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Fischler

DLF: Herr Fischler, die neue EU-Kommission ist jetzt gut dreieinhalb Wochen im Amt. Sie sind einer von den vier Kommissaren, die das 'politische Erdbeben' sozusagen überlebt haben und sowohl der alten wie auch der neuen EU-Kommission angehören. Was ist anders an dieser neuen EU-Kommission?

Theo Geers |
    Fischler: Zunächst: Es ist richtig, ich bin eigentlich der einzige Kommissar, der überhaupt das selbe Aufgabengebiet weiterhin hat – die Landwirtschaft. Was anders geworden ist: Eine ganze Reihe von Dingen ist anders geworden. Erstens hat der neue Präsident durch den Vertrag von Amsterdam neue Kompetenzen bekommen. Und daher ist der Streit, der normalerweise am Beginn einer Kommission gestanden hat in der Vergangenheit, nämlich wie die Portefoleos untereinander aufgeteilt werden, diesmal entfallen. Der Präsident hat die zugeteilt, und dadurch ist eigentlich am Beginn eine sehr positive und sehr kooperative und konstruktive Atmosphäre unter den Kommissaren und Kommissarinnen entstanden. Noch zusätzlich hat natürlich die große Reform unter den Generaldirektoren eine völlig neue Situation gebracht. Noch nie in der Geschichte der Gemeinschaft wurden am Beginn einer Kommission so viele neue Generaldirektoren anderen Aufgaben zugeteilt oder zugeordnet. Das hat ebenfalls einen großen Effekt gemacht. Und das Dritte, was – glaube ich – wichtig und ebenfalls neu ist, das ist einerseits die neue Art und Weise, wie die Kommissare ihre Aufgabe wahrnehmen. Sie sind ja nicht mehr zusammen in einem Gebäude untergebracht, sondern jeder bei seiner Generaldirektion. Andererseits wurde auch die ganze Nachrichtenpolitik reformiert und anders gestaltet. Da muss man sehen - das wird die Erfahrung zeigen -, wie das alles sich in der Praxis bewährt. Aber das Ganze zeigt auch, dass diese neue Kommission eigentlich sehr reformfreudig ist und dass diese neue Kommission durchaus bereit ist, auch zum Teil gewisse Wagnisse – wenn Sie so wollen – einzugehen.

    DLF: Nun war die alte EU-Kommission unter Jacques Santer ja weniger deshalb zurückgetreten, weil es in exzessivem Umfang Zweckentfremdung von Geldern gab oder Vetternwirtschaft und ähnliches. Der Rücktritt erfolgte ja vor allem, weil die alte Kommission den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen wollte und konnte, dass es im Apparat der Kommission - sozusagen in der Hierarchie - einfach keine Gefühle von Verantwortung gäbe. So hieß es ja in dem Gutachten, das damals veröffentlicht wurde von den fünf Weisen. Das heißt ja im Umkehrschluss auch, dass die neue Kommission hier noch manches und vieles verbessern muss und auch will. Was sind denn für Sie bisher die wichtigsten Weichenstellungen? Sie haben ja einige gerade schon genannt.

    Fischler: Ja, einige habe ich schon genannt. Aber das sind eigentlich erst erste Schritte, wenn man so will. Wir werden jetzt eine große Reform unserer Dienste angehen. Dazu wurde auch eine eigene Kommissargruppe eingerichtet, die das politisch vorbereitet. Ich selber gehöre dieser Gruppe an und bin daher daran beteiligt, die Reformen vorzubereiten. Wir haben vor, bis in die ersten Monate des kommenden Jahres einen ersten Entwurf eines solchen Reformvorschlages auszuarbeiten. Die wesentlichen Schritte dabei werden einerseits sein, dass wir die Verantwortlichkeit auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen neu regeln müssen, das heißt also: Welche Verantwortung trägt eigentlich ein Generaldirektor, ein Direktor, ein Abteilungsleiter usw., welche Verantwortung hat jeder Beamte zu übernehmen? Das Zweite, was wir – glaube ich – tun müssen, ist: Wir müssen das Disziplinarrecht auf völlig neue Beine stellen, weil das überhaupt nicht funktioniert. Und das ist ein altes Handicap aus der Vergangenheit. Das Dritte aber: Ich glaube, man darf nicht nur sozusagen jetzt die Seite reformieren, wo es darum geht: Wenn was schiefläuft, wer wird zur Verantwortung gezogen? Sondern ich glaube, man muss vor allem dafür sorgen, dass möglichst nichts schiefläuft. Und in dem Zusammenhang scheint es mir enorm wichtig zu sein, dass wir viel mehr investieren in das, was man Personalentwicklung nennt, dass man viel mehr Möglichkeiten schafft, um auch unsere Beamten entsprechend zu motivieren. Denn meiner Meinung nach: Eine motivierte Beamtenschaft ist die Grundvoraussetzung für einen Erfolg auf der europäischen Ebene. Und einen Punkt möchte ich noch erwähnen: Ich glaube, es ist enorm wichtig, dass wir Klarheit schaffen: Welche Aufgaben können wir wirklich mit unserem Personal wahrnehmen und welche nicht.

