Donnerstag, 16. Mai 2024

Archiv


Fluch und Segen der energetischen Sanierung

Gerade in begehrten Stadtlagen können Vermieter nach einer energetischen Sanierung ohne Probleme die Miete erhöhen - bis zu elf Prozent sind das pro Jahr. Viele Mieter können sich das dann nicht mehr leisten.

Von Axel Schröder | 24.01.2013
    Jörg Lorenzen schaut nach vorn, nicht zurück. Anfang 70 ist er, steht auf dem Balkon seiner neuen Wohnung, blickt über den Rasen. Rüber zur graubraunen Schallschutzwand, 150 Meter entfernt:

    "Jetzt hört man natürlich den Straßenlärm von den vorbeifahrenden Autos von der Bergedorfer Straße. Aber das Haus ist gut schallgedämpft – doppelte Scheiben. Und somit hört man hier im Wohnzimmer überhaupt nichts, gar nichts."

    Er hat sich schon eingelebt, sagt Lorenzen. Er sagt das oft, verdächtig oft. Bis November wohnte er mittendrin in der Stadt. In der Gneisenaustraße, Hoheluft-West, ein angesagtes Viertel mit kleinen Modeläden, Cafés, viel Leben. 36 Jahre hat er dort gewohnt, die Miete war fürs Viertel untypisch niedrig. Bis sich der Vermieter entschied, das Haus zu dämmen, um Energie zu sparen. Jetzt sitzt Jörg Lorenzen auf dem Sofa in seiner neuen Wohnung, am Stadtrand, in Hamburg-Horn. Vor sich ein aufgeklappter Aktenordner. Abgeheftet sind all die Gründe, die ihn aus seiner alten Wohnung vertrieben haben:

    "So, hier steht es. Wörtlich. Auf dem Schreiben vom 24. Januar 2012: 'Nach Paragraf 559, Absatz 1 BGB, bin ich berechtigt, die jährliche Miete um elf Prozent der anteilig auf Ihre Wohnung entfallenden Gesamtmiete zu erhöhen.'"

    Im Klartext hieß das für Jörg Lorenzen: Seine Kaltmiete sollte um 35 Prozent steigen. Von 645 auf 870 Euro. Lorenzen holte sich Rat beim Hamburger Mieterverein. Aber auch der konnte in dieser Situation nicht helfen, denn der Vermieter ist im Recht. Lorenzen zog aus, an den Stadtrand. Blickt nun vom Balkon aus auf die Schallschutzmauer. Dahinter dröhnt der Verkehr, auf sechs Spuren, rein und raus aus der Stadt.

    Siegmund Chychla vom Mieterverein Hamburg weiß: Die elf Prozent, die am Ende einer energetischen Sanierung auf die Mieter abgewälzt werden können, sind für viele Bewohner nicht verkraftbar:

    "Wenn man ein Fenster austauscht, dann ist das vielleicht eine Erhöhung von zehn bis 20 Euro. Wenn aber die gesamte Wohnung saniert wird, sind die Kosten so immens hoch. Und aus diesem Grunde fordern wir mit dem Deutschen Mieterbund zusammen, dass die Verteilung dieser Kosten der energetischen Sanierung gerechter vorgenommen wird."

    Denkbar wäre es zum Beispiel, so Chychla, diese elf Prozent aufzuteilen: auf Mieter, Hauseigentümer und die öffentliche Hand. Denn gerade in Ballungsräumen wie Hamburg, München oder Frankfurt stiegen die Mieten ohnehin schon, so Chychla, auch ohne die Zusatzkosten der klimagerechten Modernisierung. Gründe dafür gibt es viele: Zum einen wachsen die deutschen Großstädte. Hinzu kommt die sogenannte Gentrifizierung: Ehemals heruntergekommene Viertel erfahren dadurch eine Aufwertung, viele langjährige Mieter zwingt diese Entwicklung allerdings zur Flucht vor den steigenden Quadratmeterpreisen. Und noch ein Umstand treibt das Mietniveau nach oben: Von den 350.000 Hamburger Sozialwohnungen Mitte der 80er-Jahre sind heute nur noch knapp 100.000 übrig. Bei den anderen ist die gesetzlich festgelegte Mietpreisbindung ausgelaufen. Der Preisschub durch die energetische Sanierung gibt da Mietern wie Jörg Lorenzen den Rest.

    Trotzdem: Mehr Klimaschutz wünscht sich auch Heinrich Stüven, Vorsitzender des Hamburger Grundeigentümerverbands. Vor allem durch moderne Heizsysteme, durch neue Fenster, aber bitte nicht, so Stüven, durch die sündhaft teure Dämmung ganzer Häuser.

    "Das eine ist natürlich exzellente Lobbyarbeit, die hier von der Dämmindustrie geleistet wird. Da kann man einfach nur den Hut vor ziehen und sagen: Das ist faszinierende Arbeit, die da im Hintergrund geleistet wird. Und das Zweite ist natürlich auch, dass man die Konjunktur im Kopf hat. Weil es natürlich Arbeitsmaßnahmen sind, die hier geschaffen werden. Das ist ganz sicher."

    Die Bundesregierung ficht das nicht an. Erst im Dezember beschloss das Bundeskabinett die Aufstockung der Mittel für die energetische Gebäudesanierung auf 1,8 Milliarden Euro. Und auch die Bundesländer beschleunigen das Sanierungstempo durch eigene Förderprogramme und zinsgünstige Darlehen. Am Ende wird dadurch CO2 eingespart, allein in Hamburg könnte der Ausstoß um jährlich ein bis zwei Millionen Tonnen sinken, bei einem Gesamtausstoß von etwa 15 Millionen Tonnen.

    Damit Mieter mit geringem Einkommen nicht zu Klimaschutzopfern werden, fordert Heinrich Stüven vom Hamburger Grundeigentümerverband soziale Hilfen für die Betroffenen. Solange es die nicht gebe, müsse jeder Hauseigentümer im Vorfeld über die Kosten einer Sanierung mit den Mietern reden, fordert Stüven. Und im Zweifel die Mieten in sozialverträglichem Rahmen erhöhen. Bei Jörg Lorenzen hat das nicht funktioniert: Zwar hat auch sein Vermieter mit ihm über die anstehende Sanierung gesprochen. Die Explosion der Mietkosten habe er aber nicht erwähnt:

    "Es wurde nur gesagt: Es kommen erhebliche Heizkostenminderungen auf uns zu. Und wenn, wird die Miete nur geringfügig erhöht. Und damit wurden wir quasi abgespeist. Und das war schon für mich eine bittere, traurige Erfahrung, die ich gemacht habe."