Montag, 29. April 2024

Archiv

Film über Ai Weiwei
"Man soll fühlen, was er durchmacht"

Der dänische Regisseur Andreas Johnsen kommt dem chinesischen Künstler Ai Weiwei in seinem Dokumentarfilm so nah wie kaum ein anderer. "Ich wollte ihn als menschliches Wesen zeigen, nicht als internationalen Kunststar," sagte der Regisseur im Corsogespräch.

Andreas Johnsen im Gespräch mit Claudia Cosmo | 07.05.2014
    Claudia Cosmo: Herr Johnsen, Ihr Film beginnt mit Ai Weiweis Freilassung aus seiner 81tägigen Gefangenschaft am 22. Juni 2011, mit dem Antritt seines Hausarrests. Man ist sofort mit dieser Eröffnungsszene konfrontiert: Ai Wei Wei ist umringt von Journalisten, denen er sagt: Ich darf nicht mit Ihnen sprechen! Warum konnte er mit Ihnen sprechen, warum hat er sich gerade Ihnen geöffnet? Welches Geheimnis steckt dahinter?
    Andreas Johnsen: Da gibt es kein Geheimnis. Auch wenn der Film mit seiner Freilassung beginnt, ich kenne ich schon seit 2010. Ich hatte ihn schon mehrere Male besucht, und wir waren bereits sehr enge Freunde geworden. Und deshalb konnte ich einfach so bei ihm sein, vielleicht mehr als ein Freund, als ein Filmemacher.
    Cosmo: Wie haben Sie ihn während der Drehzeit erlebt, die mit Unterbrechungen über ein Jahr lang ging?
    Johnsen: Mir war es sehr wichtig, ihm auf einer menschlichen Ebene zu begegnen, ihn als einen Mann zu sehen, der mit einem besonderen existenziellen Dilemma zu kämpfen hat. Ich zeige ihn nicht als den großen, internationalen Kunststar oder bekannten Aktivisten, sondern als menschliches Wesen.
    Cosmo: Als dänischer Filmemacher kommen Sie aus dem Land des Dogmas für fiktionale Filme. Haben Sie Ihrem Dokumentarfilm auch eines auferlegt?
    Johnsen: Nein, ich stellte mir nur eine Regel auf: Ich filme nur, wenn Weiwei anwesend ist. Ich wollte keinen Film machen, in dem andere Leute über ihn sprechen. Ich wollte, dass man fühlen kann, was er durchmacht. Damit erreichte ich auch, nicht zu viel zu filmen.
    Cosmo: Der Film kommt nah an ihn heran, es gibt viele Close-ups seines Gesichts, wobei Ai Wei Wei oft geschlossene Augen hat.
    Johnsen: Als er entlassen wurde, war er sowohl physisch erschöpft als auch psychologisch gesehen. Und weil er so müde war, schlief er oft ein. Er hat ständig Schlafstörungen und Albträume. Aber ich denke, dass er die Augen auch deshalb schließt, um für sich zu sein, weil da waren andauernd Leute um ihn herum, die was von ihm wollten. In diesen Momenten die Augen zu schließen, ist fast so wie frei zu sein.
    "Mein Film kommentiert auch unsere Gesellschaft"
    Cosmo: Wie war es, wenn Ai Weiwei mit seiner Mutter sprach, auch über seinen Vater, der vor vielen Jahren auch vom Regime verhaftet wurde und dasselbe Schicksal wie Wei Wei hat?
    Johnsen: Das war ein sehr emotionaler Moment, und Weiwei zögerte erst, mit ihr darüber zum ersten Mal darüber zu sprechen. Und ich begleitete das mit der Kamera. Ich war da. Bei vorherigen Besuchen hatte ich seine Mutter schon kennengelernt. Und obwohl ich kein Mandarin und sie kein Englisch sprach, fühlte sie sich wohl mit mir. Da Wei Wei mir ganz vertraute, tat es auch die ganze Familie. Ich fühlte mich nie ausgeschlossen.
    Cosmo: Es gibt auch Szenen mit seinem Sohn. Sind sie symbolisch zu verstehen?
    Johnsen: Ich finde es sehr schön, dass die erste Szene des Films, in der Ai Weiwei überhaupt mit jemandem spricht, die mit seinem Sohn ist. Darin bringt er seinem kleinen Sohn bei, keine Angst zu haben. Das ist eine starke Szene, die symbolisch für die Gesamtsituation steht.
    Cosmo: Wie wichtig ist die Dunkelheit in ihrem Film? Die vielen Schatten, die Räume, wie das Atelier mit Garten in Peking und sein Apartment vis à vis zur US-Botschaft?