    DLF: Besteht da nicht die Gefahr, dass die EU-Kommission dann in den nächsten Monaten zu allererst noch mit sich selbst beschäftigt ist?

    Fischler: Diese Gefahr dürfen wir nicht entstehen lassen. Wir können dieser Gefahr nur durch Mehrarbeit – wenn man so will – begegnen, das heißt, wir müssen diese Dinge nebeneinander machen. Ich zum Beispiel habe vor, noch im heurigen Jahr eine Reihe von Reformen zu initiieren. Wir wollen eine Reform im Reissektor vornehmen, wir wollen den gesamten Bereich des Flachsanbaues und des Hanfanbaues reformieren. Wir müssen auch einige Regelungen schaffen in Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Rindfleisch. Wir müssen uns überlegen, wie es jetzt eigentlich auf dem Bananenmarkt weitergeht. Das allein soll heuer noch geschehen. Also, niemand soll den Eindruck haben, dass wir jetzt nur 'Nabelschau' betreiben.

    DLF: Ein Schwerpunkt der neuen EU-Kommission wird ja auch sein, nach dem BSE-, aber auch nach dem jüngsten Dioxin-Skandal das Verbrauchervertrauen in die Lebensmittel wieder herzustellen. In dieser Woche sprach Kommissionspräsident Prodi davon, dass man das System der Lebensmittelkontrolle verbessern müsse. Er sprach von einer lückenlosen Kontrolle 'vom Bauernhof bis zum Teller des Verbrauchers'. Woran krankt es denn da aus Ihrer Sicht derzeit?

    Fischler: Ja, ich habe da – glaube ich – die einschlägigsten Erfahrungen in der Vergangenheit gesammelt, und es war eigentlich immer auch mein Prinzip, zu sagen: Wir müssen eine Kette bilden vom Bauernhof bis zum Teller des Konsumenten. Woran es krankt, ist hauptsächlich die unterschiedlichste Zuständigkeit und zum Teil die Doppelzuständigkeit der Mitgliedsstaaten selber und der Gemeinschaft. Ich glaube, in diesem Dschungel muss mehr Klarheit hinein, und vor allem: Wo es noch mehr vielleicht krankt, ist, dass in der Umsetzung der Gemeinschaftsvorschriften manche Mitgliedsstaaten halt leider säumig sind. Und wir haben hier als einzige Möglichkeit nur, dass wir solche Mitgliedsstaaten dann vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Aber das ist eine sehr langwierige Geschichte, und ich glaube, der Konsument legt größten Wert darauf – zu Recht –, dass er nicht jetzt zwei Jahre warten muss, bis zum Beispiel eine Umsetzung in einem Mitgliedsstaat in der Frage etwa, wie die Tiermehle produziert werden, erfolgt oder nicht. Also, hier müssen wir eine Beschleunigung erreichen. Und um das Vertrauen wieder zu gewinnen, gibt es meiner Meinung nach noch einen zentralen Punkt. Einerseits sicher mehr Kontrolle, und eine wirklich funktionierende Kontrolle ist wichtig, aber andererseits auch: Ich glaube, wir müssen zeigen, dass die Beurteilung, was zum Beispiel an Futtermittel-Zusatzstoffen verwendet werden darf oder nicht oder wie zum Beispiel die schwierige Hormonfrage zu sehen ist, dass sie unabhängig von unabhängigen Wissenschaftlern erfolgt, dass nicht der Eindruck entsteht, gewissermaßen die Industrie- oder die Agrarlobby bestimmt, was letztlich der Konsument essen kann oder nicht.

    DLF: Sie sprachen gerade davon, dass es immer noch ein Durcheinander gibt bei den Zuständigkeiten. Wer soll denn Ihrer Meinung nach zuständig sein?

