
Eine unscheinbare Werkhalle im Industriegebiet Bingens. Am Eingang ein paar junge Korkeichen; sie weisen auf das Produkt hin, das hier im Mittelpunkt steht: Naturkorken für Wein- und Sektflaschen aus den Korkeichenwäldern Portugals. Hier, bei Amorim Deutschland, mit 37 Prozent Marktanteilen nach eigenen Aussagen weltweit führend im Markt für Naturkorken, werden die Rohkorken aus dem Stammhaus in Portugal für den Kunden aufbereitet. Dafür mussten die Korkeichen erst einmal über 40 Jahre lang wachsen; erst dann werden sie geschält.
Zehn Millionen Korken hat Amorim immer auf Lager, 21 Mitarbeiter sorgen dafür, dass ihre Beschaffenheit stimmt, ihr Durchmesser, ihr Gewicht. Dass sie beschichtet werden und mit dem Logo des Kunden versehen – und dass sie nicht "korken", wie es umgangssprachlich heißt. Das Risiko eines erdig-muffigen Fehltons im Wein ist der gravierendste Nachteil der klassischen Wein- und Sektversiegelung, die ansonsten nur Vorteile zu haben scheint. Amorim-Geschäftsführer Gert Reis nennt Naturkorken "bezahlbaren Luxus". Das Unternehmen hält diesen Luxus in 80 Varianten vor: Von drei Cent bis 1,50 Euro kann ein Korken kosten.
70 Millionen Euro in Präventionsmaßnahmen gegen das "Korken" investiert
"Jeder Korken ist ein Individuum. Es ist kein Massenprodukt, was technisch hergestellt wird. Korkrinde wächst am Baum, es ist Stück einer Rinde. Da kann der Kork, der in verschiedenen Flaschen ist, aus einer Rinde kommen, er kann aber auch aus vielen Rinden kommen," erläutert Geschäftsführe Reis:
"Jede Rinde hat 'ne Sonnenseite, 'ne Nordseite, 'ne abgewendete Seite. Ist entweder oben oder unten am Baum. Wurde so oder so gelagert. Um die Möglichkeit des korkenden Weins dramatisch zu reduzieren, haben wir unglaublich viel investiert in den letzten zehn Jahren in der Größenordnung von 70 Millionen Euro in Präventions- und Beseitigungsmaßnahmen. Und jetzt als die ultimative Geschichte, führen wir eine kleine Revolution durch, indem wir tatsächlich jeden Korken einzeln gaschromatografisch untersuchen. Um so sicherzustellen, dass der Wein auch in 30 Jahren noch ohne Befürchtungen geöffnet werden kann und man ihn genießen kann."
Vier Milliarden Korken setzt Amorim weltweit pro Jahr um. Deutschland ist mit 120 Millionen jährlich und 11, 5 Millionen Euro Umsatz der wichtigste Markt für Naturkorken, aber auch für sogenannte technische Korken, erklärt Gerd Reis:
"Wenn Sie Korken herstellen, stanzen Sie die ganzen Naturkorken aus der Rinde. Und zwar vertikal. Wenn Sie das tun, haben Sie ungefähr 70 Prozent des Materials der Korkrinde, das bleibt übrig. Die einer sinnvollen Verwendung zuzuführen, macht Sinn. Sie können ja auch nicht nur Korken verkaufen von 50 Cents aufwärts, sondern Sie müssen ja auch für die Preiseinstiegssegmente Produkte anbieten können, die deutlich günstiger sind. Dafür nimmt man die übrig gebliebenen Korkstanzstreifen, die werden granuliert, daraus werden dann technische Korken."
Alte Maschinen aus Portugal erzeugen Top-Ergebnis
Produktionsleiter Klaus Wagner inspiziert die altertümlichen Maschinen aus portugiesischer Fertigung, die bei Amorim noch immer Dienst tun: die Kalibriermaschine, die Zählmaschine, die Druckmaschinen, mit denen die Korken das gewünschte Logo eingeprägt bekommen. Gerade ergießen sich wieder 10.000 Naturkorken aus der Beschichtungsmaschine in eine Plastikwanne. Ohne Beschichtung würden sich die Korken zwar einmal aus der Flasche herausziehen lassen, aber nie wieder hineindrücken, erklärt der Produktionsleiter:
"Es macht ja für diese Technologie, die in Deutschland gar nicht ansässig ist, macht es ja wenig Sinn, hier Maschinen zu entwickeln, da ist es das Einfachste, die Maschinen von den Portugiesen zu kaufen oder zu holen, weil die das Know-how haben."
