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Fischer

Matthias Thiel |
    DLF: Joschka Fischer auf Wahlkampftour durch alle 16 Bundesländer. Während der Kanzler in diesen Wochen rd. 60 Auftritte absolviert und der SPD-Kandidat über 40 mal öffentlich spricht, haben Sie über 200 Termine im Kalender - sozusagen ‚im Laufschritt durch den Wahlkampf'. Und das bedeutet derzeit Ostdeutschland, ja nicht gerade eine Hochburg Ihrer Partei, Herr Fischer. Deshalb ein Schwerpunkt für Sie, weil Bündnis 90/Die Grünen es hier schwer haben?

    Fischer: Nein, es werden alle Bundesländer in etwa gleich im Wahlkampf vorkommen, und die neuen Bundesländer - es sind mehrere - haben da ihren Stellenwert. Es ist für uns ohne jeden Zweifel ein steiniger Boden, aber auch den müssen wir durcharbeiten. Wir brauchen da Durchhaltevermögen, und der Besuch der Wahlveranstaltungen ist alles andere als schlecht, im Gegenteil: Es sind sehr gut besuchte Wahlveranstaltungen, und für die örtliche Basis ist das ein kräftiger Motivationsschub - und wir sind auf ein gutes bis sehr gutes Wahlergebnis auch in den neuen Bundesländern angewiesen bei den Bundestagswahlen. Also, wir brauchen Durchhaltevermögen, und das denke ich mir muß sich im Wahlkampf auch niederschlagen.

    DLF: Ihr Fraktionskollege Cem Özdemir braucht Polizeischutz bei den Veranstaltungen hier in Ostdeutschland. Auf welche Stimmung treffen Sie?

    Fischer: Nein, ich bin noch auf keine aggressive Stimmung getroffen, und ich finde es schlimm, wenn Cem Polizeischutz braucht. Ich denke, das ist ein Teil des Problems, allerdings ist das nicht nur ein ostdeutsches Problem. Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsradikalismus ist leider ein gesamtdeutsches Problem, und dem muß mit aller Nachdrücklichkeit entgegengetreten werden. Ich halte nichts davon, da Verständnis zu zeigen - oder wie es gerade zum Beispiel bestimmte Positionen, etwa von CDU und CSU, in der Ausländerpolitik oder in anderen Fragen innerer Liberalität betrifft, wo man dann meint, Minderheiten in eine Sündenbock-Rolle hineindrängen zu können, um die Lufthoheit über rechten Stammtischen zu erobern. Das ist insgesamt eine schlimme Entwicklung.

    DLF: Müssen Sie also hier andere Themen ansprechen?

    Fischer: Nein, wir haben unsere Themen. An erster Stelle steht die Arbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit, es ist die Frage des ökologischen Umbaus, des Schaffens neuer Arbeitsplätze, es ist die Frage der ökologischen Steuerreform, es ist die Frage einer sozial gerechten Steuerreform. Schluß muß sein mit der Entlastung der starken Schultern und er weiteren Belastung der schwachen Schultern; es ist die Frage eines neuen Generationenvertrages, Rentensicherheit für die 50jährigen und jünger steht im Vordergrund, und Bildungsreform - also all das, was notwendig ist, damit wir die Herausforderung der Globalisierung als soziale Demokratie, als Sozialstaat bewältigen können. Wir halten nichts von einer Politik, die immer unter der Überschrift ‚Reform des Sozialstaates' in Wirklichkeit diesen mit der Abrißbirne mißhandeln möchte.

    DLF: Dazu brauchen Sie aber den großen Koalitionspartner. SPD-Bundesgeschäftsführer Müntefering hat Rot/Grün noch nicht ganz abgeschrieben, aber Wahlkreisabsprachen lehnte er noch einmal kategorisch gerade diese Woche ab. Der Kanzlerkandidat Schröder stellt bei Ihnen zudem noch die ‚Regierungsunfähigkeit' fest und redet auch lieber mit Bundesverteidigungsminister Rühe. Zudem: Der Seeheimer Kreis - rechte SPD-Politiker sprechen sich deutlich für eine große Koalition aus. Es sieht fast so aus, als ob Ihnen der große Koalitionspartner abhanden kommt. ‚Grün ist der Wechsel' heißt es bei Ihnen. Mit wem?