    Fischler: Es wird immer so sein müssen, dass - vor allem in der Durchführung - die Hauptzuständigkeit bei den Mitgliedsstaaten liegt. Ich meine, es ist undenkbar, dass auf der Gemeinschaftsebene Tausende Beamte für die Kontrolle tätig sind - zum Beispiel wenn man das vergleicht mit den USA, die allein 5.000 Beamte für die Lebensmittelkontrolle einsetzen. Also, so etwas können wir hier nie machen, sondern hier sind wir auf die Kooperation der Mitgliedsstaaten angewiesen. Aber hier müssen wir auch dann die Möglichkeit erhalten, wenn Mitgliedsstaaten nicht entsprechend kooperieren, diese Kooperation dann auch entsprechend durchzusetzen.

    DLF: Ist das Beispiel Frankreich in dieser Woche, das sich weigert, das britische Beef wieder auf den französischen Markt zu lassen, obwohl die EU das Exportverbot für britisches Rindfleisch ja aufgehoben hat per 1. August, ist das ein schlagendes Beispiel für das, was Sie kritisieren?

    Fischler: Das ist ein zusätzliches Problem, würde ich sagen. Das, was ich primär hier kritisiert habe ist, dass zum Beispiel die Stichprobenkontrollen – ob die Lebensmittel, die in den Geschäften angeboten werden, in Ordnung sind – sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Und da brauchen wir auch natürlich harmonisierte Vorschriften, das heißt, dass das Recht überall gleich angewendet wird. Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass das in einem Staat lax gehandhabt wird und im anderen weniger lax. Aber zurückzukommen auf Ihre Frage im Zusammenhang mit Frankreich: Hier geht es – glaube ich – viel mehr darum, dass jeder Mitgliedsstaat - wenn man sich auf dieses Prinzip verständigt, dass wir unabhängige Wissenschaftler beauftragen, eine Frage zu beurteilen, dass wir aber dann auch deren Urteil respektieren. Das ist – glaube ich – Teil dieses Spiels; ohne dem kann das nicht funktionieren.

    DLF: Das passiert aber im Moment nicht. Es gibt einen EU-Veterinärausschuss, der gesagt hat, das britische Rindfleisch sei sicher. Und dann gibt es jetzt eine Agentur für Lebensmittelsicherheit in Frankreich, die sagt, das sei noch nicht der Fall.

    Fischler: Ganz so ist es nicht. Die Entscheidung der Mitgliedsstaaten, die übrigens 12 Mitgliedsstaaten befürwortet haben, baut auf auf einen Bericht solcher unabhängigen Wissenschaftler. Das, was also jetzt hier in Frankreich behauptet wird, müssen wir erst einmal überprüfen. Wir wollen erst einmal sehen, was eigentlich das Neue ist, das da angeblich gefunden wurde. Bisher hat man uns das noch nicht gezeigt. Und ohne dass man uns das zeigt, ist es undenkbar, dass man hier eine neue Initiative ergreift. Natürlich: Logischerweise kann die Wissenschaft immer nur nach ihrem letzten Wissensstand urteilen. Wenn es tatsächlich neue Erkenntnisse geben sollte, dann müssen die bewertet werden. Aber dafür brauchen wir zunächst einmal diese Informationen. Und die hat Frankreich bisher nicht zur Verfügung gestellt.

    DLF: Noch einmal zu dem Zuständigkeits-Wirrwarr. Fängt dieser Wirrwarr nicht auch schon in der EU-Kommission selbst an? Wenn ich die Lebensmittelkontrolle und Lebensmittelsicherheit nehme - ich nenne nur mal ein Beispiel: Für die Lebensmittelsicherheit zuständig sind allein fünf Kommissare: Der neue Verbraucherkommissar David Byrne aus Irland, Sie sind für Agrar zuständig, dann gibt es noch den Niederländer Fritz Bolkestein, der für die Produkthaftung zuständig ist, Frau Wallström, die Umweltkommissarin, ist für die Freisetzung genetisch veränderter Organismen zuständig, und am Ende gibt es noch Erkki Liikanen, den Finnen, der als Industriekommissar auch ein Wörtchen mitzureden hat. Ist das nicht auch ein schlagendes Beispiel für Kompetenzwirrwarr?

