Wagener: Im Frühsommer 1998 schien die Welt noch in Ordnung. Die EU-Kommission hatte elf Ländern die Euroreife attestiert; die Bundesbank und mit ihr das Europäische Währungsinstitut hatten dem ihren Segen erteilt, wenn auch mit Bedenken im Falle Italiens und Belgiens. Am ersten Maiwochenende kamen in Brüssel die Finanzminister und die Staats- und Regierungschefs zusammen, um formal dem zuzustimmen, was Kommission und Notenbanken vorbereitet hatten. Ein halbes Jahr nach der Auswahl der Teilnehmer wurde der Euro dann offiziell eingeführt. Seine ersten Notierungen Anfang 1999 lagen deutlich über einem Dollar. Die europäischen Zeitungen überschlugen sich in jenen Tagen. Heute ist von dieser Anfangseuphorie nicht mehr viel übrig. Einer, der schon vor der Einführung des Euro auf kritische Distanz zur neuen Währung ging, ist Otto Graf Lambsdorff von der F.P.D., mit dem ich nun verbunden bin. Einen schönen guten Morgen.
Lambsdorff: Guten Morgen Herr Wagener.
Wagener: Graf Lambsdorff, in der Europadebatte des Bundestages, ziemlich genau vor zwei Jahren, also etwa ein dreiviertel Jahr vor Einführung des Euro, hatten Sie Ihren Pessimismus gegenüber der europäischen Einheitswährung begründet. Damals monierten Sie die teilweise Nichteinhaltung der Maastrichter Kriterien und vor allem auch die Teilnahme Italiens an der ersten Runde des Euro. Ich unterstelle mal, dass Sie sicherlich keine Schadenfreude heute hegen, aber bestätigt dürften Sie sich doch fühlen?
Lambsdorff: Ja, aber das bringt natürlich nicht viel, Herr Wagener. Es ist richtig: Ich habe in der Schlussabstimmung zur Einführung des Euro wegen dieser Bedenken auch nicht zugestimmt. Ich war und bin für eine europäische einheitliche Währung, aber eben unter den Bedingungen, die notwendig sind, um ein Währung zu bekommen, wie es die Politiker den Bürgern versprochen haben, insbesondere in Deutschland. Wir haben immer wieder gesagt: Der Euro wird so stark sein wie die D-Mark. Und was ist denn davon übrig? Wenn man heute die Bürger in Deutschland fragen würde - vor dem Hintergrund dieser Erfahrung -, ob sie der Einführung des Euro zustimmen würden, da bin ich außerordentlich zweifelhaft, ob das geschehen würde. Und ich finde es deswegen auch nicht gut, dass jetzt dauernd argumentiert wird: 'Ja, früher hat der Dollar auch schon mal 3,40 Mark gekostet - so gestern Theo Waigel und auch die Bundesbankvertreter. Das ist ja alles richtig, aber er war ja wohl froh, dass wir von diesem Kursverhältnis runtergekommen sind und uns zu einem vernünftigeren Wechselkurs durchgearbeitet hatten. Nun sehen wir das alles wieder verschwinden. Also, mit Beschlichtigungsformel und auch mit der Feststellung von Kanzler Schröder, das sei alles gar nicht so bedenklich, damit - finde ich - ist es nicht getan. Die Verantwortung liegt aber nicht beim Euro und nicht bei der Europäischen Zentralbank, das will ich ausdrücklich sagen. Sie liegt bei den beteiligten Regierungen, die ihre Hausaufgaben nicht machen.
Wagener: Da gibt es sicherlich große Unterschiede. Aber noch mal ganz kurz zum eigentlichen Wert des Euro derzeit - er liegt bei der 90-Cent-Marke. Ist das denn der tatsächliche Wert oder ist das alles nur Psychologie?
Lambsdorff: Herr Wagener, diese Frage - 'was ist eigentlich eine Währung wert' - wird immer wieder gestellt. Und ich habe immer wieder mein ganzes wirtschaftspolitisches Leben lang gesagt: Die Frage wird von den Märkten beantwortet. Das können weder Herr Wagener noch Graf Lambsdorff entscheiden, wie viel eine Währung wert ist, das entscheiden die Marktteilnehmer. Und die entscheiden ganz deutlich, dass der Dollar sehr viel mehr wert ist als die europäische Währung. Und woran liegt das? Danach muss man fragen. Wenn die Vereinigten Staaten jetzt ein Wachstum des Bruttosozialproduktes - inflationsfrei und mit Vollbeschäftigung - von fast sechs Prozent angeben, und in Europa liegen wir unter drei Prozent, und da sind wir noch ganz stolz in Deutschland, wenn wir sagen: Es sind nicht 2,7 sondern 2,8 Prozent - was ist das denn für eine Diskussion? Der Abstand wird immer größer. Die Vereinigten Staaten werden wirtschaftlich und währungspolitisch immer stärker, und das wird den weiteren Wechselkurs bestimmen, wenn sich die europäischen Regierungen nicht endlich aufraffen, dass sie das tun was sie tun müssen, nämlich ihre Wirtschaften auf Vordermann bringen.
