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"Filbinger war in Baden-Württemberg ein anerkannter Mann"

Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus hat die umstrittene Trauerrede von Ministerpräsident Günther Oettinger für den früheren Regierungschef Filbinger verteidigt. Ob jedes Wort notwendig gewesen sei, könne er nicht beurteilen, falsch sei die Ansprache jedoch nicht gewesen, sagte der CDU-Politiker.

Moderation: Dirk Müller | 13.04.2007
    Dirk Müller: Widerspruch, harte Kritik, mitunter auch Beschimpfungen sind von vielen Seiten quer durch alle Parteien, quer durch alle Fraktionen, auch aus den Regierungsfraktionen, geäußert worden. Der ausgemachte Querulant war und ist der Wirtschaftsminister. Der hatte es nämlich gewagt, als spätösterliches Geschenk Steuersenkungen ins Gespräch zu bringen. Steuersenkungen für Bürger, was heißen soll, mehr Geld im Portemonnaie eines jeden einzelnen. Ein wahre Welle des Entsetzens ist dann offenbar durch die Republik gegangen. Der Koalitionspartner SPD sprach sogar offen von Populismus, Verantwortungslosigkeit, von Bauernfängerei. Warum sind demnach weniger Steuern tabu in Deutschland? Darüber sprechen wollen wir nun mit Gerhard Stratthaus, Finanzminister in Baden-Württemberg, CDU. Herr Stratthaus, warum muss sich ein Politiker in Deutschland schämen, wenn er Steuersenkungen fordert?

    Gerhard Stratthaus: Nun, das Wort schämen, das halte ich nicht für das richtige. Aber ich meine, wir müssen natürlich eines sehen: Wir haben einen Wahlkampf geführt, in dem die Mehrwertsteuer erhöht worden ist. Wir haben nach wie vor eine wahnsinnige Staatsverschuldung. Ich muss es schon mal ganz offen sagen, das ist fast unmoralisch, unsere Staatsverschuldung gegenüber der nächsten Generation. Und deswegen sollte im Vordergrund der Abbau der Verschuldung stehen. Wenn wir mal wieder in der Lage sind, Steuern zu senken, dann ist das natürlich eine gute Sache. Aber im Moment, die nächsten zwei, drei Jahre, muss der Abbau der Verschuldung im Vordergrund stehen.

    Müller: Herr Stratthaus, jetzt gibt es Milliarden von Mehreinnahmen. Das heißt, man hätte auch auf die Mehrwertsteuererhöhung verzichten können?

    Stratthaus: Nein, das hätte man nicht können. Ich meine, wir machen immer einen ganz großen Fehler. Zum Beispiel die Maastricht-Kriterien sehen ja vor, dass man im Normalfall keine Schulden macht. Und wenn die Wirtschaft besonders gut läuft, wie das im Augenblick der Fall ist, dann sollen eigentlich Rücklagen gebildet werden, damit in schwächeren Jahrgängen wieder die Schulden zurückgeführt werden können. Und wenn ich das alles so sehe, bin ich eben der Meinung, dass man nicht aus einer kurzfristigen guten Konjunkturlage heraus nun wieder anfangen kann, freimütig das Geld auszugeben, sondern wir müssen wirklich jetzt unsere Haushalte in Ordnung bringen. Ich garantiere Ihnen, so wie es im Jahre 2007 ist, wird es nicht viele Jahre weitergehen.

    Müller: Herr Stratthaus, auf der anderen Seite sagen ja nun viele, diese Rücklagen sind häufig gebildet worden oder man hätte sie bilden können, sie sind aber nie zum Abbau eingesetzt worden.

    Stratthaus: Ja, das ist es ja. Das hat ja zu unserer Situation geführt. Aber ich habe den Eindruck, dass das Bewusstsein sich hier gewaltig geändert hat. Ich habe schon vor 30 Jahren die Sache theoretisch betrachtet. Damals hat es einen Keynesianismus gegeben. Da wurde das sogar noch wissenschaftlich begründet, dass der Staat Schulden machen müsste. In der Zwischenzeit weiß man, dass wir zum Beispiel in Baden-Württemberg, die noch einen sehr soliden Haushalt haben, in der Zwischenzeit zwei Milliarden Euro jedes Jahr an Zinsen bezahlen. Wenn ich daran denke, was man damit machen könnte. Und diese Schulden sind in Zeiten gemacht worden, da ging es uns wesentlich besser als heute. Heute müssen wir für die Sünden der Vergangenheit büßen. Wir sollten keine weiteren Sünden machen, für die dann unsere Kinder und Enkel büßen müssen.

    Müller: Warum haben wir dann, Herr Stratthaus, genügend Geld, die Unternehmenssteuer zu senken?

    Stratthaus: Weil das sein muss. Mit der Unternehmenssteuer, da habe ich durchaus Verständnis, dass manche Leute sagen: Ist das eigentlich gerecht? Ich habe da theoretisches Verständnis, aber das hat keinen Wert, hier über diese Dinge zu diskutieren. Deutschland steht in einer globalisierten Welt. Wir sind ganz besonders stark abhängig von Exporten. Wir sind stark abhängig von Investitionen. Und um uns herum haben in den letzten Jahren fast alle Länder ihre Unternehmenssteuern gesenkt. Jetzt muss man allerdings eine Sache dazu sagen: Es werden die Unternehmenssteuern gesenkt. Sobald das Geld aus dem Unternehmen heraus genommen wird, in die Privatsphäre des Unternehmers fließt, also in seinen Konsum, dann wird nachversteuert, dann wird er auch nicht anders behandelt als jeder andere.

