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Fiedler: Gesundheitsreform geht zu Lasten der Versicherten

Simon: Oberstes Ziel aller Bemühungen war es, die Lohnnebenkosten zu senken, das bedeutet, den Beitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung, der von derzeit durchschnittlich 14,4 Prozent auf 13,6 im kommenden Jahr und noch mehr im Jahr 2006 sinken soll. Dafür werden aber vor allen Dingen die Versicherten erheblich mehr bezahlen müssen als bisher. Ich bin nun verbunden mit Eckart Fiedler, dem Vorstandsvorsitzenden der Barmer-Ersatzkasse. Guten Morgen.

    Fiedler: Guten Morgen, Frau Simon.

    Simon: Herr Fiedler, was nun beschlossen worden ist, wie bewerten Sie das, ist das eine Gesundheitsreform?

    Fiedler: Es ist so wie immer, Licht und Schatten sind beieinander. Was man begrüßen kann ist, dass eine Reform kommt, die auf jeden Fall eine Beitragssatzwelle, die sonst drohte, verhindert. Horst Seehofer hat ja gesagt, wir bräuchten eigentlich 15 Prozent im Durchschnitt, das wird jetzt nicht kommen, natürlich einseitig zu Lasten der Kranken, die auf Leistungen verzichten oder höhere Zuzahlungen leisten müssen. Das eigentliche Problem, was wir haben, die Einnahmenschwäche durch Rückläufigkeit der Einnahmen, das wird nicht gelöst, das ist eben das Finanzierungsproblem, das bleibt nach wie vor offen.

    Simon: Sie deuteten eben die deutliche Belastung der Bürger an. Wie gerecht finden Sie insgesamt in dieser Reform die Verteilung der Lasten zwischen Versicherten, Kassen, Ärzten, Apotheken, Pharmaindustrie?

    Fiedler: Es geht sehr einseitig zu Lasten der Versicherten, denn von den circa 9 Milliarden, die wir als Einspareffekt für 2004 rechnen, zahlen die Versicherten etwa 8 Milliarden, eine Milliarde kommt aus dem Arzneimittelsektor. Das heißt, alle anderen bringen eigentlich keinen Beitrag und vielleicht mittelfristig durch Verbesserung der Qualität, das kann durchaus sein, aber aktuell werden sehr einseitig die Versicherten und zwar die Krankenversicherten belastet.

    Simon: Es ist ja jetzt schon abzusehen, dass das nicht der letzte Schritt in Sachen Gesundheitsreform gewesen sein wird. Können Sie sich vorstellen, dass bei den nächsten Schritten die anderen mal stärker dran glauben müssen?

    Fiedler: Ja, ich glaube schon. Was noch offen steht, ist das Finanzierungsproblem. Das ist nicht ein Problem der Belastung, sondern da geht es um die Frage der Aufbringung der Mittel. Es wäre durchaus notwendig, sicherlich auch noch mal mittelfristig, die ganzen Fragen der Strukturentwicklung zu beobachten, ob das, was hier in dem Gesetz drinsteckt, ausreicht, hier die Qualität zu verbessern und die Lasten gerechter zu verschieben im System. Da habe ich meine Zweifel.

    Simon: Die jetzt beschlossenen Maßnahmen zur Kostendämpfung, wie lange werden die Ihrer Meinung nach Bestand haben, wann wird dann wieder nachgebessert werden müssen.

    Fiedler: Das ganze ist jetzt angelegt bis 2006, denn dieser Sonderbeitrag in Höhe eines halben Beitragssatzpunktes kommt ja jetzt 2006. Das bringt ja aber keine Entlastung, sondern eine Belastung der Versicherten und eine Entlastung der Arbeitgeberseite. Danach wird ab 2006, 2007 sicher wieder Druck da sein.

    Simon: Die Kassen sehen sich nun großen Erwartungen gegenüber. Wann senkt denn zum Beispiel Ihre Kasse, die Barmer-Ersatzkasse, den Beitragssatz?

    Fiedler: Erst mal ist es wichtig festzustellen, dass keine Betragssatzwelle rollen wird. Jetzt müssen wir sehen, was nächstes Jahr wann kommt. Wir kriegen ja die Entlastung der Tabaksteuer erst in einer ersten Tranche im Mai und dann im November nächsten Jahres. Ich gehe mal davon aus, dass sich bei uns die Selbstverwaltung Mitte nächsten Jahres mit einer Beitragssatzsenkung beschäftigen wird.

    Simon: Können Sie sich das auch vorstellen in der Höhe, wie das heute Nacht genannt wurde, eben auf 13, 6 Prozent und dann auf 12 und ein paar Prozent?

