Montag, 29. April 2024

Archiv

Flaschenpost
Die Magie der Flussnachrichten

Warum schreiben Menschen Botschaften auf einen Zettel, um ihn in eine Flasche zu stecken und dann in einen Fluss zu werfen? Wohl nichts ist unzeitgemäßer. Antworten auf diese Frage sucht seit 1998 Joachim Römer. Damals fand der Kölner Grafiker und Künstler am Rhein seine erste Flaschenpost. Inzwischen hat er ihnen ein Kunstwerk gewidmet.

Von Gerd Michalek | 05.07.2015
    Der Künstler Joachim Römer zieht in Köln einen Brief aus einer Flasche.
    In seinem Element: der Künstler und Flaschenpostsammler Joachim Römer (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    "Hier ist es glatt, ja, ist eine! Kriege ich jetzt aber nicht raus, steht nur- kann man von außen sehen: (vorlesend) Felix -Lennard - Hanni – mehr nicht – und dann ganz viele Herzen. Ich denke, das sind Kiddies, die verliebt sind und ihrer Verliebtheit ein schwimmendes Denkmal gesetzt haben."
    Leichtfüßig bewegt sich Joachim Römer über glitschige Basaltblöcke am Kölner Rheinufer. Dann steckt der 58-Jährige seinen neuesten Fund in einen Rucksack, er ist glücklich wie ein Schatzsucher. Zuhause reinigt er die Flasche und überträgt die Texte in ein Flaschenpost-Journal. Ob er etwas findet - und was es ist, lässt sich nicht planen.
    "Ich muss eine innere Ruhe haben, ich muss spazieren gehen wollen. Einfach den Fluss genießen, die Schiffe, das Wetter, und dabei meine Augen unscharf stellen. Und dann muss ich geduldig gehen, dann kann es passieren, dass ich mit so einer Haltung acht Kilometer stundenlang am Rhein gehe und nichts finde! Es kann aber auch passieren, dass ich auf 500 Metern 20 Flaschen finde."
    Der Kölner Künstler sucht auf beiden Rheinseiten – vor allem zwischen Bonn und Düsseldorf. Egal, ob bei Niedrig- oder Hochwasser, es sind überraschend vielfältige Botschaften, die teilweise jahrelang unterwegs waren, einige nur ein paar Tage: In den ersten Januartagen findet Römer vor allem schwimmende Neujahrsgrüße. Doch zu jeder Jahreszeit gibt es Anlässe, um dem Rhein eine Botschaft zu schenken, sagen die Absender:
    "Diese Kontaktanzeige per Flaschenpost war eigentlich aus dem Spaß heraus geboren, ich war zu dem Zeitpunkt Single und habe gedacht, ich habe ja nichts zu verlieren und das ist vielleicht mal 'ne andere Art, jemanden kennen zulernen. Und deshalb haben wir das gemacht."
    "1001 Flaschenpost"
    "Lieber Finder, diese Flaschenpost wurde anlässlich unseres Grillfestes am 28. Juni 1997 in Köln-Rodenkirchen in den Rhein geworfen."
    "Ich war bei meinem Junggesellen-Abschied unterwegs mit meinen Mädels. Die haben mir 'ne Flaschenpost geschenkt mit einem Stift und 'nem Zettel. Ich durfte einen Wunsch drauf schreiben, den dann in den Rhein schmeißen. Ich habe drauf geschrieben: „Ich habe den Mann meiner Träume gefunden, Wunsch erfüllt. Ich wünsche dir, lieber Finder, genauso viel Glück im Leben!"
    Alle drei Absender haben sich gefreut, als sie von Joachim Römer plötzlich Post bekamen, obwohl er nicht ins Beuteschema der Kontaktanzeige passte. Alle drei Flaschen stehen mittlerweile im "Museum am Strom" in Bingen nahe Mainz. Römer bekam dort die Gelegenheit, seinen gesamten Fundus auszustellen. "1001 Flaschenpost" heißt das Kunstwerk. Seine Schätzchen stehen dezent beleuchtet und chronologisch geordnet in Glas-Vitrinen, was Besuchern gut gefällt. Wer die vielen Regal-meter durchstöbert und schließlich die eigene Flasche entdeckt, ist natürlich gerührt.
    Flaschen stehen in Regalen in der Bingener Ausstellung "1001 Flaschenpost".
    Die Bingener Ausstellung "1001 Flaschenpost". (Joachim Römer)
    "Als wir sie dann gefunden haben, war es auf jeden Fall cool dann zu sehen, weil es nicht nur eine einzelne Person gefunden hat, sondern es ist jetzt auch Teil von etwas größerem ist - Teil einer Kunstausstellung!"
    Anonyme Kommunkiation
    "Ganz witzig! Ich habe nicht damit gerechnet, dass meine dabei ist. Ich wusste ja im Vorfeld nicht, wie viele letztendlich ausgestellt werden.
    "Das ist ja etwas ganz Spontanes und das sieht man dann 15 Jahre oder noch später- von einer fremden Person. Ich glaube, das ist anonyme Kommunikation."
    "Wir haben im Gegensatz zu anderen, die über das Leben sich Fragen stellen, haben wir nur Mist rein geschrieben, wo wir lang gefahren sind. Das war`s dann eigentlich schon."
    Nicht selten formulieren Menschen in einer Flaschenpost auch Sorgen und Ängste. Warum man die in Zeiten des Internets einem Fluss anvertraut, erklärt sich Römer so: "Wenn ich eine Nachricht so deponiere, dass potenziell jemand die finden kann, dann habe ich einen letzten Rest Hoffnung, dass die jemand findet. Dass dieser Mensch anders ist als diejenigen, die ich bisher kennengelernt habe. Da ist irgendeine Utopie drin, dass es irgendwo am Fluss einen Mensch gibt, der mir helfen kann - oder mir guttut."
    Joachim Römer wirkt sehr ausgeglichen. Womöglich liegt es an den langen Ufer-Spaziergängen – einer sehr entschleunigten Art von Sammelleidenschaft. Für ihn kommt der Rhein als Ablage-Ort für Kummerbriefe kaum in Betracht. Dass er niemals eine Flaschenpost schicken wird, hat jedoch einen anderen Grund: Er ist abergläubisch! "Ich hätte das Gefühl, wenn ich 'ne Flaschenpost in den Rhein werfen würde, von da an würde ich selber keine mehr finden!"
    Wer sich den gesamten Fundus in Bingen im „Museum am Strom“ ansehen möchte, hat dafür noch Zeit bis zum 1. November. Joachim Römer hat die Flaschenposten in anonymer Form katalogisiert und vollständig transkribiert, sodass die Besucher - mit einem gut 100seitigen Journal in der Hand - alle Inhalte den jeweiligen Flaschen zuordnen können.