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Fischler

Geers: Herr Fischler, seit vergangenem November hält uns die zweite BSE-Krise in ihrem Bann; seit Ende Februar ist auch noch die Maul- und Klauenseuche in einigen EU-Staaten dazugekommen. Man hat den Eindruck, als stolpere die EU-Agrarpolitik von einer Krise in die nächste. Die Verbraucher reagieren mit Käuferstreiks, vor allem an der Fleischtheke, weil auch sie das Gefühl haben, dass irgend etwas da nicht stimmt. Was stimmt denn aus Ihrer Sicht nicht in der EU-Agrarpolitik?

Theo Geers |
    Fischler: Ich glaube, man muss hier schon unterscheiden: Wenn Sie die Maul- und Klauenseuche nehmen, das ist eine klassische Krankheit, die uns jahrhundertelang begleitet hat und wo es uns dank der modernen Agrarpolitik gelungen ist, erst einmal 20 Jahre lang keinen Ausbruch der Maul- und Klauenseuche zu haben. Die Sache mit BSE oder auch manche Skandale, die man auch mit in Betracht ziehen muss, das ist anders. Hier stellen wir fest, dass es zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass es Mängel in der Kontrolle gegeben hat, die zu diesen Dingen geführt haben. Und zum Teil muss man hier schon sagen, dass auch die industrielle Produktionsweise, wo zum Beispiel der Bauer gar nicht mehr weiß, welches Futter er verwendet, weil er das von der Mischfutterfabrik zugeliefert bekommt – die spielt da im Zusammenhang mit BSE zweifellos eine Rolle.

    Geers: Wagen Sie denn eine Prognose, wann wir in der EU das Problem BSE im Griff haben?

    Fischler: Ich fürchte, dass BSE wir zwar in dem Sinn im Griff haben werden – und zwar sehr bald –, dass es nur ganz wenige Fälle geben wird, aber es wird sehr, sehr schwierig sein, die Krankheit zur Gänze auszurotten, weil neue Erkenntnisse, über die wir verfügen, uns sagen, dass es wahrscheinlich immer wieder durch genetische Defekte einzelne, zwar sehr wenige – aber einzelne Fälle geben wird. Und es wird daher als Vorbeugemaßnahme notwendig bleiben, dass man sehr, sehr sorgfältig die Risikomaterialien entfernt, um auf diese Weise Fleisch sicher zu machen.

    Geers: Kommen wir auf die Krise am Rindfleischmarkt direkt zu sprechen, Herr Fischler. Es gibt mittlerweile zwei Aufkaufprogramme; das erste ist angelaufen, das zweite ist beschlossene Sache. Wie ist denn die Lage derzeit auf den Märkten?

    Fischler: Nun, wir haben aufgrund der Maul- und Klauenseuche jetzt noch mehr Schwierigkeiten. De facto ist das so, dass von unseren Exporten praktisch alle Exporte von Rindfleisch blockiert sind und zusätzlich ungefähr drei Viertel der normalen Schweinefleisch- und Schweinefleischproduktenexporte blockiert sind. Das ist sicher sehr, sehr tragisch und macht die Sache sehr schwierig. Was den internen Konsum anbetrifft, der ja nahezu 90 Prozent des Marktes ausmacht: Hier ist eine leichte Erholung erkennbar. Aber eben durch die Blockaden von Seiten Russlands in der letzten Woche ist es jetzt wieder schwieriger geworden.

    Geers: Russland war ja mit fast 40 Prozent der Exporte, die Russland abgenommen hat, der größte und treueste Kunde sozusagen der Europäischen Union – was Rindfleisch betrifft. Kann das bedeuten, dass – wenn jetzt das Ventil ‚Export‘ sozusagen verschlossen ist für eine Entspannung am Rindfleischmarkt – dass dann möglicherweise auch diese ganzen Aufkaufprogramme nochmal überdacht, möglicherweise sogar ausgeweitet werden müssen?

