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Film "Django"
Biopic in der Pathos-Falle

Django Reinhardt, Ikone der Gypsy-Jazz-Gitarre, sah sich lange als unpolitischer Künstler. Er hoffte, dass seine Popularität als Star im besetzten Paris der 1940er-Jahre ihn - anders als andere Roma und Sinti - vor der NS-Verfolgung schützen würde. Das Fazit von Kritiker Hartwig Tegeler: Ein wenig zu wenig für einen Film, der zuviel will.

Von Hartwig Tegeler | 24.10.2017
    Reda Kateb in "Django", dem Eröffnungsfilm der 67. Berlinale
    Ein Biopic und seine Grenzen - "Django" versucht viele Handlungsstränge unter einen Hut zu bekommen (Foto: Roger Arpajou)
    Das Credo eines Unpolitischen: "Ich bin Musiker, ich mache Musik. Das kann ich am besten. Wer meine Zuhörer sind, ist nicht mein Problem", sagt Django Reinhardt. Die Nazis haben 1943 Paris besetzt. Die schwarzen Jazz-Musiker mit ihrer "Negermusik" - so die Nazi-Terminologie - haben sie vertrieben. Der Platz auf dem Gipfel der Publikumsgunst ist nun für Django frei geworden.
    "Seit es keine amerikanischen Jazz-Men in Paris mehr gibt, bin ich der King of Swing."
    Jazzlegende Django Reinhardt bei einem Auftritt in Paris im Jahr 1951.
    Jazzlegende Django Reinhardt bei einem Auftritt in Paris im Jahr 1951. (AFP)
    Während also die Roma und Sinti in Europa in die KZs deportiert werden, genießt der Sinti-Musiker Reinhardt seinen Ruhm. Er wähnt sich sicher unter dem Schutzmantel seiner Popularität und folgt dabei - meistens jedenfalls - den ästhetischen Vorgaben der Nazis.
    "Geben Sie Dur-Akkorden den Vorzug. Kein Blues. Und Breaks sind verboten. Und die Soli dürfen nicht länger als fünf Sekunden dauern. - Ach ja? - Sie haben nicht die geringste Ahnung, wovon ich hier rede, Reinhardt, oder?"
    Eher wohl macht Django Reinhardt Augen und Ohren zu vor dem, was um ihn herum passiert. 1943 sieht er eine Wochenschau und fragt tatsächlich - 1943! - eine Freundin:
    "Wer ist dieser Clown? - Das ist Hitler! - Ach was?"
    Die Vogel-Strauß-Politik des Musikers im besetzten Paris funktioniert so lange, bis die Deutschen Django Reinhardt auf Tournee ins Reich schicken wollen. Er weigert sich und entkommt Richtung Schweizer Grenze. Doch auf seiner Flucht trifft er Mitglieder seiner Sinti-Familie, sieht deren Bedrohung, und langsam öffnet Django, der ja nur Musiker sein wollte, die Augen.
    Halbgare Andeutungen in perfekter 40er-Jahre-Ausstattung
    Am Ende von Étienne Comars Film "Django - Ein Leben für die Musik" führt der große Musiker das von ihm komponierte "Requiem für Sinti-Brüder" auf. Es ist Mai 1945. Django hat überlebt. Im Abspann zeigt Étienne Comar Fotos der durch die von den Nazis ermordeten französischen Sinti und Roma. Doch hier läuft der Film in die Pathos-Falle. Dazu gehören dann auch solche Sätze:
    "Ich habe Angst um dich. - Du hast dich doch verändert. Ich habe mich geirrt."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    "Django" war in diesem Jahr Eröffnungsfilm der 67. Berlinale (Roger Arpajou)
    Vor allem aber bricht dieses Biopic auseinander; verzettelt sich in seinen drei Geschichten. Erstens: das Schicksal der Roma und Sinti während der Nazizeit. Zweitens: die Politisierung eines unpolitischen Künstlers. Und schließlich - drittens - die Faszination des Gypsy- oder auch Sinti-Swings. Das also, was sich im Schicksal von Django Reinhardt während der Jahre 1943 bis 1945 in Paris wohl berührt. Aber alles in knapp zwei Stunden Kinozeit zu erzählen, bringt nur Stückwerk auf die Leinwand. Halbgare Andeutungen in perfekter 40er-Jahre-Ausstattung. Womit wir beim grundsätzlichen Problem des Biopics wären.
    "Final Portrait", Stanley Tuccis wunderbarer Film über den Künstler Alberto Giacometti - vor Kurzem bei uns im Kino -, konzentriert sich auf die Entstehung eines Porträts und kann damit viel über die Entstehung von Kunst erzählen. Don Cheadle geht in seinem Film über Miles Davis, einer anderen Ikone des Jazz, einen ähnlichen Weg wie Stanley Tucci. Der Filmemacher fokussiert sich in "Miles Ahead" auf zwei Tage in New York und liefert so ein flirrendes Porträt über einen in Drogen, Alkohol und Arroganz versunkenen Künstler und die explosive Energie seiner Musik. "Miles Ahead" findet Bilder - für die Musik des Miles Davis. "Django" hingegen reiht nur die Ereignisse aneinander. Vollkommen verloren geht dabei ein Gefühl für die Kraft der Musik des Django Reinhardt, weil ja so viel zu erzählen ist. Nur einmal, am Ende, als der Jazz-Mann vor Nazis und Kollaborateuren spielt, explodiert die Musik auf der Tonspur und im Schnitt. Visuell bleibt ansonsten von ihr in "Django - Ein Leben für die Musik" vor allem das schnelle Fingerspiel von Reda Kateb als Django. Und vielleicht das eine oder andere Musiker-Credo à la:
    Nazioffizier: "Verstehen Sie überhaupt was von Musik?" - Django: "Nein, aber sie versteht mich."
    Ein wenig zu wenig für einen Film, der zuviel will.