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Flucht aus Syrien
Kaum Hoffnung an der türkischen Grenze

Einst galt die türkische Grenze als kaum bewacht, war weder für Flüchtlinge aus Syrien noch für Islamisten aus Europa ein Hindernis. Jetzt ist sie auf 330 Kilometern mit Betonanlagen gesichert. Davor warten Hunderttausende in Camps auf ein Ende des Krieges in Syrien.

Von Katharina Willinger | 11.04.2017
    Ein Flüchtlingsmädchen mit Plastiktüte geht durch ein UN-Camp in Syrien.
    Viele Menschen in den syrischen Flüchtlingscamps sehen keine Perspektive und versuchen, die Grenze zur Türkei zu überschreiten. (AFP / Delil Souleiman)
    Hasan packt einige T-Shirts, eine Hose und Unterwäsche in einen grauen Rucksack. Mehr besitzt er nicht mehr. Denn er musste alles zurücklassen, als er vor 2 Monaten seine Heimatstadt Aleppo verließ und aufs Land floh.
    Der Fotograf hat sich lange dagegen gewehrt, Syrien zu verlassen, hat die Schrecken des Bürgerkrieges mit seiner Kamera festgehalten, doch jetzt will er nur noch weg:
    "Ich möchte mit meiner Frau in die Türkei, sie ist schwanger, hier ist es gefährlich. Außerdem haben wir hier nichts mehr - wir haben kein Leben mehr in Syrien."
    Hasans Eltern und drei seiner Geschwister sind bereits vor zwei Jahren in die Türkei geflohen. Er und seine Frau wollen zu ihnen. Doch es gibt ein Problem: Die Grenze zur Türkei ist mittlerweile geschlossen und wird streng bewacht. Nur Schwerverletzte kommen noch rüber. Hasan telefoniert mit seiner Mutter - sie macht sich große Sorgen:
    "Hallo mein Schatz, wie geht es Dir? Bist du gesund? Wann versuchst du, über die Grenze zu kommen? - Es gibt da diesen Mann, er sagt, er bringt mich rüber…aber er verschiebt es immer…jetzt sagt er morgen."
    Ob Hasans Flucht in die Türkei klappen wird?
    Näher als 200 Meter kann man nicht an die Grenze ran
    2015 begann die Türkei mit dem Bau einer Grenzmauer. Die EU hatte in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass die Grenze zu Syrien zu offen sei, vor allem Terroristen könnten beliebig ein- und ausreisen.
    Nun sind auch Zivilisten wie Hasan von der Grenzschließung betroffen. Fünf Mal hat er bereits versucht in die Türkei zu gelangen, jedes Mal erfolglos. Gerade ist er auf dem Weg Richtung Grenzmauer, will uns zeigen, wie die Situation dort aus sieht. Näher als 200 Meter können wir nicht ran, alles Militärgebiet.
    "Ich fühle mich als wäre ich in Gaza, als wäre die andere Seite Israel. Wir sind aber in Syrien und hier herrscht Krieg und die Leute fliehen vor diesem Krieg - und nicht einfach so."
    Kaum Zugang zu sauberem Wasser
    Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass zwischen 500.000 und 700.000 Flüchtlinge auf der syrischen Seite der Grenze festsitzen. Teils in Camps, ohne Zugang zu sauberem Wasser, in schlechten Unterkünften.
    "Ich habe sehr viele Familien getroffen, die versucht haben, illegal rüber zu kommen. Diese Familien harren an bestimmten Punkten aus und warten auf die Schmuggler. Die Überquerung dauert zwischen 6 und 10 Stunden. Manchmal sogar einen Tag. Ich hab Familien getroffen, die es bereits 10, 15 Mal versucht hatten und sie haben es nicht geschafft."
    Die meisten davon wollten wie er in die Türkei - wohin viele Familienmitglieder bereits vor Jahren geflohen sind, die wenigsten noch weiter nach Europa, schätzt er.
    Die Drohung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, Zehntausende Flüchtlinge nach Europa zu lassen - kann auch Lütfü Savas nicht ganz ernst nehmen. Er ist Bürgermeister von Hatay, einer türkischen Grenzstadt zu Syrien. Zwei Millionen Einwohner hat Hatay, davon sind 500.000 syrische Flüchtlinge.
    "Um ehrlich zu sein, glaube ich, die Menschen, die aus der Türkei nach Europa wollen, haben das längst getan. Es gibt hier gar nicht mehr so viele, die das noch vor haben. Denn sie haben jetzt Jobs hier, ihre Kinder besuchen türkische Schulen. Und auch wenn man die Grenze hier unten wieder öffnet - die Chance, dass die Leute noch weiter ziehen werden, halte ich für gering."
    Gute Kontakte zum Militär - die letzte Hoffung zur Flucht
    Hasan möchte nach Mersin - eine Stadt an der Mittelmeerküste der Türkei, 300 Kilometer östlich von Antalya. Heute soll es soweit sein. Ein Bekannter mit Kontakten zum Militär will ihn und seine Frau über die Grenze bringen.
    "Es gibt noch diese eine Möglichkeit, meine letzte Hoffnung. Keine Ahnung, ob es klappen wird."
    Wir verabreden, ihn in der Türkei zu treffen - wenn er es dorthin schafft.
    300 km von Hasan entfernt, liegt Mersin. Dort lebt seit zwei Jahren seine Familie. Sie hat versucht Hasan und seine Frau über eine Familienzusammenführung zu sich zu holen. Doch dazu bräuchte Hasan einen gültigen Pass, ausgestellt von der syrischen Regierung. Und den hat er nicht.
    "Während der Belagerung von Aleppo konnte ich nicht mehr schlafen, weil ich so große Angst um ihn hatte. Ich mache mir immer noch so große Sorgen. Und hoffe, dass sie es rüber schaffen."
    "Meine Familie und ich, wir wollen zurück nach Hause. Ich danke der Türkei, die Leute hier sind besser als wir. Aber am Ende will doch jeder Mensch einfach nur nach Hause."
    Plötzlich ruft Hasan an. Sein Bruder hebt ab.
    "Du bist über die Grenze? Was?... Oh Gott, zum Glück!"
    Hasan hat es geschafft. Er ist in der Türkei - und auf dem Weg nach Mersin.
    Fünf Stunden später - Hasan ist da. Und auch seine schwangere Frau Rama ist dabei. Wie es für die beiden hier weitergeht, steht noch nicht fest - für Hasan ist das aber gerade zweitrangig:
    "Es ist ein unglaubliches Gefühl, endlich in der Türkei zu sein. Ich war so nervös - ich hab es ja so oft versucht, jetzt hat es endlich geklappt. Fast 24 Stunden waren wir unterwegs, ich bin müde, aber auch unglaublich glücklich und ich fühl mich befreit."