    Fischler: Nein, das sehe ich nicht, denn wir haben hier praktisch alle Möglichkeiten ausgeschöpft; ich sehe hier keine anderen Möglichkeiten. Man muss hier doch auch bedenken, dass wir nicht mehr Fleisch einlagern können als Lagerkapazität zur Verfügung steht. Wir werden wahrscheinlich bis Ende des Jahres alle verfügbaren Lager voll haben. Und darüber hinaus sind dann ganz einfach Grenzen gesetzt, die wir nicht überschreiten können. Wir müssen uns daher in erster Linie darum bemühen, dass wir möglichst rasch den Export wieder in Gang bringen. Die Russen haben ja diese Exportsperre – oder Importsperre auf deren Seite – ja zeitlich begrenzt bis Mitte April, und wir sind intensiv daran, Gespräche zu führen, dass dieser Zustand wieder geändert wird. Noch dazu gibt es ja auch in Russland infolge dieser Sperre gewisse Versorgungsengpässe.

    Geers: Noch einmal nachgefragt: Sie glauben also nicht, dass die dramatische Lage auf den Exportmärkten und die unverändert niedrige Nachfrage auf dem heimischen - sprich auf dem EU-Markt bei Rindfleisch dazu führt, dass möglicherweise die Erwartung beispielsweise von Frau Künast, die ja schon die Hoffnung äußerte, sie müsse möglicherweise weniger Tiere als bisher gedacht aufkaufen und auch vernichten lassen, dass diese Erwartung möglicherweise nicht eintritt, sondern Sie erwarten tatsächlich, dass hier die EU mit den Zahlen hinkommt, dass nicht noch mehr Tiere aufgekauft und vernichtet werden müssen? Fischler: Wir haben ja keine fixen Größen festgelegt. Wir haben von Anfang an gesagt, wir müssen hier für die Landwirte, die da die größten Schwierigkeiten haben, in der Lage sein, eine gewisse Alternative anzubieten. Aber wir haben nie davon gesprochen, dass wir eine bestimmte Zahl von Tieren aufkaufen wollen. Und jetzt mit dem neuen Programm ist überhaupt nicht mehr von Tieren die Rede, sondern da wird ja nur Fleisch angekauft, und überhaupt keine Tiere. Auf der anderen Seite – so hoffe ich doch, dass erstens sich herumspricht, dass unser Fleisch wahrscheinlich zur Zeit sicherer ist als es früher war, weil eben jetzt auch in Deutschland das Entfernen des Risikomaterials durchgesetzt wurde. Und es geht jetzt nur darum, dass das ordentlich kontrolliert ist und dass das entsprechend funktioniert. Aber dann können die Konsumenten wieder Vertrauen in das Rindfleisch haben, und de facto am Ende des Tages - ohne die Partnerschaft der Konsumenten sind wir sowieso machtlos.

    Geers: Kommen wir auf ein anderes Thema zu sprechen, Herr Fischler. Seit Tagen hat sich die Lage auch bei der Maul- und Klauenseuche zugespitzt. Bisher hat man darauf reagiert mit dem Töten der erkrankten Tiere und mit dem Töten der Tiere, die Kontakt mit dem MKS-Virus hatten, um die Ausbreitung von Maul- und Klauenseuche zu verhindern. Ganz gelungen ist das nicht. Nun darf in Großbritannien in begrenztem Umfang geimpft werden, aber eben nicht flächendeckend. Und trotzdem wird dieser Ruf nach vorbeugenden Impfungen immer lauter. Bleiben Sie denn bei Ihrer Haltung, dass die bisherige Methode, die verdächtigen Tiere zu töten, dass das besser ist als vorsorglich zu impfen?