Wagener: Trotzdem - die Konjunktur ist doch auch hier in Fahrt, nicht nur in Deutschland. Und trotzdem schwindet das Vertrauen in die europäische Währung. Die Analysten sind sich ja völlig uneinig über die Gründe. Welches sind Ihre Hauptgründe, warum ist das so?
Lambsdorff: Die Hauptgründe sind ganz eindeutig die, die ich schon eben genannt habe: Dies wirtschaftliche Wachstum in den USA über viele Jahre, die Stärke der amerikanischen Wirtschaft und im Vergleich dazu die Schwäche der europäischen Wirtschaft. Gestern konnte man Fernsehkommentare der Chefvolkswirte der Deutschen Bank und der Dresdner Bank hören. Der eine sagte - Dresdner Bank, Herr Friedrich -: 'Die amerikanische Konjunktur ist ja nicht totzukriegen', und der Professor Walther von der Deutschen Bank - ich hoffe, er meinte das nur ironisch - sagte: 'Wir brauchen schlechte Nachrichten aus den USA'. Nein, wir brauchen gute Nachrichten aus den europäischen Wirtschaften, und dafür müssen wir arbeiten. Glauben Sie denn, wir können uns hinsetzen und warten, bis die Amerikaner uns schlechte Nachrichten liefern? Das finde ich eine geradezu absurde und groteske Diskussion.
Wagener: Nächste Woche soll Griechenland in den Euroverband aufgenommen werden, ein Land mit ähnlich labilen Finanzhintergründen wie Italien. Und Sie hatten ja seinerzeit vor der Aufnahme Italiens in der ersten Runde gewarnt. Würden Sie den Beitritt Griechenlands wegen der aktuellen Euroschwäche nun vertagen, wenn Sie könnten?
Lambsdorff: Ja, selbstverständlich täte ich das. Es war schon damals so, Herr Wagener, dass die Ausnahme Italiens in der ersten Runde und in der Folge davon dann Spanien und Portugal - aber Italien war auslösendes Moment - eine politische Entscheidung war. Und ich habe immer gesagt, den politischen Gründen kann man nicht widersprechen. Die Italiener sind ein europafreundliches Land, sie haben von Anfang an Europa mit befördert und mit getragen. Insofern ist das alles in Ordnung, aber ökonomisch, währungspolitisch und wirtschaftlich war das kaum vertretbar. Und jetzt Griechenland aufzunehmen bei den dort vorhandenen Zuständen - wirtschaftlich und ökonomisch immer gesehen - halte ich für einen kapitalen Fehler. Das wird die Situation weiter verschlechtern, und ich kann mich nur wundern, was man den Bürgern eigentlich alles zumutet, wenn man jetzt diesen Beschluss auch noch fassen will - zur ungeeigneten Zeit und unter ungeeigneten Voraussetzungen.
Wagener: Und in Gnesen wirbt gleichzeitig Polen in Gesprächen mit Kanzler Schröder um rasche Aufnahme in die EU. Der schwache Euro und die Osterweiterung - ein politisch vernünftiges Ziel, aber dann doch auch mit weitreichenden finanzpolitischen Folgen?
Lambsdorff: Ich denke, da muss man zweierlei unterscheiden: Es gibt natürlich die Notwendigkeit, die Europäische Union zu erweitern. Das halte ich auch für politisch für notwendig; hinter dieser Forderung stehe ich lange. Ich denke, dass die Erweiterung - der Erweiterungsbeschluss - politisch viel zu spät kommt. Dennoch müssen deswegen die Länder, die jetzt der Europäischen Union beitreten oder beitreten können und sollen, nicht gleichzeitig der Europäischen Währungsunion beitreten. Wir haben ja auch andere Länder, die außerhalb der Währungsunion sind. Das wird ein Schritt sein, der später kommt. Die Länder, die außerhalb der Währungsunion sind, sind ja auch in einer schwierigen Lage. Sehen Sie sich die Engländer an - mit einem sehr hohen Pfundkurs und einer Wettbewerbsposition gegenüber Euroland, also den Mitgliedern der Währungsunion -, die es für die Engländer sehr schwer macht. Das kann Sprengstoff für die gesamte Europäische Union eines Tages bedeuten, wenn sich das fortsetzt und man das nicht in den Griff bekommt. Und augenblicklich sieht es leider nicht so aus, dass man es in den Griff bekommt.
