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Finanzkrise
"Griechenland bis zum Ende die Tür offen halten"

Europa sei bislang gewachsen, indem man Rücksicht aufeinander genommen habe und Kompromisse gesucht habe, sagte Matthias Kullas vom Zentrum für europäischen Politik im DLF. Mithin sollte auch Griechenland solange die Tür offen gehalten werden, bis es bereit sei die geforderten Reformen umzusetzen.

Matthias Kullas im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 31.03.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras in Berlin.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras in Berlin. (AFP / Tobias Schwarz)
    Dirk-Oliver Heckmann: Vor mehr als vier Wochen haben sich Griechenland und die europäischen Geldgeber auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms geeinigt. Gegenleistung von Athen: eine umfassende, offiziell vorgelegte Reformliste. Doch nun, gut einen Monat später, sind davon immer noch nur Einzelteile zu sehen, und die auch noch auf Griechisch, und so wird die Geduld in Berlin und in Brüssel weiter auf die Probe gestellt. Regierungschef Tsipras stattete am Abend im Athener Parlament Bericht ab.
    Statt der versprochenen umfassenden Reformliste präsentierte die griechische Seite den europäischen Geldgebern lediglich eine Handvoll Vorschläge, in elektronischer Form auf Tablet-Computern und dann auch noch auf Griechisch. Mein Kollege Reinhard Bieck hat deshalb Matthias Kullas vom Zentrum für europäischen Politik gefragt, ob er denn Verständnis dafür habe, dass sich so manche in Brüssel langsam auf den Arm genommen fühlen.
    Matthias Kullas: Ja, dafür habe ich sehr großes Verständnis. Wenn man sich das anschaut, was in der letzten Zeit immer versprochen wurde und was nachher von Griechenland geliefert wurde, habe ich großes Verständnis dafür, dass mehr und mehr einfach Unzufriedenheit aufkommt.
    Reinhard Bieck: Und wie ist das bei Ihnen selbst?
    Kullas: Auch bei mir. Auch ich muss sagen, ich verstehe da Griechenland, die griechische Regierung immer weniger. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass die griechische Regierung diese Vorlagen oder Vorgaben, die sie erfüllen müssen, eigentlich nicht erfüllen möchten, sondern dass sie eigentlich nur noch versuchen, den schwarzen Peter der Troika zuzuschieben.
    "Das Hauptproblem ist einfach, dass die Leute keine Steuern zahlen"
    Bieck: Kommen wir doch mal auf die Inhalte. Die Regierung in Athen will die einheimischen TV-Anstalten zwingen, Lizenzgebühren zu zahlen. Das tun die seit inzwischen 26 Jahren nicht. Dann soll eine Steuer auf digitales Glücksspiel eingeführt werden und die Mehrwertsteuer auf besonders fetthaltige Nahrungsmittel will die Regierung erhöhen, und das im Land des Olivenöls. Ist die Bezeichnung halbherzig für diese Reformen nicht schon wieder ein Euphemismus?
    Kullas: Ohne auf die konkreten Maßnahmen einzugehen, die ja durchaus alle das Potenzial haben, Einnahmen zu generieren, die Frage ist, ob das, was die Einnahmen, die die griechische Regierung damit generieren will, tatsächlich so hoch sind, wie die griechische Regierung vorgibt. Und letztlich, muss man sagen, sind das alles Steuererhöhungen, und das Hauptproblem, was Griechenland hat, ist einfach, dass die Leute keine Steuern zahlen. Von daher neue Steuern zu beschließen, ohne dass diese dann eingetrieben werden, bringt auch nichts.
    Bieck: Ich habe gerade die TV-Anstalten erwähnt. Viele davon gehören den Reedern, die sich seit Jahren, seit Jahrzehnten in Griechenland eine goldene Nase verdienen, ohne Steuern zu bezahlen. Müsste nicht gerade eine Linksregierung und ein linker Regierungschef wie Tsipras da den natürlichen Gegner und die natürliche Geldquelle erkennen?
    Kullas: Das war die Hoffnung, die viele am Anfang hatten, dass man sagt, eine linke Regierung oder eine Regierung, die nicht zu dem Establishment gehört, dass die endlich mal die Reichen, die Reeder in Griechenland stärker besteuert und ihren Beitrag einfordert. Aber bisher ist das nicht geschehen. Auch was die Schwarzgelder in der Schweiz angeht, muss man sagen, sind ja die Bemühungen der griechischen Regierung, da wirklich an dieses Geld zu kommen, eher begrenzt.