    Fischler: Ich glaube, man muss zunächst erstmal sich klar darüber sein, was man eigentlich will. Und unser erstes Ziel war es und muss es bleiben, dass wir diese Krankheit so rasch wie möglich wieder ausrotten. Das ist das eigentliche Ziel. Nun müssen wir aber feststellen, dass in Großbritannien, wo wir ja schon der Grenze von 1.000 Fällen entgegengehen, dass also hier an eine baldige Ausrottung, vor allem in zwei Regionen, nicht mehr zu denken ist. Also es ist nicht so, dass jetzt diese Tiere geimpft werden und dann so frei in Großbritannien verkauft werden können oder etwas ähnliches, sondern die Idee ist folgende: Weil sich eben dort so viele Tiere infiziert haben und weil so viele Betriebe betroffen sind, haben wir gesagt – oder haben auch die Mitgliedsstaaten mitgestimmt, das zu tun –: Wir lassen in dieser Region alle Rinder impfen. Auf der anderen Seite muss aber dann im jeweiligen Tierpass diese Impfung eingetragen werden, und das bedeutet dann, dass ein solches Tier nur in der Region vermarktet werden kann, das heißt, es muss auf Dauer – so lange es lebt – in dieser Region bleiben. Es darf nicht aus dieser Region heraus, es darf nicht für andere Zwecke verwendet werden, sondern muss also dort bleiben. Und was die flächendeckende Impfung anbetrifft: Da sind alle Experten nach wie vor der Meinung, dass das der falsche Weg wäre, denn sobald wir flächendeckend impfen, wissen wir nicht mehr, wo die Krankheit eigentlich ist. Und das hätte fatale Folgen, was also die Möglichkeit des Ausmerzens der Krankheit in erster Linie anbetrifft. Es hat natürlich auch enorme wirtschaftliche Konsequenzen, weil also dann auf möglicherweise Jahre hinaus jeglicher Export gesperrt wäre.

    Geers: Sie argumentieren jetzt wieder mit dem Markt, Herr Fischler. Aber die Leute sind doch draußen im Lande sauer, weil auch gesunde Tiere umgebracht werden. Die Bauern zum Beispiel in Niedersachsen, dort wo sehr viel Massentierhaltung konzentriert ist, warten händeringend auf klares Licht, um vorsorgend durch Impfungen ihre Tiere, die noch gesund sind, zu schützen vor einem möglichen Übergreifen des Virus, der ja vielleicht nur noch 50 – 60 km von ihnen entfernt ist. Können Sie nicht verstehen, dass da die Unruhe wächst, dass die Leute auch wütend werden, dass man sie sozusagen im Regen stehen lässt?

    Fischler: Also erstens denke ich, habe ich klar ausgedrückt und habe als erstes Ziel ein gesundheitliches Ziel genannt, nämlich dass wir wollen, dass es uns gelingt, die Krankheit möglichst bald auszurotten, so dass sie sich gar nicht verbreiten kann. Man kann mir jetzt nicht unterstellen, dass ich jetzt nur mit dem Markt argumentiere. Dass das tatsächlich auch Auswirkungen auf den Markt hat, das ist ein Faktum, das soll ja deswegen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Aber es ist nicht so, dass wir diese Maßnahmen wählen wegen des Marktes willen, sondern in erster Linie wählen wir diese Maßnahmen, um den Gesundheitsschutz der Tiere sicherzustellen. Dass das auch ein Risiko bedeuten kann, das wissen wir. Und deswegen haben sich ja auch die Veterinärexperten aller Mitgliedsstaaten dazu entschieden, dass wir praktisch schon in Permanenz miteinander tagen und zusammensitzen und die jeweils letzte Entwicklung genau beobachten. Und Sie sehen ja: Es gibt ja auch eine Dynamik. Bis vor wenigen Tagen hat man noch gesagt, auch in Großbritannien sollte man nicht impfen. Nachdem also jetzt eine gewisse Ausbreitung leider Platz gegriffen hat, hat man also hier die Position geändert. Also ich glaube, man muss – nachdem wir nicht hundertprozentig genau die Entwicklung vorhersagen können – hier eine gewisse Flexibilität an den Tag legen und muss die richtige Antwort auf das jeweilige Problem, das man sieht, geben. Darum geht es. Aber ich habe natürlich auf der anderen Seite großes Verständnis für die Sorgen der Landwirte, wo jeder Angst hat, dass sein Betrieb infiziert werden könnte. Nur muss ich noch einmal sagen: Diese Angst nimmt ihm das Impfen nicht. Da bricht zwar die Krankheit nicht aus, aber infiziert sind die Tiere trotzdem. Und die Krankheit kann auch verbreitet werden.