    Fischer: Mich interessieren vor allem die Wählerinnen und Wähler. Die entscheiden letztendlich darüber, und nicht - sozusagen irgendwelche Fiesematenten von größeren oder kleineren Politikern vor den Wahlen; deswegen finde ich das relativ uninteressant. Gerhard Schröder muß acht geben bei allen Koalitionsspielchen daß er am Ende nicht Niedersächsischer Ministerpräsident bleibt und andere eine große Koalition machen. Aber wir erleben ja große Koalitionen: In Thüringen ist das ein echter Treffer für Land - wie die miteinander umgehen, spottet jeder Beschreibung. Und die erbärmlichste landespolitische Koalition, die wir haben, ist die in Berlin. Wenn die Sozialdemokraten meinen, mit einer großen Koalition die notwendige ökologische und soziale Erneuerung, den Aufbruch, den unser Land dringend braucht, die Überwindung des Reformstaus der Spätphase Kohl bewerkstelligen zu können, dann werden sie sich täuschen. Und den Menschen sage ich: Eine große Koalition gab es im Bundesrat. Man hat gesehen an der Steuerreform, wie handlungsfähig die ist. Also zu meinen, große Mehrheiten würden große Handlungsfähigkeiten mit sich bringen: Meine Erfahrung sagt, daß große Mehrheiten vor allen Dingen große Widersprüche mit sich bringen. Das bedeutet eine Kartellierung der Politik, und die werden sich vor allen Dingen im Abbau der inneren Freiheiten sehr schwer einig werden, wie die reaktionäre Wende der SPD in der Innenpolitik zeigt. Insofern also: Uns geht es nicht darum, daß wir Elefanten hinterherlaufen. Wenn die beiden Großen koalieren wollen, können wir das nicht verhindern. Aber wir werden den Wählerinnen und Wählern jetzt in den verbleibenden Wochen klarmachen, wie die Alternative tatsächlich aussieht, und daß ist in der Tat einen Politikwechsel nur mit uns gibt, nämlich mit Bündnis 90/Die Grünen.

    DLF: Stichwort noch zu den Mehrheiten: Aus Ihren eigenen Reihen heißt es: Eine Stimme Mehrheit reicht für Rot/Grün nicht. Wie sehen Sie das?

    Fischer: Ich halte überhaupt nichts davon, daß wir jetzt schon über Stimmenmehrheiten und ähnliches spekulieren. Ich verstehe nicht, wo die Leute die Zeit hernehmen. Die sollen Wahlkampf machen und sollen sich darauf konzentrieren, daß wir viele Stimmen über den Durst haben. Dann brauchen wir die Diskussion gar nicht führen. Wozu sich einen Kopf über Dinge machen über Eier, die heute noch nicht gelegt sind und die - wenn man ordentlich Wahlkampf macht, ein gutes oder sehr gutes Ergebnis einfährt - am Ende gar nicht gelegt werden müssen. Also, ich gehöre nicht zu denen, die sich an solchen Trockenschwimmübungen beteiligen.

    DLF: Sie bezeichnen sich als Vertreter der Firma ‚Klartext'. Reden wir also Klartext. Klare Aussagen von der SPD verlangen Sie. Das Startprogramm - in dieser Woche vorgestellt: Ist das der richtige Weg?

    Fischer: Also es ist - wie üblich - der halbe Schritt in die richtige Richtung. Ein Bündnis für Arbeit, ein Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in den Vordergrund zu stellen, den ökologischen Umbau nach sozialdemokratischer Manier zaghaft anzugehen, die Öko-Steuer wird ausgeklammert: Es wird manches versprochen, das im Unklaren bleibt wie es gegenfinanziert werden soll der allgemeine Finanzvorbehalt steckt drin. Also, es ist - aus meiner Sicht - ein halber Schritt in die richtige Richtung, aber um den Reformstau, um die notwendige Erneuerung unseres Landes, um die doppelte Krise - Globalisierungskrise und Einheitskrise - positiv als Chance zu nutzen, da werden wir 2 - 3 kräftige Schritte machen müssen, und ich denke, da ist das SPD-Programm, so wie es jetzt als Startprogramm vorgestellt wird, einfach nicht ausreichend.

    DLF: Was müßte denn jetzt rein?

