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Finanzkrise in Griechenland
Wirtschaftsweiser für Lastenausgleich

Eine einmalige Vermögensabgabe, 50 Prozent, zahlbar in 30 Jahren: So soll Athen die reichen Griechen zur Kasse bitten, schlägt Peter Bofinger vor. Dieses deutsche Nachkriegsmodell eines Lastenausgleichs würde auch Forderungen aus Berlin Genüge tun, sagte der Ökonom im DLF.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 21.03.2015
    Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf einer Pressekonferenz in Berlin
    Peter Bofinger, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (imago / CommonLens)
    Jürgen Zurheide: Bei dem EU-Gipfel, über den wir ja schon gesprochen haben, wurde auch darüber geredet, wie kann denn möglicherweise die Wirtschaft in Europa wieder beflügelt werden. Das ist ja ein ganz wichtiges Thema, denn wenn mehr Wachstum da ist, können Probleme eher gelöst werden, als wenn das Wachstum fehlt. Und bisher fehlt es, zumal im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Und dann die Euro-Krise, na ja, sie ist Teil dieses ganzen Problems und dieser Problemlage. Über all das wollen wir reden mit Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat, den ich zunächst einmal ganz herzlich begrüße. Guten Morgen!
    Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Bofinger, jetzt fangen wir mal bewusst nicht mit Griechenland an, sondern mit einer möglichen Wachstumsstrategie für Europa. Mit dieser Wachstumsstrategie wäre ja vieles leichter. Im Moment sieht es aber so aus, als wenn die Europäische Zentralbank der einzige Spieler ist, der die Zinsen sehr niedrig macht, aber das Ganze verfängt nicht. Wie sehen Sie die Prognose für mehr Wachstum in Europa?
    Bofinger: Zunächst einmal finde ich ja, dass die Strategie der EZB durchaus wirkt. Wir haben ja durch diese Ankündigung der Anleihkäufe eine massive Abwertung des Euro bekommen, und das ist ja eine Sache, die ist gut für die Arbeitsplätze in Europa. Denn ein niedrigerer Eurokurs wirkt ja im Außenverhältnis genauso wie eine massive Lohnsenkung im Euro-Raum. Und das wollen ja auch viele. Und die Abwertung ist eben eine relativ einfache Form, wie man die Löhne senken kann, und damit schafft man mehr Arbeitsplätze. Und ich denke, das ist ein ganz wichtiger Beitrag, dass der Euro-Raum auch wieder vorankommt.
    Zurheide: Auf der anderen Seite wird es natürlich nicht reichen, denn die Importe werden auch teurer. Jetzt kann man sagen, das Öl als einer der wesentlichen Faktoren spielt da gerade nicht mit, aber auf Dauer wird das natürlich nicht gehen, oder?
    Bofinger: Es ist keine Dauerlösung, aber immerhin ist das ja mal ein Impuls, der hilft, dass der Euro-Raum insgesamt wieder in Fahrt kommt. Und wir haben ja auch noch weitere entlastende Faktoren, denn der Ölpreisrückgang ist ja trotz der Abwertung noch mal ein positiver Effekt für den privaten Verbrauch. Und schließlich ist auch noch der Effekt auf die Zinsen da, die gerade in den Peripherieländern noch weiter sinken. Also, alles in allem hat der Euro-Raum eigentlich ganz gute Aussichten, dass dieses Jahr endlich das Wachstum sich verstärkt.
    Zurheide: Sehen Sie denn auch einen Impuls für die notwendigen Investitionen, die notwendig wären, damit der Euro-Raum bei bestimmten Defiziten im Infrastrukturbereich – die gibt es ja nicht nur in Deutschland – vorankommt?
    Bofinger: Es ist sicher so, dass diese Belebung des Euro-Raums durch die EZB einseitig ist, denn sie beruht nur auf der Geldpolitik. Die Fiskalpolitik beteiligt sich an dieser Belebung nur sehr schwach. Und es wäre natürlich wünschenswert, dass auch fiskalisch mehr Impulse gesetzt werden. Dann müsste die EZB nicht alles alleine machen. Und wir hätten auch wieder höhere Zinsen für die Sparer. Fiskalisch ist also einiges noch zu machen. Und ich denke dabei in erster Linie an die Bundesregierung, sie hätte ein großes Potenzial, das niedrige Zinsniveau zu nutzen, um mehr Investition in die Infrastruktur in Deutschland, aber auch im Bildungsbereich oder im Forschungsbereich voranzutreiben.
