Donnerstag, 18. April 2024

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Film "Toni Erdmann"
"Ich habe immer das gemacht, was mich umgetrieben hat"

Bei jedem Film gebe es immer eine wirkliche und eine gefühlte Länge, sagte die Regisseurin Maden Ade im DLF. Sie habe sich deshalb auch beim Schnitt von "Toni Erdmann" darauf verlassen, was sie richtig finde. "Sonst hätte ich den nicht 160 Minuten lang gemacht", sagte Ade. Jetzt hoffe sie nur noch, dass der Film auch den Zuschauern gefalle.

Maren Ade im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 13.07.2016
    Die Regisseurin Maren Ade
    Die Regisseurin Maren Ade (NFP/Komplizen Film – Foto: William Minke)
    Sigrid Fischer: Sie hat die deutsche Ehre an der Croisette wiederhergestellt: Maren Ade wurde mit ihrem neuen Film "Toni Erdmann" in den Wettbewerb des Filmfestivals Cannes eingeladen, wo ja höchst selten deutsche Filme laufen, und dann waren auch noch alle begeistert. In "Toni Erdmann" spielt Sandra Hüller eine gestresste Unternehmensberaterin mit Alt-68er-Vater, Peter Simonischek, der mit ihr peinlichen Kleidungsauftritten versucht, sie aus ihrem seelen- und freudlosen Business-Dasein herauszulocken. Und nachdem "Toni Erdmann" jetzt auch noch auf dem Filmfest München gelaufen ist, kommt der Film diese Woche ins Kino. Maren Ade, schönen guten Tag nach Berlin!
    Maren Ade: Hallo!
    Fischer: Man hat ja fast schon das Gefühl, man hat Ihren Film schon gesehen, weil einfach unglaublich viel drüber berichtet wurde. Wie viel Spannung haben Sie jetzt noch vor diesem eigentlichen Kinostart und vor der Akzeptanz des deutschen Publikums hier?
    Fischer: Da geht es jetzt schon auch erst mal noch mal richtig um die Wurst. Ich meine, es müssen ja auch Leute reingehen, und ich bin gespannt.
    Fischer: Genau. Feuilleton- und Kritikerlob ist ja das eine und ist toll und freut man sich drüber, aber Zuschauerzahlen, vor allen Dingen für die Produzentin Maren Ade, die Sie ja auch sind, sind wahrscheinlich unter Umständen wichtiger, oder?
    Ade: Ich meine, beides ist natürlich schön oder bedingt sich ja auch ein bisschen. Wenn gut geschrieben wird, gehen vielleicht auch mehr Leute in den Film. Aber es ist echt schwer geworden, Zuschauer zu machen mit Filmen. Ich hoffe trotzdem, dass es irgendwie klappt. Ich habe jetzt mal nicht so übertriebene Erwartungen, vielleicht werde ich überrascht, aber ich gucke einfach mal. Ich mache eine Kino-Tour, und ich freue mich auch. Ich habe eigentlich immer viel Spaß dran gehabt, wenn die Filme dann da landen, wo sie hingehören, nämlich in einem normalen Kino mit normalem Publikum, und fand auch die Gespräche danach immer sehr interessant.
    Fischer: Sie sagen das so. Ich finde schon, es ist oft eine Diskrepanz. Das Feuilleton jubelt einen Film hoch, und dann gehen da irgendwie so 50.000 Leute rein. Ich glaube, Sie –
    "Ich hoffe, die Kinos lassen ihn so lange drin, dass es sich rumsprechen kann"
    Ade: Das ist ja noch gut. Es gibt wahnsinnig tolle Filme, auch große Filme, auch, was weiß ich, amerikanische Filme, wo man sich wirklich wundert, warum so wenig Leute reingehen. Ich hoffe auch wirklich drauf, dass der Film das – wir starten ja im Sommer, auch damit wir ein bisschen freie Bahn haben sozusagen, und damit der Film auch länger gespielt werden kann. Ich hoffe auch wirklich, dass die Kinos ihn auch so lange drin lassen, dass es sich einfach auch rumsprechen kann.
    Fischer: Aber wenn Sie so ein Drehbuch schreiben, haben Sie dann das Publikum im Kopf zum Beispiel? Ich meine, Sie haben auch viel Humor in diesem Film. Könnte sein, Sie haben einen goldenen Mittelweg auch gefunden, so zwischen Kopf und Bauch. Ich glaube, Feuilleton ist immer viel Kopf, und das Publikum vielleicht mehr so ein Bauchgucker.