    Fischer: Ja, zum Beispiel an erster Stelle: Wir müssen runter bei den zu hohen Bruttolohnkosten. Arbeit ist zu teuer in unserem Land. Die Gewerkschaften üben seit Jahren Lohnzurückhaltung. Die verfügbaren Masseneinkommen sind rückläufig, dennoch wird weiter Beschäftigung abgebaut. Ostdeutschland ist abgekoppelt vom Arbeitsmarkt, das ist eine Negativentwicklung. Alleine die verstärkten ABM-Mittel haben hier zu einer nicht ganz so dramatischen Entwicklung geführt. Wenn sie wegfallen, ist die Lage in Ostdeutschland auf dem Arbeitsmarkt schlimm. Der Abstand zwischen Ost und West nimmt eher zu als ab, er müßte abnehmen. In Westdeutschland selbst haben wir nach wie vor eine konjunkturelle leichte Entspannung, aber ich fürchte, das wird nicht sehr lange vorhalten. Von einer Trendwende kann man da mitnichten sprechen. Wenn man das machen will, muß eine Regierung gleich drei Dinge als erstes tun, nämlich runter bei den Rentenversicherungsbeiträgen, runter bei der Arbeitslosenversicherung. Das kostet Geld. Da sagt Gerhard Schröder nicht, wie er es gegenfinanzieren will - geschweige denn, um wieviel er runter will. 3 bis 4 Prozentpunkte wären notwendig, 1 Prozentpunkt sind 15 Milliarden bei der Rentenversicherung, wenn sie die senken wollen. Wir schlagen dafür die Einführung einer Öko-Steuer vor. Anders wird es nicht gehen. Arbeit muß billiger werden, und wir wollen dafür den Energieverbrauch verteuern. Andere Länder in unserer Nachbarschaft Niederlande, auch die Dänen haben uns vorgemacht, daß man erfolgreich diesen Kurs in einer Regierung umsetzen kann. Das zweite: Wir brauchen ein Bündnis für Arbeit da sind wir uns mit den Sozialdemokraten einig - damit in einem fairen Geben und Nehmen die Bedingungen dafür am Arbeitsmarkt geschaffen werden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, daß verstärkt wieder eingestellt wird. Und das dritte: Wir brauchen eine Steuerreform. Hier haben wir unsere Steuersätze vorgelegt. Es muß Schluß sein mit einer weiteren Entlastung bei den oberen und obersten Einkommen. Ich halte auch nichts davon, den Leuten jetzt vor dem Wahltag eine Nettoentlastung zu versprechen. Waigels Kassen sind leer, das Tafelsilber ist verschleudert worden von ihm. Wer jetzt den Menschen eine Steuerreform verspricht mit Nettoentlastung, der gibt vor dem Wahltag mit der einen Hand, was er mit beiden Händen hinterher ihm wieder aus der Tasche - nach den Wahlen - rausziehen wird. Davon halten wir nichts. Wir wollen eine aufkommensneutrale Steuerreform, um Steuergerechtigkeit und Steuertransparenz über das Streichen von Steuersubventionen zu erreichen. Runter mit den Steuersätzen ja, soweit es gegenfinanziert werden kann durch das Streichen von Steuersubventionen. Wir schlagen 45 Prozent Spitzensteuersatz, 18,5 Prozent Eingangssteuersatz vor. Wir wollen ein steuerfreies Existenzminimum von 15.000, linearprogressiv. Wir halten das für finanziert. Das sind unsere Vorstellungen. Diese drei Dinge müssen wir sofort und unmittelbar machen, dann bin ich mir sicher im ersten halben Jahr in der neuen Regierung , die sind dann auch gegenzufinanzieren. Die Belastung sollte man den Menschen vorher sagen, die Entlastungen ebenso. Dann bin ich mir sicher, werden wir ein völlig anderes Investitionsklima haben und eine positive Trendwende am Arbeitsmarkt einleiten.

    DLF: In diese Richtung will ja auch der designierte Wirtschaftsminister der SPD gehen. Können Sie mit Jost Stollmann sich eine gemeinsame Regierung vorstellen?

    Fischer: Ich kenne ihn nicht. Ich kann ihn nicht beurteilen, das sage ich hier ganz offen, und ich maße mir kein Urteil über einen Menschen an, den ich nicht kenne.

