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Flüchtlinge aus dem Kosovo

DLF: Erwarten Sie von der neuen Bundesregierung auch eine neue Haltung zur Flüchtlingsproblematik in Europa und anderswo?

    Ogata: Ich würde es begrüßen, wenn es einen Richtungswechsel gäbe, indem das Asylproblem nicht nur mit einschränkenden Maßnahmen gelöst würde, sondern indem man auf die echten Bedürfnisse der Asylsuchenden einginge. Man muß die Asylbedürfnisse klarstellen: Wem gebührt politisches Asyl, wer verdient Unterstützung in anderer Form?

    DLF: Können Sie dafür auf Deutschland bezogene Beispiele nennen?

    Ogata: Viele Menschen sind als Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen, und jetzt sind ihre Staatsangehörigkeit und ihr langfristiger Status in Deutschland nicht geklärt. Eine Klärung wäre hier sehr hilfreich.

    DLF: Das derzeit drängendste Flüchtlingsproblem in Europa bilden die Kosovo-Albaner, die vor den Kämpfen im Kosovo in benachbarte Länder oder in die Berge und Wälder ihrer eigenen Provinz geflüchtet sind. Welche aktuellen Informationen haben Sie dazu?

    Ogata: Die Zahl der Menschen, die das Kosovo wegen des Konfliktes seit dem Frühjahr vergangenen Jahres verlassen haben, ist nicht sehr hoch. Die meisten Kosovaren sind in ihrem eigenen Land heimatlos geworden. Nach unseren Schätzungen sind das etwa 300.000 Menschen. Glücklicherweise konnten die meisten von ihnen Ogata: zurückkehren - nicht unbedingt in ihre eigenen Häuser, aber zumindest in ihre Dörfer, wo sie nun mitten im harten Balkanwinter bei befreundeten Familien leben. Im November, Dezember hatten wir zu unserer großen Erleichterung zumindest den Eindruck, daß alle Flüchtlinge aus den Wäldern zurückgekehrt waren. Seit sich aber erneut Gewalt ausgebreitet, angefangen in Racak, leben schon wieder - ohne daß wir die genaue Zahl kennen - mindestens 5.000 Menschen unter sehr bedrohlichen Umständen im Freien.

    DLF: Haben Sie Zugang zu diesen Menschen?

    Ogata: Ja, wir haben Zugang zu ihnen. Sechsmal in der Woche bringen wir mit Konvois Hilfsgüter in das Kosovo. Nur wenn ein ernstes Sicherheitsproblem auftaucht, kommen wir nicht direkt an die Flüchtlinge heran. Aber insgesamt haben wir schon Zugang zu den Menschen.

    DLF: Wie kooperativ sind dabei die serbischen Behörden?

    Ogata: Wenn es um den Zugang zu den Menschen ging, haben sie durchaus mit uns zusammengearbeitet. Es wird allerdings sehr viel Gewalt angewendet, mit der die Menschen noch immer eingeschüchtert und terrorisiert werden, die sich deshalb sehr vor der Rückkehr fürchten. Ich habe eine viel größere Zurückhaltung beim Einsatz von Gewalt gefordert, um die Situation unter Kontrolle zu behalten, aber leider ist die Gewaltanwendung auf beiden Seiten eskaliert.

    DLF: Die NATO erhöht unterdessen den Druck auf die Konfliktparteien im Kosovo, um sie zu Verhandlungen über eine friedliche Lösung zu zwingen. Gibt es diese Möglichkeit noch oder ist ein militärisches Eingreifen westlicher Staaten unvermeidlich?

    Ogata: Im Moment steht alles auf des Messers Schneide. Ich meine, daß der Druck, der jetzt von der NATO, von den europäischen Ländern und von der Balkan-Kontaktgruppe ausgeübt wird, unbedingt erforderlich ist. Nur ein solcher Druck wird die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch bringen. Und wenn die Gespräche dort scheitern sollten, wird es vielleicht auch wieder eine Militärintervention wie in Bosnien geben.

    DLF: Lassen Sie uns einen Blick auf die Lage dort werfen. Zehntausende von Bosnienflüchtlingen haben Angst vor einer Rückkehr, weil ihre Häuser und ihre früheren Wohngebiete mittlerweile von anderen ethnischen Gruppen bewohnt werden. Was soll mit diesen heimatlosen Menschen geschehen?