    "Die Reichen so stark in diesem System verankert"
    Bieck: Was ist denn dafür die Ursache? Hat Tsipras den Mut verloren, oder sind die Reeder und viele andere Reiche in Griechenland so mächtig, dass da auch eine Regierung nichts machen kann?
    Kullas: Ich glaube, es ist schlichtweg Letzteres, dass wirklich die Reichen so stark in diesem System verankert sind, dass selbst die neue Regierung da wenig Möglichkeiten hat, an diese Gelder heranzukommen.
    Bieck: Mit anderen Worten: Das Problem ist unlösbar?
    Kullas: Es erfordert zumindest einen sehr, sehr großen politischen Willen, einen sehr großen kulturellen Wandel auch in Griechenland, und für diesen Wandel, für diese Veränderung sehe ich momentan nicht die Bereitschaft.
    Bieck: Und wie soll es dann weitergehen?
    Kullas: Das wird man sehen. Ich hoffe sehr, dass einfach in dem Moment, wenn Griechenland dann tatsächlich zahlungsunfähig werden wird und erst mal die Anleihen nicht bedienen kann, aber vielleicht später auch irgendwelche Löhne nicht mehr zahlen kann, wenn es irgendwann vielleicht Kapitalverkehrskontrollen geben sollte, dass die Menschen dann ihr Geld nicht mehr vom Konto ohne Weiteres abheben können, dass dann einfach die Bereitschaft wächst in Griechenland für solche Reformen.
    Bieck: Aber erleben wir da nicht im Grunde genommen seit sechs Jahren so eine Art Katz und Maus Spiel? Brüssel sagt, wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann bewegen sich die Griechen schon irgendwie, und Athen sagt, wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann wird die EU schon das Portemonnaie wieder öffnen.
    Kullas: Ja, in der Tat: Das erleben wir. Wobei man sagen muss: In den vergangenen sechs Jahren war es schon so, dass dann Griechenland geliefert hat. Es ist nicht so, dass die EU dann mit ihren Forderungen runtergegangen ist, sondern die griechische Regierung hat dann am Ende eigentlich immer geliefert.
    Bieck: Was hat Griechenland bis jetzt geliefert?
    Kullas: Griechenland hat einiges gemacht, nicht diese Regierung, sondern die Vorgängerregierung. Man hat den Mindestlohn gesenkt, man hat Entlassungen im Staatsdienst durchgeführt. Das war mit größtem Widerstand, das auch nur zum Teil, aber man hat es gemacht. Man hat Privatisierungen ins Leben gerufen. Man hat Berufe, die Zulassung zu Berufen dereguliert. Man hat relativ viel gemacht, um Steuereinnahmen zu verbessern, was ja das Hauptproblem von Griechenland ist. Man hat bestimmte Gerichte eingeführt, die sich wirklich auf Steuerfälle konzentrieren. Man hat Steuerbehörden zusammengelegt. Man hat einen obligatorischen Wechsel im Führungspersonal von diesen Steuerbehörden eingeführt. Von daher: Es ist schon etwas passiert.
    Bieck: Aber es ist, wenn ich Sie richtig verstehe, doch im Moment nur so ein Kratzen an der Oberfläche?
    Kullas: Das war die alte Regierung, die das gemacht hat, und man muss sagen, viele von den Dingen wurden letztlich beschlossen und dann sind die in der Verwaltung hängen geblieben. Die werden nicht so angewandt, wie das dann auf dem Papier steht. Das war bei den alten Regierungen ein großes Problem. Aber die neue Regierung, die weigert sich ja schon mal, diese Gesetze überhaupt auf den Weg zu bringen.
    "In Europa kommt man mit Zwang nicht weit"
    Bieck: Angela Merkel rät jetzt trotzdem weiter zu Geduld mit Athen. Etwa nur, weil das alternativlos ist?
    Kullas: Nein. Ich glaube, das ist ein Stück weit, wie wir Europa begreifen müssen. In Europa kommt man mit Zwang nicht weit. Europa ist immer gewachsen, indem man Rücksicht genommen hat auf andere und indem man versucht hat, Kompromisse zu finden, und letztlich ist das auch bei Griechenland so. Man muss Griechenland wirklich bis zum Ende einfach die Tür offen halten, dass Griechenland, wenn es denn bereit ist, diese Reformen zu machen, auch tatsächlich dann das Geld bekommt.
    Heckmann: Matthias Kullas war das vom Zentrum für europäische Politik in Freiburg. Die Fragen stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.