    "Überzogene Sparpolitik"
    Zurheide: Jetzt kommen wir zu Griechenland und versuchen mal, zunächst grundsätzlich die Lage einzuschätzen. Also, wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, dann kann man sagen, die griechische Wirtschaft ist um gut 25 Prozent geschrumpft, die Schulden sind explodiert sowohl real wie natürlich auch im Verhältnis zur gesunkenen Wirtschaftsleistung. Und die Menschen, ja, die leiden und wählen dann so, wie sie wählen. Ist die Rettungspolitik gescheitert, muss man das nicht auch mal anerkennen?
    Bofinger: Ich glaube, es besteht kein Zweifel, dass Griechenland eine Überdosis an Sparpolitik verordnet bekommen hat, in keinem Land sind die Staatsausgaben so massiv reduziert worden wie in Griechenland. Und das hat natürlich auch zu einem extremen Einbruch der Wirtschaftstätigkeit geführt und auch zu einem großen Elend in der Bevölkerung.
    Zurheide: Ich habe gerade die präzise Frage gestellt, ist damit die Rettungspolitik nicht eigentlich gescheitert? Denn man gibt ja vor, den Menschen am Ende ein Stück weit zu helfen. Aber das ist bisher erkennbar doch nicht passiert. Sie sind, glaube ich, diese Woche in Griechenland gewesen.
    Bofinger: Es ist so, dass diese überzogene Sparpolitik insoweit kontraproduktiv gewesen ist, als die Staatsverschuldung, die man ja eigentlich senken wollte, dabei massiv angestiegen ist, und zwar trotz des Schuldenschnitts, den man erlebt hat.
    Zurheide: Wenn wir jetzt fragen, was muss sich ändern: Natürlich müssen sich in Griechenland Strukturen ändern. Ich würde das gerne abschichten, dass wir zunächst auf Griechenland schauen, dann aber auch fragen, was muss sich an der Rettungspolitik – in Anführungszeichen – ändern. Wenn wir in Griechenland beginnen und Strukturänderungen einfordern, was würden Sie einfordern? Ist das möglicherweise etwas anderes, als die internationale Gemeinschaft eingefordert hat?
    "Modell des deutschen Lastenausgleichs"
    Bofinger: Ich glaube, wir haben jetzt ja sehr viel Eskalation erlebt in den vergangenen Wochen, und daran ist natürlich ganz eindeutig die griechische Seite schuld, die nun sehr, sehr unkooperativ, um nicht zu sagen: provozierend aufgetreten ist. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass man jetzt diese Eskalation versucht zu reduzieren und dass man sich fragt, wo sind eigentlich die Gemeinsamkeiten, die Deutschland und auch Europa und Griechenland haben. Und da finde ich, dass man relativ gut große Gemeinsamkeiten identifizieren kann, denn was die griechische Regierung will, ist ja eine stärkere Besteuerung der Menschen mit hohem Einkommen, sie will gegen Korruption vorgehen. Und genau das ist es ja auch, was wir in Deutschland eigentlich beklagen, dass bisher die reichen Griechen sehr, sehr wenig zur Finanzierung herangezogen wurden. Und da gibt es ja durchaus Maßnahmen, mit denen man eigentlich sehr gut auch Geld bekommen kann und an die Vermögen herangehen kann.
    Ich denke an das Modell des deutschen Lastenausgleichs, das wir nach dem Zweiten Weltkrieg hatten, das war eine einmalige Vermögensabgabe, 50 Prozent auf das Vermögen, zahlbar in 30 Jahren, und ich glaube, das Modell würde sich auch in Griechenland sehr gut anwenden lassen. Wir haben ja in Griechenland sehr hohe Haushaltseinkommen und ich denke, auf dem Wege könnte man Geld in die Staatskasse bekommen und man hätte auch der Forderung Deutschlands Genüge getan, dass die reichen Griechen doch bitte schön auch zur Finanzierung des Landes einen angemessenen Beitrag leisten sollen.