Wagener: Die US-Zeitschrift BUSINESS-WEEK von dieser Woche hat eine große Titelgeschichte über Gerhard Schröder gemacht und ist voll des Lobes. Eine Kernthese dieses Blattes lautet: '2001 wird Deutschland zusammen mit den USA die Konjunkturlokomotive weltweit sein'. Also, an der falschen Politik kann es doch in Deutschland eigentlich nicht liegen, dass der Euro so schlecht dasteht.
Lambsdorff: Na, also das nenne ich eine freundliche und sehr oberflächliche Betrachtungsweise von BUSINESS-WEEK. Sehen Sie sich doch bitte mal an, was der internationale Währungsfonds, was die OECD, was auch die Europäische Kommission uns unentwegt ins Stammbuch schreibt: 'Ihr seid da mit 2,7 und 2,8 Prozent natürlich besser als das mickrige 1 Prozent Wachstum im Jahre 1999, aber ausreichen tut das lange nicht, und Ihr setzt die Kräfte des Marktes nicht frei. Ihr flexibilisiert nicht Eure Wirtschaft, Ihr macht die Arbeitsmärkte nicht beweglicher'. Wir kommen jetzt mit der Greencard. Das ist ja eine Idee in die richtige Richtung von Gerhard Schröder, nur es ist ein Weg durch die Hintertür, weil man die Vordertür - der Öffnung der Arbeitsmärkte, der Flexibilisierung - sich aus politischen Gründen nicht zutraut. Und wer glaube dann im ernst, dass 20.000 Computerfachleute aus Indien nach Deutschland kommen? Die gehen in die USA, wenn sie auswandern wollen. Erstens haben sie es sprachlich leichter, und zweitens sind sie da in einem offenen Land und sehen dort nicht, wie die Greencardoperation in Deutschland - von den Behörden, von der Regulierung, vom Arbeitsministerium angefangen - ja schon ruiniert wird, bevor sie überhaupt in die Tat umgesetzt worden ist. Es ist ein Trauerspiel, sich das alles mit ansehen zu müssen.
Wagener: Kommen wir noch einmal zurück auf den Euro. Was bedeutet denn Ihrer Meinung nach der Sturz des Euro unter die 90-Cent-Marke, die ja nun kurz davor steht?
Lambsdorff: Herr Wagener, das ist ziemlich einfach. Für unsere Exportsituation ist das günstig. Unsere Autos, unsere Maschinen und unsere Flugzeuge können wir relativ günstig verkaufen. Fragen Sie die Amerikaner, ob sie sich das gefallen lassen angesichts ihres riesigen und anschwellenden Handelsbilanzdefizits. Das lassen sie sich zur Zeit nur gefallen, weil es bei ihnen noch keine Arbeitslosigkeit gibt und vermutlich auch so bald nicht geben wird. Deswegen ist das vielleicht nicht so gefährlich. Aber auf der anderen Seite: Wer zahlt denn für diese Erfolge der Exportindustrie? Der einfache Bürger zahlt dafür. Er zahlt über höhere Benzinpreise, er zahlt über andere Preise - importierte Preise, die höher sind -. Wir importieren die Inflation, und deswegen ist ja die Entscheidung der Europäischen Zentralbank - wenn die richtig begründet worden ist, aber ich glaube, das war der Fall - 'wir erhöhen die Zinsen, um der Inflation zu begegnen' - die ist völlig richtig und die ist völlig notwendig. Auf die Europäische Zentralbank zu schimpfen, wie es eine der Pressestimmen, die eben zitiert wurden, ist in meinen Augen völlig falsch. Die Regierungen müssen das Ziel der Kritik sein - alle in Europa. Und da hilft es auch nicht, wenn man jetzt erklärt, man müsse sich zusammensetzen und gemeinsame Erklärungen abgeben. Diesen - mit Verlaub gesagt - Unfug hat man in Lissabon getan - für das Jahr 2000 zwanzig Millionen neue Arbeitsplätze versprechen. Die entstehen doch nicht, wenn die Herren Ministerpräsidenten sich zusammensetzen. Die entstehen, wenn die richtige Politik gemacht wird in Europa. Und dazu haben die Regierungen nicht den Mut - und da nutzen die freundlichen Worte von BUSINESS-WEEK uns überhaupt nichts.
