Donnerstag, 28. März 2024

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Finanzgerichtstagspräsident moniert Defizite im europäischen Steuerrecht

Die Einkommenssteuer und ihre jeweils nationalen Sonderregelungen führen europaweit teilweise zu Nachteilen der Arbeitnehmer. Hinzu kommt die unterschiedliche Härte in der Verfolgung von Steuerdelikten, sagt Jürgen Brand - und plädiert für einen europäischen Finanzgerichtstag.

24.01.2011
    Jürgen Liminski: Heute findet im Maternushaus in Köln der 8. Deutsche Finanzgerichtstag statt. Er tagt zum Thema europäische Perspektiven im Steuerrecht und wie schon in den Jahren zuvor findet sich dort allerlei Prominenz ein, angefangen beim Justizminister von Nordrhein-Westfalen bis hin zu Verfassungsrichtern wie Professor Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, oder der designierte Wirtschaftsweise Professor Lars Feld von der Universität Freiburg. Er wird über die europäische Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Steuer- und Wirtschaftsordnung in den Mitgliedsstaaten sprechen und Professor Kirchhof über das Steuerrecht zwischen europäischer Integration und nationaler Souveränität. Es wird also ein Symposium zu ziemlich aktuellen Fragen, und darüber wollen wir nun sprechen mit dem Präsidenten des Finanzgerichtstages, dem Richter am Bundesfinanzgerichtshof Jürgen Brand. Er ist zu uns ins Studio gekommen. Guten Morgen, Herr Brand.

    Jürgen Brand: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Brand, in gut zwei Stunden eröffnen Sie die Tagung. Was versprechen Sie sich davon? Oder anders gefragt: Haben die Finanzgerichte überhaupt eine politische Relevanz?

    Brand: Das ist immer die Gretchenfrage jedweden politischen Engagements, auch auf berufspolitischem Feld. Wir haben, glaube ich, deshalb einen gewissen Wirkungsgrad, weil wir die gesamte Finanzrichterschaft des Bundes und der Länder repräsentieren. Der Finanzgerichtstag wird getragen vom Bund Deutscher Finanzrichter und dem BFH-Richterverein. Insofern kann man sagen, der gesammelte Sachverstand der Finanzgerichtsbarkeit steht dahinter. Und wir werden häufig als Sachverständige in Gesetzesberatungen auf dem Feld des Steuerrechts eingeladen und haben dort auch die eine oder andere gesetzliche Maßnahme modifizieren können.

    Liminski: Ein politisch intensiv diskutiertes Thema ist das Steuerrecht zwischen europäischer Integration und nationaler Souveränität. Ist angesichts der Entwicklung in der Finanzkrise der Zug da nicht schon längst in Richtung Transferunion abgefahren? Was könnten die Gerichte da noch aufhalten?

    Brand: Ich glaube nicht, dass sich heute die Frage des Aufhaltens stellt. Zunächst einmal ist der Befund ja der gewesen, dass die europäischen Verträge gar nicht das Steuerrecht mit auf der Agenda gehabt haben. Eigentlich gab es gar keine Kompetenz des europäischen Raums im Bereich der direkten Steuern. Erst seit 1985 ist dieses Feld entdeckt worden und seitdem hat es auch kontroverse Diskussionen gegeben, ob überhaupt der Europäische Gerichtshof etwa Entscheidungen treffen darf auf dem Feld des Steuerrechts. Inzwischen respektiert man wechselseitig die Einfluss-Sphären, räumt aber ein, dass der Bund als hauptgeblicher Steuergesetzgeber uneingeschränkt seine Kompetenzen im Bereich des Steuerrechts wahrnehmen kann, dies aber tun muss im Lichte der Grundfreiheiten der Gemeinschaftsverträge. Grundfreiheiten heißt ja, dass jeder frei seinen Arbeitsplatz wählen darf, frei seine Dienstleistungen irgendwo in Europa anbieten darf, ohne dass der jeweilige Heimatstaat oder der Angebotsstaat Diskriminierung anwenden darf gegenüber dem Anbieter. Man muss also europaweit seine Leistung anbieten. Und wenn das gewährleistet ist, befindet sich der nationale Gesetzgeber im Einklang mit dem Europarecht.

    Liminski: Das heißt, die Transferunion bleibt eine genuin politische Frage, keine steuerrechtliche?

