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Film der Woche: "Geniale Göttin"
Umjubelter Hollywood-Star und verkannte Erfinderin

Hedy Lamarr war einer der schillerndsten Hollywood-Stars der 1940er Jahre - aber auch geniale Erfinderin. Sie entdeckte das Frequenzsprungverfahren, das Grundlage ist für die Verschlüsselung von Funk-Technologien wie Wi-Fi und Bluetooth. Diese beiden Seiten zeigt die Dokumentation „Geniale Göttin“.

Von Hartwig Tegeler | 14.08.2018
    Die amerikanische Schauspielerin Hedy Lamarr blättert in der "Eleganten Welt" (undatiert). Hedy Lamarr, die in den 30er Jahren als "exotischer Sex-Star" in Hollywood Ruhm erlangte, ist am 19.1.2000 tot in ihrem Haus bei Orlando in Florida aufgefunden worden. Die gebürtige Österreicherin starb im Alter von 86 Jahren. Lamarr bekam aus Hollywood erste Rollenangebote, nachdem sie 1933 für einen Moment fast nackt in dem tschechischen Film "Ekstase" zu sehen gewesen war. Viele Jahre war die Ehefrau eines österreichischen Waffenhändlers danach in den USA auf die Rolle der "schönen Exotin" festgelegt. Sie war aber auch als Erfinderin tätig. 1942 erhielt Lamarr das Patent für eine spezielle Funktechnik. Das Verfahren wurde später bei der Entwicklung von Handys genutzt.
    Die US-amerikanische Schauspielerin Hedy Lamarr blättert in der "Eleganten Welt" (picture alliance / dpa / UPI)
    Den Anfang von "Geniale Göttin" ziert ein Satz von Hedy Lamarr, der es in sich hat: "Jedes Mädchen kann glamourös aussehen, dazu muss es nur stillstehen und dumm gucken." Oder ist es am Ende doch um einiges komplexer? Und was dann? Wenn man denn "glamourös" oder "dumm guckend" den Star-Olymp erreicht hat?
    Hedy Lamarr wollte etwas hinterlassen. Aber die Frau, die in den 1940er-Jahren in der Hollywood-Fabrik, beispielsweise in dem Monumentalschinken "Samson and Delilah", ein Star war, sie wurde - wie in Alexandra Deans Film "Geniale Göttin" einer der zahlreichen Biographen bemerkt - nur nach ihrem Gesicht beurteilt: "She was totally judged by that face."
    "Im Leben spiele ich mehr als auf der Leinwand"
    Alexandra Dean erzählt die Geschichte der Jüdin Hedwig Eva Maria Kessler, die in einer privilegierten Familie in Wien aufwuchs, brav und chronologisch. Eine freiheitsliebende junge Frau schon in ihren jungen Wiener Jahren. Hedy Lamarr: "There was a word for what I was: 'enfant terrible'."
    In Österreich spielte sie erste Filmrollen unter anderem an der Seite von Heinz Rühmann oder Hans Moser, mit der Orgasmus- und Nacktszene in "Ekstase" von 1933 schrieb sie Skandal-Filmgeschichte. Sie heiratete einen reichen Industriellen, floh aus der Ehe - Richtung Hollywood - und wurde vom MGM-Tycoon Louis B. Mayer unter Vertrag genommen. Das Lamarr-Label: "schönste Frau der Welt". A Star was born, aber gefangen im Studiosystem. Wie damals üblich, hieß das: ein Film nach dem nächsten drehen, dem Image gerecht werden. Hedy Lamarrs Konterfei wurde Vorbild für das Zeichentrick-Schneewittchen und die Comic-Catwoman.
