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Fluch der bösen Tat

Heide Simonis, ehemalige Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins, betrachtet die gegenseitige persönliche Abneigung zwischen dem SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner und Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) als zu groß, um die sachlichen Ursachen des Koalitions-Krachs ausreichend erörtern zu können.

Heide Simonis im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Guten Morgen, Frau Simonis!

    Heide Simonis: Moin, moin!

    Herter: Warum fällt Männern das Regieren in Schleswig-Holstein so schwer?

    Simonis: Ja, wenn ich das wüsste, habe ich schon gedacht, dann lass ich mich als Beraterin anstellen. Es ist nicht ganz einfach und es sind immer wieder Spuren zu entdecken aus der alten Barschel-Affäre: gegenseitige Verletzungen, auch Beschämungen, Demütigungen, die dann immer wieder auftauchen. Und man darf nicht ganz vergessen, diese Große Koalition war nicht das sorgfältige Ergebnis von Gesprächen und Erörterungen, sondern war am Ende nur noch rechnerisch übrig geblieben, nachdem ich abgesetzt worden bin und der Vorschlag von mir, eine Art Ampel zu machen, nicht angenommen wurde.

    Herter: Also eine Zwangsheirat, nicht mal eine Zweckgemeinschaft?

    Simonis: Das ist nicht mal eine Zweckgemeinschaft, das ist einfach nach dem Motto: Es muss ja gemacht werden, es muss ja regiert werden, wir brauchen ja einen Ministerpräsidenten, es ist niemand anders mehr da, also gehen wir mit der SPD zusammen. Und die beiden Parteien lieben sich hier schon seit Langem nicht oder seit ewigen Zeiten nicht, würde ich sagen.

    Herter: Aber hinzu kommen eben zwei Persönlichkeiten, Carstensen und Stegner, die einfach nicht miteinander können, so sieht das aus. Der eine gelernter Landwirt, der andere Harvard-Absolvent. Oder haben sich die Herren wirklich wegen unterschiedlicher Auffassungen in der Sache zerstritten?

    Simonis: Das kann man so schlecht nachvollziehen, weil diese persönlichen Abneigungen so stark im Vordergrund sind, dass man gar nicht mehr sagen kann, das hat daran gelegen oder daran gelegen. Jetzt ist der letzte Krach ausgebrochen über die Frage, ob der Vorstandsvorsitzende der Landesbank drei Millionen Euro bekommen soll, ja oder nein. Darüber redet hier kein Mensch mehr in der Zwischenzeit, sondern nur noch über die Frage, ob denn der eher gemütliche Ministerpräsident, der im Übrigen nicht sehr konfliktscheu ist, und der eher scharf formulierende Kontrahent, der Konflikte sehr gut ertragen kann, ob die können oder nicht können. Und ich bin der Meinung, ob sie können oder nicht können, ist überhaupt nicht die Frage, sondern die Frage ist, dass sie ein paar Aufgaben zu erledigen haben, und die sind noch nicht geschafft.

    Herter: Aber ist der Sozialdemokrat Ralf Stegner – viele nennen ihn Ihren Ziehsohn – Ihrer Meinung nach wirklich eine einfache Persönlichkeit?

    Simonis: Nein, mein Gott, wer ist eine einfache Persönlichkeit? Er ist schwierig, er ist angriffslustig, er ist auf den Punkt genau manchmal, was ja weh tut, wenn ein anderer einen da erwischt an bestimmten Sachen. Und jemand, der als gemütlicher Landesvater auftritt, hat natürlich Schmerzgrenzen, wo andere sie überhaupt noch längst nicht haben. Also ich wundere mich manchmal, worüber er verschnupft sein kann.

    Herter: Also der Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ist kein gewiefter Vollblutpolitiker, der hart im Nehmen ist und mit allen Wasser gewaschen?

    Simonis: Nee, so würde ich es nun wirklich nicht beschreiben.

    Herter: Frau Simonis, Sie haben jetzt ein bisschen Abstand auch von dem politischen Leben: Sind Intrigen wirklich ein fester Bestandteil, ein unvermeidlicher Bestandteil des politischen Geschäfts?

    Simonis: Nein, eigentlich nicht, aber ich hab auch nicht das Gefühl, dass es hier um Intrigen gegangen ist, mit denen kann man ja umgehen. Sondern hier geht es darum, dass jemand gewusst hat, er möchte eigentlich gerne aus der Koalition raus und möchte den 27. September ansteuern. Und das ist ja in letzter Zeit auffällig gewesen, wie stark sich dieses Thema in den Vordergrund gespielt hat. Es ging nicht mehr darum, dass er den Stegner nicht mag, den mag er nun mal nicht, den mag er auch jetzt noch nicht und den wird er nie mögen, sondern es ging ihm darum, ganz zielgerichtet den 27. September anzusteuern, und das halte ich im Übrigen für fragwürdig.

    Herter: Das ist sicher Selbstbedienung sozusagen oder wäre Selbstbedienung nach Umfragewerten, auf der anderen Seite hat sich Stegner darüber beschwert, er sei über diese Abfindung an den Chef der HSH Nordbank nicht informiert gewesen, auf der anderen Seite sagt ein SPD-Minister in Schleswig-Holstein, er war informiert. Ist das nicht eher ein Problem der SPD als der Koalition?

