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Flexible Grundschule in Hamburg
Von Klasse 1 direkt in Klasse 3?

Talentierte Kinder sollen in der Grundschule eine Klasse überspringen können. Dieser Vorschlag zur Flexibilisierung der Schulzeit wird derzeit in Hamburg diskutiert. Der Schulsenator zeigt sich offen für die Idee, doch eine ähnliche Initiative war vor Jahren gescheitert.

Von Axel Schröder | 24.08.2018
    Schüler in einer Klasse, ein Schuljunge schreibt in ein Heft.
    Nicht die Dauer der Wissensvermittlung ist für Grundschulkinder entscheidend, sondern die erlernten Kompetenzen, meint Antje Müller von der Elternkammer. (imago/Westend61)
    Der jüngste Vorschlag zur Flexibilisierung der Grundschulzeit in Hamburg kommt nicht aus der Schulbehörde, sondern von der Elternkammer. Im Norddeutschen Rundfunk, in einem Gespräch mit Hamburgs Schulsenator Ties Rabe präsentierte die Kammer-Vorsitzende Antje Müller die Pläne: "Praktisch könnte es so aussehen, dass der Lernstoff der ersten zwei Grundschuljahre in einem bis drei Jahren erledigt werden können. Das heißt, ein Kind, das mit einer guten Lernausgangslage, pfiffig, motiviert ist, könnte nach einem Jahr in die Klasse 3 übergehen. Während ein Kind, dem es ein bisschen schwerer fällt, weil es vielleicht Deutsch-Probleme hat, denselben Stoff in drei Jahren sich aneignen und die Kompetenzen erwerben könnte."
    Bislang ist es in Hamburg zwar möglich, besonders begabte Grundschulkinder eine Klassenstufe überspringen zu lassen. Eine Verlängerung der Grundschulzeit über vier Jahre hinaus ist aber grundsätzlich nicht möglich.
    "Wir haben die Diskussion 'G8/G9' geführt. Aber wir haben nicht darüber gesprochen, ob es nicht den Schülern, die mit schlechten Lernausgangslagen oder ungünstigen Lernausgangslagen in die Grundschule kommen, ermöglicht wird, an der Grundschule so lange zu verweilen bis sie fähig sind, die Mindestvoraussetzung haben, um an der weiterführenden Schule bestehen zu können."
    Erlernte Kompetenzen wichtiger als Lernzeit?
    Praktisch umsetzen ließe sich das, so Antje Müller, indem der Lernstoff der ersten zwei Schuljahre entweder in einem oder in maximal drei Jahren vermittelt wird. Nach dem Grundsatz: Nicht die Dauer der Wissensvermittlung ist für Grundschulkinder entscheidend, sondern die erlernten Kompetenzen.
    Hamburgs Schulsenator Ties Rabe ist grundsätzlich offen für diese Idee. Immerhin hatte die Behörde selbst schon vor fünf Jahren einen Vorstoß in die gleiche Richtung unternommen. Damals suchte die Behörde vor allem in, wie es hieß, "sozial herausfordernden Stadtgebieten" nach Pilotschulen für das Projekt: "Und es haben sich keine Schulen dafür gefunden. Die Schulen waren dort sehr beharrlich, haben das doch sehr kritisch gesehen, weil es schwierig zu organisieren ist. Man beginnt vielleicht mit drei Schulklassen. Die Klassen gehen in die erste Klasse, danach kommen die Kinder in die zweite Klasse. Und dann sind einige Kinder in jeder Klasse, die noch ein zusätzliches Jahr brauchen. Dann müsste man die da rausnehmen und in eine Verlängerungsstufe reintun. Während die anderen, jetzt zu kleinen Klassen, dann weitergehen. Man müsste nach der zweiten Klasse vermutlich die Klassen neu ordnen. Davor haben viele Grundschulen zurückgeschreckt."
    Auch skeptische Stimmen von Eltern
    Und das Pilotprojekt wurde abgebrochen. Ganz so überzeugt sind auch die Eltern nicht von der Idee, zumindest nicht die, die gerade ihren Nachwuchs zur Sternschanzen-Grundschule in der Altonaer Straße gebracht haben:
    "Der Sprung ist doch viel zu groß, von der ersten zur dritten, ist doch viel zu groß!"
    "Finde ich ganz falsch. Das ist überhaupt nicht gut. Ich habe einen Fall bei einer Freundin, dessen Kind ist das auch geraten worden und es ist leider komplett nach hinten losgegangen. Er hat irgendwann den Stoff gar nicht mehr aufholen können."
    Hingegen sei es keine schlechte Idee, Kindern mit Startschwierigkeiten mehr Zeit zum Lernen zu geben.
    "Aber das ist ja auch durchaus möglich. Wie es hier an der Ganztagsschule schon gemacht wird. Dass Kinder, die langsamer sind, in ihrem Tempo lernen können und die Kinder, die schneller sind, schon weiter gehen können, aber sie trotzdem vom Alter her zusammen sind."
    Das längere Lernen funktioniere dann über zusätzliche Förderstunden. Der Klassenverband bleibe über vier Jahre stabil. Helfen könnte den Hamburgern in ihrer Debatte über die flexible Grundschule ein Blick nach Sachsen-Anhalt. Dort ist das Modell schon seit 15 Jahren gelebter Schulalltag. Zehn Prozent der Kinder auf sachsen-anhaltinischen Grundschulen nehmen das Angebot einer verlängerten Grundschulzeit wahr. Die Anzahl der Schüler, die ein Jahr überspringen, wird statistisch nicht erfasst, ist aber, so ein Sprecher des dortigen Bildungsministeriums, verschwindend gering.