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FinCEN-Files
"Dieser Skandal muss zu einem Weckruf werden"

Geleakte Daten aus dem US-Finanzministerium haben große Defizite bei der Bekämpfung internationaler Geldwäsche offenbart. Für den Grünen-Wirtschaftspolitiker Sven Giegold zeigen die sogenannten FinCEN-Files: Die Banken, wussten, was sie taten und auch der Staat wusste Bescheid. Dies müsse Konsequenzen haben.

Sven Giegold im Gespräch mit Christian Kaess | 21.09.2020
Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament
Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, fordert unter anderem ein verschärftes Unternehmens-Sanktionsrecht als Konsequenz aus dem FinCEN-Skandal (imago/Jürgen Heinrich)
Das internationale Journalistennetzwerk ICIJ (International Consortium of Investigative Journalists) hat in den vergangenen Monaten geheime Daten des US-Finanzministeriums ausgewertet. Die sogenannten FinCEN-Files decken massive Probleme bei der internationalen Bekämpfung von Geldwäsche auf. So haben internationale Banken trotz strenger Regularien über Jahre hinweg mutmaßliche Kriminelle, korrupte Politiker und sanktionierte Oligarchen als Kunden akzeptiert und für diese Geschäfte und Überweisungen abgewickelt. Gemeldet haben sie diese Vorgänge den Angaben zufolge mitunter nur sehr zögerlich und zum Teil mit jahrelanger Verspätung. Auf diese Weise flossen dutzende Milliarden Euro schmutziges Geld in das internationale Finanzsystem.
An der Recherche haben sich den Angaben zufolge 110 Medien aus 88 Ländern beteiligt, darunter in Deutschland NDR, WDR, Deutsche Welle und "Süddeutsche Zeitung". Die FinCEN-Files wurden dem US-Onlinemedium Buzzfeed News zugespielt. Insgesamt handelt es sich nach Angaben der beteiligten Medien bei den FinCEN-Files um mehr als 2.100 Geldwäsche-Verdachtsmeldungen aus den Jahren 2000 bis 2017. Die Gesamtsumme der Transaktionen liege bei etwa zwei Billionen US-Dollar, umgerechnet etwa 1,69 Billionen Euro.
Koffer mit 100 US Dollar Scheinen, Symbolbild Geldwäsche.
Deutschlands Kampf gegen internationale Geldwäsche
In Deutschland sind die Strafverfolgungsbehörden bei Fällen krimineller Finanztransaktionen bisher weitgehend machtlos. Ein neues Geldwäschegesetz soll Transparenz schaffen.
Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Sven Giegold forderte im Dlf Konsequenzen aus dem Skandal zu ziehen: In Deutschland müsse das Unternehmens-Sanktionsrecht verschärft sowie die "Financial Intelligence Unit" (FIU), die beim Zoll angesiedelte zentrale Stelle im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, besser ausgestattet werden. Zudem brauche Europa eine gemeinsame Geldwäsche-Aufsicht. Wenn das Verbrechen globalisiert sei, könne die Kontrolle nicht national bleiben, so der Europaparlamentarier.