    Fischler: Nun, ich glaube, das ist in der Öffentlichkeit doch etwas übertrieben dargestellt worden. Im Gegenteil, wir haben eines gemacht: Wir haben also die Frage der Lebensmittelsicherheit in eine Hand gegeben. Also nur ausschließlich der Kollege Byrne ist zuständig für Lebensmittelsicherheitsfragen, für die gesamte Kontrolle, für die Frage der wissenschaftlichen Beweisführung. Das ist alles in seiner Zuständigkeit. Ich habe ja die bisherige Zuständigkeit für das Veterinärwesen und für das Pflanzengesundheitswesen genau aus diesem Grund an ihn abgegeben; also ich bin in dem Sinne hier nicht mehr zuständig. Aber natürlich muss er mit mir reden, weil ja die Landwirte zum Teil die Vorschriften, die er vorschlägt, dann auch umsetzen müssen . . .

    DLF: . . . Sie liefern auch die Produkte . . .

    Fischler: . . . wir liefern auch die Produkte, das ist logisch. Aber das lässt sich ja nie anders organisieren, und ich glaube, dass das auf diese Weise jetzt wesentlich besser organisiert ist. Bisher hat ja der Vorwurf bestanden, dass ich gewissermaßen unter dem Druck der agrarischen Lobby Entscheidungen treffe, die gegen die Konsumenteninteressen sein könnten. Nunmehr ist diese Kombination von Zuständigkeit weg, nunmehr ist das getrennt – genau um zu zeigen, dass die Lebensmittelsicherheit eine Frage ist, die völlig unabhängig von den agrarischen Interessen geprüft wird.

    DLF: Noch ein Punkt aus Ihrem Zuständigkeitsbereich, Stichwort 'Tierfutter'. Allen ist noch der Dioxin-Skandal hier in Belgien in Erinnerung. Es gibt ja auch jetzt Vorschläge dafür, wie man verhindern will, dass sich so etwas nicht wiederholt. Da gibt es zum Beispiel Vorschläge, eine Positivliste darüber zu erstellen, 'was darf noch ins Tierfutter rein und was nicht?'. Und es sind ja auch unappetitliche Dinge ans Tageslicht gekommen, nicht nur Dioxin. Dann war auch Klärschlamm in dem Futter gefunden worden. Wie soll es denn auf diesem Gebiet bei Ihnen weitergehen?

    Fischler: Ja, das geht nicht mehr bei mir weiter. Also noch einmal – und da zeigt sich eben sehr deutlich, dass wir massive Änderungen vorgenommen haben: Für diese gesamte Problematik ist nunmehr zuständig mein Kollege Byrne.

    DLF: Kommen wir noch einmal zurück auf das Verbrauchervertrauen, Herr Fischler. Ein Element darin ist ja beispielsweise auch, dass wir zum Beispiel in der Europäischen Union ein Verbot haben, was hormonbehandeltes Fleisch betrifft. Ein Riesenproblem mit den USA hat sich daraus inzwischen entwickelt, weil in den USA eben Rinder mit Hormonen gezüchtet und gemästet werden können, und die USA bzw. die amerikanischen Farmer denken offensichtlich auch nicht daran, diese Produktionsmethoden umzuändern. Lässt sich denn dieses Importverbot für amerikanisches Rindfleisch - also für hormonbehandeltes Rindfleisch - noch auf Dauer aufrecht erhalten?

    Fischler: Das ist jedenfalls - so wie wir die Dinge sehen - unser Ziel, und zwar vor allem deshalb, weil wir ja von den vorhin genannten unabhängigen Wissenschaftlern einen Zwischenbericht ihrer Beurteilung bekommen haben und dann festgestellt haben, dass es ein krebserregendes und ein krebsförderndes Risiko gibt in Zusammenhang mit der Verwendung dieser Hormone. Und daher haben wir keinen Grund, jetzt das Hormonverbot aufzuheben. Allerdings: Die Art und Weise, wie dieses Hormonverbot zustande gekommen ist – vor vielen Jahren –, stimmt nicht überein mit den Vorschriften, die aufgrund der WTO anzuwenden sind. Daher sind wir ja gerade jetzt dabei, diese Diskrepanz aufzuheben, indem wir eine Risikobeurteilung vornehmen lassen – wiederum von den genannten Wissenschaftlern –, die in Übereinstimmung dann stehen wird mit den WTO-Vorschriften. Und wenn das dann WTO-gerecht gemacht wird, dann werden wir selbstverständlich auch die Sanktionsmaßnahme der Amerikaner in der WTO angreifen und werden uns darüber beschweren. Und dann haben die Amerikaner das Risiko, dass sie also dann uns gegenüber eigentlich eine Schuld haben werden.

