Freitag, 19. April 2024

Archiv

Filmfestspiele in Cannes
Wie glitzernder Puderzucker

Der "tapis rouge", der Rote Teppich, ist ausgerollt in Cannes – an der Côte d’Azur beginnen wieder die Internationalen Filmfestspiele. Sie gelten - noch vor Berlin und Venedig - als die wichtigsten der Branche; die glamourösesten und mondänsten sind sie auf jeden Fall. In diesem Jahr glitzert die "Goldene Palme" aber besonders.

Von Maja Ellmenreich | 17.05.2017
    Nicht nur aus purem Gold, sondern auch noch mit Diamanten verziert: so sieht die "Goldene Palme" in diesem Jahr aus. Anlass ist der 70.Geburtstag der Filmfestspiele. Foto: AFP / Fabrice COFFRINI
    Nicht nur aus purem Gold, sondern auch noch mit Diamanten verziert: So sieht die "Goldene Palme" in diesem Jahr aus. (AFP/Fabrice COFFRINI)
    Im vergangenen Jahr hat der deutsche Wettbewerbsbeitrag "Toni Erdmann" für großes Aufsehen gesorgt: Von der Kritik war er hochgelobt worden, aber die Jury hat den Film von Maren Ade mit keinem Preis ausgezeichnet. Wird es wieder so einen Aufreger geben?
    Ich glaube, dass so ein Phänomen wie wir es im vergangenen Jahr erleben konnten, nicht so schnell wieder zu erwarten ist: Ein Erstling im Wettbewerb von Cannes – das war die Regisseurin Maren Ade ja, sie zeigt einen Film, der seinen ganz eigenen Ton, auch seinen ganz eigenen Humor hat und offensichtlich in vielen Zuschauern etwas zum Schwingen bringt – das hat wirklich Seltenheitswert. Denn in Cannes setzen die Verantwortlichen schon gerne auf alte Bekannte, also auf Regisseure, die bereits bei den großen Festivals - vorzugsweise in Cannes - auf sich aufmerksam gemacht haben: in diesem Jahr sind im Wettbewerb etwa Filme vertreten von Sofia Coppola - "Lost in Translation" heißt ihr größter Erfolg, von Todd Haynes. Von ihm kennen viele sicherlich "Carol". Dann ist der Franzose Francois Ozon vertreten, der mal überdrehte Komödien zeigt, dann wieder sehr ernsthafte Charakterstudien. Wer ist noch dabei? Nicht zu vergessen: der Österreicher Michael Haneke, der schon zwei Mal in Cannes die Goldene Palme gewonnen hat – für "Das weiße Band" und zuletzt für "Liebe". Da werden schon Wetten angenommen, ob er mit seinem neuen Film "Happy End" vielleicht zum dritten Mal als Gewinner aus dem Rennen geht.
    Und natürlich – aus deutscher Sicht interessant: Fatih Akin mit seinem neuen Film "Aus dem Nichts". Das war jetzt nur eine Handvoll Wettbewerbsteilnehmer, die keine Neulinge sind. Bis vielleicht, bis auf die "Safdie-Brothers" aus den USA – das sind zwei Brüder, die aus der New Yorker Independent-Filmszene kommen. Die beiden gehören vielleicht noch am meisten in die Kategorie "Wundertüte" – von denen hat man in der internationalen Filmlandschaft am wenigsten bisher gehört.
    Mit dem Hamburger Regisseur Fatih Akin ist das Filmland Deutschland wieder vertreten – sogar im Wettbewerb?
    Ja, jedes Land achtet doch immer sehr darauf, ob das eigene Filmland mit einer Einladung gewürdigt wird. Vor Maren Ade im vergangenen Jahr hatte es – aus deutscher Sicht – eine lange Durststrecke gegeben. Und nun schon ein Jahr später wieder ein deutscher Filmemacher: Fatih Akin mit seinem neuen Film, in dem es um das große Thema Gerechtigkeit gehen wird. Eine Mutter, die Partner und Kind bei einem Anschlag verliert, sinnt auf Rache. Diese Mutter spielt übrigens Diane Kruger – unter dem Namen ist sie international bekannt – aber "Diane Heidkrüger", geboren in der Nähe von Hildesheim, sie spielt zum ersten Mal eine Rolle in ihrer Muttersprache deutsch.