    Ade: Ich denke wirklich gar nicht an beides, ganz ehrlich, sonst würde ich doch in Teufels Küche kommen. Ich meine, jeder Zuschauer ist anders, jeder Kritiker ist anders. Was soll da die Schnittmenge dann sein oder so? Ich habe wirklich bisher immer absolut das gemacht, was mich umgetrieben hat oder interessiert hat. In dem Fall war es schon so, dass ich auch ein Interesse hatte, mal ein Genre auszuprobieren oder Elemente von einem Genre drin zu haben. Ich finde trotzdem, dass der Film auch einen sehr dramatischen Untergrund hat und auch wirklich, für mich ist das auch über weite Strecken auch ein Drama, und das Lachen, das entsteht, kommt manchmal auch aus einer Verzweiflung raus oder weil man eben mit den Figuren vielleicht leidet. Ich versuche, mich beim Machen von einem Film, auch nachher beim Schnitt wirklich eher auf das zu verlassen, was ich richtig finde, sonst hätte ich den schon mal gar nicht 160 Minuten lang gemacht.
    Fischer: Richtig, das ist zum Beispiel – da denkt man, oh, das Publikum hat ja immer gern hundert.
    Ade: Ja, aber 100 können sich auch manchmal lang anfühlen. Insofern, die Länge, finde ich, ist wirklich, eine Länge und eine gefühlte Länge, das ist so – ich habe zum Beispiel versucht, den Film zu kürzen, und er hat sich mit 15 Minuten kürzer 15 Minuten länger angefühlt, einfach, weil dann Sachen nicht mehr so fließen oder die Spannung nicht mehr so aufgebaut wird.
    Fischer: Kommen wir mal kurz auf die Geschichte noch mal. Tochter Ines, beziehungsweise die Welt, in der die da lebt, in dieser Businesswelt, die verkörpert eigentlich alles, was einem Alt-68er zuwider sein müsste. Warum haben Vater und Tochter eigentlich nicht so ein ewiges Zerwürfnis, sondern sie versuchen ja – die wollen irgendwie sich annähern. Müsste ja nicht sein. In anderen Familien wäre es vielleicht genau das Gegenteil.
    "Humor ist die Waffe, die er besitzt"
    Ade: Ja, der Vater reist ja seiner Tochter da hinterher, weil er so das Gefühl hat, dass sie sich einfach so aus den Augen verloren haben, dass sich irgendwie so eine Distanz eingeschlichen hat. Und es hat ja auch so ein bisschen was Sehnsuchtsvolles. Auf der anderen Seite sorgt er sich, er versteht nicht ganz genau, was sie da macht. Und es kommt dann ja auch im ersten Teil zu einem Zerwürfnis, wo die Tochter den Vater auch ziemlich hart angeht, indem sie ihm im Prinzip sagt, ich brauche dich nicht mehr als Vater. Anstatt jetzt aber jahrelang beleidigt zu sein, merkt er, dass sie beide in einer Sackgasse sind und lässt trotzdem eben nicht von ihr ab und macht dieses Wagnis, sich in Toni Erdmann zu verwandeln und taucht eben noch mal neu in ihrem Leben auf. Und Humor ist sozusagen das, was er am besten drauf hat oder die Waffe, die er besitzt. Und letztlich entsteht durch diesen, ich sage mal, Angriff, den er damit macht, geht eine Tür auf und es entsteht eine neue Form von Kommunikation zwischen den beiden.
    Fischer: Ja, ohne ein Ende zu verraten, aber klar, das bewirkt natürlich auch was bei ihr. Die Sache mit dem Humor noch mal, wie gesagt, man hätte es auch als ernstes Vater-Tochter-Drama erzählen können. Humor ist natürlich schon riskant. Man kann sich nie sicher sein, dass andere den teilen, siehe Ines und ihr Vater, die findet das ja auch oft peinlich, was der Vater natürlich ablässt, und deshalb machen Amerikaner Testvorführungen mit Filmen, um zu gucken, wird da auch wirklich gelacht. Ich meine, wie sicher sind Sie, wenn Sie so was schreiben, mit den falschen Zähnen und der Perücke, ob die Leute das nicht vielleicht – ob Sie das in dem Moment lustig finden, aber die Leute hinterher vielleicht nicht, also, dass Ihnen der Film quasi um die Ohren fliegt.
    Ade: Ja, wir haben natürlich viel rumprobiert, was ist der richtige Toni, wie muss der aussehen, wie kann der aussehen, dass es Spaß macht, dass er aber trotzdem für die Leute im Film realistisch ist, also glaubwürdig ist. Er sieht ja wirklich seltsam aus und schwimmt ja im Prinzip, gerade bei den Leuten, denen er begegnet aus ihrer Businesswelt dann, schwimmt er ja auch so auf dieser Restunsicherheit der Leute. Eigentlich war das schon so ein ziemlich schmaler Grat, auch in der Zusammenarbeit, da mit Peter, den wir da gegangen sind. Es gab eben Toni so als Setzung, und unten drunter musste aber der echte Konflikt zwischen den beiden weitergehen, und das war eigentlich so die Hauptarbeit.
    Fischer: Klar. Und manchmal wahrscheinlich dann ist man vielleicht doch mal unsicher und denkt, hoffentlich kommt das genau so an, wie wir das hier jetzt meinen. Das kann man ja vielleicht in so einem langen Prozess nicht immer sehen. Es hat ja funktioniert, und aus Cannes kam so ein richtiges Aufatmen über Ihren Film. Nicht nur wegen der Cannes-Einladung, sondern ich hatte das Gefühl, hach, wir Deutschen können endlich mal wieder stolz sein, da hat jemand einen neuen Film gemacht, weil wir leider in letzter Zeit überhaupt ganz selten stolz sein können auf unsere Filme, sofern man jetzt nicht auf Millionen-Besucherzahlen stolz ist nach Til-Schweiger-Filmen oder "Fuck ju Göthe" oder so.