    Zurheide: Jetzt ist die Frage, ob die Griechen so weit sind. Es gibt ja erste Hinweise, dass gestern auch entsprechende Beschlüsse gefasst worden sind, noch nicht bezogen auf einen Lastenausgleich, aber zumindest auf eine Beteiligung derjenigen, die ihr Geld ja zum Teil in andere europäische Länder oder in die Schweiz gebracht haben. Wie könnte man das hinkriegen, was Sie da gerade sagen, um noch mal das Stichwort Lastenausgleich aufzunehmen?
    Bofinger: Also, ich sehe eine große Interessensgleichheit. Also, gerade in der linken Regierung müsste es ja möglich sein, das umzusetzen, was bisher nicht geglückt ist, dass wirklich die, die in Griechenland Geld haben, auch einen angemessenen Beitrag zu der ganzen Finanzierung des Landes leisten.
    Zurheide: Auf der anderen Seite müssen die Strukturen im öffentlichen Dienst zum Beispiel sich verändern, das ist unstrittig, oder?
    "Weniger Interviews, mehr Regierungsarbeit"
    Bofinger: Nein, es ist klar, dass das Land natürlich tiefgreifende Reformen benötigt. Und wenn man jetzt mit Mitgliedern der Regierung spricht, dann wird das auch anerkannt. Die wissen, dass sie grundlegend das System ändern müssen, dass das System im Kern malade ist. Und diese Bereitschaft ist da, und jetzt muss man natürlich auch sehen, die neue Regierung ist ja erst seit einigen Wochen im Amt, sie ist quasi mitten in einem Orkan jetzt auf das Schiff gekommen und muss nun versuchen, dieses Schiff zu steuern. Also, ich glaube, man sollte ihnen auch ein bisschen Zeit geben. Allerdings wäre es natürlich auch hilfreich, wenn die Mitglieder der Regierung weniger Interviews geben würden und mehr Regierungsarbeit leisten würden.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, wo müsste dann gezielt die Hilfe ansetzen? Jetzt hat die europäische Gemeinschaft gesagt, na ja, zwei Milliarden können wir zunächst einmal bereitstellen aus Strukturmitteln, um bestimmte soziale Härten abzufedern. Ist das vielleicht die Handreichung, um dann auf der anderen Seite eben auch dieses Verständnis zu wecken, was Sie gerade adressieren?
    Bofinger: Es ist klar, dass man ja auch gerade für die sozial schwachen Menschen in Griechenland jetzt Mittel braucht. Man muss ja sehen, in Griechenland gibt es kein Hartz IV, sondern in Griechenland gilt Hartz 0.
    Das heißt, wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, bekommt überhaupt nichts, was eben dazu führt, dass jetzt viele Menschen nicht mal mehr ihre Stromrechnungen bezahlen können und auch keinen Strom mehr haben. Und was jetzt die Regierung am Mittwoch beschlossen hat, ist, dass diese Menschen dann wenigstens wieder Strom bekommen. Das sind auch Dinge, die aus deutscher Sicht unstrittig sein sollten.
    Zurheide: Allerdings, die öffentliche Debattenlage ist immer noch ein ganzes Stück verschärft, da werden immer noch bestimmte Ressentiments bedient, oder?
    Bofinger: Na ja, da muss man sagen, da hat die griechische Seite natürlich auch Schuld. Es sind ja wirklich Äußerungen aus Griechenland gekommen, die inakzeptabel sind. Und ich glaube, wenn wir eine gemeinsame Lösung bekommen wollen, dann muss die griechische Seite in dieser Richtung auch abrüsten.
    Zurheide: Es gibt möglicherweise doch noch Hoffnung für Griechenland, wenn beide Seiten abrüsten und wenn es vielleicht einen Lastenausgleich gibt. Das war das Plädoyer von Peter Bofinger aus dem Sachverständigenrat, Herr Bofinger, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!
    Bofinger: Ja, vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.