Lesen Sie hier das vollständige Interview im Wortlaut.
Christian Kaess: Herr Giegold, haben diese Ergebnisse der Recherchen Sie überrascht?
Sven Giegold: Sie haben mich nicht überrascht, weil das Ganze sah man kommen. Aber viele der Tatsachen sind lange bekannt und insofern ist das jetzt ein Weckruf. Denn viele der Skandale waren schon bekannt, andere waren es nicht. Aber neu ist, dass man tatsächlich an den Geldwäsche-Verdachtsmeldungen, die nun öffentlich geworden sind, sehen kann, dass die Banken wussten, mit wem sie Geschäfte machen, und das Geld haben trotzdem passieren lassen, und umgekehrt der Staat jahrelang weitgehend tatenlos zugesehen hat.
"Wir brauchen ein neues Unternehmens-Sanktionsrecht"
Kaess: Erklären Sie das kurz. Wie funktioniert diese Geldwäsche?
Giegold: Wenn eine Bank unter ihren ja unzähligen Überweisungen auf etwas Verdächtiges stößt, dann meldet sie im Grunde eine kleine Kontrollmitteilung an die Behörden, und damit hat sie erst mal eine grundlegende Pflicht erfüllt. Allerdings müsste sie auch die Zahlungen, wenn es wirklich verdächtig oder kriminell erscheint, blockieren.
Umgekehrt der Staat muss die Ressourcen haben, diese Meldungen auch tatsächlich auszuwerten, und in vielen Ländern, auch in Deutschland sind die entsprechenden Behörden weitgehend wirkungslos. Gerade die deutsche sogenannte Financial Intelligence Unit - das ist, was in Amerika die FinCen ist, nach dem dieser Leak benannt ist -, diese Financial Intelligence Unit ist nicht funktional. Sie hat nicht den Zugang zu den notwendigen Dokumenten. Das hat jetzt jüngst auch der Bundesrechnungshof wieder festgestellt. Trotzdem gibt es keine Reform, die wirklich wirksam ist. Hier ist jetzt auch Herr Scholz für Deutschland am Zug und die Europäische Union für die Situation in ganz Europa. Da brauchen wir Abänderung.
15.03.2018, Berlin: Antje Tillmann (CDU) spricht im Bundestag. 
Antje Tillmann (CDU): "Richtlinie zur strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche bis zum Ende des Jahres umsetzen"
Die Bundesregierung will die Bekämpfung der Geldwäsche verbessern. Unter anderem soll der strafrechtliche Tatbestand ausgeweitet werden. Die finanzpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Antje Tillmann, geht davon aus, dass man sich dann auf die Fälle konzentrieren kann, die zu erheblichen Schäden führen.
Kaess: Das hieße konkret, man müsste zum einen die Vorschriften für Banken ändern, und der Staat müsste bessere Ressourcen zur Kontrolle haben?
Giegold: Genau. Auf der einen Seite brauchen die Banken einen besseren Anreiz, kriminelle Geschäfte nicht mehr zu machen. Da ist in Deutschland das Grundproblem, dass die Sanktionen lächerlich niedrig sind. Zehn Millionen Euro ist im Rahmen der Ordnungswidrigkeit das Maximum. Deshalb brauchen wir jetzt ein neues Unternehmens-Sanktionsrecht. Leider wollen viele Bundesländer mit CDU/CSU-Beteiligung das im Bundesrat blockieren. Das liegt derzeit im Bundestag und auch dort gibt es schon diverse vor allem Abgeordnete aus CDU/CSU, die das blockieren wollen.
"Der Staat war informiert und hat nicht ausreichend gehandelt"
Kaess: Warum gibt es diese Blockade? Aus welcher Motivation heraus?
Giegold: Sehen Sie, wenn Sie zum Beispiel an schwerer Geldwäsche organisiert beteiligt sind, dann zahlen Sie maximal zehn Millionen. Wenn Sie Kartellverstöße machen, zahlen Sie bis zu zehn Prozent des Umsatzes. Das schafft natürlich einen ganz anderen Anreiz. Jetzt gibt es trotzdem Kartelle, aber die Anreize sind besser. Und natürlich passt das vielen Unternehmen nicht. Ich finde es schade, dass die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft gegen ein scharfes Unternehmens-Sanktionsrecht sind, denn kaum etwas hat der deutschen Wirtschaft mehr geschadet – denken wir an den Abgasskandal, an die Deutsche Bank, die Commerzbank – als organisierte Finanzkriminalität in großen Unternehmen. Daher ist ein gutes Unternehmens-Sanktionsrecht und gut ausgestattete Behörden, das ist gut für den Wirtschaftsstandort und nicht etwa schädlich.
Kaess: Jetzt klingt das so einfach, dass die Banken immer wissen müssten, dass es da um illegale Geschäfte geht. Aber ist das in der Praxis tatsächlich so einfach, oder kann man einfach auch annehmen, dass das zum Teil nicht so sichtbar ist?
Giegold: Man sollte das natürlich annehmen und sicher ist das schwierig. Es sind sehr viele Zahlungen, die Welt ist globalisiert. Gleichzeitig zeigen genau die FinCEN-Files, dass die Banken häufig wussten, was sie taten, und auch, dass die Deutsche Bank es wusste. Daraus müssen natürlich Konsequenzen folgen.
Das zweite ist, dass der Staat auch informiert war und nicht ausreichend gehandelt hat. Unser Grundproblem ist: Dieser Skandal muss jetzt zu einem Weckruf werden, die öffentlichen Behörden wirklich vernünftig auszustatten. Das heißt, alle Bundesländer mit ausreichend großen Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften und die entsprechenden Landesabteilungen der Polizei. Wir brauchen eine FIU, die wirklich vollen Datenzugang bekommt.
addon Kaess: Was heißt FIU?
Giegold: Entschuldigung, die Financial Intelligence Unit, praktisch die deutsche FinCEN. Und Europa braucht eine gemeinsame Geldwäsche-Aufsicht. Wenn das Verbrechen globalisiert ist, dann kann die Kontrolle nicht national bleiben, und das bedeutet, wir brauchen eine europäische Geldwäsche-Aufsicht, die die großen Fälle gemeinsam analysiert. Da gibt es leider von vielen Mitgliedsländern Widerstand. Das Europaparlament fordert solche gemeinsamen Institutionen schon lange. Die EU-Kommission will das auch und jetzt ist die deutsche Ratspräsidentschaft am Zug, hier auch wirklich Fortschritte zu liefern, zusammen mit der Europäischen Kommission.
"Die Deutsche Bank hat kräftig mitgemischt"
Kaess: Schauen wir noch kurz auf die Deutsche Bank. Die musste ja schon Strafe zahlen wegen Fällen von Geldwäsche. Welche Erkenntnisse bei diesen Recherchen finden Sie jetzt als neu?
Giegold: Was man jetzt wirklich neu sehen kann ist die genaue Rolle von Herrn Sewing, und das muss man sich genau anschauen.
Kaess: Da weist die Deutsche Bank ja die Anschuldigungen zurück.
Giegold: Ja, genau. Das muss man sich genau anschauen. Womit ich auch vorsichtig wäre: Die Deutsche Bank ist ja in diesen Files die am meisten offensichtlich gewordene Bank. Allerdings darf man nicht vergessen, dass das nur 1200 von Millionen von Datensätzen über den Zeitraum ist. Damit zeigen sich zwei Dinge. Auch nach der globalen Finanzkrise waren die Banken noch massiv in kriminelle Geschäfte verwickelt, obwohl sie alle, auch die Deutsche Bank, versprochen haben, dass sie das jetzt alles anders machen. Das gilt auch für HSBC, eine globale Bank, die schon vorher in großen Problemen war.
Aber statistisch valide ist das alles nicht, weil nur ein Auszug öffentlich geworden ist. Deshalb bin ich auch sehr vorsichtig mit solchen Reihenfolgen der kriminellsten Bank. Aber wir wissen, die Deutsche Bank hat da kräftig mitgemischt, und gerade die Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden Achleitner, der ja die ganze Zeit in seinen mächtigen Rollen geblieben ist, das wird man sich genau anschauen müssen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.