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Flassbeck: Ohne systematische Lösung zerstört man den Euro

Die EU müsse sich darauf konzentrieren, wie alle Unionsländer gemeinsam wieder normal wirtschaften können, sagt Heiner Flassbeck. Der frühere Volkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung kritisiert, dass man nur von Fall zu Fall über jedes Krisenland entscheide. Das werde auf Dauer so nicht gehen.

Heiner Flassbeck im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 30.03.2013
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns noch einmal mit der Frage beschäftigen, wie geht es denn weiter in Zypern? Die Aussichten sind alles andere als gut, das Land hat Devisenbewirtschaftung, jeder sagt eine Rezession voraus, der Bankensektor wird sich verkleinern müssen und die Wirtschaft – na ja, da wird nicht viel Positives passieren.
    Wir wollen aber mal grundsätzlich fragen, was ist da eigentlich falsch gelaufen, warum ist es so weit gekommen. Und darüber wollen wir reden mit Heiner Flassbeck, dem früheren Chefvolkswirt der UNCTAD, der übrigens gerade selbst in Zypern ist und sich dort informiert hat. Erst mal schönen guten Morgen, Herr Flassbeck!

    Heiner Flassbeck: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Flassbeck, zunächst einmal – da sind ja jetzt nun Eigentümer, möglicherweise auch Sparer werden jetzt beteiligt. das ist immer mal wieder gefordert worden. Allerdings jetzt, wo das dann passiert, gibt es wieder Gegenbewegungen, da heißt es, na ja, so haben wir uns das auch nicht vorgestellt. War das richtig, ist das richtig, was da gerade in Zypern passiert?

    Flassbeck: Nein, ich glaube nicht, weil es ist natürlich extrem willkürlich, es geht ja nicht nur um Sparer, es geht ja nicht nur um Leute, die ruhig ihr Geld auf dem Konto liegen haben für zehn Jahre und jetzt mal beteiligt werden an einem Bankrott ihrer Bank, das ist ja die Fiktion. Aber es gibt Fälle – ich habe gestern hier von Fällen gehört, von zwei jungen Bauunternehmern, die drei Millionen auf einer Bank haben, nämlich der Laiki Bank, die nun kleingemacht wird, aber vier Millionen Kredit, also Schulden, auf einer anderen Bank, und was bleibt ihnen jetzt über, sie kriegen jetzt 200.000 Euro raus. Das sind so Fälle, die hier natürlich großes Aufsehen erregen, wo die Leute sagen, was ist daran gerecht, was ist daran vernünftig. Und da ist in der Tat nichts dran vernünftig, das muss man einfach sagen.

    Zurheide: Damit geht eigentlich das wichtigste Vertrauen, das wichtigste Kapital verloren, das ist nämlich Vertrauen, Vertrauen in Banken. Wie kann man das wiederherstellen?

    Flassbeck: Ja, genau, da ist Vertrauen in erheblichen Maßen zerschlagen worden, das Problem ist, niemand würde sagen, dass diese Banken hier gesund waren. Natürlich waren die nicht gesund, die sind aber auch zum Teil durch die sogenannte Eurorettung geschädigt worden. Der Griechenlandausfall hat hier tief eingeschlagen, bei der einen Bank jedenfalls, und da muss man sehen, das kann man alles infrage stellen, man kann sagen, gut, das sind keine nachhaltigen Geschäftsmodelle, das muss man auf die Dauer abändern und anpassen. Aber das muss man eben auf lange Zeit machen, das kann man nicht über Nacht. Und das, was jetzt passiert ist – und deswegen sind die Leute hier absolut schockiert, absolut, ich habe gestern mit allen politischen Parteien gesprochen, alle von links bis ganz rechts, sind alle schockiert und zu Recht schockiert, weil sie sagen: Unser Geschäftsmodell, das, was wir uns aufgebaut haben, mag es richtig oder falsch gewesen sein, ist jetzt über Nacht zerschlagen, und wir stehen sozusagen vor dem Nichts. Und wir wissen wirklich nicht, wie es morgen weitergehen soll, wenn sich zeigt, dass die ganzen Arbeitsplätze, die an diesen Banken hängen – das sind ja noch dann viele andere Arbeitsplätze im Servicebereich und was weiß ich noch alles –, wenn das alles wegfällt.

    Zurheide: Jetzt kommen wir mal zu der Grundfrage, die ich vorhin stellte: Wir alle haben gesagt, na ja, eigentlich müssen die Verursacher beteiligt werden der Krise – da wird jeder im Volk sagen, ja, das ist so, nicht unbedingt der Steuerzahler. Wie kann man denn Verursacher so beteiligen, dass es nicht zu den negativen Effekten kommt, die Sie gerade zu Recht beschrieben haben, dass da jemand auf der einen Seite Guthaben und dann aber wieder Schulden hat?