    Geers: Wir haben jetzt über Krisenmanagement gesprochen in Sachen BSE und in Sachen Maul- und Klauenseuche. Aber wir haben auch am Anfang des Gespräches schon darüber gesprochen: Viele Bürger in der EU haben das Gefühl, da läuft was falsch in der EU-Agrarpolitik. Und jetzt sind gerade in Deutschland - mit dem Wechsel an der Spitze des Bundeslandwirtschaftsministeriums von Karl Heinz Funke auf Renate Künast - auch Erwartungen geweckt worden, Erwartungen, dass nämlich die Agrarkrise als Chance für einen Neuanfang genutzt werden könnte. Auch der Kanzler, der deutsche, hat – etwas vorschnell – davon gesprochen, man müsse jetzt wegkommen von den Agrarfabriken. Aber die Frage ist, Herr Fischler: Wann kommt denn jetzt endlich der Übergang vom reinen Krisenmanagement hin zu einer Reform der europäischen Agrarpolitik?

    Fischler: Nun, hier – glaube ich – muss man verschiedene Schritte auseinanderhalten. Es besteht eine gewisse Chance, glaube ich, dass man die Geschwindigkeit verstärken kann für einen Wandel in der Agrarpolitik – mit dem Argument der Krise. Aber unabhängig davon muss man doch einen kühlen Kopf bewahren und muss sich überlegen: Ja wohin sollen wir eigentlich richtiger weise gehen mit unserer Agrarpolitik? Und hier muss ich eines schon ganz klar sagen: Die Ziele, die wir uns gegeben haben, die – glaube ich – gelten nach wie vor: Das Ziel, dass wir eine umweltfreundlichere Landwirtschaft brauchen, das Ziel, dass unsere Produkte wettbewerbsfähig sein müssen, das Ziel, dass wir auch Rücksicht nehmen müssen auf alle Aktivitäten in den ländlichen Gebieten oder in unseren Dörfern, oder auch das Ziel, dass wir dafür sorgen müssen, dass es eine Vielfalt in der Natur gibt und dass gesunde Böden und ein reines Wasser gibt. Ich glaube, diese Ziele sind alle ok., da brauchen wir wirklich nichts dran ändern. Es geht um die Maßnahmen, wie wir diese Ziele erreichen wollen.

    Geers: Aber genau das ist doch der Punkt, Herr Fischler. Die Bürger haben bemerkt, dass die alten Gründe, weswegen man diese Agrarpolitik vergemeinschaftet hat, nämlich die Versorgungssicherheit herzustellen, dass die weggebrochen sind. Und jetzt fragen sich die Bürger: Warum wirft man nicht dieses ganze Regelwerk von Marktordnungen, Prämien usw. auf den Haufen der Geschichte und dann überlegen wir: Was wollen wir von dieser Landwirtschaft? Und dann sagen wir: Wir wollen umweltgerecht, tiergerecht produzieren, wir wollen die Landschaft pflegen, und dafür geben wir den Bauern Geld. Warum macht man nicht so eine Reform?

    Fischler: Also, ich sage ja gerade: Diese Überlegung brauchen wir nicht mehr anstellen; das wissen wir bereits, dass wir eine tiergerechtere und umweltgerechtere Landwirtschaft haben wollen. Es geht jetzt um die Frage: Wie erreichen wir die . . .

    Geers: . . . die Bürger werden ungeduldig . . .

