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Film der Woche: "The Sisters Brothers"
Zwischen Wildem Westen und Moderne

Zwei Western-Helden, die wenig gemeinsam mit den klassischen Kollegen ihres Genres haben, davon erzählt der französische Regisseur Jacques Audiard in "The Sisters Brothers" - Brüder, die mordend durchs Land ziehen, aber ein Ziel in ihrem Leben nicht finden. Wunderbar gemein!

Von Hartwig Tegeler | 05.03.2019
"The Sisters Brothers" von Jacques Audiard. Mit Joaquin Phoenix als Charlie Sisters und John C. Reilly als Eli Sisters.
"The Sisters Brothers" mit Joaquin Phoenix und John C. Reilly (imago stock&people (Annapurna Pictures))
Ein verdammt langer Weg zu Pferd von Oregon nach Kalifornien, in diesem Jahr 1852, der Zeit des Goldrausches. Was machen zwei Westerner, wie die Sisters Brüder eigentlich auf den mehr als 1000 Kilometern? Schweigend durch die Prärie reiten? Denkste!
"Weißt du, ich habe da über was nachgedacht." Meint Eli, der Ältere und Melancholische der beiden. Aber auch Charlie, der Jüngere, der Säufer, kramt immer was aus, nie die Klappe haltend: "Weißt du noch, wie Pa mit Ma umgesprungen ist?" - "Ja, Charlie, das weiß ich noch." - "Macht einen nachdenklich. Hast du keine Angst davor, dich fortzupflanzen? Dir ist schon klar, dass unser Vater vollkommen verrückt war und wir sein faules Blut in uns tragen." - "Unser Vater hat getrunken, Charlie." - "Das war sein Geschenk an uns, dieses Blut macht uns gut in dem was wir tun."
Traum vom sesshaften Leben
Doch soviel Sprach- beziehungsweise Reflexionsfähigkeit, die Jacques Audiard seinen beiden Hauptfiguren verleiht, "hey, wir sind die Sisters Brothers …" ändert nichts daran, "… ihr habt nicht die geringste Chance ...", dass sie eiskalte und effektive Killer sind. Genre-Untypisches reibt sich so an Genre-Typischem. Eli hat den Traum von einem sesshaften Leben. "Wir könnten zusammen einen Laden eröffnen." - "Einen Laden? Was ist das für ein Schwachsinn!"
Aber dieser Traum scheitert nicht nur an Charlies Widerstand, sondern auch an der gemeinsamen Gier. Wo der klassische US-Western den Gründungsmythos eines Landes entwarf, beschreibt der Franzose Audiard eine Welt im Übergang zur Moderne, denn die Brüder begegnen auf ihrem Weg der neuen Zivilisation beispielsweise in Gestalt von fließendem Wasser in den Hotels oder: "Das ist eine Zahnbürste, Sir. Damit Sie ihre Zähne länger behalten und ihr Atem frischer wird."
Auch in etwas Anderem zeigt sich die neue Zeit: Herman, den Eli, Charlie und - für den gleichen Arbeitgeber - Jim verfolgen, erklärt das alte Goldschürfen als erledigt: "Sie wollen ohne Schaufel, Sieb oder Eimer in einem Fluss nach Gold suchen?" - "Das ist die große Herausforderung für uns alle." - "Was ist das für eine Idee?" - "Es ist die Idee eines Chemikers, eine Formel."
Tödliche Gier
Hermann will Gold im Fluss mit einer chemischen Substanz sichtbar machen. Und mit dem Gold will er seine Utopie einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft verwirklichen. So bringen die vier – John C. Reily, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal und Riz Ahmed – sich nicht gegenseitig um, sondern schließen pragmatisch einen Pakt für den großen Profit. Wenn nur die böse alte Gier nicht wäre. Charlie kann nicht genug kriegen und kippt immer mehr ätzende Chemikalien ins Wasser. Ein tödliches Experiment. So kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass Jacques Audiard wenig Hoffnung hat, dass das Neue wirklich Besseres bringt. Reden kann man viel. Beispielsweise Eli, er wollte ja mit dem alten Leben Schluss machen: "Wir sind noch am Leben und halbwegs jung. Das wäre die Gelegenheit auszusteigen."
Aber eben dieser Eli bleibt der skrupellosere Schütze, wenn es gilt, das Kopfgeld oder was auch immer einzustreichen. Jacques Audiard zeichnet in "The Sisters Brothers" sehr widersprüchliche Figuren, die zeigen, dass alle Mythen des Western-Genres aufgebraucht sind und neue stehen nicht zur Verfügung stehen. Und Charlie und Eli reiten zwar nach Hause, bewegen sich also noch einmal in einer klassischen Western-Einstellung durch den weiten Raum, aber erwartet werden sie nur von einer griesgrämigen Mutter.
Ein wunderbar gemeiner Film
Die beiden Killer - Charlie hat übrigens auch seinen Vater umgebraucht - erweisen sich am Ende als kleine Jungen, die ohne moralisches Gerüst mordend in die Welt ausgezogen sind; eine Welt die solche wie sie gut brauchen konnte. Gierig übrigens nicht unbedingt nach Gold, sondern danach, wonach sich kleine Jungen in der Regel sehnen: geliebt zu werden. Bei allem Western-Typischen, das uns "The Sisters Brothers" durchaus gibt, schöne Landschafen, Pferde und breite Hüten brauchen wir eine ganz Zeit um zu merken, wie uns Jacques Audiard auf diese Weise das Genre links und rechts um die Ohren haut, um uns zu erzählen von der Psychopathologie seiner mörderischen und psychisch verkrüppelten Anti-Helden.
Der Western "The Sisters Brothers" ist ein wunderbar gemeiner Film.