Stefan Koldehoff: Noch immer stehen die Menschen auch bei schlechtem Wetter Schlange vor der National Gallery in London. Die dort gezeigte Leonardo-Schau gilt schon jetzt als eine der wichtigsten Ausstellungen des Jahrzehnts – das Universalgenie Leonardo lockt die Massen an. So mag es auch kaum verwundern, dass in Florenz im Palazzo Vecchio seit vielen Jahren Menschen nach einem Leonardo-Fresko suchen, dass der Maler dort auf eine Wand gemalt hat. Der Ingenieur Maurizio Seracini glaubt nun zu wissen, wo es ist – und greift für die Wiederentdeckung zu Maßnahmen, die nicht nur seiner eigenen Firma, sondern auch der Stadt nutzen – denn die hat schon einen Vertrag mit dem US-Medienkonzern "National Geographic" abgeschlossen. Gegen all das protestieren nun in einem flammenden Appell Hunderte von Kunsthistorikern. Einer von Ihnen ist der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Kunsthistoriker, Professor Georg Satzinger, in Bonn. Herr Satzinger, was haben Sie denn gegen einen neuen Leonardo?
Georg Satzinger: Natürlich kann man sagen, wenn man ein verschollenes Gemälde wiederfinden könnte, wäre das ein Gewinn. Aber man muss sich fragen: Erstens, wie hoch sind die Chancen, ein verschollenes Gemälde zu finden, in welchem Zustand wird dieses Gemälde sein und welchen Preis zahlt man dafür. In diesem Fall ist der Preis entschieden zu hoch und die Aussicht, etwas zu finden, ganz gering.
Koldehoff: ... , weil nämlich damals schon, als Leonardo gemalt hat, offensichtlich technisch einiges nicht so funktioniert hat, wie er sich das vorgestellt hat. Es gibt Berichte, dass die Idee, die Pigmente nicht mit Wasser, sondern mit Öl anzusetzen, dazu geführt hat, dass Farben verlaufen sind. Das würde bedeuten, dass möglicherweise ein kohärentes Bild gar nicht mehr existiert?
Satzinger: Genau so ist es. Wir sind durch verschiedene Quellen der Zeit an sich ganz gut unterrichtet, was da passiert ist in diesem Ratsaal des Florentiner Rathauses, auf dessen zwei Längsseiten Leonardo in Konkurrenz mit Michelangelo jeweils ein Schlachtenbild malen sollte. Michelangelo kam gar nicht dazu, sein Bild zu malen; nur die Vorzeichnung im Maßstab eins zu eins hat sich erhalten. Und von Leonardo wissen wir, dass er auch so eine Vorzeichnung gemacht hat. Da haben wir sogar die Rechnungen für die immensen Mengen dicken Kartons, die dazu nötig waren.
Und wir wissen auch, dass er etwas auf die Wand gemalt hat, wie Sie sagen, und wissen auch, dass er versucht hat, sozusagen nicht fachgerecht in der Freskenmalerei zu malen, die durch einen chemischen Prozess die Pigmente mit dem Kalk verbindet und dadurch besonders haltbar ist, sondern die Farbe künstlich zu trocknen – jetzt nicht mit einem Föhn, sondern mit einem offenen Feuer, und dieses Feuer hat dazu geführt, dass diese Farben auf Ölbasis verlaufen sind.
Und wir wissen auch, dass er das dann bald hat sein lassen und dass dann aber in den Jahren danach etwas davon an der Wand zu sehen war. Das wissen wir lustigerweise daher, dass man Bretter für einen Holzrahmen bezahlt hat, die um diese Spuren dieses begonnenen Bildes herum an der Wand angebracht werden sollten, also als eine Art primitiver Rahmen, um sie zu schützen. 50 Jahre später war davon offenbar so wenig da, dass man entschieden hat, darüber zu malen. Das sind diese berühmten Wandbilder von Giorgio Vasari, der sich auch sehr lobend über Leonardo geäußert hat, und diese Bilder gehören zu einer vollständigen und vollständig intakten Ausstattung des ganzen Saales, der Fußboden, Decke, Skulpturen, die gesamte Ausstattung geschlossen erhalten uns zeigt. Und wenn wir jetzt diese vagen Spuren dieses zerstörten Leonardo-Bildes aufsuchen wollten, dann müssten wir erstens mal wissen, wo es war, und zweitens müsste man einen Teil dieses Gesamtwerkes, den dieser Saal darstellt, zerstören, und das ist eben ein zu großes Opfer.
Ich meine, man muss sich klar machen, dass schon in der Zeit Vasaris, der diese Ausmalung gemacht hat, Leonardo als einer der Superstars der Malerei gefeiert worden ist – von Vasari selbst. Und man kann ganz sicher annehmen, dass man in dieser Zeit, wenn man etwas Gesichertes und Ansehnliches von Leonardo noch an der Wand gehabt hätte, das als größte Kostbarkeit auch gesichert hätte. Und deshalb müssen wir davon ausgehen, dass da nicht mehr viel war.
Zweitens wissen wir natürlich überhaupt nicht, wo dieses Bild saß. Jetzt wird hier an einer Wand gebohrt in Florenz, wo man glaubt, da war das Bild. Keiner redet davon, dass vor ungefähr 30 Jahren zwei Amerikaner im Brustton der Überzeugung einen Aufsatz geschrieben haben, wo sie aufgrund von naturwissenschaftlichen Untersuchungen der Wände mit Thermo-Verfahren und so weiter genau das Gegenteil behauptet haben. Für die war der verschwundene Leonardo auf der gegenüberliegenden Wand. Also Sie sehen, dass auch die naturwissenschaftlich basierte Forschung da sich vollkommen widerspricht, und wenn wir dann, was wir ethisch nicht dürfen, ein bestehendes Kunstwerk abtragen, finden wir vielleicht ein paar verlaufene Striche. Sollen wir die dann anbeten, weil sie von Leonardo sind? Das ist doch lächerlich!