    Fischler: . . . ja, ich verstehe die Ungeduld, aber Sie müssen mir die Chance geben, zumindest 2 bis 3 Sätze dazu zu sagen. Die Sache ist folgendermaßen: Es geht jetzt – wie gesagt – darum, dass wir also rascher vorankommen. Und rascher vorankommen können wir auf der Gemeinschaftsebene nur dadurch, dass wir also jene Dinge umsetzen, die wir bereits in der Pipeline haben. Das geht am schnellsten. Und im übrigen, dass vor allem auch die Mitgliedsstaaten jene Möglichkeiten ausschöpfen, die sie bereits hätten, weil also – bei aller Ungeduld muss ich eines sagen: In Deutschland könnte man vieles tun, viel mehr umweltfreundliche Landwirtschaft machen - schon mit den gesetzlichen Möglichkeiten, die jetzt auf Gemeinschaftsebene bestehen, in Deutschland aber nicht genutzt werden. Zum Zweiten aber: Es ist richtig, wir müssen auch auf der Gemeinschaftsebene handeln. Da laufen bereits die Vorbereitungen, und da werden wir auch entsprechende Vorschläge machen, die genau in die Richtung gehen, nämlich einerseits den Mitgliedsstaaten mehr Möglichkeiten einzuräumen auf ihre jeweilige Situation, zum Beispiel in Niedersachsen oder in Sachsen-Anhalt oder in Bayern einzugehen und spezifischere agrarpolitische Instrumente einzusetzen und nicht mehr alles über einen Kamm zu scheren. Aber gewisse Gemeinschaftsregeln werden wir brauchen, denn an einem fairen Wettbewerb müssen alle interessiert sein, weil wir sonst in einer ganz fatalen Situation enden, nämlich dass zum Beispiel in Deutschland Umwelt groß geschrieben würde, in anderen Mitgliedsstaaten wird das klein geschrieben – und dann haben die deutschen Landwirte gegen diese anderen, die ja dann billiger produzieren können, keine Chance. Und das wäre gefährlich, und deswegen brauchen wir Gemeinschaftsregeln.

    Geers: Wann kommen denn die Vorschläge von Ihnen, haben Sie da zeitliche Vorstellungen?

    Fischler: Ja, da haben wir zeitliche Vorstellungen, wir arbeiten nämlich bereits an diesen Dingen seit Monaten; also, wir haben da nicht gewartet, bis die Krise gekommen ist. Und diese Arbeiten werden im wesentlichen in diesem Jahr abgeschlossen werden, so dass wir dann nächstes Jahr Vorschläge machen können.

    Geers: Spielt da auch die Rücksichtnahme auf Wahltermine eine Rolle? Im Frühjahr 2002 wird in Frankreich gewählt, im Herbst 2002 sind Bundestagswahlen in Deutschland. Muss man das aus Sicht des EU-Agrarkommissars auch in Rechnung stellen und deshalb Rücksicht nehmen, bevor man jetzt mit irgendwelchen Vorschlägen möglicherweise auch Wähler in diesen Ländern verprellt?

    Fischler: Wir sind sicher nicht politisch weltfremd, aber wir richten uns grundsätzlich nicht nach Wahlterminen, denn es gibt ständig irgendwo Wahlen in Europa. Da werden wir nie fertig, wenn wir uns danach ausrichten würden. Es ist vereinbart und übrigens vor kurzem in der Regierungskonferenz in Stockholm bestätigt, dass zu dem Termin, der vereinbart wurde seinerzeit in Berlin – nämlich Mitte des kommenden Jahres – die Vorschläge gemacht werden.