    "Ich habe alle Möglichkeiten gehabt bei dem Film"
    Ade: Ich habe halt auch wirklich echt alle Möglichkeiten gehabt bei dem Film. Ich habe ein großes Budget gehabt, ich habe wirklich das Gefühl gemacht, man hat mich mal so richtig machen lassen, was ich wollte. Ich fände mal einen interessanten Schritt, dass man irgendwie, dass es doch die Möglichkeit geben sollte, Filmförderung einzureichen, ähnlich wie das in Österreich ist, dass man auch ohne Sender Filmförderung einreichen kann. Das könnte vielleicht helfen, und ich denke, es gibt eigentlich genügend mutige Filmemacher, und die künstlerische Freiheit, die ich hatte, das wünsche ich eigentlich vielen Filmemachern.
    Fischer: Jetzt muss ich Sie das, und das fragt Sie natürlich jeder, Sie als Frau, Sie haben auch noch Kinder und sind Regisseurin, sind Produzentin – es ist ja offenbar so, diese Pro-Quote-Regiefrauen sagen ja einfach, an den Hochschulen sind es 50/50, und hinterher sind es fast kaum noch Frauen, die dann Regie machen, und es hat damit zu tun, weil man vielleicht, weiß ich nicht, weil man Frauen das nicht zutraut, das alles unter einen Hut zu kriegen. Sie sind eigene Produzentin. Aber würden Sie schon sagen, dass es Frauen da schwieriger haben, Regieprojekte durchzusetzen.
    "Regieführen ist nichts, was sich ideal mit Familie vereinbaren lässt"
    Ade: Ich finde, es gibt ja die Statistik im Prinzip, und ich finde, die sagt wirklich einiges aus. Und man muss einfach mal so noch mal wirklich rausfinden, woran es liegt. Oder dass man einfach sicherstellt, dass zu einem fairen Anteil Frauenprojekte gefördert werden. Klar, es ist natürlich wie in jedem Job, haben viele Frauen in ihrer Vita den Kinderknick, und dann ist es natürlich – letztlich ist Regieführen ja auch Handwerk und auch Übung, und Regieführen ist wirklich teilweise vom Zeitaufwand wie ein Managerjob. Also natürlich ist das nichts, was sich ideal mit Familie vereinbaren lässt, aber das ist bei den Männern ja auch nicht anders, und es gibt so viele Beziehungen, die ich kenne, auch gerade im Filmbusiness, wo die Männer sich genauso um die Kindererziehung kümmern und mit Sicherheit auch das gleiche Problem haben. Aber wie gesagt, ich finde das wichtig, dass man das mal angeht und rausfindet.
    Fischer: Sie mit Ihrer Produktionsfirma Komplizen Film gehen das offenbar an. Ich habe mal geguckt, Ihre aktuellen Produktionen männlich/weiblich sind elf zu fünf, weiblich.
    Ade: Das ist schon mal gut, ja, genau.
    Fischer: Ja, ist aber kein – ist jetzt nicht ein Zufall – da gucken Sie schon auch drauf ein bisschen?
    "Unsere Stoffe sind vielleicht ein bisschen psychologischer"
    Ade: Wirklich, wir achten nicht bewusst drauf. Ich habe eher schon auch das Gefühl, dass dann eben vielleicht dann so was passiert, dass uns dann bestimmte Sachen mehr interessieren. Ich habe manchmal den Eindruck, die Stoffe sind vielleicht ein bisschen psychologischer. Wir arbeiten wahnsinnig gern mit Frauen, aber auch jederzeit gern mit einem Mann.
    Fischer: Ja, klar. Ja. Jetzt schreiben alle, Sie haben quasi den optimalen Film gedreht, Maren Ade. Also ich meine, – ich habe nichts Kritisches eigentlich gelesen. Das heißt jetzt natürlich, die Messlatte haben Sie jetzt gelegt mit "Toni Erdmann", das heißt, Sie können sich da eigentlich zumindest in den Augen der Kritiker nicht mehr steigern, nicht mehr, ja, also.
    Ade: Das kann ja sein.
    Fischer: Das ist ja auch eine schwere Last fast, wenn man noch so jung ist.
    Ade: Ach, das ist doch doof. Dann ist es gleich schon wieder eine Last. Ich finde es jetzt erst mal echt gut. Wahrscheinlich warte ich einfach wieder so lange mit dem nächsten Film, dass schon alle wieder denken, macht die überhaupt noch Filme.
    Fischer: Gut. "Toni Erdmann" startet also morgen im Kino. Vielen Dank, Maren Ade, und dann natürlich auch viel Erfolg im Kinosaal damit!
    Ade: Okay.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.