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Finanzwissenschaftler empfiehlt Mindest- und Kombilöhne

Der Finanzwissenschaftler Ronnie Schöb hält den Koalitionsstreit über Regelungen im Niedriglohnsektor für überzogen. Erfahrungen aus dem benachbarten Ausland zeigten, dass durchaus eine Kombination von Mindest- und Kombilöhnen möglich sei, so dass letztendlich auch Arbeitsplätze geschaffen würden, sagte der Wissenschaftler von der Freien Universität Berlin.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Spitzenpolitiker von SPD, CDU und CSU treffen sich heute Abend im Bundeskanzleramt zu einer Koalitionsrunde. Dabei soll vor allem versucht werden, in den seit Monaten andauernden Streitpunkten Mindestlohn und Krippenplätze einen Durchbruch zu erzielen. Zumindest beim Thema Kleinkinderbetreuung stehen dafür die Chancen gar nicht schlecht. Beim Mindestlohn sind die Aussichten hingegen ungewiss. Die SPD will einen gesetzlichen Mindestlohn; die Union setzt dagegen auf ihr Konzept von Kombilöhnen. ( MP3-Audio , Bericht von Gerhard Irmler)

    Und am Telefon begrüße ich nun Ronnie Schöb. Er ist Finanzwissenschaftler an der Freien Universität Berlin mit dem Schwerpunkt Arbeitsmarktpolitik. Guten Tag, Herr Schöb!

    Ronnie Schöb: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Herr Schöb, die Streitpunkte Kombilohn oder Mindestlohn. Ist das eine Frage der Ideologie?

    Schöb: Ja, den Eindruck muss man in der deutschen wirtschaftspolitischen Debatte durchaus haben. Der Mindestlohn wird in den anderen Ländern, wenn wir uns mal Frankreich oder Großbritannien anschauen, doch wesentlich pragmatischer diskutiert. Dort sehen wir auch, dass man durchaus das eine Instrument, nämlich den Mindestlohn, mit dem anderen Instrument, dem Kombilohn, verbinden kann, so dass letztendlich tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen werden können.

    Breker: Was man ja eigentlich erreichen will, Herr Schöb, ist, dass Arbeit, die geleistet werden muss, selber als Arbeit nicht zu teuer wird und damit ins Ausland geht.

    Schöb: Ja. Was wir in Deutschland beobachten, ist, dass diejenigen, die strikt gegen Mindestlohn argumentieren, immer auf die Arbeitskosten schauen. Und natürlich: Wenn die Löhne ansteigen, sprich die Arbeitskosten ansteigen, dann werden tendenziell Arbeitsplätze ins Ausland abwandern oder gänzlich verloren gehen. Diejenigen, die für den Mindestlohn sind, die schauen auf den Nettolohn und argumentieren, es muss doch möglich sein in Deutschland, mit einer Vollzeitarbeitsstelle mehr zu verdienen, als man ansonsten für das nicht Arbeiten von Hartz IV bekommt.

    Der Keil zwischen diesem Nettolohn und den Arbeitskosten, das sind die Sozialversicherungsbeiträge im Niedriglohnbereich. Der bleibt bei der ganzen Diskussion außen vor. Da sind die Franzosen zum Beispiel viel pragmatischer. Sie sagen, okay, wir führen einen Mindestlohn ein, gleichzeitig aber senken wir die Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherungsbeiträge um etwa 20 Prozent. Das bedeutet, wir können auf der einen Seite einen höheren Nettolohn den Arbeitnehmern auszahlen, ohne dass wir gleichzeitig die Arbeitskosten der Unternehmen in die Höhe treiben.

    Breker: Und das wäre auf Deutschland übertragbar ohne Weiteres?

    Schöb: Ja. Es kommt nur darauf an, das richtig zu machen. Was nicht zusammengeht ist ein Kombilohn, so wie er jetzt diskutiert wird, der nämlich im Wesentlichen darauf abzielt, das Arbeitnehmereinkommen zu erhöhen. Denn ein solcher Kombilohn wirkt ja dann nur positiv auf die Beschäftigung, wenn dadurch die Arbeitskosten gesenkt werden. Das würde ja ein Mindestlohn gerade verhindern.

    Wenn man aber umgekehrt einen Kombilohn so konzipiert, dass man die Zuschüsse direkt an den Arbeitgeber gibt, dann kann man auf der einen Seite ein Nettolohneinkommen in Form einer Mindestlohnsicherung, und zwar auf moderatem Niveau, sicherstellen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Arbeitskosten dadurch nicht in die Höhe getrieben werden.

    Breker: Herr Schöb, es gibt ja schon Bereiche, in denen wir einen Mindestlohn haben, etwa über das Entsendegesetz, oder dort, wo die Tarifparteien Mindestlöhne verabredet haben. Wie sind denn die Erfahrungen dort zu werten?

    Schöb: Wir haben ja darüber hinaus einen impliziten Mindestlohn durch Hartz IV. Wie hoch sind denn die Arbeitsanreize, wenn sie letztendlich mit einem Nettoeinkommen nach Hause kommen, das deutlich unter dem liegt, was sie bekommen, wenn sie arbeitslos sind und Hartz-IV-Geld-Empfänger sind?

    Die Erfahrungen sind hier durchaus auch durchwachsen, denn zum einen sehen wir ja die Aufstockung durch Hartz IV. Es gibt sehr viele Menschen, die tatsächlich ein Einkommen erzielen, das unter dem Existenzminimum liegt, und deswegen Aufstockungsbeiträge durch Hartz IV bekommen. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch, dass in diesem Bereich die Anreize, solche Arbeit anzunehmen, bei vielen Menschen viel zu gering ausgeprägt sind. Insgesamt für die Beschäftigung kein eindeutiges Signal, tendenziell, würde ich sagen, in den Bereichen, wo tatsächlich sehr hohe Mindestlöhne vereinbart werden, insbesondere dort, wo auch die untersten Lohntarife gar nicht mehr besetzt sind, hat das dazu geführt, dass einfache Tätigkeiten schlicht und ergreifend in den Unternehmen nicht mehr besetzt werden.

    Breker: Gibt es eine Besonderheit, die ausschließlich Ostdeutschland betrifft?

    Schöb: Ja. Wenn sie einen Mindestlohn in Deutschland einführen, dann, denke ich, kommen wir nicht daran vorbei zu differenzieren. Wenn ich von einem Mindestlohn rede, rede ich wirklich nicht von 7,50 Euro, wie die Gewerkschaften fordern, sondern ich denke eher in einem Bereich, der vielleicht bei 5 Euro oder 5,50 Euro angesiedelt wird. Auch hier muss man sich ernsthaft überlegen, ob man nicht zwischen den alten und den neuen Bundesländern unterscheiden muss. Wir haben in den neuen Bundesländern nach wie vor über die gesamte Lohnpalette ein wesentlich niedrigeres Lohnniveau als in den alten Bundesländern. Wenn wir jetzt die untere Grenze auf das gleiche Niveau anheben, dann würde das einfach dazu führen, dass wir insbesondere in den neuen Bundesländern einfache Arbeit auch in Zukunft viel zu teuer machen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Ronnie Schöb. Er ist Finanzwissenschaftler an der Freien Universität Berlin und hat sich spezialisiert auf die Arbeitsmarktpolitik. Unser Thema waren die Mindestlöhne.