    Geers: Welche Chancen hat denn überhaupt eine solche Reform, die Sie skizziert haben? Wenn ich daran denke, dass beispielsweise am vorvergangenen Samstag auf dem EU-Gipfel in Stockholm Herr Chirac, der französische Staatspräsident, klipp und klar gesagt hat, für ihn gibt es im Jahre 2003 eigentlich noch keine richtige Chance auf eine Reform – das Maß der Dinge sei bis 2006, bis zum Ende ihrer Laufzeit, die Agenda 2000; man könne nicht alle zwei Jahre für die Bauern die Regeln ändern. Das hört sich ja so an, als ob sich da schon ein wichtiges Land sehr stark festgelegt hat.

    Fischler: Also, das sehe ich etwas anders. Ich glaube, man kann Dinge besser machen, und darum geht es eigentlich zur Zeit, und das ist das, was die Menschen von uns erwarten. Und ich glaube nicht, wenn man also Vorschläge macht, mit denen man nachweisen kann, dass man auf diese Weise Dinge besser machen kann, dass man dann als Antwort nur bekommen wird: ‚Ja, aber das machen wir dann drei oder vier Jahre später‘. Also so, glaube ich, wird das nicht laufen. Was allerdings Herr Chirac klargestellt hat, ist: Es darf keine Reform, das heißt also keine neue Finanzperspektive geben. Also das Budget muss unangetastet bleiben.

    Geers: Das heißt aber, Sie rechnen im Jahre 2003 schon mit gewissen Reformen an der EU-Agrarpolitik. In welche Richtung muss denn diese Reform gehen?

    Fischler: Ich rechne eigentlich schon im kommenden Jahr mit so etwas und nicht erst im Jahr 2003. Die Richtung, glaube ich, ist zu einem gewissen Grad vorgegeben, nämlich wir müssen eben diese neuen Sorgen, die immer größer werden, viel, viel ernster nehmen. Das heißt, wir müssen mehr tun, um unsere Landwirtschaft umweltfreundlicher zu machen, um unsere Tierhaltung tierfreundlicher zu machen, um unsere Produkte so zu produzieren, dass sie den Qualitätsvorstellungen der Menschen entsprechen etc.; genau in die Richtung müssen also unsere Überlegungen gehen.

    Geers: Würden Sie das etwas präzisieren, Herr Fischler? Wir haben in Berlin 1999 im März mit den Beschlüssen zur Agenda 2000 unter anderem beschlossen, dass zum Beispiel die Interventionspreise für Rindfleisch, Getreide und Milch in drei Stufen um 20 bzw. um 15 Prozent gesenkt werden. Kann das bedeuten, dass zum Beispiel im Zuge dieser Halbzeitbilanz bei der Agenda 2000 diese Absenkung der Preise noch weiter beschleunigt wird, um sozusagen mehr Markt in die Agrarpolitik zu bringen, und gleichzeitig damit vielleicht auch Geld freizuschaufeln, das dann zum Beispiel in die ländliche Entwicklung - sprich für die Landschaftspflege und ähnliche Dinge - zur Verfügung stehend zu bekommen?

    Fischler: Also, ich stelle mir das ein bisschen anders vor. Ich glaube, wir müssen nämlich noch etwas tun – wir müssen aufhören, sowohl die Landwirte als auch die Gesellschaft zu bevormunden. Und daher haben wir uns entschlossen, die Vorbereitung dieser neuen Überlegungen anders zu machen als das in der Vergangenheit der Fall war, nämlich dass wir hergehen und die Gesellschaft einladen, mitzuarbeiten an den weiteren Überlegungen in der Agrarpolitik. Wir werden daher in jedem einzelnen Mitgliedsstaat sogenannte ‚runde Tische‘ organisieren, wo wir alle Interessierten – ob das jetzt der Handel oder die Konsumenten, ob das die Verarbeitungsindustrie oder die Bauern, ob das die Umweltschützer oder Tierschutzorganisationen sind –, alle werden wir einladen. Und mit denen werden wir Vorstellungen erarbeiten, was also der beste Weg für die Zukunft ist. Und deswegen möchte ich jetzt nicht diese Dinge schon präjudizieren oder eine Bevormundung vornehmen, sondern ich möchte zuerst mit den Betroffenen diskutieren. Natürlich haben wir selber auch Vorstellungen, das ist keine Frage. Und diese paar Monate sollten wir uns nehmen. Und deswegen sage ich ja auch: Es ist sinnvoll, im kommenden Jahr die Vorschläge zu machen und das heurige Jahr dafür zu nutzen, mit der Gesellschaft – oder mit den Gesellschaften der Mitgliedsstaaten – eine solche Debatte zu führen.