    Doch diesem Bekannten fügt Alexander Dean in ihrer Doku eine bisher weitgehend unbekannte Seite hinzu: Hedy Lamarr nämlich war auch eine Erfinderin. Sie erfand im Zweiten Weltkrieg ein störungsgesichertes Fernmeldesystem, das zur Niederlage des Dritten Reiches beitragen sollte, und übergab ihr Patent der amerikanischen Marine, wurde aber abgewiesen. Sie solle lieber "Küsse gegen Kriegsanleihen" verkaufen. So machte Hedy Lamarr, die Jüdin, die ihren Beitrag im Kampf gegen die Nazis liefern wollte, "den Job". Ihre Erfindung verschwand in der Versenkung. "Ich glaube, im Leben spiele ich mehr als auf der Leinwand", sagte sie.
    Hedy Lamarrs Star-Biographie wir zu einem Lehrstück
    "Geniale Göttin", Alexandra Deans Film über Hedy Lamarr, ist zunächst einer dieser inzwischen Standard gewordenen Dokumentarfilme, die einen mit einer unüberschaubaren Zahl von Interview-Partnern konfrontieren - Biographen, Freunde, Lamarrs Sohn, die Tochter, die Enkelin -, die mit Einsatz-Statements den hektischen Fluss von Talking Heads ergeben. Soweit, so schlecht.
    Nüchtern gesprochen: Vor zwei, drei Jahren hätte kein Hahn nach diesem Film gekräht: Noch eine Geschichte über einen alten Hollywood-Star mit seiner unentdeckten Seite? Gut. Aber: ja, und? Doch heute, in - oder schon nach? - der #MeToo-Debatte ist unser Blick auf die Filmindustrie und die Mechanismen von Missbrauch und Ausbeutung viel neugieriger und differenzierter. Hier werden Hedy Lamarr und ihre Star-Biographie zu einem Lehrstück.
    Das Hollywood-Studiosystem der 1940er Jahren, in dem Hedy Lamarr Superstar wurde, bedeutete für Schauspieler, wenn ihre Filme Geld machten, extreme Abhängigkeit. Auch für Hedy Lamarr, die einen Film nach dem nächsten drehte, gehörte das Aufputschmittel Methamphetamin, das nach wenigen Spritzen süchtig macht, zum Alltag. Hedy Lamarr: "Jemand hat mich oft weggepustet und mir eine Spritze gegeben. Ich dachte, es sind Vitamine, aber das war es nicht."
    Nicht einmal ihr Sohn verstand, wer Hedy Lamarr war
    Viele Schauspieler haben sich von der Abhängigkeit dieser Drogen nie erholt. Das scheint auch bei Hedy Lamarr so gewesen zu sein. Anthony Loder, der Sohn der Schauspielerin, gibt ein nüchternes Bild der Star-Mutter, wenn er in der Doku "Geniale Göttin" sagt: "Sie hatte so viele Gesichter - nicht einmal ich verstand, wer Hedy Lamarr war."
    Jenseits des Bildes, das sie in der Öffentlichkeit abgaben, war die Schauspielerin zerbrochen. Alexandra Deans Doku zeichnet aber nicht ein eindimensionales Bild eines Opfers der Traumfabrik, die Hedy Lamarr ausbeutete, während sie sie berühmt machte. Eine starke Frau war Lamarr, die am Ende aber bei ihrem Versuch scheiterte, die männliche dominierte Welt der Wissenschaft - als Erfinderin - oder die Hollywoods - als Schauspielerin - für sich und ihre Interessen zu nutzen. Weil sie auch immer Teil des Glamour-Systems blieb und wohl auch bleiben wollte. So unterzog sich Hedy Lamarr schon ab den 1940er Jahren kontinuierlich Schönheitsoperationen. Die Bilder ihres zerstören Gesichtes im Alter sind unerträglich zu sehen.
    Alexandra Dean zeigt in ihrer Doku die extremen Pole von Anpassung und Widerstand, die das Leben der Hedy Lamarr ausmachten. Und dieser am Ende nicht aufgelöste Widerspruch macht die Dokumentation "Geniale Göttin" gerade in #MeToo-Zeiten ausgesprochen spannend.