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Finanzwissenschaftler erwartet steigende Zinsen in USA

"Wir kommen mit diesem Kompromiss noch nicht wirklich von den Schulden runter", sagt der Ökonom und US-Staatsbürger Max Otte. Trotz Sparmaßnahmen werden deshalb die Zinsen in den USA und weltweit in den nächsten zwei Jahren ansteigen, prognostiziert er.

Max Otte im Gespräch mit Bettina Klein | 01.08.2011
    Bettina Klein: Und mitgehört hat ein anderer US-Staatsbürger, Professor Max Otte, Wirtschaftswissenschaftler und Finanzfachmann, der unter anderem deshalb zu Bekanntheit gelangte, weil er die Finanzkrise 2008 frühzeitig in einem Buch prognostizierte. Guten Morgen, Herr Otte!

    Max Otte: Guten Morgen!

    Klein: Was haben wir da erlebt, vergangene Nacht in Washington: die Rettung der Welt vor einer neuen Krise?

    Otte: Nein, definitiv nicht. Das war zum Schluss ja ein Tauziehen und ein Gezerre. Das Schuldenlimit ist ja schon über 70 Mal angehoben worden in der Nachkriegsgeschichte. Was es diesmal so bitter gemacht hat, war die verhärtete Position aufseiten der Republikaner, der Tea-Party-Bewegung, sodass das Tauziehen also endlos ging. Aber man konnte schon hoffen, dass da in letzter Sekunde quasi eine Einigung gefunden werden würde, und so ist es ja auch passiert.

    Klein: Und wenn das tatsächlich durch den Kongress kommt bis morgen Nacht, dann wird es ja zu den akuten Auswirkungen, die von allen befürchtet worden sind, ja nicht kommen?

    Otte: Das ist richtig. Also, das, was sowieso unwahrscheinlich gewesen wäre, passiert jetzt nicht, aber die Gesamtsituation auf der Welt und in den USA hat sich ja nicht geändert, Amerika hat quasi im Moment ein Kriegsdefizit in Friedenszeiten mit über zehn Prozent Haushaltsdefizit bei den laufenden Ausgaben, die Wirtschaft ist am Boden, die Arbeitslosigkeit ist offiziell neun Prozent, inoffiziell wesentlich höher, jedes vierte Kind hängt von Lebensmittelmarken ab. Also, da ist schon in der Wirtschaft erheblicher Reformbedarf und John Kornblum hat das ja eben angedeutet, dass sich im Prinzip, was die große Richtung angeht, die Republikaner durchgesetzt haben und dass damit weitere Sozialprogramme und eine auf Ausgleich bedachte Politik sehr, sehr schwer, wahrscheinlich sogar unmöglich wird.

    Klein: Was daran ist jetzt problematisch für die Weltwirtschaft?

    Otte: Bis jetzt haben wir Ende 2008, was ich damals in meinem Buch auch nicht vorhersehen konnte, quasi den Crash verhindert oder die Weltwirtschaft auf die Schiene gesetzt. Indem die private Schuldenmaschine, die stoppte in den USA nach den Verbriefungen, nachdem die Banken also kein Geld mehr geliehen haben und diese Maschine stoppte, haben eben die Staaten diese Stelle eingenommen und überall auf der Welt - zumindest bei den Industriestaaten und nicht in China - wurden die Schulden hochgefahren, und ganz vorne die USA. Und das geht natürlich auch nicht endlos, wir kommen da auch relativ schnell jetzt an einen Schuldenstand von hundert Prozent. Das ist mehr, als einige der Randstaaten in der Europäischen Union. Und bei diesen Sparmaßnahmen und Kürzungen von einer Billion jetzt, da kommen wir nicht runter. Das heißt, dieser Schuldenstand der USA wird weiter steigen und es läuft letztlich auf eine deutlich inflationäre Politik in den USA hinaus.

    Klein: Ja. Aber noch mal: Die Ratingagenturen werden voraussichtlich die Kreditwürdigkeit der USA jetzt nicht herabstufen, die Zinsen in den USA werden, wie ja vor Wochen noch befürchtet, jetzt nicht sofort in diesem Maße steigen. Welche konkreten Auswirkungen befürchten Sie denn jetzt noch?

    Otte: Ja, Ihr Schlüsselwort ist: jetzt. Also, man hat sich eine kurze Atempause verschafft, aber irgendwann wird natürlich dieser massive Schuldenstand der USA zu steigenden Zinsen in den USA und auch weltweit führen, und dann haben wir natürlich das nächste Problem für die Weltwirtschaft und dann werden allerortens die Kredite teurer und dann haben wir die nächste Bremse. Also, wir kommen mit diesem Kompromiss noch nicht wirklich von den Schulden runter, auch nicht von den Mehrschulden, und auf der anderen Seite reicht es eben nicht aus, um in den USA eine solide Regierungspolitik zu machen, was Programme für die Infrastruktur und Bildung und Wissenschaft und so weiter angeht.

    Klein: Von welchen Zeiträumen sprechen Sie, wenn es um steigende Zinsen geht?

    Otte: Irgendwann jetzt wird das schon der Fall sein, denn wir haben im Prinzip seit Anfang der 80er-Jahre fallende oder stagnierende Zinsen. Das sind jetzt immerhin 30 Jahre und kein Trend währt ewig. Also, ich denke, in den nächsten zwei Jahren sehen wir spätestens die Zinswende, wenn nicht früher.

    Klein: Der Finanzwissenschaftler Max Otte mit seiner Einschätzung zum in der vergangenen Nacht gefundenen Kompromiss in Washington im US-Schuldenstreit. Ich bedanke mich auch bei Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!

    Otte: Guten Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.