    Geers: Sie könnten ja jetzt diesen Schwung aus der Öffentlichkeit, diesen Erwartungsdruck der Öffentlichkeit, dass etwas geändert werden muss, sich doch jetzt viel besser zu Nutze machen als möglicherweise im nächsten Jahr, wenn wieder Friede über den Märkten herrscht und kein Mensch das Problembewusstsein mehr hat, das er heute hat.

    Fischler: Also, Ihr Wort in Gottes Ohr, aber ich fürchte leider, dass uns diese Probleme länger beschäftigen werden. Und darüber hinaus glaube ich, dass wir ganz einfach eine gewisse Minimalzeit brauchen. Und ich glaube, ob wir jetzt die Vorschläge drei Monate früher oder später machen, das wird nicht entscheidend sein. Entscheidend wird sein, dass es gute Vorschläge sind und dass die Bevölkerung dahintersteht. Wenn uns das nicht gelingt, dann helfen rein technokratische Vorschläge sowieso nichts.

    Geers: Nach meinem Eindruck ist der Erwartungsdruck in bezug auf eine Reform in Deutschland besonders groß, auch verbunden durch die neue Bundeslandwirtschaftsministerin. Sind Sie und Frau Künast in dieser Frage natürliche Verbündete? Liegen Sie auf einer Linie?

    Fischler: Ich weiß nicht, ob wir in jedem Punkt auf einer Linie liegen. Aber im Grundsatz, glaube ich, haben wir ganz ähnliche Vorstellungen. Nur – Sie sagen richtig: In Deutschland ist das so. Aber wir brauchen ja, damit dann aus den Vorschlägen auch Beschlüsse werden, eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten. Das heißt, meine Aufgabe ist es also jetzt nicht, nur den deutschen Schwung zu nutzen, sondern auch die anderen 14 davon zu überzeugen.

    Geers: Ist dieser Schwung in den anderen 14 Ländern nicht so ausgeprägt?

    Fischler: Der ist sehr, sehr unterschiedlich. Und es gibt einige Mitgliedsstaaten, die sagen, man sollte überhaupt nichts ändern.

    Geers: Welche sind das? Fischler: Ja, ich möchte also da jetzt nicht einzelne Staaten in der Weise an den Pranger stellen. Aber Sie haben einen genannt, wo also die Meinung über die Änderungsbereitschaft eine ganz andere ist, und darüber hinaus gibt es vor allem in südlichen Mitgliedsstaaten ähnliche Einstellungen.

    Geers: Wie glauben Sie denn, dass sie diese reservierte Haltung gegenüber einer Reform dann noch überwinden können, damit es dann zu dieser qualifizierten Mehrheit kommt, die Sie ja brauchen, um Ihre Reformvorschläge dann im Jahr 2002 durchzubringen?

    Fischler: Also, da sind wir dann wieder zurück in dem, wo wir immer als Kommission sind. Wie wir begonnen haben, die Agenda 2000-Vorschläge vorzubereiten, haben uns auch alle Mitgliedsstaaten gesagt, da werden sie nie zustimmen diesem Vorschlag. Am Schluss haben sie doch alle zugestimmt. Und ähnlich wird es auch in der Zukunft sein, weil – das hängt zum Teil damit zusammen, dass sich jeder Mitgliedsstaat ja eine strategische Verhandlungsposition sichern will, weil jeder Minister ja für seinen Staat das Maximum herausholen will. Da ist eine faire Sache. Aber mit der Realität muss man eben auch umzugehen verstehen.