    DLF: Es gibt trotzdem weiter große Unterschiede eher denn Gemeinsamkeiten mit der SPD, zum Beispiel, wenn ich an die innere Sicherheit denke. Otto Schily wirft Ihnen einen Mangel an Realitätssinn vor. Wie können Sie sich das vorstellen, mit ihm zusammen vielleicht in einer Regierung zu sitzen?

    Fischer: Also, ich halte überhaupt nichts davon, daß die Sozialdemokraten in einer reaktionären Wende meinen, ein innenpolitisches Programm, das nur noch mit der Lupe unterscheidbar ist von der CSU, vertreten zu sollen und vertreten zu müssen. Ich halte auch nichts davon, daß man jetzt in populistischer Verzerrung der Realität versucht, die Lufthoheit über den rechten Stammtischen zu erobern. Herr Kanther ist ja über jeden Zweifel erhaben, daß er ein Liberaler wäre. Aber die Kriminalstatistik, die er vorgelegt hat, gibt einfach keinen Anlaß dafür, für die Dramatik der Diskussion, wie sie von den beiden Volksparteien geführt wird. Also, wir hatten 40 Gesetzesverschärfungen, und man muß sich mal die Frage stellen, was sie gebracht haben. Ich bin der Meinung: Überall dort, wo Kriminalität - vor allen Dingen Gewaltkriminalität, Schwerstkriminalität - auftritt, muß der Staat handeln. Dafür haben wir Institutionen, dafür haben wir auch die notwendigen Mittel, die Strafgesetze, die unabhängige Justiz. Aber ich halte überhaupt nichts davon, die Debatte jetzt in Richtung Sühnestrafrecht zu verstärken. Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir uns Amerika als Vorbild nehmen würden. Sie müssen sich mal die amerikanischen Inhaftierungszahlen tatsächlich anschauen. Dort wird Sozialpolitik zu großen Teilen über die Gefängnisse geführt. Die Konsequenzen sind nicht ‚mehr Sicherheit', sondern es gibt dort wesentlich mehr Kriminalität, Schwerstkriminalität, als bei allen Problemen, die wir hier haben - in der Bundesrepublik Deutschland. In der Drogenpolitik: Daß wir Süchtige nicht mehr ins Gefängnis stecken wollen, daß wir versuchen, ihnen Therapieplätze anzubieten, zu subsituieren, und bei Schwerstabhängigen in Gottes Namen dann unter staatlicher Aufsicht ihnen die Möglichkeit ihrer Sucht zu geben, um damit der Drogenmafia den Markt zu nehmen. Die Süchtigen sind nicht frei in ihrer Entscheidung. Das sind Erfahrungen, die haben wir in etwa in Frankfurt gemacht. Die CDU-Oberbürgermeisterin, Frau Roth, führt sie dort fort. Das scheitert an der Bundesregierung. Hier ist es gelungen, die Kriminalitätsstatistik - etwa bei der Beschaffungskriminalität, Straßenkriminalität - dramatisch nach unten zu senken. Ich plädiere hier für das Einschalten des Kopfes - man sollte nicht mit dem Bauch denken, wie es gerade die beiden großen Volksparteien tun.

    DLF: Ein Stichwort noch, was vielleicht für Sie im SPD-Programm fehlt: Es geht um den Atomausstieg. Essentiell absolut für jegliche Koalitionsverhandlungen mit der SPD?

    Fischer: Wir haben unsere Essentials im Kopf, und es ist völlig klar: Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, und zwar wirksame Trendwende am Arbeitsmarkt, Jugendarbeitslosigkeit: Wer nicht ausbildet, soll zahlen - das ist unsere Position, eindeutig. Und gerade hier in Ostdeutschland wird das ganze Drama offensichtlich, mit dem man es hier zu tun hat. Es kann auch nicht sein, daß die kleinen und mittleren Unternehmen, das Handwerk, große Ausbildungsanstrengungen vollbringen, wenn sich mehr und mehr Großunternehmer aus ihrer Ausbildungsverantwortung zurückziehen, nicht alle, aber mehr und mehr: Ein kurzfristiges Kostendenken - die Facharbeiterlücke ist heute schon spürbar. Nein, das sind alles Punkte, die angegangen werden müssen, die für uns unverzichtbar sind, genau so, wie ein neues Staatsbürgerschaftsrecht und eine neue Energiepolitik - selbstverständlich. Das weiß auch jeder, der mit uns koaliert, daß wir die Partei des Atomausstieges sind, daß das bei uns nicht 40 Jahre dauern wird.