    Brand: Sie ist eher eine politische Frage, das kann man sicherlich sagen. Das beinhaltet natürlich auch einen gewissen Spielraum, der politischer Einflussnahme unterliegt. Das ist sicherlich richtig. Im Bereich des Steuerrechts ist diese Sogwirkung hin zu Europa eigentlich im Wesentlichen auch durch die Rechtsprechung entstanden. Es gibt eben keine nennenswerten Bereiche des Einkommenssteuerrechts, die europarechtlich geregelt sind. Es gibt zwar eine Regelung für Unternehmensbesteuerung in vielfältiger Weise, aber das normale Steuerrecht ist eigentlich außen vor geblieben im Regelwerk der Gemeinschaftsverträge. Deshalb hat die Rechtsprechung festgestellt, dass dieses Defizit eigentlich zum Teil unerträglich ist, weil bestimmte grenzüberschreitende Sachverhalte dann nicht angemessen berücksichtigt werden können. Beispiel: Jemand wohnt in Deutschland, arbeitet aber in den Niederlanden und kann deshalb bestimmte Sonderausgaben für die Rentenversicherung nicht in Deutschland abziehen. Das könnte er aber tun, wenn er in Deutschland arbeiten und wohnen würde. In solchen Fällen hat dann der Europäische Gerichtshof gesagt, allein an dem Auseinanderfallen von Wohnsitz und Arbeitsort innerhalb Europas darf eine solche Abzugsmöglichkeit nicht hängen, das ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung.

    Liminski: Das führt zum Thema der Steuerkultur in Europa. Die ist gemäß den Mentalitäten und Eigenheiten der Völker doch recht unterschiedlich, wenn man sich nur mal das Nord-Süd-Gefälle bei direkten und indirekten Steuern anschaut. In manchen Ländern gehört es ja fast schon zum guten Ton, keine Steuern zu zahlen. Auch in Deutschland ist es zum liebsten Nationalsport geworden, seine Steuerschuld herunterzuschrauben. Ist eine rechtliche Harmonisierung da überhaupt möglich?

    Brand: In Fragen der Kultur ist man natürlich begrenzt, was die Regelungsmöglichkeiten angeht. Die romanischen Länder nehmen ja auch Steuern ein, obwohl die Hinterziehungsquote dort sicherlich wesentlich größer ist. Sie stützen sich weithin auf die Umsatzsteuer, die ja gleich an der Quelle die Leistungsfähigkeit abschöpft. In Deutschland hat die Einkommenssteuer sicherlich nach wie vor einen höheren Rang und dort ergeben sich dann entsprechend auch viele Diskussionen um Steuerhinterziehung, was Kapitalflucht ins Ausland angeht, Verschweigen auch von sonstigen Einkünften im Inland. Das ist sicherlich nicht so stark in den anderen europäischen Staaten, aber auch gewichtig, und insofern ist es eher ein faktisches Problem, vielleicht auch ein politisches Problem, was die Akzeptanz von Steuernormen angeht. Sie wächst aber in dem Maße, wie der Staat auch den Anspruch durchsetzt, der durch die Steuergesetze gegeben wird. Wenn der Bürger weiß, ihm droht eine Außenprüfung, es droht der Steuerfahnder, und er muss damit auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechnen, sinkt auch die Bereitschaft, dieses Risiko einzugehen. Sie wissen ja, dass allein schon die Androhung, bestimmte CDs anzukaufen auf dem Markt mit Daten von Steuerflüchtigen in der Schweiz oder Luxemburg, genügt, um die Leute massenweise zur Selbstanzeige zu bringen. Also die Frage der Aufklärung und der Aufklärungsmöglichkeiten ist ein ganz wesentlicher Faktor, um die Steuerakzeptanz oder die Bereitschaft allgemein zur Steuerzahlung auch wieder zu erhöhen.

    Liminski: Auf dem Treffen, Herr Brand, nehmen Professoren, Richter, Politiker aus Deutschland teil und sprechen über Europa. Gibt es Bestrebungen in Richtung eines europäischen Finanzgerichtstages?

    Brand: Wir haben darüber durchaus schon einmal nachgedacht. Wir haben auch mit ausländischen Kollegen Kontakt aufgenommen. Es gibt sehr gute Kontakte auch zu Frankreich, in die Benelux-Staaten. Auf mittelfristige Sicht ist es sicherlich sehr hilfreich, auch einmal die Erfahrungen der ausländischen Kollegen im Umgang mit Steuerpflichtigen, im Umgang mit dem Gesetzgeber auszutauschen. Man macht ja doch bei denselben Lebenssachverhalten vielleicht unterschiedliche Erfahrungen und lernt vielleicht auch andere Wege kennen, mit denen man zu den gewünschten Ergebnissen kommen kann. Das kann also hilfreich sein und ich denke, dass wir als Ergebnis dieser Gespräche sicherlich mittelfristig auch einen europäischen Finanzgerichtstag haben werden.

    Liminski: In zwei Stunden beginnt in Köln der 8. Deutsche Finanzgerichtstag. Bei uns im Deutschlandfunk war vorab der Präsident des Finanzgerichtstages, Jürgen Brand. Besten Dank für das Gespräch, Herr Brand.

    Brand: Vielen Dank.