    Ogata: Die Repatriierung nach Bosnien beruhte gemäß dem Dayton-Abkommen auf zwei Prinzipien. Erstens: Die Menschen hatten das Recht, in ihre Heimat zurückzukehren. Zweitens: Die Menschen haben aber auch das Recht, den Ort ihrer Rückkehr selbst zu wählen. Der UNHCR hat mehr alle anderen versucht, die Bosnien-Flüchtlinge unter Wahrung dieser beiden Prinzipien zu repatriieren. Und viele sind ja auch zurückgekehrt. Allein aus Deutschland sind bisher etwa 200.000 Bosnien-Flüchtlinge zurückgegangen. Das ist ein sehr wichtiger Erfolg. Schwierigkeiten haben jedoch diejenigen, die nach ihrer Rückkehr in ihrem jeweiligen Gebiet zur ethnischen Minderheit gehören. Wir haben deshalb gewisse positive Vorbedingungen wie die Initiative der "offenen Stadt" angeregt, die aber nicht so richtig funktioniert hat. In diesem Jahr 1999 müssen wir verstärkte Anstrengungen unternehmen, um gerade jenen eine Chance auf Rückkehr zu geben, die zurückgehen wollen, dann aber zu einer Minderheit gehören würden. Das betrifft vor allem Bosniaken, die in die Republik Srpska zurückkehren möchten. Ich habe inzwischen mit den Verantwortlichen in der Republik Srpska gesprochen und die prinzipielle Zusicherung erhalten, daß die Angehörigen von Minderheiten, die zurückkehren möchten, dorthin auch zurückkehren können. In Bosnien wie auch im übrigen Jugoslawien gibt aber noch das Problem der realen Hausbewohner, und das ist ein sehr ernstes Problem. Praktisch jeder wohnt nun im Haus eines anderen. Es muß z.B. eine Lösung für diejenigen Bosniaken gefunden werden, die nun in die Republik Srpska zurückkehren wollen, deren Häuser aber schon von Flüchtlingen bewohnt werden, die aus anderen Teilen Bosnien gekommen waren. Diese Fragen müssen jetzt also mit verstärkten Anstrengungen geklärt werden. Diejenigen, die in ihre Heimat zurück wollen, brauchen jede erdenkliche Unterstützung, um das realisieren zu können. Hilfe werden aber auch jene erhalten müssen, die in andere Landesteile gehen möchten.

    DLF: Beurteilen Sie die Erfolgsaussichten dafür optimistisch?

    Ogata: Mit einfachem Optimismus allein wird das nicht klappen. Damit es aber klappt, braucht man natürlich auch ein bißchen Optimismus. Dies wird ein sehr wichtiges Jahr für die Rückkehr nach Bosnien. In diesem Jahr muß es anders werden. Dazu bin ich fest entschlossen. So wie in den vergangenen vier Jahren kann es nicht weitergehen, in denen man nur auf der Grundlage der Prinzipien Mehrheits- und Minderheitsrückkehr arbeitete. Wir brauchen jetzt konkrete Ergebnisse.

    DLF: Welche andere Teile der Welt bereiten Ihnen Sorgen im Hinblick auf die Flüchtlingssituation?

    Ogata: Etwa 35 afrikanische Staaten sind direkt oder indirekt von bewaffneten Konflikten betroffen, wobei natürlich Sierra Leone ganz oben auf der Sorgenliste steht. Rund eine Million Menschen sind in die Nachbarstaaten geflüchtet. Auch die Demokratische Republik Kongo erlebt schwierige Zeiten, wobei die Menschen hier nicht ins Ausland flüchten, sondern in ihrem eigenen Land heimatlos werden. Auch im benachbarten Kongo-Brazzaville sind wieder Kämpfe ausgebrochen. Und dann Afghanistan. Noch immer halten sich über 3 Millionen afghanische Flüchtlinge in den Nachbarländern auf, und die Lage in Afghanistan selbst bietet auch keine Lösung für ihre Rückkehr. Darauf sollte man stärker das Augenmerk richten.

    DLF: Wird die Arbeit von UNHCR zur Zeit ausreichend finanziert?

    Ogata: Nein. Wenn sich irgendwo ein sehr großer Flüchtlingsstrom bewegt, bricht bei Regierungen und in der Öffentlichkeit Anteilnahme aus. Dann bekommen ziemlich viel finanzielle Unterstützung. Wenn es sich um verstreute Krisen handelt, lassen die öffentliche Aufmerksamkeit und finanzielle Hilfe nach. Deshalb versuche ich mein Bestes, um Öffentlichkeit und Regierungen davon zu überzeugen, daß man sich auch den verstreuten Flüchtlingskrisen widmen muß, da sie eine große Gefahr für die Welt darstellen.

    DLF: Können Sie uns Zahlen nennen? Wieviel Geld benötigen Sie für die gegenwärtigen UNHCR-Aktionen?

    Ogata: Für das Jahr 1999 haben wir etwas weniger als eine Milliarde Dollar beantragt. Das ist weniger als in den zurückliegenden Jahren, weil sich die Flüchtlings- zahlen in einigen Gebieten verringert haben. Deshalb bitte ich für das laufende Jahr um eine knappe Milliarde Dollar.

    DLF: Ihr dritte und letzte Amtszeit endet im Dezember 2000. Was wollen sie bis dahin noch erreichen?

    Ogata: Ich würde bis dahin gerne noch einige der Flüchtlingsprobleme auf der Welt lösen, die während meiner Zeit als UN-Flüchtlingshochkommissarin sehr akut wurden. Ich möchte darüber hinaus aber auch das Image der Flüchtlinge ändern, damit sie eben nicht immer nur als "Problem" begriffen werden, damit sich ihr weit verbreitetes negatives Image in etwas Positives verwandelt. Dies sind Menschen, die als Flüchtlinge Schutz und Unterstützung verdienen, und um sie herum sollte die internationale Zusammenarbeit verstärkt werden. Nachdem Flüchtlinge an einem bestimmten Punkt ihres Lebens Hilfe bekommen haben, leisten sie selbst einen sehr positiven Beitrag, entweder im Land, in das sie zurückkehren oder im Land, in dem sie integriert werden. Und das müssen wir zeigen, denn es ist eine Tatsache der Geschichte.