Dienstag, 16. April 2024

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Fleischverzicht
"Rein pflanzliche Diät kommt der Umwelt zugute"

Viele Menschen essen aus gesundheitlichen oder tierethischen Gründen kein Fleisch - aber auch die Sorge um die Umwelt wäre ein plausibles Motiv. Der Physiker Gidon Eshel plädierte im Dlf für einen kompletten Umstieg auf rein pflanzliche Nahrung - dies würde Gewässer und Klima erheblich entlasten.

Gidon Eshel im Gespräch mit Arndt Reuning | 08.08.2019
Veggie-Burger, Ansicht von oben
Ein Burger ganz ohne Fleisch: Laut dem Physiker Gidon Eshel entlaste solch eine Ernährung Umwelt und Klima (imago-images / Westend 61)
Arndt Reuning: Wieviel Treibhausgase wir freisetzen, das hat auch damit zu tun, wie wir uns ernähren. Besonders belastend für das Klima ist die Erzeugung von Fleisch, besonders von Rindfleisch. Der Physiker Gidon Eshel vom Bard College im US-Bundesstaat New York hat das Ganze mal in einem Gedankenexperiment durchgerechnet: Wenn die Menschen in den USA ihre Diät komplett umstellen würden, kein Fleisch mehr konsumierten, sondern nur noch pflanzliche Alternativen, die aber denselben Nährwert beinhalten, welche Auswirkungen hätte das auf Klima und Umwelt? Das Ergebnis, heute veröffentlicht im Fachmagazin Scientific Reports: Der Wasserverbrauch würde wohl steigen, aber ansonsten brächte solch ein Wechsel nur Vorteile für die Umwelt. Ich habe gestern mit ihm telefoniert und wollte wissen, was seine Motivation war, diese Rechnung aufzustellen.
Gidon Eshel: Das kam so: Wir veröffentlichen schon seit fünfzehn Jahren Studien darüber, wie eine rein pflanzliche Diät der Umwelt zugute kommt. Ich und meine Kollegen sind der festen Überzeugung, dass diese Frage im Grunde genommen beantwortet ist. Wir können quantitativ ziemlich genau den Nutzen solch einer Ernährungsweise für die Umwelt abschätzen. Aber es gibt auch Kritik an unserer Arbeit nach dem Motto: "Was bringt uns eine intakte Umwelt, wenn wir uns dadurch Gesundheitsprobleme einhandeln, weil die pflanzliche Nahrung nicht unseren Bedarf an Eiweiß, Mineralstoffen oder Vitaminen deckt?" Wir wollten zeigen, dass sich beides unter einen Hut bringen lässt. Also haben wir vierzig Nährstoffe identifiziert, auf die wir angewiesen sind und haben eine pflanzliche Diät entwickelt, die diesen kompletten Bedarf abdeckt.
Abwägung zwischen Nährwert und Umweltbelastung
Reuning: Und welche Pflanzen haben Sie in Ihre Berechnungen einbezogen, um den gesamten menschlichen Bedarf an Nährstoffen zu decken?
Eshel: Naja, alles was man in der Gemüseecke des Supermarkts so findet. Und auf dem Regal mit den Hülsenfrüchten und Getreideprodukten. Alle diese Grundbausteine der Ernährung haben wir einbezogen und gegeneinander abgewogen – hinsichtlich der Umweltbelastung beim Anbau und hinsichtlich des Nährwertes.
Reuning: Die Erzeugung von Fleisch, besonders von Rindfleisch, ist verbunden mit Belastungen für die Umwelt, schreiben Sie. Woran denken Sie dabei im Besonderen?
Eshel: Bei der Herstellung von Lebensmitteln, egal ob pflanzlich oder tierisch, entstehen immer Schäden an der Umwelt. Zum Beispiel der Ausstoß von Treibhausgasen. Aber viel wichtiger, denke ich, ist der Landverbrauch. Wenn man sich die Erde vom Weltall anschaut, dann kann man nur eine einzige menschliche Aktivität erkennen: die Landwirtschaft. Man sieht keine Städte, keine Straßen, aber die Spuren der Landwirtschaft. Darauf verwenden wir den Großteil unserer Flächen. Jeden Quadratmeter des fruchtbaren Landes nutzen wir, um uns zu ernähren. Und das muss nicht sein, denn man könnte das auf gut die Hälfte reduzieren. Wie? Indem wir Pflanzen essen anstelle von Fleisch.
Kunstdünger belastet die Gewässer
Ein anderer Faktor, den wir berücksichtigen, ist reaktiver Stickstoff. Kunstdünger. Natürlich stellt der einen Segen für die Menschheit dar: Wir können unsere Erträge steigern und viele Menschen ernähren. Aber wir benutzen dieses wunderbare Werkzeug ausgesprochen rücksichtlos. Wenn wir zu viel Dünger auf dem Acker ausbringen, wird er ausgewaschen und belastet die Gewässer. Er gelangt in die Meere und richtet dort verheerende Schäden an: Algenblüten, die den Sauerstoff aufzehren und die Fische sterben lassen. Die Quelle für den Stickstoffdünger ist eben die Landwirtschaft. Und als letzter Punkt möchte ich an den Wasserverbrauch für die künstliche Beregnung der Felder erinnern. Was das bedeutet, das sollte eigentlich den meisten Menschen unmittelbar einleuchten.
Reuning: Glauben Sie denn, dass sich Ihre Kalkulation auch auf andere Länder übertragen lässt? Sie haben berechnet, dass ein kompletter Umstieg von Fleisch auf pflanzliche Lebensmittel in den USA 29 Millionen Hektar Ackerland einsparen würde, drei Milliarden Kilogramm an Stickstoffdünger und 280 Milliarden Kilogramm Kohlendioxid jährlich. Könnte man das umrechnen auf Deutschland zum Beispiel?
Ergebnisse der Studie gelten für alle entwickelten Länder
Eshel: Die Zahlen werden nicht exakt übereinstimmen. Aber wenn wir berechnen: Durch eine bestimmte Umstellung der Ernährung würde ein Mensch in den USA x Kilogramm Kohlendioxid einsparen, dann wäre der Wert für Deutschland ungefähr in derselben Größenordnung. Also: unsere Ergebnisse gelten für alle entwickelten Länder – zu denen man die USA wohl hinzurechnen sollte, und ganz gewiss für Deutschland.
Reuning: Jetzt, zum Zeitpunkt der Aufnahme, geht es bei Ihnen an der Ostküste auf die Mittagszeit zu. Was kommt bei Ihnen heute auf den Tisch?
Eshel: Das habe ich gerade zubereitet. Eine Schüssel Kichererbsen mit roten Zwiebeln, Petersilie und Sesampaste oben drauf. Und damit bin ich vollauf zufrieden. Besser geht’s nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.