Koldehoff: Also Leonardo nicht um jeden Preis. – Georg Satzinger war das, der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker. Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Georg Satzinger: Natürlich kann man sagen, wenn man ein verschollenes Gemälde wiederfinden könnte, wäre das ein Gewinn. Aber man muss sich fragen: Erstens, wie hoch sind die Chancen, ein verschollenes Gemälde zu finden, in welchem Zustand wird dieses Gemälde sein und welchen Preis zahlt man dafür. In diesem Fall ist der Preis entschieden zu hoch und die Aussicht, etwas zu finden, ganz gering.
Koldehoff: ... , weil nämlich damals schon, als Leonardo gemalt hat, offensichtlich technisch einiges nicht so funktioniert hat, wie er sich das vorgestellt hat. Es gibt Berichte, dass die Idee, die Pigmente nicht mit Wasser, sondern mit Öl anzusetzen, dazu geführt hat, dass Farben verlaufen sind. Das würde bedeuten, dass möglicherweise ein kohärentes Bild gar nicht mehr existiert?
Satzinger: Genau so ist es. Wir sind durch verschiedene Quellen der Zeit an sich ganz gut unterrichtet, was da passiert ist in diesem Ratsaal des Florentiner Rathauses, auf dessen zwei Längsseiten Leonardo in Konkurrenz mit Michelangelo jeweils ein Schlachtenbild malen sollte. Michelangelo kam gar nicht dazu, sein Bild zu malen; nur die Vorzeichnung im Maßstab eins zu eins hat sich erhalten. Und von Leonardo wissen wir, dass er auch so eine Vorzeichnung gemacht hat. Da haben wir sogar die Rechnungen für die immensen Mengen dicken Kartons, die dazu nötig waren.
Und wir wissen auch, dass er etwas auf die Wand gemalt hat, wie Sie sagen, und wissen auch, dass er versucht hat, sozusagen nicht fachgerecht in der Freskenmalerei zu malen, die durch einen chemischen Prozess die Pigmente mit dem Kalk verbindet und dadurch besonders haltbar ist, sondern die Farbe künstlich zu trocknen – jetzt nicht mit einem Föhn, sondern mit einem offenen Feuer, und dieses Feuer hat dazu geführt, dass diese Farben auf Ölbasis verlaufen sind.
Und wir wissen auch, dass er das dann bald hat sein lassen und dass dann aber in den Jahren danach etwas davon an der Wand zu sehen war. Das wissen wir lustigerweise daher, dass man Bretter für einen Holzrahmen bezahlt hat, die um diese Spuren dieses begonnenen Bildes herum an der Wand angebracht werden sollten, also als eine Art primitiver Rahmen, um sie zu schützen. 50 Jahre später war davon offenbar so wenig da, dass man entschieden hat, darüber zu malen. Das sind diese berühmten Wandbilder von Giorgio Vasari, der sich auch sehr lobend über Leonardo geäußert hat, und diese Bilder gehören zu einer vollständigen und vollständig intakten Ausstattung des ganzen Saales, der Fußboden, Decke, Skulpturen, die gesamte Ausstattung geschlossen erhalten uns zeigt. Und wenn wir jetzt diese vagen Spuren dieses zerstörten Leonardo-Bildes aufsuchen wollten, dann müssten wir erstens mal wissen, wo es war, und zweitens müsste man einen Teil dieses Gesamtwerkes, den dieser Saal darstellt, zerstören, und das ist eben ein zu großes Opfer.
Ich meine, man muss sich klar machen, dass schon in der Zeit Vasaris, der diese Ausmalung gemacht hat, Leonardo als einer der Superstars der Malerei gefeiert worden ist – von Vasari selbst. Und man kann ganz sicher annehmen, dass man in dieser Zeit, wenn man etwas Gesichertes und Ansehnliches von Leonardo noch an der Wand gehabt hätte, das als größte Kostbarkeit auch gesichert hätte. Und deshalb müssen wir davon ausgehen, dass da nicht mehr viel war.
Zweitens wissen wir natürlich überhaupt nicht, wo dieses Bild saß. Jetzt wird hier an einer Wand gebohrt in Florenz, wo man glaubt, da war das Bild. Keiner redet davon, dass vor ungefähr 30 Jahren zwei Amerikaner im Brustton der Überzeugung einen Aufsatz geschrieben haben, wo sie aufgrund von naturwissenschaftlichen Untersuchungen der Wände mit Thermo-Verfahren und so weiter genau das Gegenteil behauptet haben. Für die war der verschwundene Leonardo auf der gegenüberliegenden Wand. Also Sie sehen, dass auch die naturwissenschaftlich basierte Forschung da sich vollkommen widerspricht, und wenn wir dann, was wir ethisch nicht dürfen, ein bestehendes Kunstwerk abtragen, finden wir vielleicht ein paar verlaufene Striche. Sollen wir die dann anbeten, weil sie von Leonardo sind? Das ist doch lächerlich!
Koldehoff: Also Leonardo nicht um jeden Preis. – Georg Satzinger war das, der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker. Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.