    Simonis: Das ist eine sehr unschöne Situation, denn entweder ist der eine nicht zum anderen gegangen und hat ihn unterrichtet oder sie haben überhaupt nicht miteinander kommuniziert. Tatsache ist, diese drei Millionen sind wohl dem parlamentarischen Fraktionsvorsitzenden mitgeteilt worden, aber beide behaupten, übrigens auch der von der CDU, sie hätten dem nicht zugestimmt, sie hätten es zur Kenntnis genommen. Und das ist in der Tat so, wenn Sie von etwas Kenntnis nehmen, dann kann man doch nicht behaupten, sie hätten dem zugestimmt.

    Herter: Also sehr kleinteilig selbstständig können die drei Millionen ja nun nicht an den HSH-Nordbank-Chef geraten sein. Was glauben Sie, wie wird die Sache ausgehen? Neuwahlen in Schleswig-Holstein am 27. September, wird sich Carstensen da durchsetzen?

    Simonis: Also er muss was vorschlagen. Er hat darauf hingesteuert, auf den Punkt, an dem wir jetzt sind, er muss was vorschlagen – ich glaube nicht, dass er weitermachen will in der Großen Koalition –, er muss etwas vorschlagen, das ihn davon befreit, sozusagen nicht mehr sich bewegen zu können, weil er keine Partnerrisiken mehr hat. Das heißt, für mich fällt eigentlich aus die Frage, Minister zu entlassen und eine Minderheitenregierung zu machen. Es passiert schon eh so wenig an sachlichen Fragen hier, dann passiert überhaupt nichts mehr.

    Herter: Rücktritt schließt er aus, das hat Carstensen gesagt, also Misstrauensvotum, seine eigene Fraktion müsste gegen ihn stimmen, das ist bitter …

    Simonis: Und wir stimmen dann für ihn, dann ist doch alles wieder in Ordnung.

    Herter: Ja, verkehrte Welt. In Schleswig-Holstein scheint es schwer zu sein, Dinge vorherzugehen, Sie haben ja auch sehr schlechte Erfahrungen mit der Fraktionsdisziplin gemacht.

    Simonis: Das kann man wohl sagen, ja. Das bringen nur die Schleswig-Holsteiner fertig.

    Herter: Wissen Sie eigentlich, wer Ihnen bei der Wahl zur Ministerpräsidentin die Stimme verweigert hat inzwischen?

    Simonis: Ich glaube, es zu wissen, aber es nützt ja nichts, wenn ich’s nicht beweisen kann, und deswegen hat’s keinen Zweck mehr, drüber zu reden. Im Übrigen, was wir jetzt gerade erleben, ist aus meiner Sicht der Fluch der bösen Tat. Das wirkt ja lange nach, so etwas, und wenn daraus eine Koalition entsteht, zwangsweise entsteht, die nie von irgendeinem gewollt – oder ein paar haben’s vielleicht gewollt, irgendwo in einer Ecke –, aber die nicht offiziell von jemandem gewollt wurde, die den ganzen Wahlkampf über abgelehnt worden ist, dann kann man nicht behaupten, dass die beiden plötzlich anfangen sich zu lieben und aus Leidenschaft geheiratet haben, sondern es war kalte Zwecküberlegung.

    Herter: Der Fluch der bösen Tat, können Sie uns nicht doch einen kleinen Hinweis geben, wo die Stimme gefehlt haben könnte?

    Simonis: Ich behaupte immer, sie saß in der SPD und nicht woanders, andere glauben das auch. Im Übrigen, es war nicht Herr Stegner, bin ich fest von überzeugt, das ist nicht seine Art. Er ist relativ gradlinig, was ja manche beklagen, unter anderem auch der Ministerpräsident. Der sagt Ihnen ziemlich klar, was er von Ihnen hält oder was er machen will. Also da bin ich ziemlich sicher, dass er’s nicht war.

    Herter: Frau Simonis, wie wird die nächste Koalition in Schleswig-Holstein aussehen?

    Simonis: Ja, das ist gar nicht so ganz einfach zu sagen. Eins ist jedenfalls sicher: Nach dem Motto, die CDU geht in diesen Wahlkampf als die Favorisierte, das ist so einfach nicht, denn wie gesagt, was machen wir mit diesem entsetzlichen Schuldenberg hier in Schleswig-Holstein? Wir stehen ja am Rande des Abgrunds. Wenn der Bank was passiert, weiß ich überhaupt nicht, wie Hamburg und Schleswig-Holstein das bezahlen wollen? Was passiert mit all den Versprechungen – freie Kita-Plätze, mehr Lehrer an den Schulen, mehr Polizisten und so weiter und so weiter. Was passiert mit den Fragen nach einer vernünftigen Energieversorgung? Wir haben Krümmel an der Hacke, und das scheint nicht ein Erfolgsmodell zu sein.

    Herter: Der Fluch der bösen Tat. Heide Simonis über das Auseinanderfallen der Koalition in Kiel im Interview mit dem Deutschlandfunk. Frau Simonis, danke für das Gespräch!