Wagner und auch Geschäftsführer Reis geben ohne Zögern zu, dass sie Kunden an die Hersteller von Schraubverschlüssen verlieren, doch sei meinen: "Der Aufgabe muss man sich halt stellen, jammern hat da keinen Sinn."
Jeder zu liefernde Korken wird einzeln berochen
Während in der Produktionshalle von 7 bis 16 Uhr die Maschinen laufen, geht es im Labor nebenan ruhig zu. Auf einem langen Tisch: mehrere Reihen mit Korkproben, die auf das Beriechen durch drei Experten warten. Eine davon ist Iris Schieferstein. Ihre feine Nase entscheidet darüber, ob der Korken zum Kunden kommt – oder in den Papierkorb, weil er korkt, meint die Expertin: "Wir befüllen die Gläser mit destilliertem Wasser. Füllen dann drei Korken ein, dann wird das Glas verschlossen und nach 24 Stunden werden die Gläser abgerochen, um Fehltöne entsprechend festzustellen und auszusortieren."
Zu begutachten ist eine Charge von 8.000 Flaschen; jeder zu liefernde Korken wird einzeln berochen. Das dauert über vier Wochen. Aber bei Amorim leistet man sich diesen Service, um sein Image als Spezialist zu festigen, wie Gert Reis betont:
"Winzer und Weinkonsumenten bestätigen uns, dass die sensorischen Qualitäten von Naturkorken in den letzten Jahren dramatisch besser geworden sind. Wenn man früher die Chance hatte, so drei bis fünf Prozent wurde mir gesagt, vor meiner Zeit, war die Möglichkeit, dass ein Weinfehler aufgrund des Naturkorkens als Ursache aufgetaucht ist, reden wir heute von einer Wahrscheinlichkeit von deutlich unter einem Prozent. Dieses Trichloranisol, das umgangssprachlich für den Kork verantwortlich ist, ist in einer Konzentration schmeckbar, die man so darstellen kann: Dass ein Esslöffel auf dem Bodensee das Wasser des Bodensees so kontaminiert, dass Sie und ich das als korkig, schlecht schmeckend wahrnehmen. Wir reden von einer Konzentration von 10 hoch minus 9. Diese bekämpfen wir, das ist unglaublich schwierig."
Der Aufwand kostet natürlich und rechnet sich für den Kunden nur bei hochwertigen Weinen mit längerer Lagerzeit. Für Alltagsweine mit hoher Rotation, wie es heißt - wo also zwischen Abfüllung und Konsum nur wenige Monate vergehen - werden technische Korken verwendet, Granulat. Gert Reis bittet zurück in sein Büro, um stolz eine weitere Neuerung aus der Welt des Naturkorkens vorzustellen. Mit dieser Idee will Amorim im heftig umkämpften Markt punkten. Die Idee heißt Helix-Korken. Ein Korken mit Gewinde, der sowohl den wertkonservativen Weintrinker ansprechen soll als auch den bequemen Konsumenten, der keine Zeit mit Öffnen und Schließen der Flasche verlieren will, erklärt Gerd Reis: "So verbindet man die Wertigkeit von Naturkork mit der Bequemlichkeit des leichten Öffnens und Verschließens, ohne dafür ein Werkzeug zu benötigen. Das hört sich so an", beschreibt der Geschäftsführer.
Reis öffnet einen Grauen Burgunder 2014. Ein bekanntes Weingut aus Bingen ist der erste Kunde in Deutschland, der den Helix-Korken ausprobiert. Mit diesem Hybridkorken will Gert Reis dem bedrohlich wachsenden Schraubverschluss-Markt noch einmal etwas Werthaltiges entgegensetzen, ein Naturprodukt: nachwachsend und lebendig, meint Reis:
"Ich sage da immer gerne: Was lebt, muss atmen. Für mich ist ein guter Wein unmittelbar verbunden mit einem Kork, das ist eine kulturelle Verbindung, die es schon seit Jahrhunderten gibt. Dom Perignon hat's letztlich eingeführt, indem er damals Sekt, der heute Champagner heißt, damit verschlossen hat. Kork zeichnet sich halt auch aus durch seine Ökologie, das Material ist fantastisch, es ist leicht, 80 Prozent Sauerstoff trägt es in sich, die Waben haben 80 Millionen Zellen pro Kubikzentimeter, es ist druckdicht, es ist antistatisch, es ist schwer entflammbar, das sind viele positive Eigenschaften, die Kork sehr positiv machen."