Freitag, 03. Mai 2024

Archiv

Filmkritik "Carne de perro"
Depression in der Diktatur

In Fernando Guzzonis Film "Carne de perro" begleitet die Kamera einen gescheiterten Mann. Seine Ehe hat er zerstört, seine Tochter darf er nicht mehr sehen, in seinem Kopf spukt die Vergangenheit. Sein Hund ist sein einziger Vertrauter. Ein ergreifender Film über die Einsamkeit und ein Psychogramm der chilenischen Gesellschaft.

Von Josef Schnelle | 03.04.2014
    Eine Woche im Leben von Alejandro. Er ist ein einsamer Mann, der sehr viel Zorn und Selbsthass in sich trägt. Er hat auch allen Grund dazu. Als ehemaliger Folterer in Diensten der Pinochet-Diktatur in Chile, die bis 1990 andauerte, findet er sich in der neuen Gesellschaft danach nicht mehr zurecht. Selbst die Kameradschaftsinitiative, die sich der Umschulung ehemaliger Pinochet-Gefolgsleute zu lupenreinen Demokraten widmet, besucht er kaum.
    "Monatelang haben wir uns organisiert und koordiniert. Wir alle hier als Ex-Militärs wollen gemeinsam nach rechtmäßigen Lösungen suchen. Und insbesondere geht es uns um unsere sozialen Ansprüche."
    Alejandro hat Schlafstörungen und versinkt immer mehr in dunklen Fantasien und Albträumen. Er reagiert explosiv auf die kleinsten Störungen seines Alltags. Für die Düsternis seiner Suche nach einem neuen Ich zwischen faschistischen Kameradschaftsliedern und lichten Kirchengesängen findet der Film immer neue Bilder der Einsamkeit und Lichtblicke des Neubeginns. Zugleich ist "Carne de Perro" durch die Spiegelung des inzwischen längst vergangenen Pinochet-Regimes in der persönlichen Sinnsuche dieses Mannes eine originelle Auseinandersetzung mit den späten Spuren, die eine Diktatur hinterlässt. Alejandro kämpft mit sich. Sein Hund ist sein einziger Vertrauter. Seine Ehe hat er schon mit seinem aufbrausenden Jähzorn zerstört. Nicht einmal seine kleine Tochter darf er nun mehr sehen. Und als dann sein Taxi kaputt geht, fehlt ihm auch noch die stabilisierende Routine des Alltags. Gute Vorsätze bringen ihn auch nicht weiter.
    "Ich wünsche mir, in Zukunft weniger zu streiten - mit anderen."
    Mit sich selbst liegt er aber immer noch im Streit. Eine tödliche Krankheit nagt an ihm, und die Schatten der Vergangenheit lassen sich nicht vertreiben. Alejandro gehörte zum nicht besonders geachteten Fußvolk der Diktatur. Er muss alleine mit seiner Vergangenheit zurechtkommen. Die "alten Kameraden" können ihm nicht einmal den Zugang zur dringend benötigten Krankenversicherung verschaffen. Der Filmanfänger Fernando Guzzoni verarbeitet diese Geschichte zu einer grandiosen Studie über Trauer und Orientierungslosigkeit. In düsteren Bildtableaus erforscht er die Seelenlandschaften eines Schuldigen, der noch nicht gelernt hat, mit der Schuld zu leben, sich vielmehr als bedauernswertes Opfer sieht. Ein beeindruckendes kleines filmisches Psychogramm aus einem auf der Kinoweltkarte fast unbekannten Land. Alejandro steht am Rande des Zusammenbruchs. Seine Panikattacken nehmen zu.
    Psychogramm der chilenischen Gesellschaft
    Fernando Guzzoni ist mit diesem Film auch ein bewegendes Psychogramm der chilenischen Gesellschaft gelungen, in der ein "harter Hund" des alten Regimes selbst auf den Hund gekommen ist. Daher der Titel "Carne de Perro" – Hundefleisch, dessen Genuss in Chile verpönt ist, das aber auf die Konsistenz von Alejandros Seelenverfassung hinweist. Der lakonische handlungszentrierte Stil fast ohne Worte lässt den Opfergang Alejandros, über dessen Verbrechen man im Film nie etwas Genaues erfährt, besonders überzeugend erscheinen. Auch Täter erleiden Qualen und zuweilen ein düsteres Schicksal, das sie irgendwann einholt.
    Grandios präsentiert Guzzoni die bittere innere Zerrissenheit seiner Hauptfigur, die durch ihre Taten unwiederbringlich zerstört und unerlöst bleibt. Die düsteren Bilder gipfeln in einem enigmatischen Szenenbild, das auch zum Plakatmotiv wurde. Das Wasser rinnt aus der Dusche auf Alejandro herab und verdichtet sich über den Augenlidern zu einem dicken Strahl. Weint dieser Mann? Weint er heftiger als jede normale Träne anzeigen könnte? Guzzoni arbeitet oft mit solcher Symbolkraft, und er hat in Alejandro Goic einen Hauptdarsteller gefunden, der mit stoischer Ruhe einen Mann spielt, der stets empfindsam aber auch eine tickende Zeitbombe ist. Am Ende gerät er in die Fänge eines evangelikalen Predigers, der ihm beides verspricht: Verzeihung und neue Bedeutung. Nach der folgenden Szene nimmt er ihn beiseite und bietet ihm einen Job an. Als Einpeitscher und künftiger Adlatus. Diese Vergebung ist vergiftet.
    "Lasst uns vergessen. Die ganze Nation soll vergessen. Für ein neues Leben. Hallelujah. Für ein neues Leben. Ein neues Leben ist geboren. Unser Herr ist groß. Und sein Wort vergibt uns die Sünden. Lasst uns ein See sein, ein Fluss der Taufe. Lasst uns das neue Chile sein. Ohne Namen ohne Strafe. Ja zur Vergebung."