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Finanzexperte Mayer
"Negativzinsumfeld hängt über uns wie das Tiefdruckgebiet"

Die Zinsen für die zehnjährigen Bundesanleihen sinken erstmals unter null. In den Augen von Thomas Mayer, Publizist und Finanzwissenschaftler, "eine sehr außergewöhnliche Situation, die viele Nebenwirkungen hat". "Ich denke, dass die negativen Folgeerscheinungen überwiegen", sagte er im DLF. Davon betroffen könnte auch die Weltwirtschaft sein.

Thomas Mayer im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Thomas Mayer, ehemaliger Chef-Volkswirt der Deutschen Bank
    Thomas Mayer, ehemaliger Chef-Volkswirt der Deutschen Bank (imago stock & people)
    Tobias Armbrüster: Es war eine absolute Premiere an den Finanzmärkten und eine Premiere, die vielen Experten Sorgenfalten auf die Stirn treiben dürfte. Die Zinsen für die zehnjährigen Bundesanleihen sind zum ersten Mal unter null gesunken. Das heißt, Anleger müssen ab sofort dafür zahlen, wenn sie der deutschen Bundesregierung ihr Geld leihen wollen.
    Die Zinsen für die zehnjährigen Bundesanleihen sinken also unter null. Es gibt bereits einige mahnende Stimmen, die jetzt vor weiteren Turbolenzen an den Kapitalmärkten warnen. Ich habe darüber kurz vor der Sendung mit Thomas Mayer gesprochen. Bis 2012 war er Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Seitdem ist er tätig als Publizist und Finanzwissenschaftler. - Schönen guten Abend, Herr Mayer.
    Thomas Mayer: Ja, guten Abend.
    Armbrüster: Herr Mayer, Negativzinsen für Bundesanleihen. Wie schlimm ist das?
    Mayer: Es ist eine sehr außergewöhnliche Situation, die viele Nebenwirkungen hat. Dadurch, dass die Zinsen so niedrig sind, verringern sich die Zinseinkommen auf Anlagen und es steigen die Belastungen von Lebensversicherungen und Pensionsfonds, die nicht mehr genügend Erträge erwirtschaften. Das sind alles Nebenerscheinungen dieses allgemeinen Niedrig- bis negativen Zinsumfelds.
    Armbrüster: Negativzinsen heißen aber auch, die Bundesregierung kann sich jetzt quasi für null Zinsen Geld leihen und damit zum Beispiel Straßen bauen, Schulen renovieren oder auch Flüchtlinge ausbilden, alles sinnvolle Investitionen für die Zukunft also, oder nicht?
    "Im Prinzip eine schöne Sache"
    Mayer: Negativzinsen sind natürlich eine wunderbare Sache für Schuldner. Die Bundesregierung kann jetzt bis zu zehn Jahre nicht nur zum Nulltarif Geld leihen, sondern sie wird sogar noch bezahlt dafür, dass sie Geld von den Anlegern nimmt. Das ist im Prinzip eine schöne Sache. Die Frage ist nur, ob man das Geld auch sinnvoll verwendet.
    Armbrüster: Was würden Sie denn sagen, was überwiegt? Sind das die positiven oder die negativen Folgeerscheinungen?
    Mayer: Ich persönlich denke, dass die negativen Folgeerscheinungen überwiegen. Was den Haushalt angeht wird Herr Schäuble ja viel gescholten wegen der schwarzen Null. Man muss aber natürlich auch sehen, dass diese schwarze Null ganz wesentlich dadurch bedingt ist, dass er unheimlich viel Geld bei den Zinsausgaben einsparen kann. Eigentlich hätte er ein noch ganz beträchtliches Defizit, wenn die Zinsen nicht so niedrig wären. Also muss man sich überlegen, ob es so sinnvoll ist, die Zinsen auf die Anleihen soweit runterzutreiben, wenn dann das Ergebnis ist, dass das Geld eigentlich nicht sinnvoll verwendet wird.
