Nein, es gehe nicht darum, den amerikanischen Elektrokonzern GE in seiner Übernahmeschlacht um den französischen Konzern Alstom auszubremsen. Frankreichs Regierung versuchte jedenfalls, diesen Verdacht zu vertreiben, dabei klang allen noch in den Ohren, was der Präsident gesagt hatte über die Offerte aus Übersee:
"Nicht ausreichend, nicht akzeptabel", hatte Francois Hollande geurteilt. Da passt das Dekret ins Bild, mit dem sich Frankreich eine neue Waffe im Kampf gegen unerwünschte Investoren zulegen will. In der Zeitung Le Monde erklärten Premierminister Valls und Wirtschaftsminister Montebourg, es gehe hier um ökonomischen Patriotismus und darum, politische Einflussmöglichkeit zurückzugewinnen, das Gleichgewicht zwischen multinationalen Konzernen und der Staatsmacht wieder herzustellen.
Seit 2005 hat der französische Staat ein Vetorecht bei ausländischen Übernahmeabsichten, wenn es um französische Industriebetriebe mit Verteidigungs- und Sicherheitsrelevanz geht. Schon damals wollte Paris die Sektoren weiter fassen, scheiterte aber an Brüssel. Die Sozialisten wollen nun in ihren Absichten deutlich weiter gehen, als ihre konservativen Vorgänger: Französische Industriebetriebe aus den Bereichen Energie, Transport, Wasser, Gesundheit und Telekom sollen ohne Zustimmung des Staates nicht in andere Hände kommen können.
"Die Franzosen haben schließlich in diese Unternehmen investiert", verteidigt Umweltministerin Ségolene Royale das Dekret, mit dem die Regierung auch hofft, in Übernahmeschlachten Zeit zu gewinnen. „Das fördert die Transparenz, gibt dem Staat die Möglichkeit auszuwählen und vor allem, in Ruhe die verschiedenen Angebote zu prüfen."
EU will Dekret prüfen
Während sich die Regierung zwei Wochen vor den Europawahlen mit Brüssel anlegt und die Schutzmauern um die französische Industrie höher ziehen möchte, zogen mehr als einhundert Demonstrationszüge durch Frankreichs Straßen, wurden die Flughäfen teils lahm gelegt, durch Streiks und Proteste des öffentlichen Dienstes. „Seit vier Jahren sind unsere Gehälter eingefroren", klagte diese Krankrenschwester in Paris. "Wir wollen Gehaltserhöhungen, das ist einfach, das ist verständlich."
Am Montag will die Regierung mit den Gewerkschaften über die Sparbeschlüsse für den öffentlichen Dienst verhandeln. Zum geplanten Vetorecht gegen unerwünschte ausländische Firmenübernahmen, erklärten die Arbeitnehmervertreter: Das gehe in die richtige Richtung, wie scharf die Klinge werde, die die Regierung da gezückt habe, müsse sich aber erst noch zeigen. Zumal die EU-Kommission bereits deutlich die Stirn runzelt.
Binnenmarktkommissar Michel Barnier, der gestern noch beim französischen Präsidenten war - in anderer Angelegenheit - und der nun in Sachen Veto-Dekret einen Anruf von Wirtschaftsminister Montebourg erhalten hat, sagte im französischen Fernsehen, das Wort Patriotismus schocke ihn nicht. Aber Brüssel werde das Dekret mit aller Strenge prüfen. Im Übrigen sei es der beste Schutz für die Industrie-Investitionen.