    Fiedler: Das muss man ja sehen, wenn Herr Seehofer sagt, wir hätten eigentlich einen Bedarf von 15 Prozent und ich ziehe da die 0,7 ab, dann lande ich nicht bei 13,6 sondern bei 14,3. Ich muss sagen, man muss sich genau ansehen, wo die tatsächliche Ausgangslage der GKV ist: Was ist sozusagen der Bedarf, der da ist? Auf wie viele Jahre kann ich den verteilen im Sinne des Schuldenabbaus? Und was steht dann zur Beitragssatzsenkung zur Verfügung? Ich kann hier nur eines unterstreichen: dass wir so umfassend, weitgehend und schnell wie möglich handeln werden, um die hohen Belastungen der Versicherten durch eine Beitragssatzsenkung zu kompensieren, jedenfalls teilweise.

    Simon: Haben die Politiker Sie da in einer für Sie unangenehme Lage manövriert? Es wird ein öffentlicher Erwartungsdruck geschaffen, den Sie aber vielleicht gar nicht erfüllen können?

    Fiedler: Unser Wunsch ist es ja, Beiträge zu senken. Von daher ist der Druck, der da ist, durchaus richtig und heilsam. Wir sitzen nicht auf dem Geld, sondern versuchen, es effizient einzusetzen und das möglichst knapp bemessen. Damit müssen und werden wir fertig werden. Nichtsdestotrotz ist diese ganze Reform natürlich nicht so ganz das Gelbe vom Ei.

    Simon: Sie haben in der Vergangenheit schon viel Kritik einstecken müssen für hohe Verwaltungskosten und irgendwelche Programme, die nach Meinung vieler nicht unbedingt berechtigt waren. Hat das, wenn Sie so die Rückschau betrachten, Ergebnisse gebracht, zum Beispiel bei Ihnen in der Barmer?

    Fiedler: Wir haben schon im vorletzten und letzten Jahr haben wir insgesamt jetzt 1330 Arbeitsplätze abgebaut, 170 Geschäftsstellen geschlossen, das heißt, wir haben einen Rationalisierungsprozess eingeleitete schon seit Jahren, der wird weitergehen. Natürlich muss man sehen, dass gerade auch diese Reform sehr viel Arbeit bringt, teilweise auch etwas unnütze Arbeit, wenn ich an diese Neuregelung Zahnersatz denke, die ja nicht mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit bringt, sondern einfach mehr Verwaltungsaufwand. Dann fragt man sich natürlich, ob nicht dort unser Bemühen zur Rationalität durch solche politischen Vorgaben konterkariert wird.

    Simon: Genau dieser Zahnersatz, die Herausnahme aus den gesetzlichen Regelleistungen, die ja bis zuletzt umstritten war. Bringt das etwas, die komplizierte Neuregelung? Hier werden ja zwei Systeme, gesetzlich und privat, ausnahmsweise vermischt.

    Fiedler: Was ich negativ finde ist, dass hier die solidarische Finanzierung aufgegeben wird. Jemand, der heute 1000 Euro Einkommen hat, wird mit derzeit 1,50 Euro belastete und der Arbeitgeber noch mal mir 1,50, also mit 3 Euro. Wer 3000 Euro hat, zahlt heute 9 Euro zusammen, also jeweils Arbeitnehmer und Arbeitgeber 4,50 Euro. Zukünftig werden alle durchschnittlich mit schätzungsweise mit 5,50 belastet. Das heißt, wer natürlich weniger hat, wird deutlich mehr belastet. Warum das nun sein muss, verstehe ich nicht. Ich bin andererseits froh, dass wir bei unseren Grundprinzipien bleiben können, also keine Privatgebührenordnung, dass wir direkte Qualitätsvorgaben machen dürfen, dass bei uns auch keine Gewinnmargen eine Rolle spielen, die wir auch nicht erheben müssen und dass auch die Verwaltungskosten hier nicht dem Modus der PKV folgen, die ja deutlich höher liegen. Insofern kann man den Schaden für die Versicherten weiterhin in Grenzen halten.

    Simon: Glauben Sie, dass der Zahnersatz nur das erste Beispiel in einer ganzen Reihe, die vielleicht noch folgen wird, ist?

    Fiedler: Das ist natürlich die Gefahr, aber ich glaube, dass gerade auch die Konkurrenz zwischen GKV und PKV – also der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung - zeigen wird, dass das bei uns eigentlich besser aufgehoben ist, dass wir es einfach preiswerter machen können und dass von daher diese Diskussion mehr rationelle Züge bekommt und nicht so die Ideologie im Vordergrund steht.

    Simon: Ganz egal, wie man zu der jetzt beschlossenen Reform steht, es gibt zumindest mal Planungssicherheit. Wenn Sie die abwägen gegen eine mutigere Reform, die vielleicht den Namen verdient hätte, aber niemals den Bundesrat passiert hätte, was ziehen Sie da vor?

    Fiedler: Diese hier, das ist eben der Kompromiss, für alle Seiten etwas enttäuschend, wie immer. Und das ist das Ergebnis, aber ich sage besser als nichts.

    Simon: Herzlichen Dank. Das war Eckart Fiedler, der Vorstandsvorsitzende der Barmer-Ersatzkasse, auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio