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Fischer schließt Koalition mit Linkspartei aus

Bundesaußenminister Joschka Fischer ist gegen eine Koalition mit der Linkspartei. Eine solche Zusammenarbeit wäre fatal für das Land, sagte Fischer. Er sehe nicht, wie eine Zusammenarbeit mit WASG-Spitzenkandidat Oskar Lafontaine funktionieren solle.

07.08.2005
    Sabine Adler: Morgen startet Ihre Wahlkampf-Bustour. Insgesamt fast 70 Termine stehen auf diesem Programm, es geht quer durch Deutschland. Schaut man sich aber die neuesten Umfragezahlen an, dann sieht es für keine einzige derzeit im Bundestag vertretene Partei so schlecht aus wie für Ihre, tatsächlich noch einmal in eine Regierung zu kommen. Wie motiviert, wie demotiviert geht man angesichts dessen in den Wahlkampf?

    Joschka Fischer: Also, ich bin ja in der glücklichen Situation, mittlerweile nicht nur über Umfragezahlen, sondern auch über Erfahrungswerte zu verfügen. Und wenn ich mir vorstelle, vor drei Jahren, 2002, bin ich als Spitzenkandidat meiner Partei mit 4,2 Prozent in den Umfragen für meine Partei in den Wahlkampf gestartet. Und es war alles andere als ein einfacher Wahlkampf. Heute sind die Umfragezahlen ganz andere. Man könnte sagen, im Schnitt doppelt so hoch oder darüber. Also, insofern ist meine Motivation hervorragend, und was ich den Umfragen gegenwärtig entnehme, ist, dass sich ja so manche Blütenträume anfangen aufzulösen und dass die Kanzlerkandidatin so langsam auf dem Boden der Realität angelangt ist. Die Dinge verschieben sich, das ist, was ich sehe. Und Wahlkampf ist dazu da, dass sie sich in die richtige Richtung verschieben. Letztendlich ist meine These, das war sie von Anfang an, dass aufgrund der außergewöhnlichen Situation - vorzeitige Auflösung des Deutschen Bundestages, vorausgesetzt, das Verfassungsgericht entscheidet nicht negativ, das müssen wir nach wie vor als Vorbehalt festhalten - aber es war immer meine These: Diese Zahlen jetzt, das sind Kennziffern, an denen vor allem die Bewegung abzulesen ist. Da ist noch viel heiße Luft drin, und die Deutschen werden, wenn sie aus dem Urlaub zurückkommen, nach Bundesländern unterschiedlich, dann anfangen nachzudenken, wem sie das Land wirklich in die Hände geben wollen, welcher Partei, welcher Mehrheit, und vor allen Dingen auch welcher Persönlichkeit.

    Adler: Nutzen und genießen Sie die letzten Tage als Außenminister, möglicherweise letzten Tage?

    Fischer: Es ist weder ein Nutzen noch Genießen, noch sind es die letzten Tage. Also, den Kopf habe ich mir noch nicht gemacht.

    Adler: Sie sind, ganz anders als grüne Tradition das ja sagt, alleine in den Wahlkampf als Spitzenkandidat getreten. Ist der Außenminister Fischer, der Spitzenkandidat, ein Einzelkämpfer geworden?

    Fischer: Nein, das war schon immer so. 2002 war ich es alleine, jetzt bin ich es wieder allein. Schauen Sie, auch mein Rat an meine Partei: Wahlkampf ist eine Sondersituation, in der Fokussierung auch bei anderen auf die Spitzen und in den Medien. Und es geht ja nicht darum, dass dann da sozusagen eine neue Struktur einzieht, sondern ausschließlich um eine Maximierung des eigenen Wahlerfolges. Und dann ab 18.01 Uhr beginnt dann wieder die grüne Normalität am Wahltag. Und das ist auch gut so. Das ist meine Position, und das hat die Mehrheit so gesehen. Aber das ist keine Abkehr von irgendeiner Tradition, im Gegenteil, es ist eher eine Bekräftigung der Tradition.

    Adler: Bis 18 Uhr wird gekämpft, und Sie müssen den Menschen im Land klarmachen, warum es noch einmal eine rot-grüne Regierung geben soll und warum auch vor allem für Sie die Grünen noch mal Regierungspartei sein sollen. Was sagen Sie den Menschen, warum man Ihnen noch mal dieses Vertrauen geben soll, obwohl Sie gerade derartig enttäuscht haben?

    Fischer: Wir haben überhaupt nicht derartig enttäuscht. Wenn ich also das Feedback für meine Partei anschaue, auch die letzten Wahlergebnisse, in der letzten Legislaturperiode haben wir 17 grüne Niederlagen zu verkraften gehabt vor dem Sieg bei der Bundestagswahl. Also, insofern teile ich diese Voraussetzungen, die Sie her genannt haben, überhaupt nicht. Im Gegenteil, wir haben teilweise sehr gute Wahlergebnisse gehabt. Die Schwierigkeiten lagen das letzte Mal bei uns, diesmal eher beim Koalitionspartner. Das hat objektive Gründe. Wir haben in den 90er Jahren die notwendigen Reformen, hier meine ich Deutschland, das wiedervereinigte Deutschland, vertagt in der Ära Helmut Kohl. Wir haben es nochmals in dem ersten Jahr mit Lafontaine auch unter Rot-Grün getan. Aber diese schmerzhaften Anpassungen, ob das im Rentensystem war, und Gott sei Dank hatte Walter Riester diese Reform gemacht, und ich persönlich bin der Meinung, das ist die Erfahrung, die ich auch mit meinem familiären Hintergrund mitgebracht habe, das wäre keine Zwangsrente, wenn man die Zusatzrente, die notwendig ist, wenn die gesetzliche Rente vor allen Dingen für die junge Generation im Alter mal nur Basissicherung sein kann, dass dann bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze dies verbindlich gemacht werden sollte. Ich verstehe überhaupt nicht, was daran Zwangsrente sein soll, sondern wir haben den selben Mechanismus in der gesetzlichen Krankenversicherung, wir haben es bei der gesetzlichen Rentenversicherung, wir haben es bei der Arbeitslosenversicherung. Und das kommt schlicht und einfach daher, dass dort, wo das Geld knapp ist, natürlich das Zurücklegen schwerer fällt als dort, wo Menschen ein besseres Einkommen oder gar ein hohes Einkommen haben. Also, ich würde mir wünschen, dass diese Reform weitergeht, dass auch die notwendigen Verbesserungen stattfinden in der Gesundheitsreform. Was musste Ulla Schmidt sich nicht alles anhören? Wir wollen da die Bürgerversicherung, das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Heute liegt die Solidarität mit den Kranken im Wesentlichen bei den gesetzlich Versicherten. Ich bin freiwillig gesetzlich versichert, ich trage da meinen Anteil aus Überzeugung. Aber wir wollen, dass das auf alle Schultern verlagert wird. Deswegen wird die Bürgerversicherung einer der entscheidenden, meines Erachtens, Gerechtigkeitsansätze werden und auch gleichzeitig bei einer immer älter werdenden Gesellschaft dafür Sorge tragen, und schließlich die Anpassung am Arbeitsmarkt. Und da liegen die Probleme vor allen Dingen natürlich bei unserem Partner, der Sozialdemokratie, weil sie diese Schichten sehr stark aktvivsieren. Weniger wir, aber es ist völlig klar, wir brauchen einen aktivierenden Arbeitsmarkt und wir konnten bestimmte Transferleistungen in dieser Größenordnung nicht aufrechterhalten. Nur das bedeutet, Menschen weh zu tun, etwas wegzunehmen, lädt zu Populismus ein von Gysi und Lafontaine, die haltlose Versprechungen machen und schafft natürlich große Probleme. Aber ich sehe keine Alternative dazu. Wenn wir das machen würden, was Gysi und Lafontaine wollen, zurück zu Kohl, eine Vertagung dieser Anpassung, dann würden wir weit zurückfallen und der Sozialstaat insgesamt geriete in eine Krise und das ist genau, was Herr Westerwelle und was Frau Merkel wollen.

    Adler: Dass die Reformen notwendig waren, dass sie angestoßen werden mussten, das bestreitet niemand. Dass es richtige und gute Reformen waren, wird sogar von Experten, von Unternehmern ja auch zugestanden. Hat Rot-Grün einfach fünf Jahre ungenutzt verstreichen lassen, sprich, zu spät damit angefangen?

    Fischer: Nein, überhaupt nicht. Wir waren diejenigen, die damit angefangen haben im Jahre 2000....

    Adler: Angefangen ja, aber zu spät.

    Fischer: Nein, zu spät hat das Land angefangen. Das hätte Anfang der 90er Jahre nach der Deutschen Einheit begonnen werden müssen. Wir haben nicht fünf Jahre gewartet. Da muss ich Ihnen, so leid es mir tut, widersprechen. Wenn ich Ihnen sage, was wir mit der Riesterrente gemacht haben, was wir mit anderen Anpassungen gemacht haben – mitnichten haben wir fünf Jahre...

    Adler: Mit der Agenda 2010 haben Sie angefangen.

    Fischer: Die Agenda 2010, ja. Ich hätte mir gewünscht, dass wir die direkt nach den Koalitionsverhandlungen begonnen hätten. Aber es war ein schwieriger Prozess. Dennoch sind da nicht fünf - Koalitionsverhandlungen 2002:, dass wir uns hier nicht missverstehen. Die kam dann, wenn ich mich richtig entsinne, im März 2003. Also, da war nicht sehr viel Zeit verloren. Wir hatten ein anderes binnenkonjunkturelles Klima damals, wir hatten ein anderes weltwirtschaftliches Klima. Wir haben es angepackt, und Rot-Grün vorzuwerfen, wir hätten da fünf Jahre vertan, das finde ich abwegig.

    Adler: Das, was die Menschen erfahren, ist, dass Reform im Grunde genommen zum Synonym geworden ist für Kürzungen, die wehtun.

    Fischer: Meine Erfahrungen jetzt mit diesen inneren Großreformen, wo Sie Millionen von Menschen teilweise wehtun müssen für eine Übergangszeit, um eine Neuaufstellung zu erreichen, also wo Sie zum Beispiel in der Gesundheitsreform eben bestimmte Leistungen nicht mehr erbringen können, wo Sie zusätzliche Zufinanzierungen einführen müssen, führt dies erst einmal zu einer Negativreaktion. Aber wenn dann die positiven Erfahrungen kommen, dann balanciert sich dieses aus. Sie bekommen nie eine solche Reform ohne den Vorwurf handwerklicher Fehler und ähnliches. Und in der Tat, nur der, der handelt und nicht der, der davon läuft, macht Fehler. Der, der davon läuft, ist der Fehler. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass jetzt die Entscheidung, ich hätte sie mir anders gewünscht, der Kanzler hat sie aber so mit dem Parteivorsitzenden der SPD getroffen, natürlich sind wir bei den Arbeitsmarktreformen in einer Situation, wo das Negative im Vordergrund steht, mitten im kalten Gebirgsstrom, und müssen jetzt damit antreten. Das ist schwer, das ist sozusagen mit starkem Gegenwind, weil die positiven Elemente, etwa dass Alleinerziehende jetzt einen Betreuungsanspruch haben, dass wir die Sozialhilfeempfänger aus der Armutsverwaltung heraus genommen haben, dass sie einen eigenständigen Vermittlungsanspruch haben, dass vor allen Dingen bei den Jugendlichen - mich haben die Zahlen bei den Jugendlichen, die in der Sozialhilfe sind, sehr erschreckt, also junge Menschen, die am Beginn ihres Arbeits- und Ausbildungslebens sind - da gibt es mittlerweile doch auch beeindruckende Fortschritte. Das große Problem, das bleibt, sind nach wie vor die über 50- oder über 55-Jährigen. Wir werden immer älter und gleichzeitig reduziert die Wirtschaft sozusagen von sich aus dann das Arbeitsleben, also da werden wir neue Ansätze schaffen müssen. Der Ost-West-Ausgleich, da hätte ich mir gewünscht, dass der gleich kommt. Aber den Grundansatz finde ich richtig, in einen aktivierenden Arbeitsmarkt reinzugehen.

    Adler: Sie haben es gerade angesprochen: Sie, die Grünen, waren wirklich wenig begeistert von der Idee Neuwahlen. Ist von der SPD beziehungsweise von Kanzler Schröder der ganze Bundestag in Geiselhaft genommen worden, weil es in der eigenen Fraktion nicht geklappt hat? Anders gefragt: Hätten Sie als Vizekanzler, als Koalitionspartner vielleicht mehr gegensteuern müssen oder können, um die SPD zu einer parteiinternen Auseinandersetzung zu bewegen und eben nicht Neuwahlen auszuschreiben?

    Fischer: Dass der Kanzler den Bundestag in Geiselhaft genommen hätte, das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Meine Meinung zu dem Ganzen ist bekannt, das muss ich nicht groß wiederholen, dass ich das gerne anders gesehen hätte, dass alle bei uns das gerne anders gesehen hätten, sondern es ist in der Tat...

    Adler: Aber Sie haben relativ ohne Not eigentlich ein Jahr, dass Sie eigentlich als Mandat noch hatten vom Wähler, aufgegeben.

    Fischer: Ja, aber Sie können bei einemn Koalitionspartner - schon gar nicht, wenn es sich um den größeren handelt, aber ich glaube auch, bei einem kleineren - letztendlich die inneren Entscheidungsprozesse nicht von außen wirklich beeinflussen. Das sind zwei Parteien und sind Wettbewerber wie auch Partner, beides. Und insofern letztendlich sind das dann Entscheidungen, die werden jeweils in der eigenen Partei oder in der jeweiligen Partei getroffen. Aber klar ist auch, dass der entsprechende Grundgesetzartikel hier den Prärogativ des Kanzlers festschreibt, wenn Sie sich das anschauen. Der Bundespräsident hat dieses ja aufgenommen, die Mehrheit der Deutschen will das auch, wobei das nicht das entscheidende verfassungsrechtliche Argument sein kann. Und meine Hoffnung ist, dass jetzt sozusagen der schon begonnene Wahlkampf, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt, was die Parteien dort bereits begonnen haben, sondern dass die Deutschen wählen wollen, dass dies nicht zu einer Enttäuschung führt. Aber das Bundesverfassungsgericht ist frei in seiner Entscheidungskompetenz und wird nach sorgfältiger Prüfung entscheiden und das wird zu akzeptieren sein.

    Adler: Jetzt konkurriert Ihre Partei, die Grünen, mit der Linken, der PDS, zusammen eigentlich zumindest um einen Teil der gleichen Wählerschaft. Wird es da reichen, einfach Gysi/Lafontaine zu verteufeln? Zum Beispiel: Sie haben Lafontaine verglichen mit Haeider beziehungsweise mit Pim Fortuyn aus den Niederlanden. Machen Sie damit Lafontaine nicht möglicherweise zum Märtyrer und erzielen im Grunde genommen genau das Gegenteil, dass man sich nämlich mit ihm solidarisiert aus lauter Mitleid?

    Fischer: Ich weiß nicht, was daran links ist. Lafontaine betreibt das, was die Rechtspopulisten betrieben haben.

    Adler: Im Namen steht zumindest links, Linkspartei.

    Fischer: Ja sicher, aber ich meine, es ist Rechtspopulismus. Ob das eine Position ist zur Aufhebung des Folterverbots, was in unserer Verfassung wirklich als ein eherner Grundsatz steht, ob es die erklärte Strategie ist, rechtsradikale Wähler, NPD-Wähler oder was auch immer, zu versuchen zu erreichen. Im Wahlkampf 2002 war das Möllemanns Strategie und Westerwelles Strategie, abgeguckt in den Niederlanden im Übrigen, bei Pim Fortuyn. Und wir finden seine Agitation gegen so genannte "Fremdarbeiter", all das sind ja auch Begriffe, die verwandt werden, um rüberzukommen. Da müssen Sie mir mal sagen, was daran links ist. Und wenn man das benennt, und der Vorwurf war ja schon 2002, dann verteufelt man nicht Herrn Möllemann, nein, da verteufelt man niemand. Ich bin hier für klare Ansage. Ich hatte mal hohen Respekt vor Oskar Lafontaine, da muss ich überhaupt nichts zurücknehmen. Und es ist bitter, jetzt zu erleben, mit welcher Methode hier Politik gemacht wird. Denn beide, sowohl Gysi als auch Lafontaine, wissen ganz genau, dass das, was sie jetzt versprechen, selbst wenn sie die Mehrheit hätten, sie niemals realisieren können, dass es ein haltloser Populismus ist, der nur zu Enttäuschungsreaktionen führt. Dann aber noch Stimmung gegen Minderheiten zu machen - das tut mir leid.

    Adler: Wenn es in der Konstellation tatsächlich nicht anders reichen sollte, dass eben nur eine rot-rot-grüne Koalition die Regierungsmehrheit hätte, würde Grün dann demnach auf die Regierungsbeteiligung verzichten?

    Fischer: Also, ich wüsste nicht, wie das mit einem Lafontaine gehen sollte. Wir saßen schon in einer gemeinsamen Regierung. Und Sie merken ja auch eine gewisse Enttäuschung. Ich meine, es war ja auch ein Setzen auf ihn. Und plötzlich war das Büro leer, die Tür war auf und er war weg. Er hatte alle Macht in den Händen. Er hätte vieles von dem, was er jetzt vorschlägt, umsetzen können. Ich erinnere mich noch, das Hauptargument war, dass der Haushaltsentwurf für das Jahr 2000 auseinander geflogen war. Weil die ganzen Versprechungen, die er gemacht hat, ich erinnere mich noch an die Koalitionsverhandlungen, Rentenerhöhungen etc. etc. etc., all das hat dann dazu geführt, dass der Haushalt aus dem Ruder lief. Und da hätten dann erhebliche Kürzungen, die Hans Eichel vorgenommen hat, gemacht werden müssen. So wichtig es ist, dass Parteien in die Regierung wollen, aber für Deutschland wäre eine Politik zurück sozusagen in die 90er Jahre, Stillstand jetzt des Erneuerungsprozesses, natürlich fatal. Deswegen stellt sich das für mich nicht.

    Adler: Verzicht auf den Partner Linkspartei, PDS, hieße im Ernstfall möglicherweise Verzicht auf Regierungsbeteiligung. Bleibt also Opposition. Spielt Joschka Fischer, Spitzenkandidat, Außenminister, die Rolle des grünen Oppositionsführers mit?

    Fischer: Wir wollen doch gewinnen. Und wenn man verloren hat und in der Minderheit ist, dann ist man Opposition. Aber das ist nicht unser Wahlziel, sondern unser Wahlziel ist, dass wir hier die Erneuerungspolitik in diesem Land weiter führen wollen.

    Adler: Kommen wir noch einmal auf die rot-grüne Konstellation, auch auf Außenpolitik. Der Unionsvizefraktionsvorsitzende, Wolfgang Schäuble, hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie ihr eigenständiges, Ihr Grünen-Gesicht und ihr persönliches Gewicht zu wenig in die Waagschale geworfen haben und zu sehr dem Kanzler eigentlich die Außenpolitik überlassen haben. Er macht das fest an der Russland-Politik, an der China-Politik, sagt auch, es war häufig für ihn sichtbar, dass ein Joschka Fischer eine andere Haltung zu den USA hatte, ein überzeugter Transatlantiker war, der das aber nicht rüberbringen konnte und sich nicht gegen Kanzler Schröder durchsetzen konnte. Ist es tatsächlich so, dass Sie als grüner Partner einfach zu wenig Kraft und Gewicht hatten?

    Fischer: Nein, im Gegenteil. Wenn Sie sich anschauen, was an Leistungsbilanz von dieser Koalition vorliegt, dann werden Sie feststellen, dass wir nicht nur den Kellner gegeben haben, sondern ganz diskret auch das Essen so vorbereitet und so gekocht haben, dass es dann sozusagen sehr schnell aus der Küche rausgefahren werden konnte. Ich meine, Wolfgang Schäuble muss das alles sagen. Was ich allerdings sehe ist, dass mit einer CDU/CSU- und FDP-geführten Mehrheit wir in der Tat eine andere Außenpolitik bekommen. Schäuble war jetzt in China. Und ich habe in den Medien wie auch in den Berichten nichts groß gelesen, dass dort die Menschenrechte von ihm umfassend thematisiert worden wäre. Ich für mich kann in Anspruch nehmen, dass es keinen China-Besuch gegeben hat und keinen Russland-Besuch, in dem nicht alle auch schwierigen Fragen offen thematisiert wurden in den internen Gesprächen und offen thematisiert wurden auch in den Pressekonferenzen. Da habe ich überhaupt kein Defizit und auch keinen Mangel. Aber ich möchte hier eine Lanze auch für den Kanzler brechen. Einer der wichtigsten Momente war die orangene Revolution in der Ukraine. Und da kann ich nur sagen, weiß ich, hat der Bundeskanzler in verschiedenen Telefonaten eine sehr, sehr wichtige Rolle gespielt, wie wir insgesamt als Bundesrepublik Deutschland im Hintergrund sehr diskret aber gleichzeitig auch sehr entschlossen dazu beigetragen haben, gemeinsam mit unseren Partnern in Polen, in Littauen, in der Europäischen Union, dass Wahlen nicht verfälscht werden können und dass der freie Wille des ukrainischen Volkes hier zum Ausdruck kam. Freundschaft bedeutet für mich zwischen freien Nationen - und das habe ich von den USA im übrigen gelernt, das war in Deutschland in unserer Geschichte keine Selbstverständlichkeit –, dass man sich in der Tat dann in die Augen blickt und sagt, was man von einer Sache hält und dass man Freundschaft nicht mit Gefolgschaft verwechselt. Und da, denke ich, liegt nun wirklich die Position von Frau Merkel. Sie hat das anders gesehen. Ihr Auftritt in Washington ist nach wie vor in unrühmlicher Erinnerung. Nicht umsonst hat sie Wolfgang Schäuble dorthin geschickt und ist nicht selber hingefahren, weil sie Bilder gefürchtet hat und die Erinnerungen, die daran hängen.

    Adler: Für einen schweren Skandal werden Sie ganz persönlich verantwortlich gemacht, den Visa-Skandal. Erst in dieser Woche kam der Bericht von EU-Justizkommissar Frattini, der Deutschland bescheinigt hat, vier Jahre lang nicht in den Visabestimmungen mit dem Schengenabkommen kompatibel gewesen zu sein.

    Fischer: Es gibt da unterschiedliche Rechtsauffassungen und es gibt da keine Oberinstanz. Das ist nicht der EuGH oder Ähnliches. Im übrigen kann ich da nur nochmals hinzufügen, es wurde damals in den EU-Gremien immer diskutiert. Es ist ja nicht so, dass dieses sozusagen der Europäischen Union, dem zuständigen Kommissar, verborgen geblieben wäre. Und insofern an dem Punkt kann ich nur sagen, ich habe es ja erst in der Aufarbeitung und in der Vorbereitung auf den Ausschuss wirklich begriffen, wie sehr wir da in Kontinuität waren. Und wenn Sie sozusagen den einen Satz aus dem entsprechenden Erlass nicht drin gehabt hätten, nämlich in dubio für die Reisefreiheit, hätte das auch ganz anders ausgesehen, denn dann hätten Sie die Kontinuität noch sehr viel klarer gesehen. Ich möchte da nicht nochmals einsteigen ins Detail. Für mich ist entscheidend, dass wir die Dinge von uns heraus so angepasst und korrigiert haben...

    Adler: War das für Sie persönlich eine wichtige Erfahrung, von ganz weit oben nach ziemlich weit unten zu fallen in dieser Affäre?

    Fischer: Also, ich habe das ganz oben nie so wichtig genommen und ziemlich weit unten - also, andere wären froh, wenn sie so ziemlich weit unten gelandet wären, wie ich da gelandet bin. Nein, ich gehöre nicht zu denen, die sagen, es macht mir nichts aus. Aber ich gehöre auch nicht zu denen, die darüber jammern, sondern das Einstecken gehört wie das Austeilen zum politischen Geschäft.

    Adler: Ich möchte gerne noch auf eine aktuelle außenpolitische Debatte zu sprechen kommen, nämlich die um den ständigen Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat. Es hat jetzt den chinesisch-/amerikanischen Vorstoß gegeben, die Initiative der G4, also Japans, Deutschlands, Indiens und Brasiliens zu stoppen. Die Afrikanische Union wird sich auch nicht einig, kann sich auch diesem Vorschlag nicht anschließen. Müssen wir damit rechnen, dass also diese Initiative möglicherweise im Sande verläuft?

    Fischer: Nein, sondern man sieht das Gegenteil. Der innenpolitisch erhobene Vorwurf, der absurd ist, nämlich, dass wir hier mit dem Kopf durch die Wand wollten, ist völliger Blödsinn. Im Gegenteil. Es ist es das Gegenteil von Kopf durch die Wand. Wir haben einen umfassenden Reformansatz. Im September werden da hoffentlich einige Teile positiv beschieden. Aber was hier von Teilen der Opposition behauptet wird, man wolle das im Konsens - im Konsens heißt, es gibt keine Reform des Sicherheitsrates. In der Charta wurde ja nicht umsonst eine Zweidrittel-Entscheidung ins Quorum reingeschrieben, weil Sie immer natürlich Staaten haben in jeder Regionalgruppe, die das nicht wollen. Aber es nützt auch nichts, abzustimmen ohne die hohe Wahrscheinlichkeit zu haben, dass man in der Tat dann die zwei Drittel bekommt. Also wird man die notwendigen Gespräche fortführen müssen. Im übrigen: Der G4-Vorschlag ist der einzige, der die Chance hat, die zwei Drittel zu erreichen. Und schließlich: Diese Bundesregierung hat sich das nicht ausgesucht, anders als zu Zeiten von Kohl/Kinkel, wo ja der Sicherheitsratssitz dann beansprucht wurde, wurden wir im Zusammenhang mit der Reforminitiative von Kofi Annan gefragt, ob wir noch dazu stehen. Hätten wir dann nein gesagt, wären wir innenpolitisch von den selben Leuten angegriffen worden, deutsche Interessen verraten zu haben. Aber das hätte mich weniger interessiert. Schlimm wäre gewesen, dass in der internationalen Gemeinschaft ein deutsches Nein sofort umgesetzt worden wäre gegen die Reforminitiative als solche: Selbst die Deutschen, eine der tragenden Säulen des multilateralen Systems, wollen diese Reform nicht. Also ging das gar nicht. Die Entscheidung in Addis Abeba ist ohne jeden Zweifel eine zusätzliche Hürde, aber ich bin mir sicher, dass diese Methode dann auch die richtige sein wird.

    Adler: Wenn wir gesehen haben, was nach den Anschlägen in London passiert ist, dass das Klima zwischen Migranten und Briten doch sehr, sehr vergiftet ist, wie können wir in Deutschland darauf antworten? Ist es eine Antwort unter anderem, die jetzt Otto Schily, der Innenminister, Ihr Freund, gegeben hat oder eine Methode, mit der Terrorismusgefahr umzugehen, eben zum Beispiel Hochverdächtige in Vorbeugehaft zu nehmen?

    Fischer: Also ich finde, wir haben die notwendigen Instrumentarien und vor allen Dingen haben wir eine Verfassung, an der wir unbedingt festhalten müssen. Ziel dieses Dschihad-Terrorismus ist, den Krieg der Zivilisationen herbei zu führen. Sie greifen die offene Gesellschaft an und sie wollen den Hass zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften, Ethnien mobilisieren. Dahinter steht das machtpolitische Ziel, im Nahen Osten und vor allen Dingen auf der arabischen Halbinsel zu einem entsprechenden islamistischen Umsturz zu kommen. Mit jedem Terroranschlag besteht die Gefahr, wenn wir nicht erkennen, dass die Mehrheit der friedliebenden Muslime, die bei uns leben, unsere entscheidenden Bündnispartner sind, dass sie diesem Ziel näher kommen.

    Adler: Da muss sich die Gesellschaft schützen.

    Fischer: Sie muss sich schützen, und sie muss sich energisch schützen. Aber sie muss dabei sehr acht geben, dass sie nicht letztendlich das Wasser auf die Mühlen dieser verbrecherischen Planer lenkt. Das ist für mich der entscheidende Punkt.

    Adler: Das heißt, schießt Otto Schily da zu scharf?

    Fischer: Also, ich halte viel mehr davon, dass wir die Instrumente, die wir heute haben, dass wir die entsprechend stärken. Und vor allen Dingen, glaube ich, gewinnt die Türkei-Politik eine entscheidende Bedeutung. Ich verstehe zwar einerseits vieles von der Skepsis, halte es aber für falsch, weil wir unsere Sicherheitsinteressen dabei an erster Stelle im Auge haben müssen. Es wäre der wichtigste Beitrag, um die Planungen dieser verbrecherischen Terroristen nun wirklich zu durchkreuzen oder gar zu zerstören, wenn die Modernisierung eines solch großen iIslamischen Landes auf islamischer Grundlage, wenn diese Demokratisierung, wenn eine starke Zivilgesellschaft, wenn Trennung von Staat und Kirche – das ist für mich die entscheidende Frage. Und hier liegt Frau Merkel meines Erachtens völlig falsch, was unsere Sicherheitsinteressen betrifft. Im übrigen wurden 43 Jahre Versprechungen gemacht, nicht von Rot-Grün, sondern im wesentlichen von schwarzen Regierungschefs.

    Adler: Jetzt steigen Sie morgen in den Bus um auf Wahlkampftour zu gehen. Mit welchem Ergebnis muss die Tour zu Ende gehen?

    Fischer: Wir wollen ein sehr gutes Ergebnis und wir wollen unsere Mehrheit verteidigen. Dafür habe ich mich in Form gebracht, bin hochmotiviert, ein altes, erfahrenes Schlitzohr mittlerweile auch geworden. Und es wird ein schwieriger Kampf, aber das war es das letzte Mal auch schon, nur diesmal noch etwas schwieriger. Aber ich bin voller Optimismus und Siegeszuversicht.

    Adler: Ich danke Ihnen für das Gespräch.