Wagener: Graf Lambsdorff, recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Link: (Gespräch mit Kurt Faltlhauser (CSU)==>/cgi-bin/es-edit/neu-interview/621.html)
Link: Interview als RealAudio
Lambsdorff: Guten Morgen Herr Wagener.
Wagener: Graf Lambsdorff, in der Europadebatte des Bundestages, ziemlich genau vor zwei Jahren, also etwa ein dreiviertel Jahr vor Einführung des Euro, hatten Sie Ihren Pessimismus gegenüber der europäischen Einheitswährung begründet. Damals monierten Sie die teilweise Nichteinhaltung der Maastrichter Kriterien und vor allem auch die Teilnahme Italiens an der ersten Runde des Euro. Ich unterstelle mal, dass Sie sicherlich keine Schadenfreude heute hegen, aber bestätigt dürften Sie sich doch fühlen?
Lambsdorff: Ja, aber das bringt natürlich nicht viel, Herr Wagener. Es ist richtig: Ich habe in der Schlussabstimmung zur Einführung des Euro wegen dieser Bedenken auch nicht zugestimmt. Ich war und bin für eine europäische einheitliche Währung, aber eben unter den Bedingungen, die notwendig sind, um ein Währung zu bekommen, wie es die Politiker den Bürgern versprochen haben, insbesondere in Deutschland. Wir haben immer wieder gesagt: Der Euro wird so stark sein wie die D-Mark. Und was ist denn davon übrig? Wenn man heute die Bürger in Deutschland fragen würde - vor dem Hintergrund dieser Erfahrung -, ob sie der Einführung des Euro zustimmen würden, da bin ich außerordentlich zweifelhaft, ob das geschehen würde. Und ich finde es deswegen auch nicht gut, dass jetzt dauernd argumentiert wird: 'Ja, früher hat der Dollar auch schon mal 3,40 Mark gekostet - so gestern Theo Waigel und auch die Bundesbankvertreter. Das ist ja alles richtig, aber er war ja wohl froh, dass wir von diesem Kursverhältnis runtergekommen sind und uns zu einem vernünftigeren Wechselkurs durchgearbeitet hatten. Nun sehen wir das alles wieder verschwinden. Also, mit Beschlichtigungsformel und auch mit der Feststellung von Kanzler Schröder, das sei alles gar nicht so bedenklich, damit - finde ich - ist es nicht getan. Die Verantwortung liegt aber nicht beim Euro und nicht bei der Europäischen Zentralbank, das will ich ausdrücklich sagen. Sie liegt bei den beteiligten Regierungen, die ihre Hausaufgaben nicht machen.
Wagener: Da gibt es sicherlich große Unterschiede. Aber noch mal ganz kurz zum eigentlichen Wert des Euro derzeit - er liegt bei der 90-Cent-Marke. Ist das denn der tatsächliche Wert oder ist das alles nur Psychologie?
Lambsdorff: Herr Wagener, diese Frage - 'was ist eigentlich eine Währung wert' - wird immer wieder gestellt. Und ich habe immer wieder mein ganzes wirtschaftspolitisches Leben lang gesagt: Die Frage wird von den Märkten beantwortet. Das können weder Herr Wagener noch Graf Lambsdorff entscheiden, wie viel eine Währung wert ist, das entscheiden die Marktteilnehmer. Und die entscheiden ganz deutlich, dass der Dollar sehr viel mehr wert ist als die europäische Währung. Und woran liegt das? Danach muss man fragen. Wenn die Vereinigten Staaten jetzt ein Wachstum des Bruttosozialproduktes - inflationsfrei und mit Vollbeschäftigung - von fast sechs Prozent angeben, und in Europa liegen wir unter drei Prozent, und da sind wir noch ganz stolz in Deutschland, wenn wir sagen: Es sind nicht 2,7 sondern 2,8 Prozent - was ist das denn für eine Diskussion? Der Abstand wird immer größer. Die Vereinigten Staaten werden wirtschaftlich und währungspolitisch immer stärker, und das wird den weiteren Wechselkurs bestimmen, wenn sich die europäischen Regierungen nicht endlich aufraffen, dass sie das tun was sie tun müssen, nämlich ihre Wirtschaften auf Vordermann bringen.