    Doch damit noch nicht genug, wenn Sie nach deutscher Beteiligung fragen dieses Jahr in Cannes: Denn Maren Ade, von der war ja nun schon einige Male die Rede, sie ist tatsächlich in die Jury berufen worden von der Festivalleitung. Das darf man durchaus als Zeichen dafür deuten, dass "Toni Erdmann" ein Favorit des Festivalchefs Thierry Frémaux gewesen ist, und auf seine Weise zeichnet er jetzt Ade aus.
    Und der Wettbewerb ist zwar besonders, aber auch nicht alles in Cannes. Es gibt die renommierte Nebenreihe "Un Certain Regard" – und da ist die deutsche Regisseurin Valeska Grisebach mit ihrem Film "Western" vertreten.
    Wie begeht man denn das Jubiläum der Filmfestspiele, den 70. Geburtstag?
    Am sichtbarsten wird dieser besondere Jahrgang wohl sein in anderthalb Wochen bei der Preisvergabe – denn die "Goldene Palme", die ja traditionell aus echtem Gold besteht, wird in diesem Jahr noch kostbarer, denn sie soll zusätzlich mit 167 kleinen Diamanten besetzt werden. Wie glitzernder Puderzucker, würde ich sagen – "wie Sternenstaub", heißt es offiziell. Das passt natürlich zu dem Starrummel in Cannes mit tollen Roben edler Designer und kostbaren Schmuck.
    Weitaus wenig glamouröser sind mehrere Publikationen zum Jubiläum: zum einen hat der Festivalchef Thierry Frémaux, der schon einer der einflussreichsten Spieler im weltweiten Filmgeschäft ist, er hat sich ins Tagebuch gucken lassen und eine 600-seitige Autobiographie veröffentlicht. Und zum anderen wurden Filmkritiker aus der ganzen Welt gebeten, ihre schönsten, eindringlichsten Cannes-Erinnerungen niederzuschreiben – auch so kann man sich natürlich selbst feiern, indem man die Gratulanten selbst einbestellt. Denn von Kritikerseite gibt es ja nicht nur Lob für solch ein Festival…
    Was gibt es für Beschwerden?
    In diesem Jahr gab es schon vor Festivalbeginn den ersten – medial begleiteten – Skandal, wenn man so will. Das Festival und der Streaminganbieter Netflix haben schwer miteinander gerungen: Zwei von Netflix finanzierte Filme laufen im Wettbewerb – im vergangenen Jahr gab es bereits eine Handvoll Filme aus dem Hause Amazon. Man hatte sich in Cannes also dazu entschieden, diese vermeintlichen Konkurrenten des guten alten Kinos nicht auszuschließen, sondern einzubeziehen. Nun beabsichtigt aber Netflix, die Filme zuerst über das eigene Portal zu zeigen bzw. gar nicht ins klassische Kino zu bringen. Das wiederum hat die einflussreiche französische Kinolobby auf den Plan gerufen. Es gab zwischenzeitlich sogar das Gerücht, die beiden Filme würden wieder ausgeladen vom Wettbewerb. Dem ist aber nicht so, man hat aber die Statuten schon für’s nächste Jahr geändert. Also, man ringt in Cannes mit der Weiterentwicklung der Branche, möchte gleichzeitig den Zug in die Zukunft nicht verpassen, aber auch nicht ablassen vom großen Gemeinschaftserlebnis Kino. Eine spannende Diskussion, die uns sicher weiterhin begleiten wird.
    Neben prominenten Regisseuren – wer wird noch vom Blitzlichtgewitter begleitet über den Roten Teppich laufen?
    Berühmt sind aus der Wettbewerbsjury natürlich der Präsident, der spanische Regisseur Pedro Almodovar und der US-amerikanische Schauspieler und Musiker Will Smith. Dann wird – wie immer in Cannes – die Grande Dame des französischen Kinos Isabelle Huppert erwartet. Aber auch Marion Cotillard, Colin Farrell, Kirsten Dunst und ungekrönte Königin des Roten Teppichs wird wohl Nicole Kidman sein: Sie spielt gleich in vier Produktionen mit, die in diesem Jahr in Cannes gezeigt werden: drei Filme und eine Fernsehserie