    DLF: Von Stollmann bis Späth: Die CDU und die SPD kommen in diesem Wahlkampf immer wieder mit neuen Namen und überraschenden Beratern. Ihre Unterstützerkampagne brachte bisher nicht so den großen erhofften Erfolg. ‚Neue Politik für die Bundesrepublik Deutschland - Einstieg in eine grüne Reformpolitik 1998' - so wird nun das angekündigte 100TageProgramm bei Ihnen heißen. Das soll der Bündnisgrüne-Länderrat in zwei Wochen in München beschließen. Neue Akzente, oder eine weitere Bereinigung des Kurzprogramms?

    Fischer: Also, ich weiß nicht, diese ganzen Mediengags - ob die tatsächlich was bringen. Da habe ich - das ist meine persönlich Meinung - so meinen Zweifel. Das hat doch sehr stark etwas mit Beschäftigungstherapie für die Medien in der Bundeshauptstadt zu tun. Neue Namen und so: Die müssen ja was tun, diese 1.000 Journalisten, die da rumsitzen, die von ihren Zentralredaktionen gelöchert werden. Und natürlich ist es immer einfacher, über Namen als über Programme zu reden - selbstverständlich. Jetzt mit Herrn Späth - ich meine, das zeigt: Herr Kohl klammert sich wirklich an den letzten Strohhalm, wenn er jetzt von seiner bewährten Praxis - nämlich jemand, den er in die Verbannung geschickt hat, gilt als unberührbar in der CDU - abweicht. Das ist eher ein Schwächeeingeständnis für mich denn ein Aufbruchsignal. Nein, das nehme ich nicht allzu ernst. Ich glaube, das wird auch die Menschen nicht sehr beeindrucken. Mein Eindruck ist der, daß es vor allen Dingen um die Sachthemen geht. Das ist natürlich harte Arbeit, Tag für Tag, Abend für Abend - aber das ist Wahlkampf. Wir werden noch einmal versuchen, eine Präzisierung auf der Grundlage der wichtigsten Positionen vorzunehmen. Was wir wollen in den ersten hundert Tagen - also ich meine - im ersten halben Jahr: Eine Regierung wird ‚Nägel mit Köpfen' machen müssen, eine rot-grüne. Das ist ein ganz wichtiges Zeitfenster, das ist die Startphase, und das noch mal zu präzisieren - das wird im Rahmen unserer Schwerpunktsetzung, über die wir unter anderem ja jetzt die ganze Zeit geredet haben, sich bewegen. Also, wir werden da nicht jetzt was völlig anderes verkünden, sondern wir streiten ja mit guten Gründen für diese Position.

    DLF: Interne Dissonanzen und Auseinandersetzungen brachten Ihre Partei im Frühjahr aus dem Tritt, die Umfragewerte sanken dramatisch. Jetzt wird Einigkeit demonstriert. Sind die Streitigkeiten zwischen Fundis und Realos wirklich beigelegt oder täuscht der Eindruck, daß der Burgfrieden nur bis zum 27. September hält?

    Fischer: Es gibt keine Fundis mehr bei uns, oder nur noch ganz wenige. Fundamentalisten - das war eine andere strategische Ausrichtung der Partei. Wir haben einen starken linken Flügel, das ist völlig normal, und gibt unterschiedliche Positionen, die auch teilweise quer zu den Flügeln laufen. Das ist in einer demokratischen Partei völlig üblich . . .

    DLF: . . . bloß: Das wird im Moment nicht öffentlich ausgetragen . . .

    Fischer: . . . ja, ich bitte Sie, alles hat seine Zeit. Ich meine: Der Wahlkampf ist nun wirklich nicht die Zeit der innerparteilichen Positionsbestimmungen, sondern des Werbens für die gemeinsame Sache. Wir sind in derselben Partei, der überwiegende Teil unseres Wahlprogramms ist zwischen den verschiedenen Parteiflügeln und Personen völlig unstreitig.

    DLF: Sie ziehen da auch alle an einem Strang?

    Fischer: Wir ziehen da alle an einem Strang, selbstverständlich. Die Koordination hat sich wesentlich verbessert und bei allen Unterschieden, die eine demokratische Partei haben muß die auch andere Parteien haben : Ich halte überhaupt nichts davon wie es bei jetzt Sozialdemokraten üblich ist , daß mit einem großen Heftpflaster den Leuten das Maul zugeklebt wird, damit nach außen Einigkeit herrscht. In Wirklichkeit hören Sie das Zähneknirschen nachts, wenn Sie am Ollenhauer-Haus vorbeigehen bei manchen Äußerungen des Kandidaten oder der von ihm benannten Mitglieder des sogenannten Schattenkabinetts. Also, wir halten da nichts von. Freiwillige Disziplin, kein Maulkorb, auf Einsicht begründete Rücknahme im Wahlkampf, Werben um Zustimmung für unsere gemeinsam getragene Politik ist jetzt angesagt. Aber es gibt auch Zeiten der Positionsbestimmung, da muß sich eine Partei in wichtigen Sachfragen oder auch in strategischen Fragen streiten, manchmal sogar fetzen.

    DLF: So richtig klar ist die Position nicht, wenn es um die PDS geht. Wie sehen Sie das - nach der Bundestagswahl?

    Fischer: Ich verstehe überhaupt nicht, wo Sie da Unklarheit sehen. Es ist völlig klar: Es gibt eine rot-grüne Mehrheit oder es gibt eine große Koalition. Am schlimmsten wäre, das regierende Elend bliebe dran. Die große Koalition wird keinen Politikwechsel bringen, die würde einen Kanzlerwechsel bringen. Wenn Die SPD Pech hat, würde der Kanzler ein Christdemokrat sein und Wolfgang Schäuble heißen. Und eine große Koalition wird den Stillstand verlängern. Sie würde das eine oder andere anzupacken versuchen, aber wir sehen ja in der Bundeshauptstadt Berlin: Das ist die erbärmlichste Landeskoalition, die wir gegenwärtig haben. Also, unsere Haltung ist da sehr klar: Mit der PDS geht nichts . . .

    DLF: . . . auf Bundesebene auch keine Duldung?

    Fischer: . . . zwei Dinge: Wir brauchen eine kraftvolle Reformpolitik und nicht ein von Tolerierungspartnern abhängiges ‚irgendwie an der Regierung bleiben'. Wir brauchen die ökologischen Sozialerneuerungen Deutschlands, wir müssen die notwendigen Reformen anpacken. Das geht auch mit einer kleineren Mehrheit, die muß nur verläßlich sein - aber eine Mehrheit muß es sein. Also es ist nicht so, daß große Mehrheiten Großes bewegen. Die größten Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands sind von kleineren Koalitionen, manchmal von knappen Mehrheiten, bewerkstelligt worden - die handlungsfähig sind, das ist die Voraussetzung. Aber eine Minderheitenregierung können Sie vergessen. Und kein Sozialdemokrat wird das Risiko eingehen können und eingehen dürfen - die Verfassungslage ist sehr eindeutig, das Grundgesetz sagt: Der Kanzler wird geheim gewählt - und Sie können davon ausgehen: Ein sozialdemokratischer Minderheitenkandidat hieße der nun Schröder oder Lafontaine würde garantiert einen Christdemokraten als Gegenkandidaten bekommen. Und ich nehme an: Es wäre völlig unklar, wer von beiden gewinnen würde. Die SPD würde daran zerbrechen, das wäre das Ende der SPD. Das Risiko geht von denen keiner ein, zu recht, und darf es nicht eingehen. Insofern also die Debatte ‚Minderheitenregierung' und ‚PDS-toleriert' können Sie vergessen. Eine Koalition mit der PDS können Sie auch vergessen. Also, entweder gibt es rot-grün - wir überwinden den Reformstau, wir machen eine ökologische und soziale Politik für dieses Land, mit rot-grün, oder aber es gibt maximal eine große Koalition. Eine Stimme für die PDS bedeutet ein Festhalten an den alten Verhältnissen.

    DLF: Derzeit bestimmt der Wahlkampf die bundesdeutschen Schlagzeilen. Aber richten wir noch einmal ganz kurz den Blick und das Augenmerk auf die internationalen Geschehnisse: Nach den Bombenanschlägen auf amerikanische Botschaften und den Vergeltungsschlag der USA im Sudan und in Afghanistan - hat sich für Sie, für Ihre Partei, die Lage international zugespitzt?

    Fischer: Also die Bombenanschläge, die mörderischen Bombenanschläge, die vielen unschuldigen Menschen in Kenia und Tansania das Leben gekostet haben, waren barbarische, verurteilenswerte Akte, und es war völlig klar, daß die USA - wenn sie Erkenntnisse haben, wer die Täter sind - zurückschlagen werden. Ich kann die Erkenntnisse nicht beurteilen. Ich sehe allerdings mit großer Sorge hier eine Eskalation vorliegen, die im internationalen Umfeld nicht hinzunehmen ist. Daß hier ein nicht erklärter Krieg geführt wird, das finden wir in hohem Maße besorgniserregend. Allerdings liegen mir bis zur gegenwärtigen Stunde keine verwertbaren Erkenntnisse vor. Nur ist es völlig klar: Es war zu erwarten, daß die USA reagieren werden. Ich kann allerdings die Grundlage dieser Entscheidung nicht bewerten, da ich sie nicht kenne.

    DLF: Mühsam und kurvenreich war die Bündnisgrüne Entscheidungsfindung in der Frage der Verlängerung des SFOR-Mandates in Bosnien. Angesichts der schlimmen Lage im Kosovo hat Ihre Fraktion dazu Informationen in einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses von der Bundesregierung angefordert. Das hat der Bundestags-Vizepräsident abgelehnt - es gäbe angeblich derzeit keinen dringenden Entscheidungsbedarf. Doch bald könnte sich ja diese Frage stellen, ob die Bundeswehr sich an Einsätzen im Kosovo beteiligen soll. Ihre Haltung dazu? Wird es wieder einen Schlingerkurs geben, oder ist die Richtung der Fraktion klar?

    Fischer: Es ist völlig unklar, was die politische Grundlage, was die Haltung der Bundesregierung ist. Der Bundesverteidigungsminister spricht eine andere Sprache als der Bundesaußenminister, und der Bundeskanzler spricht nochmals eine andere Sprache. Sie werden von einer Opposition nur schwerlich verlangen können ich halte davon überhaupt nichts , daß wir Position beziehen zu - ja, zu welcher Position der Bundesregierung in dieser ernsten Frage, bei der es in der Tat um Leben und Tod gehen kann. Die politische Lage im Kosovo ist äußerst kompliziert und mit der in Bosnien nicht vergleichbar, vor allen Dingen auch die Frage einer klaren Mandatierung. Und das ist der Punkt, auf den wir großen Wert legen, daß alles, was im Kosovo geschieht, auf der Grundlage des Völkerrechts und eines klaren UN-Sicherheitsratsmandates geschieht. Das halten wir für unverzichtbar. Solange die Bundesregierung hier nicht Klarheit geschaffen hat hat sie bis zur gegenwärtigen Stunde nicht , sehen wir die Entwicklung mit sehr sehr großer Skepsis. Die politische Zielsetzung ist auch völlig unklar. Drohen nicht dort eingesetzte Streitkräfte zwischen die Fronten zu geraten? Umgekehrt ist nicht hinnehmbar, daß dort ein Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt wird. Es ist einerseits Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien - niemand will die Lostrennung vom Kosovo in der internationalen Staatengemeinschaft von Jugoslawien. Umgekehrt kämpfen die Albaner aber mittlerweile um die Lostrennung des Kosovo. Was wird aus Mazedonien in diesem Zusammenhang werden, wo es ebenfalls eine starke albanische Minderheit, regional sogar eine Mehrheit in einer bestimmten Region gibt. Das sind alles offene Fragen. Die politische Zielsetzung ist unklar, die Frage der Zustimmung des Sicherheitsrates ebenfalls. Das sind die Punkte, und wir halten nichts davon, daß Herr Rühe hier jetzt - auch wahlkampfbedingt - in Richtung einer bedenkenlosen Militärintervention argumentiert. Wir erwarten eine klare Positionierung der Bundesregierung, wollen allerdings im Bundestag Klarheit darüber haben, welche Vorentscheidungen fallen, damit es nicht einen entsprechenden Automatismus gibt. Wir werden die Sondersitzung dann für die kommende Sitzungswoche in Bonn beantragen und dort dann auch bekommen.