Wagener: Trotzdem - die Konjunktur ist doch auch hier in Fahrt, nicht nur in Deutschland. Und trotzdem schwindet das Vertrauen in die europäische Währung. Die Analysten sind sich ja völlig uneinig über die Gründe. Welches sind Ihre Hauptgründe, warum ist das so?
Lambsdorff: Die Hauptgründe sind ganz eindeutig die, die ich schon eben genannt habe: Dies wirtschaftliche Wachstum in den USA über viele Jahre, die Stärke der amerikanischen Wirtschaft und im Vergleich dazu die Schwäche der europäischen Wirtschaft. Gestern konnte man Fernsehkommentare der Chefvolkswirte der Deutschen Bank und der Dresdner Bank hören. Der eine sagte - Dresdner Bank, Herr Friedrich -: 'Die amerikanische Konjunktur ist ja nicht totzukriegen', und der Professor Walther von der Deutschen Bank - ich hoffe, er meinte das nur ironisch - sagte: 'Wir brauchen schlechte Nachrichten aus den USA'. Nein, wir brauchen gute Nachrichten aus den europäischen Wirtschaften, und dafür müssen wir arbeiten. Glauben Sie denn, wir können uns hinsetzen und warten, bis die Amerikaner uns schlechte Nachrichten liefern? Das finde ich eine geradezu absurde und groteske Diskussion.
Wagener: Nächste Woche soll Griechenland in den Euroverband aufgenommen werden, ein Land mit ähnlich labilen Finanzhintergründen wie Italien. Und Sie hatten ja seinerzeit vor der Aufnahme Italiens in der ersten Runde gewarnt. Würden Sie den Beitritt Griechenlands wegen der aktuellen Euroschwäche nun vertagen, wenn Sie könnten?
Lambsdorff: Ja, selbstverständlich täte ich das. Es war schon damals so, Herr Wagener, dass die Ausnahme Italiens in der ersten Runde und in der Folge davon dann Spanien und Portugal - aber Italien war auslösendes Moment - eine politische Entscheidung war. Und ich habe immer gesagt, den politischen Gründen kann man nicht widersprechen. Die Italiener sind ein europafreundliches Land, sie haben von Anfang an Europa mit befördert und mit getragen. Insofern ist das alles in Ordnung, aber ökonomisch, währungspolitisch und wirtschaftlich war das kaum vertretbar. Und jetzt Griechenland aufzunehmen bei den dort vorhandenen Zuständen - wirtschaftlich und ökonomisch immer gesehen - halte ich für einen kapitalen Fehler. Das wird die Situation weiter verschlechtern, und ich kann mich nur wundern, was man den Bürgern eigentlich alles zumutet, wenn man jetzt diesen Beschluss auch noch fassen will - zur ungeeigneten Zeit und unter ungeeigneten Voraussetzungen.
Wagener: Und in Gnesen wirbt gleichzeitig Polen in Gesprächen mit Kanzler Schröder um rasche Aufnahme in die EU. Der schwache Euro und die Osterweiterung - ein politisch vernünftiges Ziel, aber dann doch auch mit weitreichenden finanzpolitischen Folgen?
Lambsdorff: Ich denke, da muss man zweierlei unterscheiden: Es gibt natürlich die Notwendigkeit, die Europäische Union zu erweitern. Das halte ich auch für politisch für notwendig; hinter dieser Forderung stehe ich lange. Ich denke, dass die Erweiterung - der Erweiterungsbeschluss - politisch viel zu spät kommt. Dennoch müssen deswegen die Länder, die jetzt der Europäischen Union beitreten oder beitreten können und sollen, nicht gleichzeitig der Europäischen Währungsunion beitreten. Wir haben ja auch andere Länder, die außerhalb der Währungsunion sind. Das wird ein Schritt sein, der später kommt. Die Länder, die außerhalb der Währungsunion sind, sind ja auch in einer schwierigen Lage. Sehen Sie sich die Engländer an - mit einem sehr hohen Pfundkurs und einer Wettbewerbsposition gegenüber Euroland, also den Mitgliedern der Währungsunion -, die es für die Engländer sehr schwer macht. Das kann Sprengstoff für die gesamte Europäische Union eines Tages bedeuten, wenn sich das fortsetzt und man das nicht in den Griff bekommt. Und augenblicklich sieht es leider nicht so aus, dass man es in den Griff bekommt.
