschule für Musik Karlsruhe sind die gemeinsamen Veranstalter, Musikstudierende, die Kirchenmusik aus Karlsruhe und freie Ensembles werden miteinbezogen. Neu in diesem Jahr war, dass nicht nur Anna Thorvaldsdottirs Musik in verschiedenen Konzerten präsentiert wurden, sondern dass die Komponistin diese Konzerte selbst kuratierte und somit ihre eigenen Werke in eine ganzen Bandbreite von Stücken aus dem 20. und 21. Jahrhundert einbettete.
    Thorvaldsdottir: "Ich habe nach Stücken gesucht, die sich ergänzen, aber auch nach welchen, die im Kontrast zueinander stehen, sodass wir während des Festivals verschiedene Ideen zeitgenössischer Musik erleben können. Ich habe natürlich Stücke herausgesucht, die ich selber mag und Komponisten ausgewählt, die ich bewundere und das sind zum Beispiel Takemitsu, Ligeti, Kurtág, Kaja Saariaho, also alle Komponisten, die ich wirklich mag und bewundere und noch viele andere."
    Mitgebracht hatte Anna Thorvaldsdottir nicht nur Stücke und Musik in spannenden Kombinationen, sie hatte auch ihr sozusagen "Leib- und Magen"-Ensemble eingeladen: das International Contemporary Ensemble aus New York. Eine Gruppe, die schon seit vielen Jahren Thorvaldsdottirs Musik aufführt und sehr vertraut mit ihrer Musiksprache ist.
    Musik: "Spectra"
    Eine bewusste Entscheidung: keine Uraufführung von Thovaldsdottirs
    In den anderen Konzerten des Festivals waren vor allem lokale Musiker zu hören: Studierende der Hochschule, das TEMA-Ensemble, der CoroPiccolo der Evangelischen Stadtkirche und – in diesem Jahr neu dabei – die Badische Staatskapelle, die das Orchester-Stück Aeriality in ihr Sinfoniekonzert-Programm aufgenommen hatte. "Aeriality" ist ein Stück aus dem Jahr 2011, so wie auch alle anderen Werke ihre jeweiligen Uraufführungen schon in den vergangenen Jahren erlebt haben. Eine Uraufführung Thovaldsdottirs war in Karlsruhe nicht dabei. Eine bewusste Entscheidung, sagt Susanne Asche, Kulturamtsleiterin der Stadt Karlsruhe und Festivalleiterin.
    "Wir sitzen auf einem Riesenberg an Uraufführungen, die dann nie wieder aufgeführt wurden und das war schon als wir das Festival zu Wolfgang Rihm machten und ein Anliegen so etwas wie Kanon-Bildung voranzubringen, Repertoires aufzubauen und dass auch diese Werke im zukünftigen kulturellen Erbe zu verankern, dass es unseres ist und deswegen war das an dem Punkt sehr einleuchtend. Jetzt keine Uraufführung, sondern hört zu, was diese Künstlerin macht, weil das sowieso ein Anliegen von Zeitgenuss ist."
    Beim Karlsruher Publikum kam das ZeitGenuss-Festival und vor allem die Musik Anna Thorvaldsdottirs gut an: Die Konzerte waren sehr gut besucht, der Applaus enthusiastisch. Und auch die Komponistin war mit der Zusammenarbeit in Karlsruhe sehr zufrieden.
    "Das war eine wunderschöne Erfahrung, zu spüren, wie alle so begeistert sind, zusammen gute Musik zu machen und das ist wirklich toll."

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