    Armbrüster: Herr Mayer, jetzt gibt es viele Leute oder einige Leute, die sagen, hier mit dieser aktuellen Entwicklung, Negativzinsen auf Bundesanleihen, da deuten sich weitere schwere Komplikationen an den Finanzmärkten an. Von einem Kollaps ist die Rede, von einer weiteren Eurokrise, die da sozusagen schlummert. Was müssen wir von solchen Befürchtungen halten?
    Wenn die Briten gehen, könnten andere Länder folgen
    Mayer: Na ja. Zunächst mal reflektieren diese Negativzinsen jetzt die Furcht, dass Großbritannien aus der EU rausgeht. Die Zinsen sind noch mal deutlich gefallen in den letzten Tagen, als die Umfragewerte für diejenigen, die in der EU bleiben wollen, schlechter wurden. Daraus wird dann gefolgert am Markt, wenn das so sein könnte, dass die Briten rausgehen, dann kann das dazu führen, dass vielleicht andere Länder auch noch rausbrechen. Momentan fliehen die Leute in sogenannte sichere Anlagen. Das sind Bundesanleihen, ist aber auch Gold, das profitiert davon, während andere Anlagen, zum Beispiel die Staatsanleihen der südeuropäischen Länder, die machen das nicht mit. Im Gegenteil: Die leiden sogar darunter.
    Armbrüster: Das heißt, könnte hier wirklich eine weitere Krise heraufbeschworen werden durch diese Negativzinsen?
    Mayer: Durch die Negativzinsen selbst ergeben sich natürlich Probleme für die schon angesprochenen Versicherungs-, Pensionsfonds und so weiter. Das eigentliche Problem würde heraufbeschworen, wenn sich die Briten dann tatsächlich für den Austritt aus der EU entscheiden würden. Das würde meines Erachtens zu weiteren Verwerfungen an den Märkten führen. Das hätte auch Folgen für die Wirtschaftsentwicklung. Es würde den Briten und uns wahrscheinlich weniger gut gehen. Und es hätte politische Folgen. Es könnten sich Bewegungen, die das Land aus der EU bringen wollen, auch in Frankreich und Italien bestärkt fühlen. Das hätte alles insgesamt gesehen natürlich negative Konsequenzen. Das sehen die Leute am Markt und deshalb flüchten sie in sogenannte sichere Häfen.
    Armbrüster: Wie ließe sich das Ganze denn wieder umdrehen? Was müsste man tun, damit die Zinsen wieder steigen?
    Mayer: Oh, das ist eine schwierige Frage. Der erste Schritt wäre, dass wir mal wieder zu etwas mehr Wachstum kommen, das dann erlaubt, dass man die Zinsen wieder nach oben schleust. Wie das aber genau geschehen kann, darüber streiten sich die Ökonomen und haben bisher keine überzeugende Antwort gefunden. Dieses Niedrigzins- bis Negativzinsumfeld, das hängt über uns wie gegenwärtig das Tiefdruckgebiet über Deutschland, und ab und zu gibt es dann wieder mal Regenergüsse und Überschwemmungen aus dieser Situation heraus.
    Armbrüster: Und wie lange dauert das, bis diese Negativzinsen auch bei uns auf Sparbüchern zum Beispiel ankommen, bis da auch die Zinsen unter null gehen?
    Mayer: Ich denke, dass das für den einzelnen Verbraucher nicht der Fall sein wird. Für diese Einlagen, die ja in der EU bis zu 100.000 Euro garantiert sind, werden die Banken sich nicht trauen, das zu tun. Aber der Einzelne kriegt das eigentlich schon ab, obwohl er es nicht richtig sieht, denn wenn er zum Beispiel in einem Investmentfonds investiert ist und dieser Investmentfonds, der hält natürlich auch Bargeld als Reserve, der bezahlt schon Negativzins an seine Bank. Die institutionellen Anleger bezahlen schon Negativzinsen, und das kriegt dann der einzelne Kunde nicht direkt mit, weil ihn selbst trauen die Banken sich noch nicht zu belasten.
    Armbrüster: Thomas Mayer war das. Bis 2012 war er Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Vielen Dank, Herr Mayer, für das Gespräch.
    Mayer: Ja, gerne. Tschüss!