    Johnsen: Sie sind sehr wichtig und symbolisch. Denn das ist seine Welt. Er steht unter Hausarrest, er kann sich nicht frei bewegen! Er lebt hinter diesen Wänden. Wenn er raus will, muss er jedes Mal telefonisch um Erlaubnis bitten. Die Schatten, die Dunkelheit, sind da sehr wichtig, weil sie die Stimmung wieder geben. Außerdem ist die Stille sehr wichtig in Filmen. Mein Film kommentiert auch unsere Gesellschaft. Und ich kritisiere nicht unbedingt nur China, sondern auch unsere Medienkultur, unseren Berühmtheits-Kult, der so schändlich ist. Da gibt es eine Szene mit einem britischen Journalisten, der unbedingt ein TV-Interview mit Weiwei machen will. Und er weiß genau, dass Weiwei keine Interviews geben darf! Der Journalist bittet ihn immer wieder darum, was so respektlos ist. Weiwei bietet ihm an, ihn mit nacktem Oberkörper in der Dusche zu filmen und bietet ihm damit eine einzigartige Performance an! Aber der Typ sagt: Nein, wir können keine Nacktheit zeigen, bla bla bla, all diesen Schwachsinn. Der Typ hätte einfach die Courage haben sollen, es zu filmen, um den Moment einzufangen. Aber unsere Medienwelt funktioniert so nicht. Uns interessiert nur das Sensationelle, anstatt kreativ zu denken. Der Journalist hilft Ai Weiwei nicht, er behindert ihn.
    Cosmo: Am Ende Ihres Films geben Sie Ai Weiwei dann die Möglichkeit genau diese Performance vor der Kamera zu machen. Begleitet von dem Nina-Simone-Song "Feeling good" fällt das Wasser auf ihn herunter.
    Johnsen: Klar, es symbolisiert Reinwaschung und Reinheit. Die Szene mit seinem Sohn im Swimmingpool ist auch wieder so schön. Darin bringt er seinem Sohn das Schwimmen bei. Ganz einfach. Er übernimmt Verantwortung als Vater. Das ist schön. Ai Weiwei ist erst langsam zum Familienmensch geworden. Er wollte nie Kinder haben. Aber er liebt seinen Sohn und seine Freundin sehr. Er will sein gesellschaftliches und politisches Engagement aber nicht dafür aufgeben. Er versucht beides miteinander in Einklang zu bringen.
    "Ich habe das Gefühl, dass wir uns wieder sehen"
    Cosmo: Das ist nur eines der Bilder, das der Film von ihm vermittelt. Aber auch Ai Weiwei filmt andauernd alles. Viele Bilder, wo ist die Wahrheit?
    Johnsen: In jedem Bild liegt eine gewisse Wahrheit. Aber jedes Bild stellt eine limitierte Wahrheit dar. Mein Film hat seine eigene, meine Wahrheit, aber es ist nicht DIE Wahrheit. Aber Weiwei liebt Bilder.
    Cosmo: Sind Sie ihm so nah wie möglich gekommen?
    Johnsen: Ich denke, dass ich ihm mit dem Film so nah wie möglich gekommen bin, so wie kein anderer es kann oder könnte. Wenn ich dieses Gefühl nicht gehabt hätte, hätte ich weiter gedreht.
    Cosmo: Wie haben Sie sich von ihm verabschiedet?
    Johnsen: Mit einer großen Umarmung. Es ist schwierig, jedes mal, wenn ich China verlasse, freue ich mich auf zuhause. Aber ich bin auch traurig, weil ich ihn und meine Freunde dort zurücklasse. Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns wieder sehen.
    Cosmo: Würden Sie sagen, dass es eine Liebesgeschichte ist?
    Johnsen: Nein, aber ich bin ein sehr romantischer Typ und habe sehr viel Liebe in mir. Und vielleicht sieht man das im Film.
    Cosmo: Gibt es einen speziellen Wunsch, wie man ihren Film wahrnehmen soll? Auch hier in Deutschland?
    Johnsen: Ich hoffe, dass der Film die Leute inspiriert und dass sie sich mit Ai Weiwei in Beziehung setzen können oder auch Parallelen zu ähnlichen Situationen in anderen Ländern herstellen können. Vor zwei Wochen zeigte ich den Film in Istanbul und er schlug beim Publikum total ein, weil auch sie mit Zensur konfrontiert sind. Dieser Film handelt nicht nur von China, sondern von der ganzen Welt. Es geht um uns alle.
    "Ai Weiwei. The fake case". Ein Film von Andreas Johnsen. Ab dem 8. Mai 2014 in den deutschen Kinos. Spielzeit 86 Minuten.