    DLF: Kommen wir auf ein anderes Thema, Herr Fischler. Sie sind EU-Kommissar, Sie sind aber auch Österreicher. Und seit einer Woche hat Österreich ein Problem - ein Problem, dass Österreich nämlich die bei den Wählern erfolgreichste rechtsextreme Partei im Land hat. Sie haben vor und auch nach der Wahl ausdrücklich vor der Partei Jörg Haiders, also der Freiheitlichen Partei Österreichs – FPÖ – gewarnt. Frage: Ist jetzt schon das Ansehen Österreichs durch diesen Wahlerfolg und möglicherweise durch das 'Haider-ante portas', was die Regierung in Wien betrifft, beschädigt?

    Fischler: Ich hoffe nicht, und ich möchte hier ganz klar sagen: Also Österreich besteht nicht nur aus Haider-Wählern, sondern die große Mehrheit der Österreicher hat nach wie vor andere Parteien gewählt. Worauf ich aufmerksam gemacht habe, ist eben, dass – wenn Haider an einer Regierung beteiligt wäre – das tatsächlich einen internationalen Schaden dann verursachen würde. Und vor allem: Ich glaube nicht, dass es erstrebenswert ist, in einer Periode unserer Geschichte, wo es darum geht, Bedingungen zu schaffen, dass Europa besser zusammenwachsen kann, insbesondere auch, dass wir diesen logischen Schritt, den eigentlich unsere Geschichte gerade für die Österreicher vorgibt, nämlich die Erweiterung vollziehen, dass wir in dieser Situation Schwierigkeiten haben würden, wenn einzelne Staaten anfangen, sich gegenüber dieser Mehrintegration zu verweigern. Das Risiko, das wir dann in alte nationalstaatliche Modelle zurückfallen würden, würde damit natürlich dann nach oben steigen. Wir wissen heute, dass einer der wesentlichsten Faktoren, dass es zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gekommen ist – zu diesen beiden Weltkriegen – genau dieser Nationalismus war. Also, daher müssen wir den weiter bekämpfen.

    DLF: Die Frage ist aber: Wie geht es jetzt in Wien weiter? Es gab ja Anfang dieser Woche den Ratschlag eines Freundes der Österreichischen Volkspartei, eines Freundes aus Bayern – Edmund Stoiber, den Ministerpräsidenten. Er hat gesagt, die ÖVP - die Partei also, der auch Sie angehören in Österreich - sollte eine Regierung mit der FPÖ eingehen, unter Bedingungen: Jörg Haider nicht als Mitglied in der Bundesregierung in Wien, die ÖVP müsse den Kanzler stellen und die FPÖ müsse auch ihre anti-europäische Grundhaltung aufgeben. Ist denn aus Ihrer Sicht die FPÖ überhaupt hoffähig?

    Fischler: Also, erstens einmal können wir auf solche Ratschläge dankend verzichten, auch wenn sie uns von Freunden gegeben werden. Zweitens glaube ich, sollte gerade von deutscher Seite hier große Vorsicht am Platze sein, denn hier ist eine ganz besondere Sensibilität auch zu sehen zwischen den deutsch-österreichischen Beziehungen. Ich muss auf der anderen Seite natürlich schon auch festhalten, dass die Partei des Jörg Haider eine in Österreich zugelassene Partei ist, die gegen keine österreichischen Gesetze verstößt und daher als demokratische Partei anzusehen ist. Also, man kann auf der anderen Seite nicht einfach 1,2 Millionen Wähler sozusagen völlig ignorieren. Man muss hier schon einen korrekten Umgang üben. Aber es ist eine ganz andere Frage, ob es Sinn macht, dass eine solche Partei auch in der Regierung politische Verantwortung trägt. Und da bin ich eben der Meinung, dass das nicht der Fall ist.

    DLF: Das heißt, die FPÖ ist aus Ihrer Sicht nicht hoffähig für eine Beteiligung an der Regierung in Wien?

    Fischler: Das heißt, im Prinzip schon – außer die Österreicher wollen das Risiko eingehen, dass sie also sehr viele Schwierigkeiten haben werden.

    DLF: Welche Schwierigkeiten wären das?