    Müller: Demnach war das ja alles Bauernfängerei, was der Wirtschaftsminister betrieben hat.

    Stratthaus: Es war keine Bauernfängerei. Der Wirtschaftsminister hat natürlich vielleicht einen Fehler gemacht, er hat zu klar formuliert. Er hat ja auch gesagt, wenn einmal die Haushalte wieder in Ordnung sind, dann muss die Steuer gesenkt werden. Diese Bedingung ist natürlich in der veröffentlichten Meinung oft weggeblieben. Bauernfängerei war es nicht. Es war vielleicht etwas unvorsichtig.

    Müller: Sie wollen ja noch länger in der Politik bleiben. Wir im Deutschlandfunk wollen noch länger die Politik verfolgen. Erleben wir beide das noch, dass Steuern gesenkt werden?

    Stratthaus: Ich bin überzeugt, dass wir das noch erleben. Es sind ja übrigens einige Male die Steuern gesenkt worden in den letzten zehn, 15 Jahren. Aber ich muss noch mal sagen, es wäre, wenn ich unsere demographische Entwicklung betrachte, einfach nicht richtig, jetzt bereits schon wieder die Steuern zu senken. Wir haben jahrelang beklagt, wie schlecht unsere Finanzlage ist. Jetzt geht es uns etwas besser, von allen Seiten kommen mehr Anforderungen, dann sollen wieder die Steuern gesenkt werden. Im Grunde genommen tut man sich immer leicht, weil man heute den Vorteil hat und die Last auf die Zukunft schiebt. Und das halte ich für verantwortungslos.

    Müller: Nun geht es ja auch um Symbolpolitik, um Signale, die ausgesendet werden. Wäre es nicht möglich einen Kompromiss zu finden, sozusagen nicht immer über alles oder nichts zu reden, sondern zu sagen, ein kleiner Bonus, der ist schon drin.

    Stratthaus: Na ja, ich wollte Ihnen eigentlich etwas ganz anderes vorschlagen.

    Müller: Bitte.

    Stratthaus: Wir sollten einmal einen etwas längeren Atem haben in der Politik. Nicht jeden Tag - wie wir hier im Schwabenlande oder in Baden sagen - eine neue Sau durchs Dorf treiben. Es ist das Problem, dass hier wirklich ein laufendes Hü und Hott ist. Wenn wir mal die Steuern geändert haben, dann sollen mal vier oder fünf Jahre Ruhe geben. Es kann sich ein Unternehmen und auch ein Privatmann beinahe nicht mehr darauf einstellen. Wir sollten endlich mehr Kontinuität in die Steuerpolitik bringen.

    Müller: Deswegen haben Sie die Steuern ja auch erhöht.

    Stratthaus: Wir haben sie erhöht - und zwar ganz bewusst die Verbrauchssteuern erhöht, unter anderem, um die Lohnnebenkosten zu senken. Übrigens wäre es viel wichtiger für unsere Wirtschaft, dass wir endlich diese überstarke Belastung der Arbeitnehmer, die viel stärker ist als in anderen Ländern, abbauen. Die Steuern sind nicht höher bei uns, wenn Sie alle Steuern nehmen, als in anderen Ländern, aber sehr wohl die Lohnnebenkosten. Das wäre vernünftig.

    " Filbinger war in Baden-Württemberg ein anerkannter Mann."
    Müller: Herr Stratthaus, machen wir hier einen Schnitt, aus gegebenem Anlass müssen wir noch über einen anderen Themenaspekt sprechen, nämlich die umstrittenen Äußerungen von Günther Oettinger auf der Trauerrede für Hans Filbinger. Hat der Ministerpräsident einen Fehler gemacht?

    Stratthaus: Der hat keinen Fehler gemacht. Ich habe das noch einmal wörtlich nachgelesen, ich war nicht selbst auf der Trauerfeier. Filbinger war in Baden-Württemberg ein anerkannter Mann. Und es ist äußerst schade, dass jetzt wieder Diskussionen losgehen, von denen ich geglaubt habe, dass die erledigt seien. Der Ministerpräsident hat vielen Menschen in Baden-Württemberg aus dem Herzen gesprochen, anderen offensichtlich nicht.

    Müller: Also jedes Wort, was der Ministerpräsident gesagt hat, war auch notwendig zu sagen.

    Stratthaus: Ob es notwendig war, das kann ich jetzt im Augenblick so nicht beurteilen, aber falsch war es sicher nicht.

    Müller: Das heißt, es ist ein akzeptables Ergebnis, dass diese gesamte Debatte jetzt wieder von neuem losgebrochen ist.

    Stratthaus: Nun, es ist erstaunlich, dass viele Menschen wieder die Gelegenheit ergriffen haben, diese Debatte loszutreten. Ich halte das für vollkommen überflüssig. Filbinger ist ein verdienter Mann, Filbinger ist gestorben. Man sollte die Sache jetzt wirklich ruhen lassen.