    Flassbeck: Na ja, wer sind die Verursacher der Krise? Da muss man natürlich tief bohren, und das ist eben nicht so einfach, und Sie kennen ja sicherlich meine These, dass Deutschland auch einen erheblichen Anteil an der Krise hat, nämlich mit dem Lohn, mit der Lohnmoderation der 2000er-Jahre hat man einen Keil sozusagen in die Währungsunion getrieben, der jetzt auf der einen Seite sich in den hohen Schulden dieser Defizitländer, auch hier in Zypern zeigt, und den hohen Forderungen des Gläubigerlandes, Deutschland vor allem, und an diese Frage geht niemand ran. Man geht an ganz viele Einzelfragen ran, und das ist das eigentliche Problem der Rettung im Moment, oder der sogenannten Rettung, dass man an dieses Grundproblem – wie kriegen wir diesen Keil aus der Währungsunion heraus, diese riesige Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Ländern, wo Deutschland etwas getan hat, was auch nicht gerechtfertigt war, was überhaupt nicht gerechtfertigt war, weil Deutschland hat gegen das Inflationsziel, das man gemeinsam beschlossen hat, verstoßen. Wie kriegen wir das wieder raus, und wie kommen wir hin zu einer Situation, wo alle Länder wieder normal wirtschaften können? Diese Frage wird leider nicht behandelt, sondern es wird immer nur von Fall zu Fall, wird ein Land vorgenommen, das wird angeguckt, und dann sagt man: Ja, da ist vieles im Argen und da schlagen wir jetzt mal drauf. Das ist aber keine systematische Lösung, und so wird es nicht gehen, so zerstört man den Euro. Hier denken die Leute ganz offen darüber nach, wie können wir aussteigen, gibt es eine Möglichkeit zum Aussteigen.

    Zurheide: Auf der anderen Seite, in der Tat, wenn diese Ungleichgewichte, die Sie da beschreiben, da sind, dann ist eigentlich der letztübrig bleibende Weg, dann muss man aus einer Währungsunion aussteigen, weil sie die Gleichheit der Lebensverhältnisse nicht wird herstellen können.

    Flassbeck: Na ja, es ist nicht nur Gleichheit der Lebensverhältnisse, es ist Anpassung an die eigenen Lebensverhältnisse. Gleichheit der Lebensverhältnisse ist nicht verlangt in der Währungsunion. Und Währungsunion, man muss sich nur anpassen an seine Produktivität. Und das heißt, man darf auch nicht unter seinen Verhältnissen leben. Man darf nicht über seinen Verhältnissen und man darf aber auch nicht, wie Deutschland, systematisch unter seinen Verhältnissen leben, das kann auch nicht funktionieren, und diese Anpassung muss man zustande bringen. Die Lebensverhältnisse wird man nicht so schnell anpassen, aber wir kriegen ja nicht mal diese Anpassung, dass jeder sich an seiner Produktivität orientiert, das kriegen wir nicht mal hin. Und da muss man in der Tat sagen, wenn das nicht gelingt, dann ist die Grundvoraussetzung für eine Währungsunion nicht gegeben, und dann muss man in der Tat auch darüber nachdenken, wie man Ländern, die jetzt so verzweifelt sind wie Zypern, wie man solchen Ländern helfen kann auszusteigen. Denn aussteigen ist ja nicht einfach, man hat ja keine neue Währung. Man kann ja nicht sagen über Nacht, morgen haben wir eine neue Währung, und es gibt unendlich viele komplizierte rechtliche und sonstige Fragen, die dranhängen. Und da muss ein Szenario entwickelt werden, dass einen systematischen, einen ordentlichen Ausstieg sozusagen aus der Währungsunion möglich macht.

    Zurheide: Wie bewerten Sie denn auf der anderen Seite, dass wir in vielen Ländern beobachten – wir diskutieren über Schulden, aber die Schulden sind in der Regel beim Staat, also öffentliche Armut, und auf der anderen Seite gibt es privaten Reichtum, und das hat sich ja deutlich auch auseinanderentwickelt. Also auf der einen Seite zunehmender privater Reichtum, aber öffentliche Armut. Was ist da aus dem Ruder gelaufen?

    Flassbeck: Na ja, das ist ein globales Phänomen, da ist etwas Fundamentales aus dem Ruder gelaufen, das ist völlig klar. Und das muss auch global korrigiert werden, und natürlich auch in der Währungsunion. Aber auch das ist wieder eine Geschichte, die nicht über Nacht geht, die muss auch in allen Ländern angepackt werden, und zwar gleichermaßen, aber auch dazu braucht man erst mal eine vernünftige Diagnose, was ist überhaupt passiert, wie groß ist die Ungleichheit, und dann muss man fragen, was kann man dagegen tun.

    Im Moment wird die Lage ja immer nur noch schlimmer, und auch die Ungleichheit wird schlimmer, weil wir Arbeitslosigkeit systematisch produzieren. Jetzt die Europäische Währungsunion ist ja unfähig, aus der Krise herauszukommen, aus der Rezession rauszukommen. Deutschland geht auch in eine Rezession, und das ist einer der entscheidenden Faktoren für Ungleichheit, für neue Ungleichheit durch Arbeitslosigkeit. Und wenn man sich anschaut, was einem Land wie Zypern droht oder was Spanien schon passiert ist. Griechenland mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit, da entsteht Armut, ganz plötzlich, in einem reichen Land. Und das schafft politische Spannungen, die kaum zu überwinden sind.

    Zurheide: Schwierige Aussichten für die Europäische Union, für den Euro, das war ein Gespräch mit Heiner Flassbeck, dem früheren Chefvolkswirt der UNCTAD, der im Moment in Zypern ist. Herr Flassbeck, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!

    Flassbeck: Wiedersehen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.