Wagener: Die US-Zeitschrift BUSINESS-WEEK von dieser Woche hat eine große Titelgeschichte über Gerhard Schröder gemacht und ist voll des Lobes. Eine Kernthese dieses Blattes lautet: '2001 wird Deutschland zusammen mit den USA die Konjunkturlokomotive weltweit sein'. Also, an der falschen Politik kann es doch in Deutschland eigentlich nicht liegen, dass der Euro so schlecht dasteht.
Lambsdorff: Na, also das nenne ich eine freundliche und sehr oberflächliche Betrachtungsweise von BUSINESS-WEEK. Sehen Sie sich doch bitte mal an, was der internationale Währungsfonds, was die OECD, was auch die Europäische Kommission uns unentwegt ins Stammbuch schreibt: 'Ihr seid da mit 2,7 und 2,8 Prozent natürlich besser als das mickrige 1 Prozent Wachstum im Jahre 1999, aber ausreichen tut das lange nicht, und Ihr setzt die Kräfte des Marktes nicht frei. Ihr flexibilisiert nicht Eure Wirtschaft, Ihr macht die Arbeitsmärkte nicht beweglicher'. Wir kommen jetzt mit der Greencard. Das ist ja eine Idee in die richtige Richtung von Gerhard Schröder, nur es ist ein Weg durch die Hintertür, weil man die Vordertür - der Öffnung der Arbeitsmärkte, der Flexibilisierung - sich aus politischen Gründen nicht zutraut. Und wer glaube dann im ernst, dass 20.000 Computerfachleute aus Indien nach Deutschland kommen? Die gehen in die USA, wenn sie auswandern wollen. Erstens haben sie es sprachlich leichter, und zweitens sind sie da in einem offenen Land und sehen dort nicht, wie die Greencardoperation in Deutschland - von den Behörden, von der Regulierung, vom Arbeitsministerium angefangen - ja schon ruiniert wird, bevor sie überhaupt in die Tat umgesetzt worden ist. Es ist ein Trauerspiel, sich das alles mit ansehen zu müssen.
Wagener: Kommen wir noch einmal zurück auf den Euro. Was bedeutet denn Ihrer Meinung nach der Sturz des Euro unter die 90-Cent-Marke, die ja nun kurz davor steht?
Lambsdorff: Herr Wagener, das ist ziemlich einfach. Für unsere Exportsituation ist das günstig. Unsere Autos, unsere Maschinen und unsere Flugzeuge können wir relativ günstig verkaufen. Fragen Sie die Amerikaner, ob sie sich das gefallen lassen angesichts ihres riesigen und anschwellenden Handelsbilanzdefizits. Das lassen sie sich zur Zeit nur gefallen, weil es bei ihnen noch keine Arbeitslosigkeit gibt und vermutlich auch so bald nicht geben wird. Deswegen ist das vielleicht nicht so gefährlich. Aber auf der anderen Seite: Wer zahlt denn für diese Erfolge der Exportindustrie? Der einfache Bürger zahlt dafür. Er zahlt über höhere Benzinpreise, er zahlt über andere Preise - importierte Preise, die höher sind -. Wir importieren die Inflation, und deswegen ist ja die Entscheidung der Europäischen Zentralbank - wenn die richtig begründet worden ist, aber ich glaube, das war der Fall - 'wir erhöhen die Zinsen, um der Inflation zu begegnen' - die ist völlig richtig und die ist völlig notwendig. Auf die Europäische Zentralbank zu schimpfen, wie es eine der Pressestimmen, die eben zitiert wurden, ist in meinen Augen völlig falsch. Die Regierungen müssen das Ziel der Kritik sein - alle in Europa. Und da hilft es auch nicht, wenn man jetzt erklärt, man müsse sich zusammensetzen und gemeinsame Erklärungen abgeben. Diesen - mit Verlaub gesagt - Unfug hat man in Lissabon getan - für das Jahr 2000 zwanzig Millionen neue Arbeitsplätze versprechen. Die entstehen doch nicht, wenn die Herren Ministerpräsidenten sich zusammensetzen. Die entstehen, wenn die richtige Politik gemacht wird in Europa. Und dazu haben die Regierungen nicht den Mut - und da nutzen die freundlichen Worte von BUSINESS-WEEK uns überhaupt nichts.
Wagener: Graf Lambsdorff, recht herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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