    Fischler: Nun ja, die Schwierigkeiten, die hier zu erwarten wären, gehen sicher in die Richtung, dass Österreich von verschiedenen Staaten in der Welt als ein Land angesehen würde, mit dem es nicht sehr opportun wäre, intensive Zusammenarbeit zu pflegen.

    DLF: Das hieße im Umkehrschluss weiterhin, dass im Grunde in Wien es aus Ihrer Sicht nur eine Fortsetzung der bisherigen großen Koalition aus Sozialdemokraten, also der SPÖ, und ÖVP geben kann?

    Fischler: Das heißt es nicht unbedingt, denn es ist im Prinzip auch möglich, dass man eine Minderheitsregierung zum Beispiel bildet. Oder es sind auch vielleicht irgendwelche neuen Überlegungen denkbar. Wichtig ist nur, dass also die pro-europäischen Parteien weiterhin am Ende das Sagen haben. Das ist für mich der wichtigste Punkt.

    DLF: Wie könnte das denn im Notfall - wenn es also zu keiner Fortsetzung der großen Koalition in Wien käme - wie könnte denn so eine Konstruktion Ihrer Meinung nach aussehen?

    Fischler: Das ist – glaube ich – jetzt viel zu verfrüht, darüber Spekulationen anzustellen. Hier sollte man erst einmal die Stimmen in Ruhe auszählen und das endgültige Ergebnis sehen. Dann sollten das die Parteien bewerten, und dann wird es Gespräche geben, wobei der Bundespräsident schon klargestellt hat, dass er als erstes den Vertreter der größten Partei einladen wird, um zu versuchen, eine Regierung zu bilden.

    DLF: Spielen wir eine Sache noch durch, Herr Fischler. Gesetz den Fall, die Koalitionsverhandlungen der SPÖ mit der ÖVP kommen zu keinem Ergebnis; gesetzt den Fall, dass auch die ÖVP dann mit der FPÖ nicht zusammengehen könnte: Wären dann unter Umständen Neuwahlen in Österreich ein Ausweg aus dem Dilemma?

    Fischler: Ja, wissen Sie: Solche Spekulationen haben ein bisschen die Tendenz, zu einer 'self-fullfilling-prophecy' zu werden. Also, ich möchte hier keinen Trend damit auslösen, und daher – glaube ich – ist es wirklich besser, abzuwarten, wie die Ergebnisse tatsächlich sind und dann Schritt für Schritt vorzugehen und dann jeden Schritt für sich zu bewerten, um dann zu einem hoffentlich positiven Ergebnis zu kommen.

    DLF: Sie haben gerade einen feinen Unterschied gemacht zwischen dem Parteivorsitzenden Jörg Haider und der Partei FPÖ. Ist das ein kleines Hintertürchen, das sich ein österreichisches ÖVP-Mitglied vielleicht offen halten lassen sollte?

    Fischler: Mir geht es hier nicht um Hintertürchen, aber man muss – glaube ich – fairer weise diese Unterscheidung machen. Es ist zwar richtig, dass die FPÖ zur Zeit eine sehr auf ihren Parteiobmann bezogene Partei ist und dass er sozusagen viele Fans um sich versammelt, aber nicht automatisch ist die Partei und ihr Führer identisch.

    DLF: Das hieße, unter Umständen wäre doch diese Idee von Edmund Stoiber, im Notfall eine Koalition aus ÖVP und FPÖ zu bilden. ohne Jörg Haider in Wien in der Regierung zu haben, sondern ihn als Landeshauptmann in Kärnten zu belassen, wäre ein denkbares Modell?

    Fischler: Es ist nicht die Frage, was alles denkbar ist. Die Frage ist: Was ist sinnvoll und was ist nützlich? Und daher glaube ich, um noch einmal darauf zurückzukommen, dass das wirklich keinen Sinn macht, jetzt alle Denkvarianten auszubreiten, noch dazu, ohne zu wissen, welche dieser Varianten überhaupt eine Chance hat. Schon deshalb kann man das nicht wissen, weil der Parteiobmann der ÖVP festgelegt hat: Wenn die ÖVP die Nr. 3 wird, dann wird die ÖVP in die Opposition gehen.

    DLF: Sie ist aber in jedem Fall – die ÖVP – der 'Königsmacher' in Wien.

    Fischler: Die ÖVP hat hier eine sehr verantwortungsvolle Rolle wahrzunehmen. Und die Entscheidungen, die mein Freund Wolfgang Schüssel hier zu fällen haben wird, sind sicher alles andere als leicht.